„Lauter! Ich verstehe nichts…“ Tontechnik ist Expertensache.
Hans-Martin Wahler ist Musiker und Spezialist für Live-Tontechnik. In Punkto Beschallung stellt er in vielen Kirchen fest: Die Hausaufgaben sind nicht gemacht! Dies verhindert die Teilhabe von Menschen.
Wo hakt es tontechnisch Ihrer Meinung nach in vielen kirchlichen Räumen? Das Thema Tontechnik wird nicht wirklich ernstgenommen. Mikrofon und Lautsprecher werden gehandhabt wie eine Geschirrspülmaschine. Doch Akustik ist ein hochkomplexes Thema, das viel Fachwissen erfordert. Gemeinden müssen sich im Blick auf den demografischen Wandel zukünftig noch viel in tensiver mit dieser Materie beschäftigen. Bisher wird viel zu schnell „irgendwas“ hingestellt und jeder denkt: Das läuft schon. Doch genau das sorgt für Unmut und Ärger.
Sind große Lautsprecherboxen und den Lautstärkeregler hochfahren wirklich die Lösung?
Nein, überhaupt nicht. Heute kann man mit digitaler Technik im Audiobereich sehr filigran arbeiten und die Defizite der alten Technik ausgleichen.
Was würden Sie einer Gemeinde raten, die sagt: Wir würden gerne etwas für die Akustik tun, aber einer große Mikrofonanlage passt nicht in unseren sakralen Raum? Dies ist heute kein Problem mehr. Es gibt inzwischen viele kleine, fast nicht mehr sichtbare Lösungen, die sehr leistungsfähig und in der Lage sind, auch komplizierte Kirchenräume abzudecken. Entscheidend ist jedoch die Frage: Was will man in der Gemeinde tun? Der klassische Gottesdienst ist die eine Veranstaltung, doch Kirchen haben heute mehr als eine Funktion zu leisten. Da sollte man über ein tontechnisches Gesamtkonzept nachdenken, welches dem Gemeindeaufbau in seiner Gesamtheit dient.
Tontechnisches Gesamtkonzept meint? Was ist z.B. mit Konzerten, was ist, wenn der Chor singt, eine Band auftritt, was ist mit musikalischen Gästen, die kommen und die Infrastruktur nutzen wollen, was ist mit Beerdigungsfeiern, Hochzeiten, Theater, Kinderchören …? Meine Erfahrung ist: Das Thema Tontechnik darf nicht zu eindimensional angegangen werden. Hier sollte man sich lieber etwas mehr Zeit für Beratung und Überlegung nehmen und dann eine größere Lösung anschaffen, die Zukunft hat.
Kommen wir zur sonntäglichen Realität. Während Lieschen Müller sich in der fünften Reihe die Ohren zuhält, ruft Otto Schneider aus Reihe sieben „Ich verstehe nix!“. Gibt es eine Lösung für dieses Problem? Dieses Problem ist heute mit der digitalen Technik aus der Welt zu schaffen. Die neuen Lautsprechersysteme sind für Sprachen optimierter. Sie sorgen dafür, dass die Inhalte wesentlich besser bei den Besuchern ankommen. Wahr ist allerdings auch: Unsere Gesellschaft wird immer älter und damit gibt es auch vermehrt Menschen mit Hörproblemen. Da muss Gemeinde nochmals über ganz andere Lösungen wie die Induktive Höranlage, FM (Radiowellen), Infrarot und BlueTooth nachdenken. Mit diesen Techniken lassen sich bessere Klangerlebnisse erreichen.
Sie sind seit einigen Jahren selbst Träger eines Hörgerätes. Hat dieser Umstand Ihre Sichtbzw. auch Hörweise in kirchlichen Räumen nochmals verändert? Absolut! Mir ist dadurch erst aufgefallen, wie schlecht in vielen kirchlichen Räumen das Thema Beschallung und Tonanlage geregelt ist. Ich sehe hier einen dringenden Bedarf nach modernen Systemen. Die Aussage, „die Anlage läuft doch schon dreißig Jahre gut“ verhindert die Teilhabe von einem Großteil der Menschen. Hörbehinderungen beginnen nicht erst im Seniorenalter!
Was kann eine Kirchengemeinde heute im Blick auf gute Hörhilfen im Gottesdienst tun? Das Wesentliche ist, dass sie für eine optimale Tonanlage sorgt und dass weitere Möglichkeiten geschaffen werden, damit Hör behinderte am Gemeindeleben teilnehmen können, wie CD Aufnahmen in Radioqualität bis hin zum Livestream im Internet.
Eine Aussage von Ihnen lautet: Die Technik ist das allerkleinste Problem. Viel gravierender sind die Probleme in den Köpfen. Was meinen Sie damit? Als normal hörender Mensch kann man nicht wirklich nachvollziehen, was Menschen umtreibt, die eben nicht mehr optimal hören. Wenn ich irgendwo nicht richtig hören kann, dann gehe ich da auch nicht mehr hin. Ich denke, das geht vielen so. Diesen Punkt sollte man in den Blick nehmen. Gemeinde stößt Menschen ab, indem man sie nicht tontechnisch so bedient, wie man es könnte.
Zum Schluss noch zwei Klassiker: Die für die Lesung zuständige Frau tritt ans Mikrofon. Plötzlich beginnt es ohrenbetäubend zu Pfeifen. Was läuft falsch? Wie löst man dieses Problem grundsätzlich? Es kann ein falsches Mikrofon oder ein fehlender Equalizer (Entzerrer) oder ein falscher Abstand zum Mikrofon sein. Rückkopplungen sind heute problemlos vermeidbar, es sei denn, die Kirchengemeinde hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht.
Der Pfarrer übergibt dem Taufpaten für das Gebet das Mikrofon. Seine Worte bleiben ungehört, weil er das Mikrofon auf Hüfthöhe hält. Wie sieht der richtige Umgang mit diesem Gerät aus? So nah wie möglich ans Mikrofon! Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen einem dynamischen Mikrofon und einem Kondensatormikrofon. Bei ersterem muss man sehr nah ans Mikrofon gehen. Ungefähr 2 bis 3 Zentimeter. Bei zweiterem kann man 5 bis 10 cm entfernt sein. Wichtig ist: Immer direkt ins Mikrofon sprechen. Dies ist das „Sprachrohr“, durch das man die Menschen erreicht.
Wenn jetzt eine Gemeinde sagt: Wir wollen, dass sich die Übertragung in unserer Kirchengemeinde qualitativ verbessert und die Schwerhörigen besser hören können. Wo finden Sie Hilfe und kompetente Beratung? Es gibt Firmen mit Inhabern, die aus dem kirchlichen Umfeld stammen. Viele davon haben aktiv Musik gemacht und sozusagen am eigenen Leib die Risiken und Chancen kennengelernt, die sich in Punkto Akustik hinter den Kirchenmauern verbergen. Die besten Lösungen bieten die an, die in dem Metier zu Hause sind.
Könnte man Sie zur Beratung einladen? (lacht) Ich bin kein Geräteverkäufer. Ich stehe gerne zur Verfügung, wenn es um die Frage geht, wie jemand mit Hörbehinderung die Akustik im Raum der Kirche erlebt und empfindet und was man wie optimieren kann. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.
Rüdiger Jope
ist Redakteur von 3E und MOVO. Er lebt mit seiner Familie in Wetter/Ruhr.