„Lieber ehrliche Gebete als große Worte“

Christof Klenk

Rainer Harter hat eine Einrichtung gegründet, in der sieben Tage die Woche rund um die Uhr gebetet wird – das Gebetshaus Freiburg. Im Interview erzählt er, warum ihm das Gebet so wichtig ist, wie er mit vorformulierten Gebeten umgeht und welche Tipps er für Hauskreise hat.

Warum beten Sie?

Das kann ich mit einem Wort beantworten. Der Hauptgrund ist für mich: Liebe. Ich bete an, weil ich Gott liebe. In der Fürbitte bete ich, weil ich die Menschen liebe.

Verwenden Sie hauptsächlich freies Gebet oder vorformulierte Gebete?

Ich verwende beides und so halten wir es auch im Gebetshaus. Meist sind es frei formulierte Gebete, aber ich bete auch fast jeden Tag eine ganze Zeit lang das Jesus-Gebet („Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“). Ein Gebet, das in meinem Gebetsleben öfter vorkommt, ist das Gebet von Niklaus von Flüe: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir …“ Ich nutze also beides, aber frei formulierte Gebete deutlich öfter.

Was machen Sie, wenn Sie bei den vorformulierten Gebeten mit dem Herzen nicht so ganz mitkommen?

Natürlich suche ich für mein persönliches Gebet und für das Gebet im Gebetsraum Gebete aus, bei denen ich mitkomme, aber wir verwenden im Gebetshaus auch viele Lobpreislieder. Da gibt es manchmal Aussagen, bei denen ich nicht mitkann. Wenn es zum Beispiel sinngemäß heißt: „Auch wenn’s mir ganz schlecht geht oder die Welt zusammenbricht, werde ich dich immer preisen“, dann kann ich das so nicht singen. Dann ändere ich für mich einfach diese Aussage und singe beispielsweise „möchte ich dich immer preisen“. Ich passe dann die Texte einfach an. Ich beobachte, dass die Bilder immer stärker werden müssen, damit die Lieder noch irgendwie unser Herz erreichen. Ich frage mich dann manchmal: Wollen wir das wirklich, was wir da singen? Ich finde es ganz wichtig, dass wir nicht zu große Worte machen, nur weil es gut oder fromm klingt, während unser Leben weit davon entfernt ist. Dann lieber ehrliche Gebete. Und so sehen wir es ja auch in der Bibel, die biblischen Beter beten ja auch ehrlich.

Das populärste Gebet ist sicherlich das Vaterunser. Was bedeutet das für Sie, dass wir beten sollen „Dein Reich komme“? Welchen Einfluss haben wir?

Man kann sich ja fragen: „Warum soll ich überhaupt beten? Gott weiß ja alles, Gott hat einen Plan, er ist souverän.“ Die Bibel macht deutlich, dass Gott sich entschieden hat, mit uns in Partnerschaft zu treten. Und er lässt sich sogar überreden! Denken Sie an Mose, der Gott in 2. Mose 32 dazu bringt, das Volk Israel zu verschonen.  Gott möchte, dass wir mit ihm kommunizieren und er möchte, dass wir auch mit ihm gemeinsam diese Welt prägen. Und da kommen wir zum Vaterunser. In der Beschäftigung mit dem Vaterunser habe ich vor ein paar Jahren die Erfahrung gemacht, dass es mir gutgetan hat, das Vaterunser Wort für Wort zu beten. Bei jedem Wort, das Bedeutung hat, stehenzubleiben – also nicht bei Überleitungsworten oder Artikeln. Das geht ja gleich am Anfang los. „Unser Vater“ – was heißt das? Und das habe ich betend bewegt. Dann sieht man erstens, was das für ein reiches Gebet ist, und zweitens, wie reich die Beziehung im Gebet mit Gott sein kann.

In 2. Thessalonicher 5,17 sagt Paulus, dass wir ohne Unterlass beten sollen. Was hilft Ihnen, dran zu bleiben?

Ich verstehe die Anweisung von Paulus nicht so, dass ich ständig Worte machen soll. Es geht darum, in Verbindung zu bleiben. Zum einen hilft mir da die Haltung von Bruder Lorenz, einem Mann aus dem 17. Jahrhundert. Er hat sich Gott einfach vergegenwärtigt, immer wieder in ganz alltäglichen Situationen. Das ist eine Herausforderung in meinem Leben, die ich gerne annehmen möchte. Wenn ich am Schreibtisch sitze, ist es für mich schwierig, mit Worten zu beten, aber ich kann mir immer wieder bewusst machen: „Gott ist jetzt hier!“ Zum anderen habe ich mir – wie erwähnt – angewöhnt, immer wieder das Jesus-Gebet jeden Tag mindestens eine halbe Stunde zu beten. Beim Einatmen: „Herr Jesus Christus“, beim Ausatmen: „Sohn Gottes“, beim Einatmen: „erbarme dich“, beim Ausatmen: „meiner“. Diese Kopplung hilft mir. Ich steh im Supermarkt an der Kasse und stelle irgendwann fest: „Es betet in mir“, weil dieses Gebet durch Gewohnheit an den Atemrhythmus gekoppelt wurde. Immer dann, wenn ich in einen Moment der Ruhe komme, fängt das automatisch an. Das hat allerdings nicht von Anfang an funktioniert.

Wie leben Sie damit, wenn Fürbitten nicht erhört werden? Mir scheint, mir fällt das leichter, wenn ich von Anfang gar keine so großen Erwartungen hatte. Aber das kann eigentlich nicht die Lösung sein, oder?

Ich bete in der Erwartung, dass Gott der Erhörer des Gebets ist und da habe ich viel erlebt! Gleichzeitig erlebe ich in christlichen, speziell in charismatischen Kreisen, manchmal eine gewisse Verbissenheit. Für solche Leute gibt es nur eine Lösung. Das führt oft dazu, dass von sterbenden Menschen gar kein Abschied genommen wird, weil das dann als Unglaube gilt. Ich mache mir bewusst, dass er der souveräne Gott ist und meine Pläne nicht seine Pläne sind. Letztes Jahr ist die Frau eines guten Freundes von mir plötzlich lebensbedrohlich erkrankt. Ich bin zu meinem Freund hingeflogen, um bei ihm zu sein. Ich habe ein Jahr lang für sie gebetet, doch sie ist dann gestorben. Ich habe gemerkt, da, wo ich es nicht erklären kann, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit übrig, nämlich das Vertrauen: „Du bist dennoch vertrauenswürdig. Ich vertraue dir trotzdem, das ist meine höchste Gabe an dich, auch wenn ich nicht verstehe, warum dieser Mensch sterben musste.“

Haben Sie vielleicht zum Abschluss noch Tipps für das Gebet im Hauskreis? Habt ihr selbst Hauskreise vom Gebetshaus aus?

Nein, wir haben keine Hauskreise, ganz bewusst nicht. Wir wollen ja keine Gemeinde oder Ersatzeinrichtung sein. Ich habe viele Jahre einen Hauskreis geleitet. Ich merke, dass die Beschäftigung mit den apostolischen Gebeten guttun kann. Also, sich im Hauskreis die Gebete der jungen Kirche anzuschauen. Welche Gebete sind uns überliefert von Johannes oder von Paulus in seinen Briefen? Mal in Apostelgeschichte 4 nachzulesen, wie die ersten Christen in Verfolgung gebetet haben. Ich finde es hochinteressant, dass die in der Verfolgung nicht gejammert haben, sondern um Freimut für die Verkündigung und um Zeichen gebetet haben. Dazu zwei ganz praktische Gebetsformen, die ich gut fände für den Hauskreis. Erstens: Wort Gottes zu beten. Wir machen das im Gebetshaus sehr viel. Manchmal bleiben wir bei einem einzigen Vers, zum Beispiel: Psalm 27,4. Das kann man nun ganz schnell vorlesen und man hat 90 Prozent nicht mitgekriegt. Stattdessen kann man aber auch sagen: Wir machen eine Gebetszeit und wir umbeten dieses Wort. Was heißt es denn für mich, in deinem Haus zu wohnen? Wohnen bedeutet nicht nur Gast sein. Da fällt man in ein Gebet: „Vater, ich will gern bei dir wohnen.“ Da verselbständigt sich das Wort und man findet auch neue Worte für biblische Wahrheiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das für eine Gruppe absolut befruchtend ist.

Und die zweite Gebetsform?

Ich würde das „betrachtende Gebet“ empfehlen. Auch das machen wir viel bei uns im Gebetshaus. Jemand sucht sich eine biblische Geschichte aus, eine kurze, überschaubare Geschichte. Die trägt er entweder mit eigenen Worten vor oder liest sie, wie es dasteht, in einer verständlichen Übersetzung. Wir schließen die Augen und wir sind, beispielsweise, Zachäus. Wir schmecken den Staub auf dieser Straße, auf der Jesus kommt. Wir sehen die Menschenmassen. Wir sind zu klein. Wir müssen auf den Baum klettern. Wir tauchen ein in diese Geschichte. Dieses betrachtende Gebet ist eine Form, die uns viel näher ans Wort Gottes bringt, die uns näher zu Jesus bringt und die man supergut in einer Gruppe umsetzen kann.

Das ist ein sehr spannender Impuls. Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Impulse fürs Beten im Hauskreis und allein

  • Das Jesus-Gebet mit dem Atem verknüpfen und so verinnerlichen: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.“
  • Das Vaterunser Wort für Wort anschauen und beten.
  • Die apostolischen Gebete anschauen und beten: Apg 4,24-26.29-30; Röm 15,5-7; 1 Kor 1,4-8; Eph 1,17-19; Eph 3,14-19, Phil 1,9-11; Kol 1,9-12; 1 Thess 3,9.12-13; 2 Thess 1,11-12
  • Wort Gottes meditieren und umbeten.
  • Betrachtendes Gebet: Eine biblische Geschichte hören und sich hineinversetzen. Mehr dazu auf der nächsten Seite.
  • Immer wieder Neues ausprobieren, damit keine langweilige Routine entsteht.

 

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Als Afrikaner in der Gemeindeleitung

Dr. Ulrich Wendel

Serie: Unbekannte Personen der Bibel

Luziusʼ Weg von Kyrene nach Antiochia

Beten, auf Gott hören und andere Christen unterrichten: Das waren die Aufgaben von Luzius, als er in der Gemeinde von Antiochia lebte. Diese Stadt am Orontes heißt heute Antakya und liegt im südlichen Zipfel der Türkei. In neutestamentlicher Zeit gehörte sie zur römischen Provinz Syrien. Die Gemeinde in Antiochia war eine der wichtigsten des Urchristentums. Luzius gehörte dort zu einem fünfköpfigen Team von urchristlichen Propheten und Lehrern (Apostelgeschichte 13,1), trug also große Verantwortung, die er mit anderen teilen konnte.

Nordafrikaner in Jerusalem

Wo kam Luzius her und wie kam er nach Antiochia? Seine Heimat war Kyrene. Diese Stadt lag unweit der nordafrikanischen Mittelmeerküste, im heutigen Libyen. Luzius war also Afrikaner – aus einer Region, die berberisch und arabisch geprägt war. Er war vermutlich aber nicht unmittelbar von Nordafrika nach Antiochia übergesiedelt. Denn wir wissen von der dortigen Gemeinde, dass sie entstand, als kyrenische Christen aus Jerusalem fliehen mussten und nach Antiochia kamen (Apostelgeschichte 11,20). Die Annahme liegt auf der Hand, dass Luzius einer von ihnen gewesen ist. Sein Aufenthalt als Afrikaner zuvor in Jerusalem war nichts Ungewöhnliches. Es gibt verschiedene Hinweise auf Juden aus Kyrene, die in Jerusalem lebten. Einer davon ist Simon von Kyrene, der das Kreuz von Jesus nach Golgatha trug (Markus 15,21). Während des Wochenfestes, das dann zum Pfingstfest wurde, weil Gott seinen Geist ausgoss, waren auch Pilger aus Kyrene in der Heiligen Stadt (Apostelgeschichte 2,10). Doch nicht nur Festtagsbesucher, sondern auch dauerhaft angesiedelte kyrenische Juden gab es dort, sodass man sich sogar in einer eigenen „Synagoge der Kyrenäer“ traf (Apostelgeschichte 6,9).

Luzius könnte also einer dieser Kyrener gewesen sein, der während der Pfingstpredigt von Petrus oder etwas später zum Glauben an Christus kam. Eine andere Möglichkeit wäre, dass er in seiner Heimatstadt Christ wurde. Manche nehmen an, dass in Kyrene schon früh eine Gemeinde entstanden war. Der Missionsforscher Eckhard Schnabel weist darauf hin, dass viele Juden zwischen Jerusalem und Kyrene und zwischen Antiochia und Kyrene hin- und herreisten. Frühe christliche Missionare könnten auf diesen Wegen ebenfalls rasch nach Nordafrika gekommen sein. Wenn sie es waren, die Luzius zum Glauben führten, dann wäre er nicht schon mit der Vertreibungswelle aus Jerusalem nach Antiochien gekommen – sie geschah um 31/32 n. Chr., als wohl noch keine Gemeinde in Kyrene existierte –, sondern erst später.

Propheten und Lehrer in Antiochia

Wie auch immer: Um das Jahr 45 n. Chr. treffen wir ihn jedenfalls als einen aus der Gruppe der Propheten und Lehrer in der Gemeinde am Orontes an. Hier war er an einem Gottesdienst beteiligt, der zur ersten Missionsreise von Saulus führte. Und wie das genau vor sich ging, darauf lohnt es sich einen näheren Blick zu werfen.

Barnabas und Saulus wurden von der Gemeinde als Missionare ausgesandt, nachdem der Heilige Geist eine Berufung ausgesprochen hatte. Dieses Reden des Geistes ereignete sich, als die erwähnten fünf Propheten und Lehrer (vielleicht zusammen mit der ganzen Gemeinde) fasteten und beteten. Die späteren Reisemissionare Barnabas und Saulus gehörten selbst zu dieser Fünfergruppe, waren also prophetisch und didaktisch begabt. Die übrigen drei waren eben jener Luzius aus Kyrene, dann ein Mann namens Manaën und schließlich Simeon mit dem Beinamen Niger. Es ergibt sich ein bemerkenswertes Bild. Saulus stammte aus Tarsus in Kilikien, an der Südküste Kleinasiens (der heutigen Türkei). Barnabas kam gebürtig aus Zypern. Manaën war als Jugendlicher mit dem späteren Herrscher Herodes Antipas aufgezogen worden, sicherlich in Jerusalem. Von Luzius kennen wir ja seine Herkunft aus Nordafrika. Und der Fünfte in der Gruppe war höchstwahrscheinlich ebenfalls ein Afrikaner – sein Beiname „Niger“ heißt übersetzt: der Schwarze.

Wo „schwarzes Leben zählte“

Der Kreis der verantwortlichen Propheten und Lehrer war also multikulturell zusammengesetzt und bestand zu zwei Fünfteln aus Afrikanern. Nachdem der Zypriot Barnabas und der Kilikier Paulus auf Reisen geschickt worden waren, waren die Afrikaner – zumindest eine Zeitlang, wir wissen ja nichts, darüber, ob und wie der Kreis dann ergänzt wurde – in der Mehrheit. Mindestens einer dieser beiden Afrikaner war durch seine schwarze Haut unübersehbar als solcher erkennbar. Ob sich auch Luzius durch seine Hautfarbe abhob, ist schwer zu sagen. Der Teint von Libyern und Syrern (wo Antiochia lag) war vielleicht nicht so unterschiedlich wie von – sagen wir – weißen Amerikanern und Afroamerikanern. Doch allen war bewusst, dass auch Luzius aus Afrika kam: Sein Beiname war unmissverständlich.

Unseren westlich geprägten Kulturen muss gerade in diesem Jahr neu bewusst gemacht werden, dass „schwarzes Leben zählt“ (Black Lives Matter, so das Motto einer ursprünglich US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung). Auch unter Christen ist es nicht überall selbstverständlich, Schwarzen ohne Vorbehalte zu begegnen. Luzius aus Kyrene zeigt uns, wie integrativ christliche Gemeinden sein können und sollen. Schon in Jerusalem gehörten ja „Männer aus Kyrene“ fraglos dazu. Und aus Antiochien am Orontes ist uns überliefert, dass Dunkelhäutige (oder People of Color, wie man heute sagen würde) die Gemeinde selbstverständlich prägten und erhebliche Verantwortung in ihr trugen.

Vorhut von Gottes neuer Welt

Luzius und die anderen, die seinen Dienst begrüßten, unterstützten und daraus Nutzen zogen – sie waren eine Vorhut. Die Vorhut der großen Menge „aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen“, die in der Vollendung Gott auf seinem Thron anbeten werden (Offenbarung 7,9). Und wenn der neue Himmel und die neue Erde Realität sind, heißt es: Gott „wird bei ihnen wohnen und sie werden seine Völker sein“ (Offenbarung 21,3) – ethnische Vielfalt also auch dann noch! Das ist Gottes Zukunft. Luzius und seine Mitchristen lebten bereits ein Stück davon.

 

Diese Serie erscheint im Magazin Faszination Bibel. Jetzt kostenlos testen: www.faszination-bibel.net

Lass dich nicht gehen!

Tobias Hambuch

 

Flavio Simonetti ist Fitness-Blogger. Sein Fokus liegt auf Gewicht, Bizepsgröße und Massephasen – manchmal regeneriert er auch. Doch zu viel Leerlauf kann er sich nicht erlauben, denn er ist auf neue Klicks angewiesen. Und das Streben nach Reichweite ist nicht sein einziger Kampf.

Ein recht unscheinbarer Raum. Darin eine gemütlich aussehende graue Couch, ein Tisch mit Sitzschalen-Stühlen. Ein paar Regale. Eine Büro-Ecke. Flipchart. Kartons. Und ein großes rotes Poster vor einer Sperrholzwand. Darauf prankt der Mann, der hier bis zu dreimal in der Woche ein neues Video dreht, und es dann bei YouTube mit seinen fast 250.000 Abonnenten teilt: Flavio Simonetti. Betritt er die Bildfläche, gibt es klare Ansagen zu hören wie »Achte auf deinen Körperfettanteil, dein Krafttraining und deine Ernährung – sie haben Auswirkungen auf deinen Testosteron-Wert!« oder „Diese Kohlenhydrate sind die besten Quellen für deinen Muskelaufbau!“ Manchmal ist auch Christian mit dabei. Der war sogar schon mal Deutscher Meister im Natural-Bodybuilding – also im Muskelmasseaufbau ohne Doping. Dann stehen zwei Typen vor der Kamera, deren Oberarme Eindruck hinterlassen und deren Shirts dem Platzen nahe scheinen. Und reden über Einfach- und Mehrfachzucker. Warum das alles? Und warum dreht sich hier eigentlich alles nur um den Körper? Wen bedient Flavio eigentlich?

Neue Formate, neue Follower?

„Die, die seit Jahren ins Fitnessstudio rennen. Die, die sich abquälen und irgendwann frustriert merken: Es hat sich nichts getan.“ Sie hat Flavio im Blick. Weil er ihnen Erfolgserlebnisse schenken will, die er am eigenen Körper erleben durfte. Er will ihr Motivator sein. Und das hat er zu seinem Geschäft gemacht. Der Deutsch-Italiener hat die Trainings-App „Coach Carter“ entwickelt, das Fitnessprogramm „Muskelakademie“ erarbeitet und eine eigene Bekleidungsmarke am Start: „Natural Athlet“. Gleichzeitig will er seine eigene Fitness auf einem hohen Level halten. Und hat mit zwei kleinen Kindern zudem ein prall gefülltes Familien-Leben. Sein Aufruf: »Hol das Beste aus dir raus.« Dazu will er niemanden zwingen. Aber für ihn steckt dahinter auch die biblische Aufforderung, den „Tempel des Heiligen Geistes“ zu pflegen und den eigenen Körper wertzuschätzen. Flavio ist Christ. Auf seinem Insta-Account ist vor allem anderen „God First“ zu lesen. Und doch sagt er: „Meine erste Frage ist: Wie kann ich für das Publikum attraktiv bleiben? Da kann ich nicht jedes Mal über Gott reden. Die Reichweite würde zusammenfallen. Ich will für die Welt interessant bleiben.“

Der „Retter der Dünnen“

Flavios Beruf ist ein Kampf um Klicks. Nur die sichern ihm und seinen Mitarbeitern eine stabile Finanzlage. Das macht auch Druck. „Da muss ich manchmal aufpassen, dass mich das nicht auffrisst. Ich kämpfe immer wieder mit mir selbst und frage mich: Ist dieses Format noch interessant? Was kann ich neu machen? Wie bleibe ich authentisch? Und wenn du dann was startest, über das du dir lang Gedanken gemacht hast, und es trotzdem nicht ankommt, ist das total frustrierend. Dann sehne ich mich manchmal danach, Zahnarzt zu sein und immer wieder den gleichen Prozess wiederholen zu können.“
Für mehr Reichweite polarisiert der Blogger auch gerne. Er nennt sich „Retter der Dünnen“ oder startet eine „Lauch-Challenge“ mit Jungs, die mehr Muskeln haben wollen. Natürlich kommt da auch Kritik ins Haus. Wie er als Christ einen so starken Fokus auf den Körper legen könne?

Weniger Körperkult, mehr Selbstannahme

Flavio setzt zwar provokante Titel, aber entscheidend ist für ihn, dass er jeden einzelnen Teilnehmer seiner Programme wertschätzt, geduldig begleitet und motiviert. Einst ging er als Jugendlicher selbst ins Fitnessstudio, um sich besser zu fühlen. Stärker. Entschlossener. Geliebter. „Zwischen 15 und 24 Jahren war ich auf der Suche. Ich wollte herausfinden, was ich überhaupt kann. Frauen, Geld und Fitness dominierten mein Leben.“ Deshalb versteht er die Leute, die Sport und Muskeln gebrauchen, um sich Selbstvertrauen zu holen. „Auch ich habe damals nicht an mich geglaubt und wusste nicht, wer ich bin. Ich kenne die große Challenge, zu trainieren, ohne mich darüber zu definieren. Das ist ein Kampf. Ich will Gott an die erste Stelle setzen. Nur bei ihm finde ich wirklich Identität.“

Berufen

Jungen Menschen zuzusprechen, dass sie aus einem Grund hier sind und nicht einfach so vor sich hin leben sollten – das sieht Flavio als Teil seiner Berufung an. Und er erreicht diese Menschen auf seine eigene Art und Weise. Dahinter steckt seine Geschichte. Flavio hätte den Begriff „Berufung“ lange nicht in den Mund genommen, lenkte sich ab, wurde immer unzufriedener, fühlte sich leer. Mit 24 Jahren nahm er an einem illegalen Autorennen teil, das frontal vor einem Baum endete. Ein vorbeifahrender Autofahrer war sich sicher: Der ist tot! Doch Flavio lebte und wusste: Es muss sich was ändern. In der Rückschau meint er: „Ich brauchte diese Neujustierung. Da war die bohrende Frage, auf die ich endlich eine Antwort finden wollte: Was will ich wirklich? Ich habe plötzlich gespürt, dass Gott mein Leben lenkt und ich nicht mehr an ihm vorbeileben will. Bislang hatte ich alles auf eigene Faust erkundet und war damit nicht weit gekommen.“ Dieser biographische Wendepunkt scheint kaum übertragbar. Wie können dann andere Menschen ihre Berufung finden? Flavio macht klar: „Auch ich bin immer wieder auf der Suche, muss prüfen, ob ich auf dem richtigen Weg bin, brauche Leute, die mir ins Leben reinreden.“ Er gibt den Tipp: Manchmal sind wir viel zu abgelenkt und brauchen einfach mal Ruhe, Zeiten fern vom Handy, fern vom Unterhalten-Werden, offline. Um dort die eigene Kreativität und Leidenschaft zu entdecken. Zu erkennen, wie man tickt. „Dann besteht auch eine geringere Gefahr, nur von anderen zu kopieren.“ Aber kann Berufung nicht auch manchmal wie eine verheißungsvolle Illusion wirken? Flavio hat genug Rückschläge erlebt und meint: „Gott kann auch da wirken und uns schleifen, wo wir uns im Beruf gerade durchschleppen und keinen Spaß haben.“

Der Bequemlichkeit den Kampf ansagen

Vor einigen Tagen ist er aus Italien zurückgekehrt. Pizza, Pasta und Eis standen auf der Speisekarte, Flavio hat ganze sechs Wochen nicht trainiert. Mit schlechtem Gewissen? „Nein, im Urlaub habe ich das Ziel, zu genießen. Tief im Innern könnte ich jetzt auch ohne Training weiterleben. Aber jetzt beginnt wieder der Kampf mit mir selbst. Ich merke, dass ich nicht auf jedes meiner Gefühle hören sollte. Denn ich habe auch oft keine Lust auf Beten oder keinen Bock auf Bibellesen. Aber davon will ich mich nicht leiten lassen.“
Heute schauen tausende Menschen seine Videos an. Und Flavio will ihnen die Bereitschaft vermitteln, an sich zu arbeiten – „an den Dingen, die andere davon abhalten, dich als Vorbild zu sehen. Am Ende geht es nicht darum, gut dazustehen, sondern deine Talente wachzurufen und dadurch auf Gott zu zeigen, der sie dir gegeben hat.“ Flavio wünscht sich Menschen, die über sich hinauswachsen. Und das muss überhaupt nichts mit dem eigenen Körper zu tun haben. „Auch eine schüchterne Person, die vor einer großen Gruppe von Leuten redet, wächst über sich hinaus.“

 

 

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Macht hoch die Tür!

Von Julia Kallauch

Seit drei Jahren öffnen Achim Bißbort und seine Gemeinschaft „k.turn“ ihre Türen für Menschen, die Weihnachten allein sind. Statt mit der Familie verbringen sie Heiligabend mit Fremden.

Wie sieht der Heiligabend bei euch aus?
Wir feiern den Heiligen Abend mit einem großen Essen, zu dem wir alle Menschen einladen, von denen wir wissen, dass sie sonst Weihnachten einsam verbringen würden. Wir sind eine Wohngemeinschaft und wohnen in einem Haus im sozialen Brennpunkt in Kaiserslautern. Dort laden wir zunächst alle Menschen aus der Nachbarschaft ein, die allein sind. Darüber hinaus schalten wir eine Einladung in der Facebook-Gruppe „Zu verschenken in Kaiserslautern“.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, so zu feiern?
Zuerst haben wir mit den Menschen in einer Kneipe gefeiert. Seit wir in dem Haus wohnen, haben wir selbst Platz, um Menschen einzuladen. Weihnachten ist ein Familienfest – für Menschen, die keine Familien haben oder mit ihren Angehörigen zerstritten sind, ist Weihnachten schlimm. Viele sind einsam. Aus der Not dieser Menschen kam unsere Idee, unser
Haus zu öffnen und zusammen zu feiern.

Wie läuft das Fest ab?
Abgesehen davon, dass wir zusammen essen, hat jedes Weihnachtsfest eine ganz eigene Dynamik. Es kommen immer Menschen, die ganz unterschiedliche Dinge mitbringen. Teilweise im wörtlichen Sinne, denn über die Facebook-Einladung folgen uns nicht nur Menschen, die sonst einsam wären, sondern auch Menschen, die uns unterstützen möchten. Zu Beginn begrüßen wir alle und erklären, warum wir Weihnachten feiern. Dann beten wir und danken für das Essen und die Gemeinschaft. Manchmal sitzen wir am Ende auf der Couch und singen gemeinsam Weihnachtslieder.

Gibt es Geschenke?
Manchmal spenden uns Freunde Geschenke zum Weitergeben, oder Leute aus der Facebook-Gruppe kommen und bringen Geschenke für alle Anwesenden mit.

Gibt es eine besondere Situation, an die du dich gerne zurückerinnerst?
Es gibt keine bestimmte Situation, es ist vielmehr die besondere Atmosphäre. Die Tatsache, dass so unterschiedliche Menschen zusammenkommen und etwas Einzigartiges entsteht, ist großartig. Ich weiß nicht, was dieses Jahr an Heiligabend bei uns geschehen wird – das wissen wir vorher nie –, aber ich weiß, dass es bunt und schön wird.

Weitere Infos unter: www.k-turn.de

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Nick Vujicic

von Jörg Podworny

Der Hoffnungs-Botschafter

Nick Vujicic ist ein Phänomen: Er hat keine Arme und Beine. Aber als witziger und nachdenklicher Motivationscoach begeistert er Millionen Zuhörer in aller Welt. Protokoll eines Deutschland-Besuchs:

Auftritt. Nick. Oben auf der Leinwand flimmern Szenen aus seinem Leben, Besuche in Afrika, in Asien. Auftritte vor jungen und älteren Zuhörern. Lachende Menschen, nachdenkliches Publikum. Umarmungen. Währenddessen teilt sich unten der Vorhang und ein kantiger roter Rollstuhl mit kleinen Rollen wird auf die Bühne geschoben. Ein Mitarbeiter packt sich mit beiden Armen den Mann im Rollstuhl – es sieht ein wenig so aus, als ob ein voller Seesack gehoben wird – und setzt ihn vorn auf der leicht erhöhten Extra-Bühne ab.

Gespannt richten sich über 5.000 Augenpaare in der Halle auf den nur rund 80 Zentimeter kleinen Mann. Wegen ihm sind sie heute hier in die Arena nach Oberhausen gekommen, wollen hören, was er aus seinem Leben erzählt: Nick Vujicic. Was erwarten seine Zuhörer? Nun, sagt Nick, die Fragen sind überall auf der Welt gleich: „Warum bin ich eigentlich hier? Wo finde ich Hoffnung, gerade dann, wenn’s mir dreckig geht? Wie finde ich Frieden für meine Seele? – Eine echte Hoffnung ist alles.“ Und die Zuhörer bewundern seinen Mut, seine Fröhlichkeit, der man sich nur schwer entziehen kann, und seine Lebenskraft. Er inspiriert, motiviert, bringt zum Lachen und „zündet einen Funken“, wie viele bekennen.

Nick Vujicic (33) ist Australier serbischer Abstammung und lebt heute in Los Angeles. Er wurde wegen eines seltenen Gendefekts ohne Arme und Beine geboren, hat nur einen kleinen linken Fuß mit zwei Zehen am Rumpf, mit dem er erstaunlich beweglich ist. Als 10-Jähriger denkt er darüber nach, sich in der Badewanne zu ertränken, überlegt es sich aber im letzten Moment anders. Danach stürzt er sich ins Leben, lernt mit E-Rollstuhl und Joystick zu fahren oder zu telefonieren (ohne Arme!), düst auf dem Skateboard über die Pisten und surft auf dem Brett vor der Küste von Hawaii. Heute reist er als Motivationstrainer, Sprecher und Buchautor um die Welt. Er hat in seinen Vorträgen vor mehr als drei Millionen Menschen gesprochen, dabei nach eigener Zählung fünf Millionen (Flug-) Kilometer in etwa 2.500 Flugzeugen zurückgelegt. In Deutschland hat Nick im Sommer nur diesen einen Auftritt, schon am nächsten Tag jettet er weiter, ans andere Ende des Globus, nach Malaysia, Singapur und auf die Philippinen. Er wird von Regierungen und Gemeinden eingeladen, referiert in Schulen und großen Veranstaltungshallen wie hier.

 

„Low Two“ statt „High Five“

Eine zentrale Botschaft Nicks wird schnell klar: „Du bist wunderbar – so, wie du bist!“ Wenn einer wie er das sagt, nimmt man ihm das sofort ab. Und es geht weiter: Dankbarkeit, der nächste bedeutsame Punkt; dankbar zu sein für das, was man hat, statt zu meckern über das, was man nicht hat. „Ein gebrochenes Herz kann schlimmer sein als keine Arme und Beine zu haben“, sagt er. Nick redet häufig in solchen Gegensatz-Beispielen, um seine Gedanken zu verdeutlichen.

Er tut das höchst unterhaltsam. Es macht ihm sichtlich Spaß zu erzählen: Einmal hat er in Flugkapitäns-Uniform die verdutzten Fluggäste beim Einsteigen begrüßt. Ein anderes Mal, im Straßenverkehr, ist der Fahrerin im Auto neben ihm die Kinnlade herunter geklappt, als er sich auf seinem Autositz einmal um 360 Grad gedreht hat. Nick Vujucic ist ein guter Entertainer, der knochentrocken seine Pointen abfeuert: „Manchmal nervt mich die viele Aufmerksamkeit auch. Dann tarne ich mich – setze eine Sonnenbrille und einen Hut auf …“

Seinen Zuhörern nimmt er schnell die Befangenheit, weil er sich ständig selbstironisch auf die Schippe nimmt. Während er noch berichtet, dass sein Vater nach der Geburt fast in Ohnmacht gefallen wäre, erzählt er, wie er mit seinen Handicaps umgeht: Dann spricht er von Daniel Martinez, einem Jungen, der ähnlich behindert ist wie er, und wie er sich mit ihm „abklatscht“. Weil das mit Händen nicht geht, „High Five“ also ausscheidet, muss eben das „Low Two“ der beiden Stummel-Zehen herhalten.

Der Witz mit Herz ist aber nicht alles. Nick Vujicic präsentiert sich ebenso als nachdenklicher, ruhiger Typ, der über Gott und die Welt nachgedacht hat. Ein wichtiges Thema für ihn sind junge Menschen, Teenager. Er hat in den USA in Schulen geforscht und herausgefunden, dass 40 von 1.000 Schülern Selbstmordgedanken haben. Weil sie gemobbt werden. Darum mahnt er: Überlegt euch gut, was ihr zu anderen sagt! Darum spricht er oft über Selbstannahme und sagt: „Du musst nicht ‚perfekt‘ sein!“

 

Glaube. Liebe. Und Hoffnung.

Dabei lautet seine Botschaft nicht oberflächlich: Denk positiv! Nimm‘s leicht! Das wird schon!

Es steckt mehr dahinter. Nick Vujicic ist Christ und er sagt das auch. Der alte christliche Dreiklang klingt hörbar bei ihm durch.

Der Glaube ist seine Grundlage. „Nachdem ich entschieden hatte, mich nicht umzubringen, dachte ich: Wenn Gott einen Plan für mich hat, dann will ich wissen, was für einen!“ Nick hat für sich eine Antwort gefunden und sagt sie auch anderen: „Wenn ich selbst keine Wunder erlebe, kann ich immer noch ein Wunder für jemand anderes sein!“ Sagt es und wippt auf seinem kleinen Füßchen; er selbst ist ein lebendes Beispiel dafür.

Die Liebe zählt für ihn: Die Liebe zu seiner Frau Kanae, mit der er seit 2012 verheiratet ist: „Ich kann zwar nicht ihre Hand halten – aber ihr Herz.“ Die Liebe zu seinen beiden Kindern, mit denen er auf dem Trampolin tollt. Oder auch die Liebe für Menschen, die eigentlich keine Liebe verdient haben, sagt er, und erzählt die bewegende Geschichte einer Bordellmutter in Indien, die nach langer Behinderung eine wundersame Heilung erlebt hat.

Und nicht zuletzt die Hoffnung. Nicks wichtigster Gedanke ist der: „Wenn jemand wie ich es schaffen kann, dann schaffst du es auch! Und du musst dabei nicht ‚perfekt‘ sein!“ Gleich witzelt er wieder: „Sehe ich etwa so aus, als ob mir etwas fehlt?“, ruft er in die Zuschauermenge – und antwortet: „No!“ Und das hat seinen tieferen Sinn: „Ich bin nicht ‚der Mann ohne Arme und Beine‘, sondern ein göttliches Königskind!“ Humorvoll schiebt er nach – indem er auf die Gemeinschaft von Christen in aller Welt verweist: „Seht her, ich bin euer Halbbruder!“

„Leben ohne Limits“ heißt Nicks Motto. Er hat viele persönliche Grenzen überwunden, war Surfen, Skateboarden, Golfen, Tauchen, ist mit dem Fallschirm abgesprungen … Hat er noch eine „Löffelliste“ der Dinge, die er unbedingt noch machen möchte? Nein, meint er, er will vor allem für seine Familie da sein.

Wenn er von Reisen heimkommt, erzählt er, hat er „1.189 SMS“ auf dem Smartphone, die er alle gern beantworten würde. Aber seine Frau legt sein Handy dann ganz oben auf ein Regal, wo er auf keinen Fall rankommt.

Infos auf Nicks Webseite: www.nickvujicic.com

 

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Judy Bailey

Interview: Jörg Podworny

„Wir sind eine Welt“

Die Sängerin Judy Bailey über Songs zwischen Reggae und Disco und die vereinende Kraft der Musik.

Judy, du bist schon von deiner Lebensgeschichte her – auf Barbados aufgewachsen, jetzt in Deutschland – eine Weltmusikerin und Weltbürgerin, die in vielen Teilen der Welt unterwegs ist. Welche Rolle spielt das für deine Art, Musik zu machen?

Es hat auf jeden Fall etwas miteinander zu tun. Ich bin auf Barbados aufgewachsen – das ist sowieso viel Reggae, Rhythmus, Calypso, afrikanische Einflüsse … Aber auch da hatte ich schon viele Poplieder in meinem Kopf. Und das ist weiter gegangen, seit ich mit Musik um die Welt reise: Was ich erlebe, das taucht auch in meiner Musik auf. Was mir gefällt, das fließt mit ein, auch unbewusst. Und wenn Leute fragen: „Wie nennst du deine Musik?“, dann ist das wirklich schwer zu beantworten. Weil es ist so gemischt: Reggae, Rock, Soul, Balladen, auch ein Disco-Song ist auf meinem neuen Album. Es ist schwer für mich, zu sagen: Das ist jetzt meine Musik. Es ist alles meine Musik irgendwie.

„Judy-Music“ sozusagen.

Ja, wirklich (lacht). Und Menschen aus buchstäblich aller Welt singen mit mir gemeinsam.

Neue Lieder haben oft zu tun mit Erinnerungen und Begegnungen. Gibt es im Rückblick auf die vergangenen Monate besonders bewegende Geschichten?

Oh, da gibt es einige! Ich habe eine ruhige Ballade getextet: „Let love have the last word“. Die habe ich geschrieben, als mein Schwiegervater gestorben ist. Das war keine einfache Geschichte. Vieles war nicht gelöst. Es gab noch viele Fragen, es war eine Herausforderung für die ganze Familie. Und das Lied soll ausdrücken: Obwohl man nicht alles versteht, soll die Liebe das letzte Wort haben – ohne dass es naiv oder simpel ist. Egal, was deine Gefühle sagen: Lass Liebe das letzte Wort haben! Auch wenn es schwer ist – lass nicht deine Wut oder deine Gefühle gewinnen! Das hat natürlich viel mit Vergebung zu tun.

Und eine zweite Geschichte: Als bei uns im Dorf viele Flüchtlinge ankamen, sind nach einiger Zeit ganz viele Leute zusammengekommen und wir haben ein Begegnungsfest gefeiert. Daraus ist das Lied „Home“ entstanden: ein Lied über Zuhause, besonders für die Flüchtlinge in meinem Dorf. Es begleitet uns irgendwie jeden Tag.

Gleichzeitig lag mein Bruder in diesen Tagen auf dem Sterbebett. Er hatte nicht das beste Verhältnis zu meinen Eltern, aber jetzt war er wieder zu Hause. Und als er gestorben ist, war das auch wie nach Hause gehen, zu Gott.

Zwei sehr eindrückliche Geschichten. Nun hat das Album den Titel One – und es trägt diesen Titel nicht einfach so …  

Ja. Ganz allgemein heißt „One“: Egal, wer du bist, wo du herkommst, wie du aussiehst und nach welcher Religion du lebst – wir sind eins! Durch die Adern jedes Menschen fließt Blut, jeder atmet, kennt Enttäuschungen, hat Freude: Wir teilen so viel gemeinsam. Als Christ heißt „One“ für mich: Wir sind eins, egal welcher Glaubensrichtung wir angehören, wenn wir den grundsätzlichen Kern des Glaubens haben. Und zusammen: Wir sind eine Kirche, haben einen Glauben, eine Hoffnung. Wir sind eine Welt.

Was ist dein Wunsch, wenn Menschen sich begegnen, wenn sie deine Musik hören oder auch gemeinsam singen?

Ich wünsche mir, dass meine Musik Leute zusammenbringt, dass wir zusammen tanzen und singen und sehen, dass wir eins sind. Und wenn wir von unserem Glauben singen, dann kann man den nicht sehen, nicht mit Händen greifen. Aber ich hoffe, dass Menschen es spüren und dass der Glaube anziehend ist für Menschen. Dazu möchte ich ermutigen mit meiner Musik.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift lebenslust. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslust-magazin.net

Daniel Kallauch

Interview: Bettina Wendland

Kinder stark machen

Über ein Vierteljahrhundert steht Daniel Kallauch schon auf der Bühne. Und macht dabei nicht nur eine professionelle Show für Kinder und Eltern, sondern vermittelt auch wichtige Werte.

Du bist seit über 25 Jahren Kindermusiker. Macht es dir immer noch Spaß?

Ja, es macht mir richtig Spaß. Vor einigen Jahren dachte ich, mit Mitte 50 mache ich mehr für Erwachsene. Aber dann hatte ich so etwas wie ein Gotteserlebnis, wo ich auf einmal wusste: „Du bist und bleibst bei den Kindern.“ Das war befreiend für mich.

Wie bist du denn überhaupt zur Kindermusik gekommen?

Seit ich 16 bin, bin ich mit Musik unterwegs – zuerst mit einem Freund, dann mit Anke, meiner Frau. Bei meiner ersten Arbeitsstelle als Vikar bin ich im Kinderbereich gelandet. Der Diakon brauchte für einen Einschulungsgottesdienst ein Lied zur Speisung der 5.000. Da ich kein passendes Lied kannte, habe ich eins geschrieben: „4999 und 1“. Danach entstand ein Kinderlied nach dem anderen und die kamen viel besser an als die Lieder, die ich vorher gemacht hatte.

Ist der Willibald auch schon 26 Jahre dabei?

Ja. Vom ersten Kinderkonzert im Januar 1991 bis heute. Der Spaßvogel sah zwar noch etwas anders aus, hatte aber immer seinen Charakter, der sich im Lauf der Jahre weiterentwickelte. So wie bei mir!

Wie hast du das Bauchreden gelernt?

Bei einen Wochenend-Kurs. Mit dem Bauchreden ist es wie mit dem Klavierspielen. Man braucht eine halbe Stunde, um zu wissen, wo welcher Ton ist. Aber es dauert zehn Jahre, bis es klingt.

Du hast in den letzten  Jahren viele Kinder erlebt. Würdest du sagen, dass die Kinder sich verändert haben?

Ja, die Aufnahmefähigkeit hat nachgelassen. Aber auch die Eltern haben sich verändert. Viele sind nicht mehr so konzentriert dabei. Bei fast jedem Auftritt gibt es eine Mutter, die mit ihrem Kind auf dem Schoß ihr Smartphone bearbeitet. Für die Veranstalter ist es auch nicht leichter geworden. Früher war eine Familienshow oft zwei Wochen vorher ausverkauft. Heute bezahlen die Leute lieber den teureren Tagespreis, um spontan entscheiden zu können, ob sie hingehen.

Hast du dein Showprogramm an diese Veränderungen angepasst?

Eigentlich nicht. Häufig bekomme ich die Rückmeldung von Eltern, sie hätten noch nie erlebt, dass ihr Kind 80 bis 90 Minuten so konzentriert bei einer Sache dabei war. Mal hören sie zu, dann kommt Willibald wieder, kurz darauf heißt es aufstehen zum Mitmachen … Wir wechseln ständig die Impulse, alles mit Regisseur und viel Erfahrung geplant.

Auf deiner neuen CD „Ganz schön stark“ geht es darum, Kinder stark zu machen. Was sind denn die größten Herausforderungen für sie?

In unserer Gesellschaft müssen alle richtig viel Leistung bringen, auch die Kinder schon. Unser Schulsystem ist darauf aufgebaut. Das ist zunehmend eine große Herausforderung für Kinder und Familien. Kreativität zum Beispiel ist kaum gefragt. Ich hoffe, dass ich Kindern, die sensibler und kreativer sind, Mut mache, stark zu sein und zu sich zu stehen.

Wie können Eltern das fördern?

Eltern müssen sich nicht dem Diktat der Schule und der Gesellschaft unterwerfen. Sie sollten den Mut haben, ihren eigenen Weg mit ihren Kindern zu gehen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu entfalten. Eltern dürfen mutig als Vorbilder vorangehen und dem Nachwuchs zeigen, dass nicht immer alles glatt läuft. Sie sollten bereit sein, ihre Kinder mehr in ihr Leben mit hineinzunehmen und ihnen zeigen, wie jemand mit Schwierigkeiten umgeht, der Gott vertraut.

Dieses Interview erschien in der Zeitschrift Family. Jetzt kostenlos testen: www.family.de