„Lieber ehrliche Gebete als große Worte“

Christof Klenk

Rainer Harter hat eine Einrichtung gegründet, in der sieben Tage die Woche rund um die Uhr gebetet wird – das Gebetshaus Freiburg. Im Interview erzählt er, warum ihm das Gebet so wichtig ist, wie er mit vorformulierten Gebeten umgeht und welche Tipps er für Hauskreise hat.

Warum beten Sie?

Das kann ich mit einem Wort beantworten. Der Hauptgrund ist für mich: Liebe. Ich bete an, weil ich Gott liebe. In der Fürbitte bete ich, weil ich die Menschen liebe.

Verwenden Sie hauptsächlich freies Gebet oder vorformulierte Gebete?

Ich verwende beides und so halten wir es auch im Gebetshaus. Meist sind es frei formulierte Gebete, aber ich bete auch fast jeden Tag eine ganze Zeit lang das Jesus-Gebet („Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“). Ein Gebet, das in meinem Gebetsleben öfter vorkommt, ist das Gebet von Niklaus von Flüe: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir …“ Ich nutze also beides, aber frei formulierte Gebete deutlich öfter.

Was machen Sie, wenn Sie bei den vorformulierten Gebeten mit dem Herzen nicht so ganz mitkommen?

Natürlich suche ich für mein persönliches Gebet und für das Gebet im Gebetsraum Gebete aus, bei denen ich mitkomme, aber wir verwenden im Gebetshaus auch viele Lobpreislieder. Da gibt es manchmal Aussagen, bei denen ich nicht mitkann. Wenn es zum Beispiel sinngemäß heißt: „Auch wenn’s mir ganz schlecht geht oder die Welt zusammenbricht, werde ich dich immer preisen“, dann kann ich das so nicht singen. Dann ändere ich für mich einfach diese Aussage und singe beispielsweise „möchte ich dich immer preisen“. Ich passe dann die Texte einfach an. Ich beobachte, dass die Bilder immer stärker werden müssen, damit die Lieder noch irgendwie unser Herz erreichen. Ich frage mich dann manchmal: Wollen wir das wirklich, was wir da singen? Ich finde es ganz wichtig, dass wir nicht zu große Worte machen, nur weil es gut oder fromm klingt, während unser Leben weit davon entfernt ist. Dann lieber ehrliche Gebete. Und so sehen wir es ja auch in der Bibel, die biblischen Beter beten ja auch ehrlich.

Das populärste Gebet ist sicherlich das Vaterunser. Was bedeutet das für Sie, dass wir beten sollen „Dein Reich komme“? Welchen Einfluss haben wir?

Man kann sich ja fragen: „Warum soll ich überhaupt beten? Gott weiß ja alles, Gott hat einen Plan, er ist souverän.“ Die Bibel macht deutlich, dass Gott sich entschieden hat, mit uns in Partnerschaft zu treten. Und er lässt sich sogar überreden! Denken Sie an Mose, der Gott in 2. Mose 32 dazu bringt, das Volk Israel zu verschonen.  Gott möchte, dass wir mit ihm kommunizieren und er möchte, dass wir auch mit ihm gemeinsam diese Welt prägen. Und da kommen wir zum Vaterunser. In der Beschäftigung mit dem Vaterunser habe ich vor ein paar Jahren die Erfahrung gemacht, dass es mir gutgetan hat, das Vaterunser Wort für Wort zu beten. Bei jedem Wort, das Bedeutung hat, stehenzubleiben – also nicht bei Überleitungsworten oder Artikeln. Das geht ja gleich am Anfang los. „Unser Vater“ – was heißt das? Und das habe ich betend bewegt. Dann sieht man erstens, was das für ein reiches Gebet ist, und zweitens, wie reich die Beziehung im Gebet mit Gott sein kann.

In 2. Thessalonicher 5,17 sagt Paulus, dass wir ohne Unterlass beten sollen. Was hilft Ihnen, dran zu bleiben?

Ich verstehe die Anweisung von Paulus nicht so, dass ich ständig Worte machen soll. Es geht darum, in Verbindung zu bleiben. Zum einen hilft mir da die Haltung von Bruder Lorenz, einem Mann aus dem 17. Jahrhundert. Er hat sich Gott einfach vergegenwärtigt, immer wieder in ganz alltäglichen Situationen. Das ist eine Herausforderung in meinem Leben, die ich gerne annehmen möchte. Wenn ich am Schreibtisch sitze, ist es für mich schwierig, mit Worten zu beten, aber ich kann mir immer wieder bewusst machen: „Gott ist jetzt hier!“ Zum anderen habe ich mir – wie erwähnt – angewöhnt, immer wieder das Jesus-Gebet jeden Tag mindestens eine halbe Stunde zu beten. Beim Einatmen: „Herr Jesus Christus“, beim Ausatmen: „Sohn Gottes“, beim Einatmen: „erbarme dich“, beim Ausatmen: „meiner“. Diese Kopplung hilft mir. Ich steh im Supermarkt an der Kasse und stelle irgendwann fest: „Es betet in mir“, weil dieses Gebet durch Gewohnheit an den Atemrhythmus gekoppelt wurde. Immer dann, wenn ich in einen Moment der Ruhe komme, fängt das automatisch an. Das hat allerdings nicht von Anfang an funktioniert.

Wie leben Sie damit, wenn Fürbitten nicht erhört werden? Mir scheint, mir fällt das leichter, wenn ich von Anfang gar keine so großen Erwartungen hatte. Aber das kann eigentlich nicht die Lösung sein, oder?

Ich bete in der Erwartung, dass Gott der Erhörer des Gebets ist und da habe ich viel erlebt! Gleichzeitig erlebe ich in christlichen, speziell in charismatischen Kreisen, manchmal eine gewisse Verbissenheit. Für solche Leute gibt es nur eine Lösung. Das führt oft dazu, dass von sterbenden Menschen gar kein Abschied genommen wird, weil das dann als Unglaube gilt. Ich mache mir bewusst, dass er der souveräne Gott ist und meine Pläne nicht seine Pläne sind. Letztes Jahr ist die Frau eines guten Freundes von mir plötzlich lebensbedrohlich erkrankt. Ich bin zu meinem Freund hingeflogen, um bei ihm zu sein. Ich habe ein Jahr lang für sie gebetet, doch sie ist dann gestorben. Ich habe gemerkt, da, wo ich es nicht erklären kann, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit übrig, nämlich das Vertrauen: „Du bist dennoch vertrauenswürdig. Ich vertraue dir trotzdem, das ist meine höchste Gabe an dich, auch wenn ich nicht verstehe, warum dieser Mensch sterben musste.“

Haben Sie vielleicht zum Abschluss noch Tipps für das Gebet im Hauskreis? Habt ihr selbst Hauskreise vom Gebetshaus aus?

Nein, wir haben keine Hauskreise, ganz bewusst nicht. Wir wollen ja keine Gemeinde oder Ersatzeinrichtung sein. Ich habe viele Jahre einen Hauskreis geleitet. Ich merke, dass die Beschäftigung mit den apostolischen Gebeten guttun kann. Also, sich im Hauskreis die Gebete der jungen Kirche anzuschauen. Welche Gebete sind uns überliefert von Johannes oder von Paulus in seinen Briefen? Mal in Apostelgeschichte 4 nachzulesen, wie die ersten Christen in Verfolgung gebetet haben. Ich finde es hochinteressant, dass die in der Verfolgung nicht gejammert haben, sondern um Freimut für die Verkündigung und um Zeichen gebetet haben. Dazu zwei ganz praktische Gebetsformen, die ich gut fände für den Hauskreis. Erstens: Wort Gottes zu beten. Wir machen das im Gebetshaus sehr viel. Manchmal bleiben wir bei einem einzigen Vers, zum Beispiel: Psalm 27,4. Das kann man nun ganz schnell vorlesen und man hat 90 Prozent nicht mitgekriegt. Stattdessen kann man aber auch sagen: Wir machen eine Gebetszeit und wir umbeten dieses Wort. Was heißt es denn für mich, in deinem Haus zu wohnen? Wohnen bedeutet nicht nur Gast sein. Da fällt man in ein Gebet: „Vater, ich will gern bei dir wohnen.“ Da verselbständigt sich das Wort und man findet auch neue Worte für biblische Wahrheiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das für eine Gruppe absolut befruchtend ist.

Und die zweite Gebetsform?

Ich würde das „betrachtende Gebet“ empfehlen. Auch das machen wir viel bei uns im Gebetshaus. Jemand sucht sich eine biblische Geschichte aus, eine kurze, überschaubare Geschichte. Die trägt er entweder mit eigenen Worten vor oder liest sie, wie es dasteht, in einer verständlichen Übersetzung. Wir schließen die Augen und wir sind, beispielsweise, Zachäus. Wir schmecken den Staub auf dieser Straße, auf der Jesus kommt. Wir sehen die Menschenmassen. Wir sind zu klein. Wir müssen auf den Baum klettern. Wir tauchen ein in diese Geschichte. Dieses betrachtende Gebet ist eine Form, die uns viel näher ans Wort Gottes bringt, die uns näher zu Jesus bringt und die man supergut in einer Gruppe umsetzen kann.

Das ist ein sehr spannender Impuls. Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Impulse fürs Beten im Hauskreis und allein

  • Das Jesus-Gebet mit dem Atem verknüpfen und so verinnerlichen: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.“
  • Das Vaterunser Wort für Wort anschauen und beten.
  • Die apostolischen Gebete anschauen und beten: Apg 4,24-26.29-30; Röm 15,5-7; 1 Kor 1,4-8; Eph 1,17-19; Eph 3,14-19, Phil 1,9-11; Kol 1,9-12; 1 Thess 3,9.12-13; 2 Thess 1,11-12
  • Wort Gottes meditieren und umbeten.
  • Betrachtendes Gebet: Eine biblische Geschichte hören und sich hineinversetzen. Mehr dazu auf der nächsten Seite.
  • Immer wieder Neues ausprobieren, damit keine langweilige Routine entsteht.

 

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