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„Wir sind Bürger des Himmels“

Franziska Klein

Wir fahren in der gleißenden Augustsonne durch urige Orte, über gewundene Straßen und unzählige Hügel bis hin zu einem Dorf, das uns wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten vorkommt. Die ärmlichen Hausfassaden und ungeteerten Wege sind mir fremd, während sie bei meinem Vater Erinnerungen Farbe verleihen. Einen engen Pfad den Hügel rauf erreichen wir ein eisernes Tor, auf dem in alter deutscher Schrift „Ort der Ruhe“ steht. Kurze Zeit später stehe ich mit meinen Eltern und Geschwistern an dem Familiengrab, in dem meine Urgroßeltern begraben wurden. Ein seltsames Gefühl. Ich stehe auf einem deutschen Friedhof in einem abgelegenen Dorf in Rumänien, 1.400 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem ich in Deutschland aufgewachsen bin. Auf diesem mir fremden Fleckchen Erde ist meine Großmutter aufgewachsen und mein Vater nennt es seine alte Heimat. Dieser seltsamen Mischung aus vertrauten und unbekannten Gefühlen begegne ich mit Neugierde, aber auch mit Befremden. Dieser Ort hat mit mir zu tun, ist eng verbunden mit meiner Familiengeschichte, aber Heimat kann ich ihn nicht nennen.

Meine Heimat, das Schwabenland:
Geboren und aufgewachsen bin ich im Schwabenland. Aufgrund meiner siebenbürgisch-sächsischen Prägung hatte mein Deutsch einen markanten Akzent, sodass ich bis in die Mitte meiner 20er hinein gefragt wurde, wo ich denn ursprünglich her käme. Die Leute waren mit meinem eingeübten Satz zufrieden: Ich bin hier geboren und aufgewachsen, aber meine Eltern sind Spätaussiedler aus Rumänien. Als Kind und auch noch als Jugendliche war mir die Herkunft und Andersartigkeit meiner Eltern stellenweise peinlich. Ich wollte einfach dazugehören und in meiner schwäbischen Grundschule nicht auffallen. Ich erinnere mich, dass ich als Kind manchmal „Ausländerin“ spielte. Ich verkleidete mich und sprach eine erfundene Sprache, obwohl ich nur Deutsch konnte. Ich war ein kleines, blondes Mädchen, dessen auffälliger Akzent eine bleibende Erinnerung war, dass das Schwabenland sich nie vollständig wie Heimat anfühlen würde.

Auf der Suche nach einem Gefühl:
Nach dem Abitur zog es meine Schulkollegen und mich die Ferne. Raus aus der kleinstädtischen Provinz, zuerst weit weg ins Ausland und dann zum Studium in eine Universitätsstadt. Beim
Ersti-Frühstück der Geschichtswissenschaftler lerne ich zum ersten Mal, dass zwischen Baden und Schwaben Vorurteile bestehen. Ich, 19 Jahre im Schwabenland gewohnt, hatte noch nie davon gehört. In Heidelberg komme ich zwar aus dem Schwabenland, aber finde in der bunten, internationalen Studentenschaft schnell meinen Platz. Die Wahlheimat für ein paar Jahre – ein absoluter Glücksgriff . Heimat, so entdecke ich in diesen Jahren, ist für mich kein Ort, sondern mehr ein Gefühl. Ein Gefühl von Angekommen sein. Trotz mehrerer Umzüge ins Ausland und innerhalb Deutschlands lebe ich mich immer schnell ein, finde neue Freunde und mache den neuen Ort zu meinem Zuhause. Irgendwann sage ich den Satz: Heimat ist, wo meine Bücher stehen.
Sobald ich länger als zwei Wochen an einem Ort bin, verschaffe ich mir einen Überblick über die Stadtkarte, stelle persönliche Gegenstände auf und sortiere meine Bücher griff bereit. Ich schaffe mir mein Zuhause, meinen temporären Heimathafen. Momentan stehen meine Bücher in meiner neuen Wahlheimat Frankfurt am Main. Nach anderthalb Jahren fühle ich mich in der Stadt angekommen. Und wenn sich die Skyline am Horizont emporhebt, spüre ich ein Kribbeln im Bauch. Es ist eine Mischung aus Verwurzelung und einer Leichtigkeit, die mein Heimatgefühl beschreibt. Es ist nicht statisch, sondern wandelbar und lässt sich mitnehmen.

Zurückkehren:
Viele meiner Schulkameraden hat es nach Jahren des Weltenbummelns wieder zurück in das Schwabenland gezogen. Das Fernweh junger Jahre ist gestillt und die Sehnsucht zu „settlen“ irgendwann stärker. Das Bedürfnis nach Sicherheit hat den Drang nach Freiheit übertrumpft. Wenn ich nach Hause zu meinen Eltern fahre und die schwäbische Alb in der Ferne auftaucht, fällt mir mittlerweile auch auf, was für ein idyllisches Fleckchen das doch ist. Im warmen Herbstlicht erinnert es mich hier ein bisschen an das Auenland. Doch die Stadt meiner Kindheit hat sich baulich komplett verändert, ich kenne die Straßennamen und Buslinien nicht und mein Jugendzimmer im Haus meiner Eltern existiert nicht mehr. Ein wohliges Gefühl überkommt mich dennoch, wenn mich im Hausflur unzählige Schuhe empfangen und meine Mama nebenher drei Kuchen backt, weil im Laufe eines Samstagnachmittags jede Menge Gäste vorbeischauen. Mein Zuhause-Gefühl bei meinen Eltern entspricht dieser Atmosphäre. Die Gastfreundschaft meiner Eltern und das Ein- und Ausgehen vieler Menschen, die ankommen und für einen Moment ihr
Leben teilen. Hier bin ich aufgewachsen, hier komme ich gern auf einen Besuch vorbei. Doch meine Heimfahrt trete ich Sonntagabend Richtung Frankfurt an.

Für Immer:
Mein Heimatbegriff ist lose – mehr ein Sicherheitsgefühl als eine Herkunftsregion. Es ist das Gefühl, dass ich an einem Ort angekommen bin – auch wenn die Empfindung mehr mit mir, den Menschen in meiner Umgebung und auch mit meinem Glauben an Gott zu tun hat. Ich fand es lange Zeit seltsam und weltabgewandt, wenn fromme Menschen ausdrückten, dass ihre wahre Heimat im Himmel sei. Aber wenn ich heute darüber nachdenke, was Heimat für mich bedeutet, passt das eigentlich ganz gut. Wenn es in Philipper 3,20 heißt „Wir sind Bürger des Himmels“ drückt das ein Gefühl aus, das kein Mensch mir geben oder nehmen kann. Ich bin bei Gott angekommen und angenommen. Meine Heimat bei ihm zu verorten, bedeutet Sicherheit und Gastfreundschaft in dieser Welt zu genießen, ganz gleich, woher ich komme. Bei Gott Heimat zu finden, bedeutet, dass ich einen Platz habe, Rechte zugesprochen bekomme und ein Versprechen, das für immer gilt.

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„Morgen, Kinder, wird’s was geben“

von Agnes Wedell

Wie Weihnachten zum Fest der Geschenke wurde

Auf die Frage „Wie war Weihnachten?“ zählen Kinder meistens auf, was sie alles geschenkt bekommen haben. Erwachsene würden das wohl nicht so klar ausdrücken, aber auch sie möchten in der Regel nicht auf die traditionelle Bescherung an Weihnachten verzichten. Natürlich könnte man die Bücher, Kosmetikartikel und DVDs, die man an Heiligabend auspackt, mit viel weniger Aufwand, als ihn der Schenkende hat, einfach selbst kaufen und würde dabei sicher den eigenen Geschmack besser treffen. Trotzdem: Die kleinen und größeren Päckchen unterm mit Kerzen geschmückten Baum gehören einfach zu Weihnachten. Das war schon immer so – oder?

Trautes Familien-Idyll

Genau genommen ist diese Tradition erst 200 Jahre alt. Im Biedermeier (1815-1840) wurde aus dem kirchlichen Weihnachtsfest mehr und mehr ein Familienfest. Der Dichter E. T. A. Hoffmann beschreibt dieses traute Weihnachts-Familien-Idyll in seinem Märchen „Nussknacker und Mausekönig“: „Der große Tannenbaum in der Mitte trug viele goldne und silberne Äpfel, und wie Knospen und Blüten keimten Zuckermandeln und bunte Bonbons und was es sonst noch für schönes Naschwerk gibt, aus allen Ästen. (…) Um den Baum umher glänzte alles sehr bunt und herrlich – was es da alles für schöne Sachen gab – ja, wer das zu beschreiben vermöchte!“

Kleine Leckereien in der Weihnachtszeit, vor allem für Kinder, gab es schon seit Langem. Bereits die alten Römer machten sich zum Jahresende Geschenke – das sollte Glück bringen. Diese Tradition wurde bald mit dem Weihnachtsfest verbunden, das zunächst zum Jahreswechsel gefeiert wurde. Die Begründung war aber neu: Gott hat den Menschen in Jesus den Erlöser geschenkt. Außerdem erinnern die Weihnachtsgeschenke daran, dass die Weisen dem Jesuskind Gold, Weihrauch und Myrrhe brachten.

Christkind und Nikolaus

Ein Patron fürs Schenken ist auch Nikolaus von Myra. Der Bischof aus dem vierten Jahrhundert hat der Legende nach drei verarmten Mädchen jeweils einen Goldklumpen ins Haus geworfen und es ihnen so ermöglicht, zu heiraten. Bei den Kindern war dieser freigiebige Heilige seit dem 13. Jahrhundert sehr beliebt, da er ihnen Äpfel und Nüsse brachte. Der Reformator Martin Luther hielt von diesem Brauch allerdings wenig, schließlich sollte in der Advents- und Weihnachtszeit Jesus im Mittelpunkt stehen, nicht Nikolaus. Außerdem lehnte er die Verehrung von Heiligen ohnehin ab. Geschenke gab es in evangelischen Familien deshalb an Weihnachten, sie wurden vom „heiligen Christ“ gebracht, aus dem später das Christkind wurde.

Lange Zeit handelte es sich bei diesen Geschenken um kleine Leckereien, die am Baum hingen, manchmal auch um praktische Geschenke wie Schuhe oder Kleidung. Kinder aus wohlhabenden Bürgerfamilien konnten sich seit dem 19. Jahrhundert außerdem auf Spielzeug freuen: Zinnsoldaten, Steckenpferde oder Spielzeugeisenbahnen für Jungs, Puppen samt Zubehör für Mädchen. Ein berühmtes Weihnachtsgeschenk machte 1845 der Arzt Heinrich Hoffmann seinem dreijährigen Sohn: Das von ihm verfasste Bilderbuch „Struwwelpeter“ begleitete seitdem Generationen von Kindern.

Was die geschenkten Spielsachen anging, war damals übrigens „Recycling“ angesagt: Spätestens im Februar wurden sie eingesammelt und verschwanden in einer Truhe – bis zum nächsten Weihnachtsfest.

 

Wann ist endlich Bescherung?

Nicht überall auf der Welt packen die Kinder ihre Geschenke am Heiligabend aus. In England schleicht der Weihnachtsmann mit seinen Gaben erst in der Nacht zum 25. Dezember ins Haus. Die kleineren Päckchen deponiert er in extra dafür aufgehängten Socken – wo sie die Kinder am nächsten Morgen finden. Noch einen Tag später, am 26. Dezember, werden die Geschenke in Ghana ausgepackt. In Italien und Spanien beschenkt man sich sogar erst am 6. Januar, dem Dreikönigstag. Ein Termin, den man eigentlich auch für die Bescherung in Russland vermuten würde. Denn die dortige orthodoxe Kirche feiert an diesem Tag Weihnachten. Die Kinder haben ihre Geschenke allerdings schon fünf Tage zuvor, am Neujahrstag, bekommen – von „Väterchen Frost“.

Oben auf der Wunschliste

Mit „Apfel, Nuss und Mandelkern“ (wie es in einem alten Weihnachtslied heißt) ist es an Weihnachten längst nicht mehr getan. Von Jahr zu Jahr werden die Wunschlisten der Kinder länger und anspruchsvoller. Während im Wirtschaftswunderland der 50er-Jahre Teddys und Legosteine, Modelleisenbahnen und Kaufmannsläden, Puppenhäuser und Gesellschaftsspiele der Renner waren, steht heute vor allem Unterhaltungselektronik hoch im Kurs.

Auch bei Erwachsenen kommt ein großer Teil der Präsente aus dem Multimediabereich. Am beliebtesten sind aber Bücher, Kosmetik – und Geschenkgutscheine. Schließlich ist es gar nicht so einfach, den Geschmack des Beschenkten einzuschätzen. Außerdem kann man so auf eine aufwendige Verpackung verzichten. Wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtet, schätzt man die Mengen Geschenkpapier, die an Weihnachten verbraucht werden, auf rund 8.000 Tonnen. Damit könnte man mehr als 7.000 Fußballplätze bedecken.

Anders schenken

Gutscheine werden oft auch überreicht, wenn man sich dafür entscheidet, Zeit zu schenken – in Form eines Restaurantbesuchs, einer Ballonfahrt oder einer Hilfeleistung. Theater- oder Konzertkarten landen ebenfalls häufig auf dem Gabentisch – genauso wie Selbstgebackenes, Gestricktes oder Gebasteltes. Andere unterstützen lieber im Namen des Beschenkten ein soziales Projekt.

Spendabel am Jahresende

Im November und Dezember erwirtschaftet der Einzelhandel einen großen Teil seines Jahresumsatzes. In dieser Zeit sind die Verbraucher besonders freigiebig, wenn es ums Essen, festliche Deko, Reisen und vor allem um Geschenke geht. Für sie wird mehr als die Hälfte des Weihnachtsbudgets ausgegeben – 2015 waren das laut Angaben des Handelsverbands Deutschland 86,7 Milliarden Euro. Pro Kopf sind das 266 Euro, glaubt man der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young; das ifes Institut für Empirie & Statistik rechnet sogar mit rund 460 Euro. Wobei der Weihnachtsmann in Bayern (509 Euro) wesentlich spendabler ist als in Berlin (409 Euro). Im Vergleich zu den USA verhält sich allerdings ganz Deutschland äußerst knauserig: Die Amerikaner geben etwa dreimal so viel für Geschenke aus.

Frauen kaufen weniger und schneller

Wie die Umfrage des ifes Instituts außerdem ergab, geben Männer mehr Geld für Geschenke aus als Frauen, brauchen dafür aber oft noch bis kurz vor Weihnachten – während die meisten Frauen spätestens ab Mitte Dezember Zeit für andere Weihnachtsvorbereitungen haben. 15 Prozent der Deutschen verteilen ihre Weihnachtseinkäufe sogar über das ganze Jahr. Das spart Kosten. Zwölf Prozent der Deutschen sparen es sich lieber gleich ganz, etwas an Weihnachten zu verschenken (weitere interessante Fakten zu Weihnachten auf www.was-soll-ich-schenken.net/weihnachten-live).

Was tun mit ungeliebten Geschenken?

Die Hose ist zu klein, der Pulli hat die falsche Farbe, von der DVD steht bereits ein Exemplar im Regal und bei aller Liebe zum Schenker möchte man die kitschige Vase schnellstens außer Sichtweite bringen: Etwa eine Milliarde Euro wurden 2008 für unerwünschte Weihnachtsgeschenke ausgegeben, ergab eine ebay-Umfrage.

Sollte man solche Geschenke behalten (schließlich zählt ja der gute Wille!), verkaufen oder umtauschen? Laut Handelsverband Deutschland wurden 2011 knapp fünf Prozent der Geschenke umgetauscht. Die meisten Geschäfte sind damit einverstanden, ein Recht darauf gibt es aber nicht. Eine originelle Alternative, um verschmähte Weihnachtsgeschenke loszuwerden, gibt es in München: Seit 20 Jahren versteigert Albert Dietrich sie nach Weihnachten im Rathaus-Innenhof. Der Erlös kommt dem Kinderhilfswerk Unicef zugute – bisher fast eine halbe Million Euro.

 

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift lebenslust. Jetzt kostenlos testen: www.bundes-verlag.net/lebenslust

Fakten über Luther

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Unbekannte Personen der Bibel: Maria aus Jerusalem

von Dr. Ulrich Wendel

Immobilienbesitz für Gottes Reich

Wie kommt es eigentlich, dass Christen noch Häuser haben? Jesus hat doch klar gesagt: „Verkauft, was ihr habt, und gebt es den Bedürftigen!“ (Lukas 12,33), und: „Geht in die ganze Welt!“ (Markus 16,15). Häuser, in denen man dauerhaft wohnt, sind in diesen Anweisungen nicht vorgesehen – oder?

Die ersten Christen haben sehr oft radikal befolgt, was Jesus lehrte. Zu den ersten Christen in Jerusalem gehörte Maria – nicht die Mutter von Jesus, sondern eine andere Frau gleichen Namens. Ihr Sohn war Johannes Markus, später ein Begleiter der Apostel. Barnabas, ein wichtiger Missionar und Mentor in der jungen Christenheit, war ihr Schwager oder Neffe.

Im Bericht der Apostelgeschichte erfahren wir nicht nur, wo Maria wohnte – in Jerusalem –, sondern auch, wie sie wohnte. Sie besaß ein Haus, und zwar ein recht großes. Es verfügte über eine Art Vorhof oder eine Toranlage und es war geräumig genug, einer großen Hausgemeinde Raum für Gebet und Gottesdienst zu geben. Zum Haushalt gehörte auch eine Magd oder Sklavin – auch dies ein Indiz dafür, dass Maria ziemlich wohlhabend war (Apostelgeschichte 12,12-14).

In der Gemeinde von Jesus waren immer auch begüterte Menschen. Einige haben ihren Grundbesitz verkauft, um das Geld zu spenden, aber nicht alle taten das. Maria steht dafür, dass man seinen Immobilienbesitz auch anders für Gottes Reich einsetzen kann. Sie behielt ihr Haus, machte es aber zu einem Instrument für Gott.

Gastgeberin in gefährlichen Zeiten

Zunächst: Sie öffnete ihr Haus für die Gemeinde. Sie ließ es also zu, dass andere Leute durch ihren Hof und ihr Wohnzimmer trampelten und das Haus mit ihrem Lärm, ihrem Geruch und ihren Krümeln erfüllten. Sie stimmte zu, dass in ihrer Küche Essen für andere zubereitet wurde. Sie war einverstanden, dass immer wieder nicht sie selbst als Hausherrin bestimmte, was in ihren vier Wänden ablief, sondern der Leiter des Gottesdienstes. Und sie setzte die Arbeitskraft ihrer Magd ein, um alles hinterher wieder sauberzumachen.

Maria hielt an diesen Entscheidungen auch dann fest, als es für Christen gefährlich wurde. Nachdem in Jerusalem bereits Stephanus gesteinigt worden war, löste König Herodes bald eine zweite Verfolgungs- und Misshandlungswelle aus. Der Apostel Jakobus wurde geköpft und Petrus war gerade verhaftet worden, um ebenso getötet zu werden. Eine brenzlige Lage, in der man wohl gern erst einmal abtauchen und sich still verhalten würde. Gut möglich, dass die Behörden den Christen ihr Eigentum wegnehmen würden – wenig später ist das nachweislich passiert (Hebräer 10,34). Da wäre es vielleicht ratsam, nicht auf sich aufmerksam zu machen, zum Beispiel durch Besucherströme von 30 oder 40 Christen, die ihre Schritte ins Haus lenken. Doch Maria hielt ihr Haus weiterhin offen für die Gemeinde.

Soziale Unterschiede trennen nicht

Sie gab den Betern dabei mehr als ein Dach über dem Kopf. Sie gestaltete das Leben und das Erscheinungsbild der Gemeinde mit. Sie tat das Ihre hinzu, damit die Gemeinde genau so aussehen konnte, wie Jesus sie sich gedacht hatte: als eine Gemeinschaft von ganz unterschiedlichen Leuten verschiedenster Herkunft und mit unterschiedlichem sozialen Status – und in dieser Zusammensetzung eins in Christus. Maria selbst, die reiche Frau, war Teil dieser Gemeinde. Viele andere waren nicht so begütert. Und Marias Sklavin stand sicher am unteren Ende der sozialen Skala. Dennoch gehörte sie voll und ganz zur Gemeinde und nahm am Gemeindeleben teil. Ein Detail der biblischen Berichterstattung verrät uns das: Als der Apostel Petrus durch ein Wunder Gottes aus dem Gefängnis frei kam, ging er sofort zu Marias Haus, wo er – zu Recht – die Gemeinde  vermutete. Auf sein Klopfen sollte Marias Sklavin öffnen. Am Tor erkannte sie gleich die Stimme des Apostels. Das lässt ja darauf schließen, dass sie Petrus schon oft gehört hatte – dass sie also an den Gottesdiensten teilnahm und häufig unter seiner Predigt gesessen hatte.

Marias Haus war also ein Werkzeug für Gottes Reich: Sie hatte einen Ort geschaffen, wo die Glaubenden zuhause sein konnten, und sie hat in ihrem Leben und ihren Beziehungen die Maßstäbe von Jesus widergespiegelt. Sie hat mehr als ein Haus eingesetzt: Ihr ganzes Leben ließ sie vom Evangelium prägen.

Zwei Modelle der Nachfolge

Damit lebte Maria eins von zwei möglichen Modellen, nämlich das der sesshaften Jesusnachfolge. Natürlich gab es auch noch das andere Modell – das der reisenden Missionare. Auch als Jesus nicht mehr auf der Erde war, als er also nicht mehr mit seinen Jüngerinnen und Jüngern durch Galiläa zog, gab es viele Christen, die „hingingen in alle Welt“. Marias Sohn Johannes Markus und ihr Verwandter Barnabas stehen für dieses andere Modell. Johannes Markus und Barnabas waren die Begleiter von Paulus auf der ersten Missionsreise und reisten später zusammen nach Zypern. Wenn man im Neuen Testament nachschlägt, wo Johannes Markus genannt wird, und wenn man an den betreffenden Orten Fähnchen in die Landkarte steckt, dann kommen neben Jerusalem und Zypern noch die Landschaft Pamphylien (an der Südküste der heutigen Türkei), Kolossä, Rom und vielleicht Cäsarea in Betracht. Reiserouten, die sich quer durch den Mittelmeerraum spannen. Johannes Markus ist damit das Gegenbild zu seiner sesshaften Mutter.

Damit Johannes das sein konnte, musste seine Mutter ihn loslassen. Das hat sie auch getan. Im Grunde hat sie aber auch ihr Haus losgelassen, zumindest ihren Anspruch darauf. Sie hat es in den Dienst für Gott gestellt. Mobiler Missionar oder Immobilienbesitzer – beide Lebensentwürfe geben die Möglichkeit, Jesus zu folgen und für Gottes Reich da zu sein. Man muss dafür Christus den Herrn sein lassen: den Herrn über Wohnort und Reiseziele und auch den Herrn im Haus.

 

Dieser Artikel erschien im Magazin Faszination Bibel.

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Unbekannte Personen der Bibel: Urija ben Schemaja

von Dr. Ulrich Wendel

Hat Gott seinen Diener vernachlässigt?

„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ heißt ein erfolgreich verfilmter Roman, und es gab schon immer viele Menschen, die ihr eigenes Leben so beschreiben würden. Auch in der Bibel bildet sich die Ungerechtigkeit der Lebensschicksale häufig ab. Urija ben Schemaja ist so einer, dem das Leben offenbar unfair mitgespielt hat.

Urija war ein Zeitgenosse des Propheten Jeremia. Er stammte aus Kirjat-Jearim, einer Stadt, die gut 25 Kilometer von Jeremias Heimatort Anatot entfernt lag. Beide Männer hatten viel gemeinsam: Sie lebten unter demselben König, Jojakim. Wie Jeremia war auch Urija ein Prophet – und sie hatten dieselbe Botschaft: Sie sprachen im Namen Gottes gegen das Land Juda und die Mächtigen in Jerusalem, denn diese hatten Gottes Wege verlassen.

Für diese mutige Botschaft musste Urija einen hohen Preis bezahlen. Nichts war damals verwerflicher als die göttlichen Vorzüge von Jerusalem in Frage zu stellen. König Jojakim plante Urijas Hinrichtung. Der Prophet erfuhr davon und floh nach Ägypten. Doch Jojakim hatte politische Verbindungen dorthin. Er schickte ein Kommando hinterher, ließ Urija zurückholen, mit dem Schwert hinrichten und seinen Leichnam unehrenhaft verscharren (die Geschichte steht in Jeremia 26,20-24).

Kollege Jeremia stand in der gleichen Gefahr. Doch er hatte einen einflussreichen Beamten des Königshofes hinter sich stehen, der seine Hand über ihn hielt. So kam Jeremia mit dem Leben davon, und das mehr als einmal. Urija aber hatte niemanden auf seiner Seite. Und auch Gott schützte ihn nicht. So viel zum Thema Gerechtigkeit.

Keine falschen Schuldzuweisungen!

Manche Bibelausleger machen Urija zum Vorwurf, dass er nach Ägypten geflohen ist. Anstatt sich auf Gott zu verlassen, habe er selbst für seinen Schutz sorgen wollen. Doch diese Erklärung ist wohl nur ein Versuch, die drängende Frage nach der Gerechtigkeit zu übertünchen. Der biblische Bericht hat an der Flucht von Uirja nichts auszusetzen. Im Gegenteil – auch Jeremia musste sich in einer bestimmten Situation einmal vor König Jojakim verstecken. Der Bericht kommentiert das mit den Worten, dass Gott selbst ihn – den fliehenden Propheten – verborgen hielt (Jeremia 36,18). Auch früher schon war es ein Zeichen der Treue zu Gott gewesen, wenn jemand Propheten vor dem rachsüchtigen König versteckte (1. Könige 18,3-4). Man kann also Urija nicht vorwerfen, er sei eigenmächtig davongelaufen und also selbst Schuld an seinem Schicksal.

Wir müssen zunächst einfach anerkennen: Gott behandelt nicht jedes seiner Kinder gleich. Und Gott gibt auch nicht jedes Mal eine Erklärung dafür, warum er seine Leute ungleich behandelt. Wir leben in einer Welt, in der Menschen einander Schaden zufügen, ja einer den anderen tötet. Gott schiebt dem manchmal einen Riegel vor – aber nicht immer. Zuweilen lässt er dem Bösen seinen Lauf, auch wenn das seine Diener das Leben kostet. Auch im Neuen Testament steht beides hart nebeneinander: Der Apostel Petrus wird ins Gefängnis geworfen, aber durch ein Wunder befreit – und kurz vorher ist der Apostel Jakobus geköpft worden, ohne Wunder, ohne Rettung (Apostelgeschichte 12,2-11).

Aus dem Abstand betrachtet

Das einzige, was manchmal (!) hilft: Einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild betrachten. Die Jahre verstreichen lassen und sehen, was zu allerletzt herauskommt. Bei Jeremia war es so: Immer wieder hatte er einflussreiche Fürsprecher, die ihm das Leben retteten. Gott schenkte ihm eine längere Lebenszeit als Urija. Am Ende allerdings war Jeremia dann doch ein Spielball der Judäer, denen er die ganze Zeit treu Gottes Wort gesagt hatte. Sie verschleppten ihn nach Ägypten – wo sich dann sein Weg verliert. Der Überlieferung zufolge wurde er von seinen Landsleuten gesteinigt. Letzten Endes ging es ihm also nicht besser als Urija. Es traf ihn bloß später.

Bei Petrus war es vermutlich ähnlich. Anders als Jakobus war er gerettet worden, doch frühe christliche Historiker sagen, er sei später in Rom hingerichtet worden. Dasselbe Muster also: Auch der, den Gott beschützte, blieb zum Schluss nicht verschont.

Vielleicht ist der Unterschied zwischen Urija und Jeremia doch nicht so groß. Aus menschlicher Perspektive zwar durchaus: Jahre und Jahrzehnte weiterleben dürfen oder nicht, das ist ein Riesenunterschied! Doch am Ende warteten auf beide die Mörder. Und am Ende hieß es für beide auch: Man hat ihnen nicht geglaubt, ihre Botschaft kam nicht an. Am Erfolg gemessen, war Jeremia gescheitert. Urija ebenso – bloß früher. Sein Leben blieb ein Fragment.

Lebenssinn trotz Scherben

Aber es gibt auch Fragmente, die in tieferem Sinn vollständig sind. „Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es besteht. Es gibt schließlich Fragmente … die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen … Wenn unser Leben auch nur ein entfernter Abglanz eines solchen Fragmentes ist, … dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.“ Das schrieb Dietrich Bonhoeffer – auch einer, den Gott am Ende nicht beschützt hat, als er seinen Mördern in die Hände fiel.

Zum größeren Bild, aus dem Abstand betrachtet, gehört schließlich auch dies: König Jojakim, der Urija wie einen ehrlosen Verbrecher verscharren ließ, erlitt am Ende dasselbe Schicksal: Seine Leiche sollte den Tieren auf dem Feld vorgeworfen werden (Jeremia 22,19; 36,30). In der Tat – die Bibel erwähnt seinen Tod, aber weder Begräbnis noch Trauer (2. Könige 24,6).

Ist das ausgleichende Gerechtigkeit? Hat jemand wie Urija etwas davon, wenn es am Ende den anderen auch nicht besser geht? Unterm Strich hilft wohl nur das Vertrauen: Auch wenn Menschen einander töten – Gott ist es, der über die Dauer eines Lebens entscheidet. Und an Gott liegt es auch, dass ein Leben erfüllt sein kann, selbst wenn es zu früh endet. Nein, Gott behandelt nicht jeden gleich. Doch seine Zuwendung und Zuneigung sind nicht geringer, auch wenn jemand ein Leben voller Belastungen und Grenzen führen muss.

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