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„Lieber ehrliche Gebete als große Worte“

Christof Klenk

Rainer Harter hat eine Einrichtung gegründet, in der sieben Tage die Woche rund um die Uhr gebetet wird – das Gebetshaus Freiburg. Im Interview erzählt er, warum ihm das Gebet so wichtig ist, wie er mit vorformulierten Gebeten umgeht und welche Tipps er für Hauskreise hat.

Warum beten Sie?

Das kann ich mit einem Wort beantworten. Der Hauptgrund ist für mich: Liebe. Ich bete an, weil ich Gott liebe. In der Fürbitte bete ich, weil ich die Menschen liebe.

Verwenden Sie hauptsächlich freies Gebet oder vorformulierte Gebete?

Ich verwende beides und so halten wir es auch im Gebetshaus. Meist sind es frei formulierte Gebete, aber ich bete auch fast jeden Tag eine ganze Zeit lang das Jesus-Gebet („Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“). Ein Gebet, das in meinem Gebetsleben öfter vorkommt, ist das Gebet von Niklaus von Flüe: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir …“ Ich nutze also beides, aber frei formulierte Gebete deutlich öfter.

Was machen Sie, wenn Sie bei den vorformulierten Gebeten mit dem Herzen nicht so ganz mitkommen?

Natürlich suche ich für mein persönliches Gebet und für das Gebet im Gebetsraum Gebete aus, bei denen ich mitkomme, aber wir verwenden im Gebetshaus auch viele Lobpreislieder. Da gibt es manchmal Aussagen, bei denen ich nicht mitkann. Wenn es zum Beispiel sinngemäß heißt: „Auch wenn’s mir ganz schlecht geht oder die Welt zusammenbricht, werde ich dich immer preisen“, dann kann ich das so nicht singen. Dann ändere ich für mich einfach diese Aussage und singe beispielsweise „möchte ich dich immer preisen“. Ich passe dann die Texte einfach an. Ich beobachte, dass die Bilder immer stärker werden müssen, damit die Lieder noch irgendwie unser Herz erreichen. Ich frage mich dann manchmal: Wollen wir das wirklich, was wir da singen? Ich finde es ganz wichtig, dass wir nicht zu große Worte machen, nur weil es gut oder fromm klingt, während unser Leben weit davon entfernt ist. Dann lieber ehrliche Gebete. Und so sehen wir es ja auch in der Bibel, die biblischen Beter beten ja auch ehrlich.

Das populärste Gebet ist sicherlich das Vaterunser. Was bedeutet das für Sie, dass wir beten sollen „Dein Reich komme“? Welchen Einfluss haben wir?

Man kann sich ja fragen: „Warum soll ich überhaupt beten? Gott weiß ja alles, Gott hat einen Plan, er ist souverän.“ Die Bibel macht deutlich, dass Gott sich entschieden hat, mit uns in Partnerschaft zu treten. Und er lässt sich sogar überreden! Denken Sie an Mose, der Gott in 2. Mose 32 dazu bringt, das Volk Israel zu verschonen.  Gott möchte, dass wir mit ihm kommunizieren und er möchte, dass wir auch mit ihm gemeinsam diese Welt prägen. Und da kommen wir zum Vaterunser. In der Beschäftigung mit dem Vaterunser habe ich vor ein paar Jahren die Erfahrung gemacht, dass es mir gutgetan hat, das Vaterunser Wort für Wort zu beten. Bei jedem Wort, das Bedeutung hat, stehenzubleiben – also nicht bei Überleitungsworten oder Artikeln. Das geht ja gleich am Anfang los. „Unser Vater“ – was heißt das? Und das habe ich betend bewegt. Dann sieht man erstens, was das für ein reiches Gebet ist, und zweitens, wie reich die Beziehung im Gebet mit Gott sein kann.

In 2. Thessalonicher 5,17 sagt Paulus, dass wir ohne Unterlass beten sollen. Was hilft Ihnen, dran zu bleiben?

Ich verstehe die Anweisung von Paulus nicht so, dass ich ständig Worte machen soll. Es geht darum, in Verbindung zu bleiben. Zum einen hilft mir da die Haltung von Bruder Lorenz, einem Mann aus dem 17. Jahrhundert. Er hat sich Gott einfach vergegenwärtigt, immer wieder in ganz alltäglichen Situationen. Das ist eine Herausforderung in meinem Leben, die ich gerne annehmen möchte. Wenn ich am Schreibtisch sitze, ist es für mich schwierig, mit Worten zu beten, aber ich kann mir immer wieder bewusst machen: „Gott ist jetzt hier!“ Zum anderen habe ich mir – wie erwähnt – angewöhnt, immer wieder das Jesus-Gebet jeden Tag mindestens eine halbe Stunde zu beten. Beim Einatmen: „Herr Jesus Christus“, beim Ausatmen: „Sohn Gottes“, beim Einatmen: „erbarme dich“, beim Ausatmen: „meiner“. Diese Kopplung hilft mir. Ich steh im Supermarkt an der Kasse und stelle irgendwann fest: „Es betet in mir“, weil dieses Gebet durch Gewohnheit an den Atemrhythmus gekoppelt wurde. Immer dann, wenn ich in einen Moment der Ruhe komme, fängt das automatisch an. Das hat allerdings nicht von Anfang an funktioniert.

Wie leben Sie damit, wenn Fürbitten nicht erhört werden? Mir scheint, mir fällt das leichter, wenn ich von Anfang gar keine so großen Erwartungen hatte. Aber das kann eigentlich nicht die Lösung sein, oder?

Ich bete in der Erwartung, dass Gott der Erhörer des Gebets ist und da habe ich viel erlebt! Gleichzeitig erlebe ich in christlichen, speziell in charismatischen Kreisen, manchmal eine gewisse Verbissenheit. Für solche Leute gibt es nur eine Lösung. Das führt oft dazu, dass von sterbenden Menschen gar kein Abschied genommen wird, weil das dann als Unglaube gilt. Ich mache mir bewusst, dass er der souveräne Gott ist und meine Pläne nicht seine Pläne sind. Letztes Jahr ist die Frau eines guten Freundes von mir plötzlich lebensbedrohlich erkrankt. Ich bin zu meinem Freund hingeflogen, um bei ihm zu sein. Ich habe ein Jahr lang für sie gebetet, doch sie ist dann gestorben. Ich habe gemerkt, da, wo ich es nicht erklären kann, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit übrig, nämlich das Vertrauen: „Du bist dennoch vertrauenswürdig. Ich vertraue dir trotzdem, das ist meine höchste Gabe an dich, auch wenn ich nicht verstehe, warum dieser Mensch sterben musste.“

Haben Sie vielleicht zum Abschluss noch Tipps für das Gebet im Hauskreis? Habt ihr selbst Hauskreise vom Gebetshaus aus?

Nein, wir haben keine Hauskreise, ganz bewusst nicht. Wir wollen ja keine Gemeinde oder Ersatzeinrichtung sein. Ich habe viele Jahre einen Hauskreis geleitet. Ich merke, dass die Beschäftigung mit den apostolischen Gebeten guttun kann. Also, sich im Hauskreis die Gebete der jungen Kirche anzuschauen. Welche Gebete sind uns überliefert von Johannes oder von Paulus in seinen Briefen? Mal in Apostelgeschichte 4 nachzulesen, wie die ersten Christen in Verfolgung gebetet haben. Ich finde es hochinteressant, dass die in der Verfolgung nicht gejammert haben, sondern um Freimut für die Verkündigung und um Zeichen gebetet haben. Dazu zwei ganz praktische Gebetsformen, die ich gut fände für den Hauskreis. Erstens: Wort Gottes zu beten. Wir machen das im Gebetshaus sehr viel. Manchmal bleiben wir bei einem einzigen Vers, zum Beispiel: Psalm 27,4. Das kann man nun ganz schnell vorlesen und man hat 90 Prozent nicht mitgekriegt. Stattdessen kann man aber auch sagen: Wir machen eine Gebetszeit und wir umbeten dieses Wort. Was heißt es denn für mich, in deinem Haus zu wohnen? Wohnen bedeutet nicht nur Gast sein. Da fällt man in ein Gebet: „Vater, ich will gern bei dir wohnen.“ Da verselbständigt sich das Wort und man findet auch neue Worte für biblische Wahrheiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das für eine Gruppe absolut befruchtend ist.

Und die zweite Gebetsform?

Ich würde das „betrachtende Gebet“ empfehlen. Auch das machen wir viel bei uns im Gebetshaus. Jemand sucht sich eine biblische Geschichte aus, eine kurze, überschaubare Geschichte. Die trägt er entweder mit eigenen Worten vor oder liest sie, wie es dasteht, in einer verständlichen Übersetzung. Wir schließen die Augen und wir sind, beispielsweise, Zachäus. Wir schmecken den Staub auf dieser Straße, auf der Jesus kommt. Wir sehen die Menschenmassen. Wir sind zu klein. Wir müssen auf den Baum klettern. Wir tauchen ein in diese Geschichte. Dieses betrachtende Gebet ist eine Form, die uns viel näher ans Wort Gottes bringt, die uns näher zu Jesus bringt und die man supergut in einer Gruppe umsetzen kann.

Das ist ein sehr spannender Impuls. Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Impulse fürs Beten im Hauskreis und allein

  • Das Jesus-Gebet mit dem Atem verknüpfen und so verinnerlichen: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.“
  • Das Vaterunser Wort für Wort anschauen und beten.
  • Die apostolischen Gebete anschauen und beten: Apg 4,24-26.29-30; Röm 15,5-7; 1 Kor 1,4-8; Eph 1,17-19; Eph 3,14-19, Phil 1,9-11; Kol 1,9-12; 1 Thess 3,9.12-13; 2 Thess 1,11-12
  • Wort Gottes meditieren und umbeten.
  • Betrachtendes Gebet: Eine biblische Geschichte hören und sich hineinversetzen. Mehr dazu auf der nächsten Seite.
  • Immer wieder Neues ausprobieren, damit keine langweilige Routine entsteht.

 

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Tore schiessen!

Christian Gunka

Was im Sport völlig klar ist, scheint noch keine Selbstverständlichkeit fürs geistliche Leben zu sein.

Die Allianz Arena ist ausverkauft. Die Vereinshymne füllt die Luft mit Musik – es ist der Klassiker, das Derby, der Kampf um die Meisterschaft. Nervös kaust du auf den Nägeln, kannst es kaum erwarten – und endlich geht es los! Lewandowski passt den Ball zu Müller. Müller kickt rüber an die rechte Seitenlinie zu Kimmich. Der dreht sich zweimal um sich selbst, macht einen kunstvollen Übersteiger und erntet den anerkennenden Applaus seiner Mitspieler. Der Pass kommt zu Boateng. Er stoppt den Ball, tritt zur Seitenlinie und präsentiert den jubelnden Massen seine neuen, glitzernden Fußballschuhe. Jetzt schlenzt er den Ball zu Neuer, der sich mit einer wunderschönen Ausholbewegung … sein eigenes Autogramm auf das Trikot kritzelt! Und so geht das Spiel weiter, die Stars schieben sich die Kugel hin und her und sind am Ende noch nicht mal über die Mittellinie gekommen. Was für ein grottiger Kick!

Jesus auf dem Trainerposten?

Weißt du, was erschreckend ist? Christen verhalten sich oft genauso wie gerade beschrieben. Sie passen den Ball von Worship-Night zu Gemeinde-Café, kicken rüber zum nächsten Gebetstreffen und präsentieren einen glitzernden JuGo. Dass jemand dabei Jesus kennen und lieben lernt und sein Leben auf den Kopf gestellt wird, passiert allzu selten … Leider haben wir nämlich verlernt, was es heißt, ein „geistliches Tor“ zu schießen. Was uns im Sport völlig logisch erscheint, geht auf geistlicher Ebene verloren. In den letzten Stunden auf der Erde hat Jesus seinen Jüngern einen klaren Spielplan gegeben: „Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Matthäus 28,19-20 a). Jesus möchte, dass seine Jünger Tore schießen, und das sieht ungefähr so aus: Menschen kommen von der Dunkelheit zum Licht. Sie lernen Gott kennen, ordnen ihm ihr Leben unter und werden nach und nach geschult, wie der praktische Alltag mit Jesus auf dem Trainerposten aussieht.

Der Auftrag

Bist du sein Jünger? Dann ist dieses große Bild dein Auftrag. Wenn Menschen durch Jesu Liebe und sein Evangelium neues Leben bekommen, wächst die Kirche, sein Leib. Je mehr Menschen das erfahren, desto besser! Gottes Traum ist es, dass deine Gemeinde vor Ort einen klaren Plan hat, wie sie Menschen für Jesus begeistert und zu Jüngern macht. Und er möchte, dass du mit deinem Leben dazu beiträgst, dass Familie, Freunde, Mitschüler, Bekannte und Kommilitonen ihr Leben Gott anvertrauen und geistlich wachsen. Gott hat mir persönlich vor einigen Monaten einen „Matthäus-28-Spiegel“ vor Augen gehalten. Ich musste erkennen, dass ich seinen Auftrag nur teilweise verfolgte. Obwohl ich durch meinen Beruf in Jugendfreizeiten, Klassenfahrten oder Musicalcamps viel über Jesus geredet und anderen gute Tipps zur Jüngerschaft gegeben habe, waren in meinem persönlichen Leben geistliche Tore eher Mangelware. Ich habe Gott um Vergebung gebeten und ihm versprochen, mein gesamtes Leben neu seinem großen Ziel unterzuordnen. Natürlich geht diese Veränderung nicht von heute auf morgen. Aber es begeistert mich zu sehen, wie viele Gelegenheiten Gott schenkt, in denen ich für ihn Salz und Licht sein darf. Plötzlich drehen sich Gespräche beim Abendessen mit Freunden viel mehr um sinnvolle Themen, um Jesus und die Gemeinde oder sie werden zu Seelsorgegesprächen. Wir erzählen uns als Familie von den Erlebnissen, die wir mit Gott gemacht haben, und ich staune, wie meine Kids mich manchmal glaubensmäßig herausfordern oder überholen. Ich überlege gezielt, wen ich zu uns nach Hause einlade oder in welche Beziehung ich investieren kann.

Geistliche Anzeigetafel

Wünschst du dir dasselbe? Top! Jesus ist stolz auf dich! Und damit du motiviert bleibst, hier ein kleines Hilfsmittel – das „Scoreboard“: Du hast sicher schon mal beobachtet, wie unterschiedlich die Atmosphäre ist, wenn man ein Spiel mit oder ohne Punkte bestreitet. Egal ob Uno, Fussball, Tanzen oder Diät – es wird plötzlich viel intensiver, wenn man die Stoppuhr einschaltet oder auf der Anzeigetafel ein Ergebnis aufleuchtet. Man weiß genau, wie es steht, ob man sein Ziel erreicht oder die Strategie ändern muss. Probiere das in deinem Christsein: Führe ein „Scoreboard“, eine „geistliche Anzeigetafel“, ein. Denn Erfolg im Sinne von Matthäus 28 ist messbar (siehe z. B. Matthäus 13,23 oder Galater 5,22 ff.) – die biblischen Früchte sind sozusagen der geistliche Punktestand. Versteh mich nicht falsch: Es geht nicht darum, dass Gott nur mit dir zufrieden ist, wenn du genug leistest. Gott liebt dich ganz ohne dein Zutun. Aber weil du genau das in deinem Leben erfahren hast, darfst und musst du es weitergeben – aus Liebe! Das, was dich begeistert, sollen auch andere erleben. Und es hilft ungemein zu überprüfen, ob diese Botschaft tatsächlich ankommt oder nicht.

Beziehungsbasis

Wie sagst du deinen Freunden ganz praktisch, dass Gott sie liebt? Als Erstes betest du, am besten gemeinsam mit anderen zusammen. Du kannst niemanden zwingen, Gott zu lieben, aber du kannst für ihn beten. Deine Freunde können deine Argumente ablehnen oder deine Logik nicht verstehen. Aber sie können dich nicht daran hindern zu beten. Kolosser 4,3 sagt: „Betet auch für uns, damit Gott uns eine Möglichkeit gibt, sein Geheimnis zu verkünden: die Botschaft von Christus.“ Weißt du, was passiert, wenn du um Gelegenheiten bittest? Plötzlich siehst du sie überall! Aber bevor du von Jesus erzählst, musst du Beziehungen aufbauen. Was sind eure gemeinsamen Erfahrungen, Interessen und Bedürfnisse? Was könnt ihr gemeinsam unternehmen, damit Vertrauen entsteht und sich so die Tür für Jesus ein Stück weiter öffnet? Und am Ende überprüfst du, ob dein Einsatz deine Freunde näher zu Gott gebracht hat und das Scoreboard des Teams „Reich Gottes“ gute Neuigkeiten verkündet. Du darfst mutig sein – denn im Gewinnerteam bist du sowieso schon!

Dieser Artikel erschien in DRAN. Jetzt kostenlos testen: www.dran.de

Gebets-Zweierschaft

Birgit Schilling

Einmal in der Woche treffe ich mich mit Angela, einer Frau aus meiner Gemeinde, für etwa 45 Minuten. Wir tauschen uns darüber aus, was uns gerade beschäftigt – und dann beten wir füreinander. Das Besondere daran: Wir tun das per Telefon, weil wir es zeitlich aufgrund der Entfernung sonst nicht schaffen würden. Zu Beginn waren wir eher skeptisch, ob Austausch und Gebet telefonisch möglich sind, doch nach und nach wurde es immer natürlicher.

Nach einem kurzen „Hallo!“ gehen wir ohne lange Vorreden abwechselnd folgende „Handfragen“ durch. Wir sagen uns: „Wenn ich wirklich ehrlich bin …“

  1. Daumen: Das war letzte Woche in meinem Leben gut – Gebetserhörungen oder Freudenmomente.
  2. Zeigefinger: Das habe ich letzte Woche gelernt, hat Gott mich gelehrt, ist mir beim (Bibel-)Lesen wichtig geworden.
  3. Mittelfinger: Das stinkt mir / läuft gerade mies. Das fällt mir schwer, da habe ich Not.
  4. Ringfinger: So geht es mir in meinen Beziehungen – wirklich: Ehe, Freunde, Kinder, Eltern, Kollegen.
  5. Kleiner Finger: Das kam letzte Woche zu kurz.
  6. Ganze Hand: Das sind meine Gebetsanliegen für nächste Woche.

Für 25-30 Minuten tauschen wir uns aus, dann beten wir 15-20 Minuten lang. Wir erleben es beide immer wieder als Segen. Diese Gebets-Zweierschaft ist für uns ein Ort der Gnade. Dietrich Bonhoeffer sagte: „Der Christus im Bruder ist stärker als der Christus in mir.“

Man kann eine solche Gebets-Zweierschaft auch zeitlich begrenzt durchführen. Ich wünsche dir Mut zu überlegen, wen du fragen kannst, ob sie/er Gebetspartner/ in werden möchte.

Dieser Artikel erschien in Magazin AufAtmen. Jetzt kostenlos testen: www.bundesverlag.net/aufatmen

„Ich darf meinen Platz einnehmen“

Christine Kernstock

Wer Neues ausprobiert, kommt oft an seine Grenzen. Solche Herausforderungen kosten Kraft, sind aber auch eine Chance, Gott völlig neu wahrzunehmen. Diese Erfahrung machte Christine Kernstock. Jesus, ich möchte etwas mit dir erleben. Zeig mir doch bitte, wenn du etwas Besonderes mit mir vorhast.“ Das war mein, zugegeben etwas abgedroschen klingendes, aber durchaus ernst gemeintes Standardgebet vor jedem Studiensemester. Nur einen Monat später hing ich an einem Drahtseil über einer Schlucht und schwor mir, so etwas Leichtsinniges nie, nie wieder zu beten. Aber der Reihe nach:

Grenzerfahrung statt Wanderurlaub

Meine Bibelschule bot einen viertägigen Aktivurlaub in Österreich an. Ich fahre nicht gerne mit Fremden weg, weil ich nicht gut im Smalltalk bin, aber Schweigen auch schlecht aushalten kann. Und ich schlafe nicht gerne in Mehrbettzimmern. Dennoch ließ mich das Gefühl nicht los, an dieser Fahrt teilnehmen zu sollen. Eine Woche vor dem Start, und damit in zeitlich sicherem Abstand hinter der Anmeldefrist, fragte ich dann doch beim zuständigen Dozenten nach. Er strahlte. Es wäre noch genau ein Platz frei, als hätte dieser auf mich gewartet. Ach. Wie sich herausstellte, ging es bei dem Urlaub gar nicht um sportliches Wandern, wie ich still angenommen hatte. Es ging darum, Gott in Grenzerfahrungen neu wahrzunehmen: Klettersteig, Aquädukt Jumping, Paragliding, eine Höhlentour und Canyoning (das ist sowas wie Wildwasserrafting, nur ohne Boot). Spätestens da war mir klar, dass Mehrbettzimmer und Smalltalk mein geringstes Problem werden würden.

Starr vor Angst

Unsere Schicksalsgemeinschaft bestand aus zwölf abenteuerlustigen Studierenden, einem Dozenten, einem Bergführer und mir. Allen war ziemlich schnell klar, dass das mit den Grenzerfahrungen ernst gemeint war. Irgendeiner heulte immer, meistens war ich es. Bereits am ersten Tag am Klettersteig betete ich, wie ich selten zuvor gebetet hatte. Darum, nicht abzustürzen, mich nicht zu blamieren und die Gruppe nicht aufzuhalten. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht irgendeine göttliche Offenbarung. Die Nähe Gottes in meiner Angst oder wenigstens ein wenig himmlischen Frieden. Doch als es vom Klettersteig an die Zip-Lines ging (das ist wie eine Tarzanbahn auf dem Spielplatz, nur hängt man an einem Seil im Klettergurt), verpasste ich bei der Landung den Felsen. Meine Beine waren zu kurz, ich kam nicht auf den Boden, fand keinen Halt und fuhr zurück über die Schlucht, wo ich schließlich hängen blieb. Ungefähr 30 Meter unter mir nichts als gähnende Leere. Ich war starr vor Angst und hilflos. Aber was am schlimmsten für mich war, war die scheinbar völlige Abwesenheit Gottes. Da war nichts. Kein Trost, kein Eingreifen. Ich hing über dem Abgrund und war völlig allein.

Nichts getan

Mir schoss durch den Kopf: „Wie immer. Wenn es schlimm wird, bist du nicht da. Was habe ich auch erwartet?“ Also griff ich nach dem Stahlseil über mir und zog mich selbst, Meter für Meter, zur nächsten Felswand, wo mir Kommilitonen von der Bahn halfen. Als ich ankam, war ich erschöpft. Enttäuscht. Müde. Ich betete an diesem Tag nicht mehr und auch nicht am nächsten. In der zweiten Nacht endlich brach es aus mir heraus und ich warf Gott meinen ganzen Schmerz an den Kopf. Ich hatte ihm vertraut, wie so oft. Und er hatte nichts getan. Nichts! Ich selbst war es gewesen und ich war es so leid. Die Frage, die Gott mir stellte, brachte mich (widerwillig) ins Nachdenken. „Was hättest du gebraucht, um dich sicher zu fühlen?“ Gute Frage. Wenn schon nicht göttliches Eingreifen, dann hätte ich mir wenigstens einen Menschen an meiner Seite gewünscht. Jemanden, der mich in meiner Angst nicht allein lässt. Mein nächster Gedanke war: „Du bist doch nicht allein. In der Gruppe sind viele wunderbare Menschen. Bitte doch das nächste Mal einfach jemanden um Hilfe, wenn du Angst hast.“ Ja, das klang einleuchtend. Aber es war das Letzte, was ich wollte. Ich möchte niemandem zur Last fallen. Und es ist bestimmt eine Last, sich am Berg nicht nur um sich selbst, sondern auch noch um einen anderen Menschen kümmern zu müssen.

Ein Ringen

Die nächsten beiden Tage waren ebenfalls vollgepackt mit Grenzerfahrungen, jedoch war keine so schlimm wie der Klettersteig. Zum Abschluss gab’s dann doch noch eine Wanderung, da das Aquädukt eingerüstet war und wir nicht herunterspringen durften. (Danke Jesus, geht doch.) Was sehr entspannt anfing, wurde einen Kilometer vor dem Gipfel zu meinem zweiten Albtraum. Nebel, schlüpfrige Steine, wieder Klettern, nur diesmal ohne Sicherung. Hoch kam ich noch, aber beim Abstieg setzte die Höhenangst wieder voll ein. Es war ein Ringen mit mir. Doch schließlich ging ich auf zwei Kommilitonen zu und bat sie, mir zu helfen. Was bedeutete: zurückzubleiben mit mir. Nicht ihr eigenes Tempo gehen zu können. Sie blieben. Allein ihre Anwesenheit half mir, mich weiter zu trauen. Sie zeigten mir ein paar Techniken und setzten mir sogar die Füße, wenn ich gar nicht weiterkam. Ich war unendlich dankbar und konnte, trotz Stress, das erste Mal seit Tagen wieder richtig herzlich lachen. Außerdem hießen beide Andreas, was sich als sehr praktisch herausstellte, weil ich nur einen Namen brüllen musste und gleich vier helfende Hände hatte. Ich habe viel über mich erfahren in diesen Tagen. Vor allem aber, dass ich nicht alles allein schaffen muss. Ich darf meinen Platz einnehmen, darf Hilfe anfragen und darf es riskieren, anderen zur Last zu fallen. Gott hat uns nicht umsonst in Gemeinschaft gestellt. Ich darf die Gaben und Kompetenzen anderer mitnutzen. Und ich durfte außerdem erfahren: Weder Schweigen noch Mehrbettzimmer bringen mich um.

 

Dieser Artikel erschien in Magazin JOYCE. Jetzt kostenlos testen: www.joyce-magazin.net

Hoffnung ist das größte Geschenk

Lydia Riess

 

Im vergangenen Jahr drehte der Musiker Chris Lass gemeinsam mit der Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ ein Video, in dem zwei Mädchen einander durch ein Geschenk näherkommen. lebenslust hat nach dem Grund für das Video gefragt – und warum Hoffnung ein so wichtiges Geschenk ist.

Chris, was war der Grundgedanke deines Videos?

Ich kenne die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“, seit ich ein kleiner Knirps bin, und fand es total stark, darauf hinzuweisen. Wir haben den Song „Power of Prayer“ von meinem Album ausgewählt, das seinerzeit herauskam, also „Kraft des Gebets“. Dazu haben wir eine Geschichte entwickelt, in der es darum geht, etwas zu verschenken, an andere zu denken, für andere da zu sein. Das passt gut zum Thema „Gebet“, denn beim Beten dreht man sich nicht nur um sich selber, sondern tut das für andere, als Fürbitte. Außerdem finde ich: Für andere zu beten ist gut, aber auch etwas für sie zu tun, ist genauso gut, wenn nicht noch besser!

Manche sagen, kleine Gesten wie die Geschenke von „Weihnachten im Schuhkarton“ verändern nicht viel.

Dahinter steckt der Gedanke: „Man muss Großes tun, damit sich Großes bewegt.“ Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das nicht stimmt. Wer bemisst, was groß und was klein ist? Dinge beginnen oft im Kleinen, bevor sie groß werden. Gerade bei der Aktion geht es ja darum, Kindern eine Freude zu machen und ihnen Hoffnung zu schenken. Ihnen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind und dass es Menschen gibt, die sie wertschätzen. Was das für ein Leben bedeuten kann, ist unermesslich und kann in der Verkettung am Ende etwas ganz Großes bewirken!

Als ich noch ein Kind war, haben wir in unserer Gemeinde diese Kartons gepackt für andere Kinder, und wir haben jedes Mal auch Feedback bekommen. Das war immer stark zu sehen, dass da Kinder sind, die sich total freuen!

Wie kann man konkret Hoffnung schenken, nicht nur an Weihnachten, sondern im Alltag?

Indem man anderen Mut zuspricht, anstatt ihre Hoffnungen und Träume in Frage zu stellen. Das würde dazu führen, dass die Menschen um uns herum mutiger werden und Dinge erleben und schaffen, die sie über sich hinauswachsen lassen – und damit auch andere inspirieren. Ich singe viel mit Leuten gemeinsam. Wenn die dann erleben, dass sie eine Atmosphäre verändern mit ihrer Stimme, ihren Liedern, ihren Botschaften – das ist großartig!

So haben wir es auch beim Video erlebt: Mitten im Dreh schüttete es auf einmal so heftig aus allen Wolken, dass alle so durchnässt waren, dass ans Weiterdrehen nicht zu denken war. Gott sei Dank gab es ganz in der Nähe ein Luxushotel, in dem normalerweise nur die ganz „Großen“, Reichen und Berühmten unterkommen. Und die Angestellten dort waren tatsächlich so lieb und haben unsere ganzen Klamotten in den Trockner geschmissen und uns ein paar Föne gegeben – wir haben uns auf den Toiletten eingeschlossen und uns gegenseitig trockengeföhnt. Als die Sonne wieder rauskam, konnten wir weiterdrehen. Sie haben also das Video für uns gerettet, indem sie uns so beschenkt haben.

Warum ist Hoffnung so wichtig für Menschen?

Ich persönlich glaube, dass Hoffnung der Motor ist, der uns erlaubt, Dinge anzupacken. Hoffnung ist die Kraft, die uns erlaubt, Probleme anzugehen, unser Leben zu verändern, den Glauben nicht zu verlieren an andere Menschen und sich selbst. Man sagt ja nicht umsonst: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, ein biblisches Zitat. Ich glaube, dass das wirklich so ist: Wenn wir anderen Menschen Hoffnung zusprechen und sie ermutigen, dann ist das wahrscheinlich das größte Geschenk, das man jemandem machen kann.

 

Dieses Interview erschien im Magazin lebenslust. Jetzt kostenlos testen: www.bundes-verlag.net/lebenslust

Inspirierter beten

Lydia Rieß

 

Wie die Bibel das Gespräch mit Gott belebt

„Herr, lehre uns beten.“ Diese Bitte tragen die Jünger an Jesus heran (Lukas 11,1). Beten – ist das nicht etwas, das man einfach macht? Anscheinend nicht. Denn Jesus geht auf diese Bitte ein und gibt den Jüngern ein Beispiel: das Vaterunser. Ein Gebet, das bis heute die Christenheit verbindet. Und eines, das wir direkt und sehr wörtlich aus der Bibel übernommen haben. Beten ist also etwas, das ich lernen kann. Und auch etwas, bei dem ich mich an Vorbildern orientieren darf.

Die Praxis des Bibelbetens greift genau diesen Gedanken auf. Wie das Vaterunser zeigt, ist es an sich nichts Ungewöhnliches, direkt mit Versen aus der Bibel zu beten. Manchmal erweist es sich als sehr wertvoll, wenn ich Worte verwende, die bereits seit Jahrtausenden festgeschrieben sind. Gerade das Gebet mit den Texten der Bibel führt mich zurück zum Ursprung: zu Gott selbst, zu seinem Wort und zu den Erfahrungen, die Menschen in den vergangenen Jahrtausenden mit ihm gemacht haben. Die Worte der Schrift helfen mir dabei, Gott wieder näher zu kommen und ihn besser kennenzulernen. Eine gute Voraussetzung für ein gelingendes und tiefes Gespräch.

Die Reise zurück zu den Wurzeln kann ein eingeschlafenes Gebetsleben erneuern, aber auch neue Impulse in eine bereits lebendige Praxis hineinbringen. Sie kann mir helfen, den Blick von meinen eigenen, festgefahrenen Problemen wegzulenken und hin zu Gott zu öffnen. Die Personen der Bibel hatten ähnliche Lebensthemen und -fragen wie wir heute. Ihre Worte können mir dabei helfen, diese Themen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und mit ihnen gemeinsam in Gottes Richtung zu schauen.

Es gibt verschiedene Ansätze des Bibel-Gebets. Einen Rat findet man bei allen: Wer die Bibel betet, sollte sie laut beten. Das hilft mir, stärker bei der Sache zu bleiben und mich besser in die „Gesprächssituation“ mit Gott einzufinden. Schon der Philosoph Wittgenstein wusste: Sprache schafft Wirklichkeit. Das, was ich laut ausspreche, ist für mich realer als das, was ich nur denke. Ich gebe meinen Worten mehr Gewicht und mache sie auch für mich selbst realer, greifbarer und konkreter.

Aber nicht nur das laute Sprechen ist von Bedeutung, sondern auch das, was ich sage. Bei den verschiedenen Varianten des Bibel-Betens geht es nicht darum, einfach laut aus der Heiligen Schrift vorzulesen und das dann Gebet zu nennen. Vielmehr soll die Bibel hier eine Stütze sein: zum einen, um Worte zu finden für das, worum ich beten möchte; zum anderen, um mich bewusst auf die Suche nach Gott zu machen.

Das Themen-Gebet

Beim Themen-Gebet stelle ich einzelne Passagen bzw. Verse der Bibel zu einem Gebet zusammen, um gezielt für bestimmte Themengebiete, Lebensbereiche oder auch Personen zu beten. Die Passagen kann ich mithilfe einer Konkordanz oder der Suchfunktion einer Online-Bibel nach Stichworten finden. Aus diesen Passagen erstelle ich mir in leichter Abwandlung Gebete – die Bibel wird hier also eher paraphrasiert. Ein Beispiel für ein Gebet für Angehörige und geliebte Menschen:

Gott, du bist ein Gott, der uns sieht (1. Mose 16,13). Herr, erlöse die, die ich liebe, von den Mächten der Finsternis (Kolosser 1,13) und hilf ihnen, die Rüstung des Lichts anzulegen (Römer 13,12). Hilf ihnen, in ihrem täglichen Leben den Herrn Jesus Christus „anzuziehen“ (Römer 13,14) und der Maßlosigkeit und den Versuchungen des Lebens zu widerstehen (Römer 13,13) …

Solch ein Gebet kann ich mir entweder selbst zusammenstellen oder auch von anderen übernehmen. Ich kann mir sogar ein kleines „Gebetsbuch“ mit verschiedenen Themen erstellen (auf Englisch gibt es Anregungen z. B. hier: http://www.prayingscriptures.com/praying-in-victory.shtml). Ich kann diese Gebete immer wieder neu beten, erweitern, Passagen austauschen und auch wieder herausnehmen: gerade so, wie es die Situation, die Person oder meine eigene Haltung erfordern. Durch die Kombination aus direkten Bibelworten und meiner eigenen, persönlichen Auswahl habe ich ein Gebet, das Gottes Nähe sucht und sehr direkt nach seinem Willen fragt, aber doch auch „mein“ Gebet ist.

Biblische Gebete beten

Sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament finden sich zahlreiche schriftlich festgehaltene Gebete. Die bekanntesten sind natürlich die Psalmen, die allein deshalb schon hochspannend sind, weil sie die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen und Lebensthemen abdecken – von Todesangst über Einsamkeit, Klage und Fragen des Glaubens bis hin zu Jubel und Begeisterung. Aber auch an anderen Stellen gibt es solche Gebete in sehr verschiedenen Formen: als Dank- und Lobgesänge, als Buß- und Bekenntnistexte, als Bitten und Fragen, voll von tiefer Verzweiflung oder übersprudelnder Freude.

Da ist das Gebet von Hanna, als sie Gott für den erbetenen Sohn Samuel lobt (1.Samuel 2,1-10). Oder das Siegeslied Deboras (Richter 5) und das Lied Mirjams und Israels, nachdem sie das Schilfmeer durchquert hatten (2. Mose 15). Das Buch Hiob ist stellenweise ein einziges Klagegebet, gekrönt am Ende durch ein Glaubensbekenntnis direkt an Gott. Im Neuen Testament finden sich der Lobgesang Marias (Lukas 1,46-55) und der Lobgesang des Zacharias (Lukas 1,67-79); Paulus hat verschiedene tiefgehende Gebete (z. B. Römer 16,25-37; Epheser 3,14-21; 2. Thessalonicher 2,16-17), und auch die Offenbarung des Johannes ist voll von Gebeten. Diese biblischen Gebete können uns zu „Lehrern werden, die uns beibringen, wie wir mit Gott kommunizieren können“, so beschreibt es Philip Collins, Professor für Christian Ministries an der Taylor University in Upland, Indiana.

Obwohl diese Gebete bereits in sich geschlossen und fertig sind, ist es ratsam, nicht blind drauflos zu beten, sondern bewusst Texte auszusuchen: solche, die zu meiner Situation passen und die mir Worte geben, die ich guten Gewissens zu meinen eigenen machen kann. Außerdem ist es stellenweise klug, Verse auszulassen (so macht es für das persönliche Gebet eher wenig Sinn, über „Schamgar, den Sohn Anats, zu den Zeiten Jaëls“ zu beten wie in Richter 5,6). Indem ich ein solch „fremdgeschriebenes“ Gebet bete, nehme ich die Perspektive der Person ein, die es ursprünglich betete – als Dankende, als Bittender, als Zweiflerin oder Trauernder.

Verheißungen beten

„Wenn wir Gottes Verheißungen laut beten, fangen wir an, Gottes Pläne und Ansichten zu verstehen. Wir bringen unsere Sehnsucht in Einklang mit der seinen“, so Debbie Przybylski, Gründerin eines internationalen Gebetsdienstes. Die Bibel ist voll von Verheißungen, die nicht nur Israel und den Menschen damals, sondern auch uns heute noch gelten. Sie sind in vielfacher Hinsicht ein passendes Gebetsthema: als Bekenntnis und Dank für Lebensbereiche, in denen ich bereits erlebe, wie sich diese Verheißungen erfüllen. Zur eigenen Erbauung und zum Trost, indem ich mich selbst daran erinnere, dass Gott es gut mit mir meint. Als Buße und Bitte um Vergebung, wo ich diesen Verheißungen nicht traue und selbst nach Kontrolle über mein Lebensglück strebe. Und im Ringen mit Gott, wenn ich sein Wirken und seinen Segen in meinem Leben nicht wahrnehmen kann. Verheißungen kann ich mit Hilfe einer Konkordanz oder der Wortsuche einer Online-Bibel finden. Hier hilft auch eine ganzheitliche Sicht: Auch Verheißungen des Alten Testaments kann ich mit dem Wissen beten, dass viele davon in Jesus Christus erfüllt, bestätigt oder auch in ein neues Licht gestellt worden sind.

Als Beispiel sei hier Hesekiel 36,26 angeführt: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“

Einen solchen Vers kann ich sehr vielfältig beten. Als Dank: „Danke, dass du mich erneuern willst mit deinem Geist. Danke, dass du mein steinernes, totes Herz lebendig machen willst.“ Als Bitte: „Erfülle mich neu mit deinem Geist! Nimm mein steinernes Herz weg und gib mir ein fleischernes!“ Als Buße: „Ich habe mein Herz dir und den Menschen gegenüber verhärtet. Ich habe ein steinernes Herz. Vergib mir und schenke mir ein Herz aus Fleisch.“

Die Ermutigungs-Tabelle

Ähnlich wie das Gebet mit Verheißungen ist diese Variante von Andreas Kusch*. Diese Gebetsform eignet sich vor allem in Zeiten von Not, Trauer und Schmerz. Es geht um einen Perspektivwechsel: „Wir schauen nicht auf das Dunkel, sondern auf den, der das Dunkel wenden kann. Die Zusagen und Verheißungen Gottes dürfen wir den Gedanken der Hoffnungslosigkeit und Gottverlassenheit entgegenstellen“, so beschreibt es Kusch. Diese Gebetsform sieht zunächst etwas „technisch“ aus, hilft aber gerade durch das systematische Vorgehen, im Gebet konkret zu werden.

Dabei ist Vorbereitung erforderlich, und zwar in Form einer Tabelle. In der ersten, durchgehenden Spalte formuliere ich die Situation, die mich gerade belastet. Die zweite Spalte wird in Zeilen unterteilt. In diese Zeilen trage ich die Gefühle ein, die für mich mit der Situation einhergehen (Schwäche, Angst, Enttäuschung, Hilflosigkeit …). In der dritten Spalte notiere ich parallel zu den Gefühlen die negativen Gedanken, die diese Gefühle immer wieder in mir auslösen (z. B. Schwäche: „Ich kann nicht mehr.“ Enttäuschung: „Warum lässt Gott das zu? Warum hilft er mir nicht?“ etc.). In der vierten Spalte nun trage ich Bibelverse ein, die mich in diesen Momenten ermutigen, z. B.: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12,9b). Nun „durchbete“ ich diese Tabelle. Angefangen bei der Situation über die Gefühle und Gedanken bis hin zu Gottes Verheißung, auf die ich mich stütze und die ich im Glauben annehme. Dies kann, in Bezug auf die Bibelstelle, auch in abgewandelter Form geschehen: „Gott, ich danke dir, dass deine Kraft in meiner Schwäche mächtig ist.“ Auf diese Weise wird die Tabelle zu einem Rettungsseil, das mich immer wieder daran erinnert, dass Gott in meiner Situation gegenwärtig ist und in sie hineinspricht.

Personalisiertes Bibelbeten

Auch manche Passagen der Bibel eignen sich dazu, um sie zu beten – allerdings umgewandelt zu einem persönlichen Gebet. Jesaja 43 als Dankgebet kann dann so klingen: „Danke, dass ich mich nicht fürchten muss. Danke, dass du mich bei meinem Namen rufst und erlöst und dass ich dein bin!“ Oder als Bitte: „Wenn ich durchs Wasser gehe, lass mich wissen, dass du bei mir bist. Lass nicht zu, dass die reißenden Ströme mich untergehen lassen.“ Für andere kann ich ebenfalls auf diese Weise beten, indem ich ihre Namen in den Bibeltext einfüge: „Auch wenn Paul gerade durchs Feuer gehen muss, lass ihn unversehrt bleiben. Schütze Klara und bewahre sie davor, dass die Flammen sie anrühren. Lass sie wissen, dass du ihr Gott und Retter bist.“ Solche personalisierten Bibelgebete helfen nicht nur dabei, Worte zu finden, die man manchmal einfach nicht hat. Sie führen mir auch vor Augen, dass Menschen bereits vor tausenden von Jahren dieselben Sehnsüchte, Schmerzen und Hoffnungen hatten. Und dass sie bei Gott damit an der richtigen Adresse waren.

Meditation

In Psalm 1 findet sich die indirekte Aufforderung, über das Wort Gottes „nachzusinnen Tag und Nacht.“ Das hebräische Wort für „nachsinnen“ bedeutet hier wörtlich: murmeln. Als jemand, der Gott nachfolgt, soll ich sein Wort vor mich hinmurmeln, immer und immer wieder wiederholen – es also quasi meditieren. Der Begriff „Meditation“ ist in unserem Verständnis manchmal vorbelastet. Man denkt allzu schnell an fernöstliche Esoterik und die mystische Suche nach sich selbst. Ursprünglich bedeutet Meditation aber einfach, sich von allem anderen gedanklich freizumachen und sich nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Das Ziel dabei ist, zur Ruhe zu kommen, sich zu entspannen, vor allem aber, dieser einen Sache seine vollständige Aufmerksamkeit zu widmen und sie ganz und gar aufzunehmen.

Die Bibel zu meditieren, oder anders: sie meditierend und betend zu lesen, bringt mich dazu, mehr zu tun als nur zu lesen. Indem ich einen Bibeltext bewusst lese, wiederhole und ihn betend vor Gott bringe, ihn quasi mit ihm gemeinsam lese, lasse ich ihn näher an mich heran, nehme ich ihn auf und lasse zu, dass er etwas mit mir macht. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass ich jeden beliebigen Bibeltext auf diese Weise beten kann, nicht nur solche, die sich bereits vom Wortlaut her als Gebet eignen, ganz ähnlich wie beim personalisierten Bibelgebet.

Die Bibel singen

Heutzutage finde ich unzählige christliche Lieder, die auf biblischen Passagen beruhen, teilweise sogar sehr wörtlich. Hier sei beispielhaft wieder das Vaterunser angeführt, das bereits vielfach vertont wurde. Auch in diesem Bereich finde ich eine Bandbreite an Themen: Bekenntnis, Lobpreis, aber auch Klage und Bitte. Solche Lieder kann ich ganz bewusst als Gebet singen.

Und natürlich kann ich auch Bibeltexte ganz direkt singen. Dazu kann ich mir eine eigene Melodie ausdenken oder ihn ganz „kindlich“ und spontan vor mich hinsingen. Das mag erstmal befremdlich klingen. Aber Gesang bietet einen ganz neuen Zugang zu einem Text, lässt Emotionen mit einfließen, bringt eine persönliche Note mit hinein. Hilfreich ist hier vielleicht der Gedanke, dass manche Texte der Bibel auch ursprünglich Lieder waren. Nicht nur die Psalmen, sondern z. B. das bereits genannte Siegeslied Deboras oder das Lied Mirjams, nachdem das Volk Israel durch das Schilfmeer gezogen war (2. Mose 15).

Ein paar Gedanken zum Schluss

Die meisten dieser Ansätze kann ich sowohl allein als auch in einer Gebetsgemeinschaft ausprobieren. Hier stellt sich dann die Frage, was für ein Typ Beter ich bin: Profitiere ich vom gemeinschaftlichen Gebet? Oder kann ich mich besser auf Gott einlassen, wenn ich alleine bin? Im Setting der Gruppe kann das Bibel-Beten sehr hilfreich sein, besonders für diejenigen, die einen gewissen „Performance-Druck“ spüren und nicht gut frei formulieren können, wenn andere zuhören. Das Allein-Beten kann hingegen dabei helfen, sich tiefer auf diese Ansätze einzulassen und in der Gestaltung ganz frei und ungehemmt zu sein.

Hier dürfen wir uns auf einen Weg des Lernens einlassen. Ganz nach der Bitte der Jünger: „Herr, lehre uns beten.“

 

*aus dem Buch: Andreas Kusch: Gott, du Liebhaber des Lebens, Trier, Paulinus, 2013

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Sich vorwärts beten

Ulrich Wendel

MIT GEPÄCK ZUR BURG …

Ein gewundener Waldweg. Ich gehe bergauf und genieße die Natur. Wichtiger aber noch ist mir das Alleinsein und die Stille. Gestartet bin ich in einem geistlichen Einkehrhaus in Hessen, in dem ich für 24 Stunden mein Quartier aufgeschlagen habe. Der Rhythmus von Alleinsein, liturgischem Tageszeitengebet mit anderen, Spaziergängen und Gebet in der hauseigenen Kirche prägt diese Zeit. Für meinen Spaziergang habe ich zwei Ziele. Zum einen möchte ich die nahe gelegene Burg Greifenstein erreichen, die ich sonst meist nur von der Autobahn aus entfernt liegen sehe. Zum anderen will ich eine Sorge mit Gott durchsprechen. In meiner Gemeinde stehen Wahlen zur Leitung bevor. Ich weiß nicht, wie sie ausgehen werden, und habe verschiedene Szenarien durchgespielt. Eine bestimmte Personenkonstellation erscheint mir gar nicht unwahrscheinlich – aber ich kann mir momentan nicht vorstellen, wie wir konstruktiv zusammenarbeiten würden. Ich befürchte, dass wir unterschiedliche Prioritäten bei der nötigen Erneuerung der Gemeinde haben könnten. All das habe ich im Gepäck auf meinem Weg hinauf zur Burg. Was soll ich beten? Dass Gott den Ausgang der Wahl steuert? Dass manche Personen sich nicht zur Verfügung stellen? Ich bete besonders für einen bestimmten Menschen – und für mich selbst: wie ich ihn sehe und ob meine Sicht wirklich die richtige ist. Vor allem ist eine meiner Gebetsrichtungen: Wenn es denn so kommt, dass ich mit diesem Menschen zusammenarbeiten werde, dann soll es ein unbelasteter Anfang sein. Ich möchte meine Sorgen und Vorbehalte nicht in diese Zusammenarbeit hineintragen. Nach einer Kurve tauchen die beiden markanten Türme der Burg auf, deren Anblick ich schon gespannt erwartet habe. Ich freue mich daran, die Burg zu betreten und ein wenig zu erkunden. Dann folgt der Rückweg zu meinem Einkehrhaus. Und auf einmal spüre ich, dass ich „durch“ bin mit meiner Sorge: Sie liegt hinter mir, ich habe sie unterwegs verloren. Ich kann Gott zutrauen, dass er die Arbeit in meiner Gemeinde weiter fördert und voranbringt – egal in welcher Personenkonstellation. Ganz klar: Mein Gebet hat nicht den Menschen verändert, über den ich mir Sorgen gemacht habe, sondern es hat mich selbst verändert.

 

DER FUßBALLER UND DER BISCHOF

Im Sommer 2014 wurde ein Wort populär, das vorher kaum zum Alltagswortschatz gehörte: die Eistonne. Das Achtelfinalspiel der deutschen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien verlief ziemlich schwach. Letztendlich gewannen die Deutschen gegen Algerien zwar nach Verlängerung, aber es war eine Zitterpartie – und Algerien ist nicht gerade als Fußballnation bekannt. Unmittelbar nach dem Spiel wurde der Innenverteidiger Per Mertesacker vor laufender Kamera interviewt. Die Fragen gingen dem erschöpften und entnervten Spieler offenkundig gegen den Strich. „Was wollen Sie jetzt von mir, so kurz nach dem Spiel?“, blaffte er den Reporter schweißgebadet an. „Ich verstehe nicht, was Sie wollen. Wir haben es uns hundertzwanzig Minuten schwer gemacht und gekämpft bis zum Ende. Ich leg mich jetzt erst mal drei Tage in die Eistonne und dann sehen wir weiter.“ Das Video dieser Interview-Sequenz erzielte seitdem Hunderttausende von Aufrufen im Internet. Die Eistonne schien wirklich dringend nötig zu sein: Nicht nur um den geschundenen Körper herunterzukühlen, sondern auch den flammenden Zorn über die Reporterfragen. Zu jeder anderen Gelegenheit wäre der Gedanke an ein Bad in der Eistonne abschreckend – und der Versuch, jemanden hineinzusetzen, würde laut kreischend enden. Aber es gibt Momente, da ist die Eistonne der einzig richtige Ort. Gehen wir von der WM 2014 ein paar Jahrhunderte zurück. Den französischen Bischof Franz von Sales, 1665 heiliggesprochen, stellt man sich kaum so aufbrausend vor wie einen schwitzenden Fußballspieler vor dem Mikrofon eines Sportreporters. Dieser Bischof war für viele Gläubige ein geistlicher Begleiter. In seinem Buch „Philothea“ hat er seine Weisungen gesammelt. Über das Gebet sagt er da: „Das Gebet ist die segensreiche Quelle, deren belebende Wasser die Pflänzchen unserer guten Wünsche zum Grünen und Blühen bringen, jeden Makel von unserer Seele hinwegspülen und das von Leidenschaft erhitzte Herz abkühlen.“

Abkühlen! Wer betet, hat also einen Weg beschritten, Abstand von seinen Leidenschaften zu nehmen. Abstand vom Zorn zum Beispiel und von all dem, was ihn zerreibt. Abstand von meiner Sorge um die Leitungskreiswahl. Das Gebet ist wie eine nötige Eistonne. Der Fußballer und der Bischof empfehlen ganz übereinstimmend Abkühlung, und was Leidenschaften wie Angst, Sorge oder Zorn angeht, weiß der Bischof, wo sie zu finden ist: im Gebet. Wer betet, wird verändert. Viele Menschen in der Bibel haben das erlebt. Zum Beispiel Asaf.

 

VON GEGEN-BITTE ZUR FÜR-BITTE

Es ist eine sehr gute Erfahrung, wenn Gegen-Bitte zu Für-Bitte wird – wenn man also anders aus dem Gebet herauskommt als man hineingegangen ist. Das hat Asaf erlebt. Sein Beten hat ihn umgeformt. Von Asaf stammt der 83. Psalm. Er ist ein Hilferuf angesichts vieler Feinde. Zu Beginn seines Gebets schildert Asaf, was diese Feinde Übles vorhaben – „Kommt, wir wollen das Volk Israel vernichten!“ (5) – und wie viele es sind. Die ethnischen Bezeichnungen, die Asaf aufzählt, lassen das Bild eines internationalen Aufmarsches entstehen, der sich rings um Israel zusammenzieht (6-9). Nach der Lagebeschreibung trägt Asaf Gott seine Bitten vor. Und die sind sehr eindeutig: Er will, dass die Feinde Israels umkommen. Er denkt dabei an die Geschichte seines Volkes, wie wir sie heute noch im Alten Testament nachlesen können. Asaf zählt die großen Gegner der Vergangenheit auf und erinnert sich, wie sie mit Gottes Hilfe besiegt wurden. „Ihre Leichen verrotteten auf der Erde“ (11). Dass Gott so etwas auch in der aktuellen Bedrohung tut, darum bittet Asaf: „Mein Gott, blase sie fort wie Staub, verwehe sie wie Spreu im Wind!“ (14). Das ist kein hochmütiges Gebet, aus Nationalstolz geboren, der das eigene Volk für überlegen hält, das eigene Imperium ausdehnen will und deshalb alle störenden Völker ringsum wegfegen möchte. Es ist vielmehr die Bitte eines kleinen, meist schutzlosen Volkes, das die meiste Zeit seiner Geschichte unter fremder Herrschaft stand und sehr oft mit Vernichtung rechnen musste. Asaf betet nicht von oben herab, sondern mit dem Rücken

zur Wand. Dennoch würden nur wenige heute solche Vernichtungsgebete gern mitbeten. Sie klingen einerseits verständlich, andererseits aber doch weit entfernt von dem, was Jesus über Feindesliebe sagte. Doch es wäre unsererseits hochmütig, wenn wir diesem Beter Israels das Recht bestreiten wollten, so zu beten, während wir selbst auf dem warmen Sofa sitzen. Mit diesen Bitten aber ist Asafs Gebet noch nicht zu Ende. Die Worte fließen weiter aus ihm heraus. Und im letzten Drittel des Gebets ändert sich langsam der Inhalt seiner Bitten. Ein neues Gebetsanliegen formt sich. Nach wie vor möchte Asaf, dass Gott an den Feinden handelt, aber nun nicht mehr so, dass sie dabei umkommen. Vielmehr sollen sie vor Gott erschrecken und vor den anderen lächerlich dastehen. Ihre Pläne sollen scheitern. Und das alles soll einem bestimmten Zweck dienen: „[…] dass sie anfangen, Herr, nach deinem Namen zu fragen. […]. Was sie auch tun, es soll ihnen misslingen, bis sie erkennen, dass du allein Herr genannt wirst, der Herrscher über die ganze Erde“ (17-19). Tote können nicht mehr nach Gott fragen. Leichen können Gott nicht erkennen. Die Gebetsziele von Asaf, die er zum Schluss nennt, setzen also voraus, dass die Feinde am Leben bleiben – dass Gott sie jetzt doch nicht umkommen lässt! Mit den Feinden soll etwas passieren. Sie sollen nach außen hin keine Gefahr mehr sein und zugleich sollen sie im Inneren verändert werden. Wenn sie dann wirklich Gott als Herrn erkennen und „nach seinem Namen fragen“, dann sind sie sogar dem Volk Gottes ein Stück ähnlich geworden. Dann stehen sie nicht mehr nur dem Beter Asaf gegenüber, sondern an seiner Seite – denn auch Asaf ist ja jemand, der nach Gott fragt und ihn als Herrscher der Welt bekennt. Das Gebet von Asaf hat sich verändert. Asaf hat sich vorwärtsgebetet. Er ist woanders angekommen, als er anfangs vorhatte. Aus der Gegen-Bitte ist eine Für- Bitte geworden. Das Muster von Gewalt und Vergeltung ist aufgebrochen. Am Ende steht nicht die Rache, sondern – wenn man so will – die „Bekehrung“ der Feinde. Mit diesem Psalm kann man nicht das gesamte Problem der sogenannten Rachepsalmen erklären. Es bleiben immer noch genug Psalmen in der Bibel, in denen die Bitte um Vergeltung tatsächlich das letzte Wort hat und das angestrebte Ziel ist. Aber im Gesamtbild der biblischen Rachepsalmen ist dieser 83. Psalm ein wichtiger Mosaikstein. Auch das gibt es, dass der Beter, während er betet, auf andere Gedanken kommt. Das Beten hat den Beter verändert.

 

LINIENBUS UND HEIßLUFTBALLON

Wer eine Gebetserfahrung macht, wie wir sie bei Asaf beobachten konnten, der hat eine besondere Art des Betens kennengelernt: das Heißluftballon-Gebet. Die meisten unserer Gebete gehören einem anderen Typus an, nämlich dem Linienbus-Gebet. So wie ein Bus eine Haltestelle nach der anderen anfährt, so steuern viele unserer Gebete ein Anliegen nach dem anderen an. Wir tragen es Gott vor, wir sagen, was wir brauchen, und danach geht es weiter zum nächsten Anliegen. So machen wir die Runde und haben am Ende alle Dinge angesprochen, bei denen wir Gottes Hilfe benötigen. Diese Art zu beten ist völlig okay, sie ist sinnvoll und entspricht unserem Verhältnis zu Gott: Er ist der Vater und der überreiche Herr; wir sind seine Kinder, die auf ihn angewiesen sind. Wenn Gottes Wort uns auffordert: „In allem sollen durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden“ (Phil 4,6), dann ist unser Gebet eben auch vollgepackt mit vielerlei Bitten. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass Paulus so viele verschiedene Worte für das Beten (Gebet, Flehen, Danksagung, Anliegen) verwendet. Dem entspricht eine Fülle verschiedener Bitten. Indem ich mit ihnen zu Gott komme (anstatt allein darüber nachzugrübeln und diese Sorgen bei mir zu behalten), ehre ich Gott, denn ich bekenne: Er ist der Geber guter Gaben, von ihm erwarte ich viel. Doch es wäre schade, wenn das Linienbus-Gebet der einzige Gebetstypus wäre, den wir praktizieren. Eine notwendige Ergänzung ist das Heißluftballon-Gebet. Eine Ballonfahrt startet an einem festgelegten Punkt. Die ungefähre Richtung der Reise kann man zuvor abschätzen, nämlich entsprechend der vorherrschenden Windrichtung. Aber wohin es dann wirklich geht und an welchem Fleck man schließlich landen wird, das ist ziemlich offen. Unter anderem darin liegt ja der Reiz einer Ballonfahrt. Es kann sein, dass der Wind zwischenzeitlich dreht. Es kann sein, dass die Richtung in höheren Luftschichten eine andere ist – oder dass zumindest die Windgeschwindigkeit ganz anders ist als in Bodennahe. Also darf man gespannt sein, wo man zur Landung ansetzen wird. Ganz ähnlich können manche unserer Gebetszeiten sein. Man hat anfangs im Kopf, was man vor Gott ansprechen mochte. Doch dann nimmt das Gebet seine eigene Richtung. Wir werden in Gegenden getragen, die wir so vielleicht noch gar nicht kannten – oder in durchaus wohlbekannte Gegenden, die wir für heute aber gar nicht im Blick hatten. Die Winde – oder besser gesagt: die Führungen von Gottes Geist – setzen uns dort ab, wo wir aus Gottes Sicht hingelangen sollten. Und von dort aus kehren wir dann in den Alltag zurück. Wir haben dafür einen neuen Ausgangspunkt bekommen. Das Heißluftballon-Gebet hat uns verändert. Wir wurden geformt, wie Asaf in Psalm 83 während seines Gebets geformt wurde. Ich erlebe das nicht nur beim stillen oder laut ausgesprochenen Gebet, sondern auch, wenn ich morgens vor dem Frühstück mein Gebet im Notizbuch aufschreibe. Plötzlich steht etwas da, von dem ich eben noch nicht wusste, dass ich es beten und schreiben wollte.

 

DER VERÄNDERUNG EINE CHANCE GEBEN

Meine Erfahrung ist: Beten in einem oft rasanten Alltag fallt nicht leicht. Fokussierte Zeiten müssen meist erkämpft werden oder zumindest bewusst geplant. Mir stehen zu oft die Gebetshindernisse vor Augen: Was wäre nicht alles erforderlich, um mehr Gebet in meinen Wochenablauf zu platzieren! Und wenn es gelingt, ist ja noch nicht ausgemacht, welche Qualität dann diese Zeiten haben, wie fokussiert ich also wirklich sein werde. Deshalb tut es mir gut, meinen Blick auf die überraschenden Möglichkeiten des Gebets zu lenken. Es ermutigt mich, wenn ich mir klarmache, was alles mit mir geschehen kann, wenn ich bete. So zu bleiben, wie ich bin, ist selten das, was ich brauche. Viel häufiger brauche ich Veränderung: eine neue Perspektive, eine neue Einstellung, eine neue Kraft, die von mir ausgeht. Wie gebe ich dieser Veränderung eine Chance? Ganz klar – indem ich bete …

 

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Legenden über die Bibel: Der Feigenbaum

Von Dr. Ulrich Wendel

„Der blühende Feigenbaum ist Symbol für die Staatengründung Israels“

Über die Bibel kursieren viele Ideen, die zwar populär sind, aber der Nachprüfung nicht standhalten: Maria Magdalena war eine Prostituierte, das „Nadelöhr“ war ein Stadttor in Jerusalem – und manches mehr…

 

„Wenn der Feigenbaum blüht …“ – so oder ähnlich lauten die Titel von Predigten oder frommen Infoschriften über Israel. Im Ton einer gespannten Erwartung wird dann oft gesagt: Jesus habe Israel mit dem Feigenbaum verglichen. Wenn der blüht, sei die allerletzte Zeit angebrochen. Weil nun der Feigenbaum in der Bibel ein Symbol für Israel sei und weil 1948 die Welt zusehen konnte, wie der Staat Israel sich gründete, sei diese Prophetie von Jesus dabei, in Erfüllung zu gehen.

Zweifellos wäre es atemberaubend, direkter Zeitgenosse zu sein, wenn eine biblische Ankündigung sich erfüllt. Bloß: In der Bibel ist der Feigenbaum gar kein besonderes Symbol für Israel! Die Stellen, die dafür gelegentlich genannt werden, sprechen mal von zwei Sorten Feigen (Jeremia 24,1-10), mal von einer Feige zusammen mit Weintrauben (Hosea 9,10), mal von einem Weinstock und einem Feigenbaum (Joel 1,7). Wer das Alte Testament liest, käme kaum auf die Idee, unter den Bildworten für Israel würde gerade der Feigenbaum eine hervorstechende Rolle spielen.

Jesus hat den Feigenbaum dann als Gleichnis angeführt (Matthäus 24,32-44). Aber als Gleichnis wofür? Dafür, dass es Abläufe in der Geschichte gibt, die man an ihren Vorzeichen erkennen kann. So wie man den bevorstehenden Sommer daran erkennt, dass der Feigenbaum Blätter hervorbringt, so hat auch die letzte Zeit der Geschichte vorab ihre Hinweise. Jesus spricht hier weder speziell von Israel noch vom „Blühen“ des Feigenbaums. Und in der parallelen Stelle Lukas 21,29 sagt er: „Seht den Feigenbaum und [überhaupt] alle Bäume“. Es geht Jesus also gar nicht um einen speziellen Baum, sondern allgemein darum, dass Bäume eben zu bestimmter Zeit ausschlagen. Mehr ist nicht gesagt.

Dass die Staatengründung Israels eine Erfüllung des Jesuswortes vom Feigenbaum sei, ist leider ein Beispiel dafür, dass man ein Bibelwort erstens ungenau gelesen hat und zweitens noch mit Vorstellungen auffüllte, die weder dort noch im weiteren Zusammenhang zu finden sind.

Nun gibt es noch eine zweite Begebenheit, die mit Jesus und einem Feigenbaum zu tun hat. Als Jesus in Jerusalem kurz vor dem Passahfest einen Feigenbaum ohne Früchte sah und dort also nicht frühstücken konnte, kündigte er diesem Baum die Vernichtung an. Der verdorrte daraufhin augenblicklich (Matthäus 21,18-22) bzw. am nächsten Tag (Markus 11,20). Zu dieser Jahreszeit wären normalerweise die kleinen Vorfeigen zu erwarten gewesen, aber an diesem Baum nun fehlten sie. Immer wieder wird diese Stelle so ausgelegt, dass Jesus mit dieser Szene zeichenhaft Israel verflucht habe. Diese Auslegung hätte aber nur dann eine Basis, wenn man als Bibelleser beim Feigenbaum unwillkürlich an Israel denken müsste – dieser Zusammenhang fehlt aber eben in der Bibel! Allzu oft haben Christen gemeint, Gott habe sein Volk verflucht. Auch die Begebenheit mit dem Feigenbaum wurde dazu missbraucht. Zwar folgt im Markusevangelium auf die Verfluchung des Feigenbaums sogleich die Szene, in der Jesus im Tempel die Händler hinauswirft (Markus 11,16-19), aber das hat mit einem „Fluch“ über den Tempeldienst nichts zu tun. Jesus übt hier als Prophet eine Kritik am Tempel, wie sie schon aus dem Alten Testament (z.B. in Jeremia 7,1-15) bekannt ist.

Die eigentliche Bedeutung seines Wortes gegen den Feigenbaum hat Jesus seinen Jüngern selbst klar und deutlich gezeigt: Das glaubende Gebet hat eine genauso starke Wirkung wie das Vernichtungswort von Jesus an diesen Baum (Matthäus 21,21-22). Mehr wollte Jesus nicht sagen.

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Vertrauter Schutzraum

von Dr. Ulrich Wendel

Wenn Gott uns anrührt, dann hat das oft große Wirkung. Aber diese Wirkung muss nicht von Dauer sein. Es kann auch sein, dass sie verpufft: Jesus sprach im Gleichnis von Vögeln, die das Wort wegpicken, oder von Dornen, die es überwuchern.

Wie kann man einen Ort schaffen, an dem das, was Gott an uns tut, geschützt ist und sich auswirkt? In unserer Gemeinde bieten wir seit Jahren regelmäßig nach dem Gottesdienst einen Fürbitte- und Segnungsdienst an. In einem Nebenraum ist ein Beter bereit – manchmal sind es auch zwei –, für das Anliegen zu beten, das jemand mitbringt. Das Gebet hat oft den Charakter der Fürbitte; das heißt: Beide kommen gemeinsam zu Gott und möchten etwas empfangen. Wenn es passt, mündet die Fürbitte aber auch in ein Segnungsgebet. Dann ist der Beter der Gebende und derjenige, der mit einem Anliegen kam, der Empfangende.
Der Wunsch, für sich beten zu lassen, kann ganz frisch in diesem Gottesdienst entstanden sein. Dann ist der Segnungsdienst der nötige Schutzraum, damit diese eben erst erfahrene Gottesbegegnung nicht im Alltag schnell wieder verblasst. Im gemeinsamen Gebet kann man vor Gott etwas festmachen. Oft kommen aber auch Menschen zum Segnungsdienst, die eine Sorge schon länger mit sich herumtragen. Sie wissen: Spätestens am kommenden Sonntag finde ich Menschen, die mit mir beten.
Genau darin liegt der große Gewinn dieses Angebotes: in der Regelmäßigkeit. Es ist unseren Gottesdienstbesuchern vertraut geworden, dass man für sich beten und sich segnen lassen kann. Das ist der Normalfall. Deshalb macht es auch nichts, wenn an manchen Sonntagen niemand kommt. Dass auf jeden Fall Beter da sind, wenn jemand hätte kommen wollen – das ist uns ganz wichtig.
In dieser meist recht kurzen Begegnung findet keine Beratung und keine Seelsorge statt. Das würde den Rahmen sprengen. Wir wollen aber auch nicht den Eindruck vermitteln, dass jedes Problem mit einem Gebet zu „reparieren“ wäre. Deshalb empfehlen wir, wenn es angebracht ist, sich weitergehende seelsorgliche Hilfe zu suchen.
Für mich ist es bewegend, wenn ich später Menschen in der Gemeinde begegne, von denen ich weiß: Für die dürfte ich beten, sie haben Gottes Segen empfangen, Gott hat etwas in ihr Leben hineingelegt. Es berührt mich auch, wenn ich erlebe, dass gestandene Männer im Gebet ihre Tränen nicht zurückhalten müssen – dieser Schutzraum ist da. Vor einiger Zeit suchte ein jüngerer Mann den Gebetsdienst auf, weil eine wichtige Entscheidung vor ihm lag. Wir beteten um Gewissheit und inneren Frieden. Ein paar Wochen später wurde seine bevorstehende Hochzeit bekanntgegeben. Und ich freute mich still: Da hat Gott gewirkt, und unser gemeinsames Gebet konnte etwas dazu beitragen.

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Gebets-Container

Von Ulrich Eggers

Ich freue mich, dass überall in unseren Ländern Gebetshaus-Initiativen aus dem Boden sprießen oder sogar schon in schöner Blüte stehen. Das ist ein starkes Zeichen für ein ganz neues Verständnis von Gebet. Und für dessen Wichtigkeit.

Und je nachdem, wie Sie gestrickt sind, werden Sie jetzt sagen: „Genau! So ist es! Das habe ich ja schon immer gesagt!“ Oder Sie werden vielleicht auch leise denken: „Oh nein, jetzt auch noch er!“ Und ehrlich gesagt: Dass gerade ich mich daran freue, überrascht mich auch. Denn eigentlich bin ich manchmal eher genervt von den Gebets-Promotern, Gebets-Messern und Gebets-Forderern in unserer frommen Landschaft. Neulich traf ich den Gründer eines der Gebetshäuser und fragte ihn nach dem Werden seiner Arbeit. „Eigentlich war ich immer eher genervt vom Gebet …“ begann er. Und das fand ich schon mal einen guten Start, der mir das Zuhören erleichterte und mich hinein nahm in eine Mitfreude an seinen Entdeckungen.

Auch ich halte Gebet für unverzichtbar. Ich lebe mein Leben zu Gott hin. Bin ständig im Gespräch mit ihm – rede, denke, bitte, danke laufend und ansatzlos und beziehe ihn ein – so gut es geht und so wach und Gottes-gegenwärtig ich gerade bin. Denn ich weiß ihn ja um mich, lebe in seiner Gegenwart. Gebet ist Beziehung, ist Leben, ist das eine wesentliche Lebensmittel. Und, ja – manchmal bete ich auch laut oder zu einem Anlass – oder weil es gerade dran ist auf irgendeiner Tagesordnung. Aber ich bin auch genervt. Zumindest davon, dass Gebet so ein Container-Begriff ist, den Christen so völlig unterschiedlich füllen. Der so überlagert ist mit Vorstellungen und Erwartungen und Fremdheiten, die mich jedes Mal vor die Frage stellen, ob ich da wirklich mitmachen mag und ob ich mein belastetes geistliches Immunsystem damit weiter de-sensibilisieren soll.

 

„Ach“, denken Sie jetzt vielleicht, „was macht es sich der Mann so schwer! Wo ist denn da das Problem?“ Das Problem sind unsere Gebets-Container – ihre so völlig unterschiedliche Füllung:

Da sind die Befürworter, die überzeugt sind, dass nur mit Gebet Entscheidendes passiert. Und sie machen sich zum Lobbyisten dieses Verständnisses und versuchen möglichst viele werbend zu verpflichten, denn – komisch – diese Erkenntnis allein zu leben, reicht ihnen nicht. Und so missionieren sie mit ihrem Gebets-Container und nehmen die Menschen unter die pädagogische Knute ihrer Erkenntnis – und stoßen auf Leute, die seufzend die Augen verdrehen – denn wer mag schon gegen Gebet sein? Also machen sie knurrig mit – oder nicht. Denn sie wollen nicht verhaftet werden von einem Überzeugungs-Feldzug, der ihr Herz nicht erreicht. Und der nichts nützt, wenn das Herz nicht erreicht ist. Und Gott sieht das Herz an.

Oder da sind die „Gebets-Messer“, die das Vorhandensein von Gebet nutzen wie einen Lackmustest und ihr Häkchen setzen an eine Situation und zuverlässig zu wissen meinen, ob man diesem oder jenem Menschen überhaupt vertrauen kann – denn er hat ja „vorher“ gebet – oder eben nicht. Und die Welt ist in Ordnung – aber was und wie gebetet wurde, ist eigentlich egal, denn dieser Gebets-Container ist eine Art geistliches Mess-Verfahren und hat gelegentlich eine mehr horizontale Bedeutung. Gebet ist da eine Chiffre, dass da wohl einer glaubt – dass ich da wohl beruhigt sein kann, dass nun wohl alles gut ist.

 

Ich bin viel unterwegs in der christlichen Szene, und ich erlebe so etwas – formalistische, rituelle, gruppendynamische Ansätze von Gebet – öfter einmal. Und man könnte da noch manches erzählen – aber man kann es auch lassen. Denn ich will das ja gar nicht schlecht machen, wo es gefüllt und echt und innig ist. Und Missbrauch und Gefährdung bedeutet ja noch lange nicht, dass man es nicht gut oder besser oder richtig machen kann! Und ich kann auch vieles mit gutem Willen akzeptieren. Und wir sind ja alle unterschiedlich – aber eben: Wir sind unterschiedlich! Und deswegen erlaube ich mir, nicht einfach jede Erwartung zu bedienen oder alles mitzumachen. Es ist ein feiner Grat – aber ich möchte da zu mir stehen. Und will da zugleich auch kein Verbrannter oder Enttäuschter sein, der nicht mehr zum guten Gebrauch findet, weil er immer wieder einmal schrägen Gebrauch sieht.

 

Eben deswegen bin ich so froh, dass in den Gebetshäusern etwas Neues entsteht: Dass hier Gebet nicht zuerst als Ritus, Methode oder absolvierbare Pflicht gesehen wird, sondern als eine große weite Chiffre für das Sein vor Gott, für Begegnung und Kommunikation mit ihm. So, wie es mir mit meiner Frau geht: Alles ist schöner, wenn sie dabei ist. Überall ist mir wohler, wenn ich sie habe.

Was also ist drin in unserem Gebets-Container? Was wollen wir wirklich? Die Begegnung mit dem heiligen fremden fernen nahen Gott, den wir ehren und dem wir folgen – guter Papa und ungezähmter Löwe, verzehrende Glut und anziehende Wärme? Oder geht es uns um unsere Einsicht oder eine Methode oder einen Situationstest oder einen Hype oder eine Richtigkeit?

Jeder prüfe sich da selbst. Und keiner lasse sich sein Kostbares hinterfragen – auch nicht von mir. Aber jeder gehe auch ins stille Kämmerlein und prüfe, was da Bestand hat. Denn die stillen Orte scheinen mir immer noch der beste Platz für Gebet und Begegnung. Und mein persönlicher Alltag – 24/7.

 

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