Beiträge

Als Afrikaner in der Gemeindeleitung

Dr. Ulrich Wendel

Serie: Unbekannte Personen der Bibel

Luziusʼ Weg von Kyrene nach Antiochia

Beten, auf Gott hören und andere Christen unterrichten: Das waren die Aufgaben von Luzius, als er in der Gemeinde von Antiochia lebte. Diese Stadt am Orontes heißt heute Antakya und liegt im südlichen Zipfel der Türkei. In neutestamentlicher Zeit gehörte sie zur römischen Provinz Syrien. Die Gemeinde in Antiochia war eine der wichtigsten des Urchristentums. Luzius gehörte dort zu einem fünfköpfigen Team von urchristlichen Propheten und Lehrern (Apostelgeschichte 13,1), trug also große Verantwortung, die er mit anderen teilen konnte.

Nordafrikaner in Jerusalem

Wo kam Luzius her und wie kam er nach Antiochia? Seine Heimat war Kyrene. Diese Stadt lag unweit der nordafrikanischen Mittelmeerküste, im heutigen Libyen. Luzius war also Afrikaner – aus einer Region, die berberisch und arabisch geprägt war. Er war vermutlich aber nicht unmittelbar von Nordafrika nach Antiochia übergesiedelt. Denn wir wissen von der dortigen Gemeinde, dass sie entstand, als kyrenische Christen aus Jerusalem fliehen mussten und nach Antiochia kamen (Apostelgeschichte 11,20). Die Annahme liegt auf der Hand, dass Luzius einer von ihnen gewesen ist. Sein Aufenthalt als Afrikaner zuvor in Jerusalem war nichts Ungewöhnliches. Es gibt verschiedene Hinweise auf Juden aus Kyrene, die in Jerusalem lebten. Einer davon ist Simon von Kyrene, der das Kreuz von Jesus nach Golgatha trug (Markus 15,21). Während des Wochenfestes, das dann zum Pfingstfest wurde, weil Gott seinen Geist ausgoss, waren auch Pilger aus Kyrene in der Heiligen Stadt (Apostelgeschichte 2,10). Doch nicht nur Festtagsbesucher, sondern auch dauerhaft angesiedelte kyrenische Juden gab es dort, sodass man sich sogar in einer eigenen „Synagoge der Kyrenäer“ traf (Apostelgeschichte 6,9).

Luzius könnte also einer dieser Kyrener gewesen sein, der während der Pfingstpredigt von Petrus oder etwas später zum Glauben an Christus kam. Eine andere Möglichkeit wäre, dass er in seiner Heimatstadt Christ wurde. Manche nehmen an, dass in Kyrene schon früh eine Gemeinde entstanden war. Der Missionsforscher Eckhard Schnabel weist darauf hin, dass viele Juden zwischen Jerusalem und Kyrene und zwischen Antiochia und Kyrene hin- und herreisten. Frühe christliche Missionare könnten auf diesen Wegen ebenfalls rasch nach Nordafrika gekommen sein. Wenn sie es waren, die Luzius zum Glauben führten, dann wäre er nicht schon mit der Vertreibungswelle aus Jerusalem nach Antiochien gekommen – sie geschah um 31/32 n. Chr., als wohl noch keine Gemeinde in Kyrene existierte –, sondern erst später.

Propheten und Lehrer in Antiochia

Wie auch immer: Um das Jahr 45 n. Chr. treffen wir ihn jedenfalls als einen aus der Gruppe der Propheten und Lehrer in der Gemeinde am Orontes an. Hier war er an einem Gottesdienst beteiligt, der zur ersten Missionsreise von Saulus führte. Und wie das genau vor sich ging, darauf lohnt es sich einen näheren Blick zu werfen.

Barnabas und Saulus wurden von der Gemeinde als Missionare ausgesandt, nachdem der Heilige Geist eine Berufung ausgesprochen hatte. Dieses Reden des Geistes ereignete sich, als die erwähnten fünf Propheten und Lehrer (vielleicht zusammen mit der ganzen Gemeinde) fasteten und beteten. Die späteren Reisemissionare Barnabas und Saulus gehörten selbst zu dieser Fünfergruppe, waren also prophetisch und didaktisch begabt. Die übrigen drei waren eben jener Luzius aus Kyrene, dann ein Mann namens Manaën und schließlich Simeon mit dem Beinamen Niger. Es ergibt sich ein bemerkenswertes Bild. Saulus stammte aus Tarsus in Kilikien, an der Südküste Kleinasiens (der heutigen Türkei). Barnabas kam gebürtig aus Zypern. Manaën war als Jugendlicher mit dem späteren Herrscher Herodes Antipas aufgezogen worden, sicherlich in Jerusalem. Von Luzius kennen wir ja seine Herkunft aus Nordafrika. Und der Fünfte in der Gruppe war höchstwahrscheinlich ebenfalls ein Afrikaner – sein Beiname „Niger“ heißt übersetzt: der Schwarze.

Wo „schwarzes Leben zählte“

Der Kreis der verantwortlichen Propheten und Lehrer war also multikulturell zusammengesetzt und bestand zu zwei Fünfteln aus Afrikanern. Nachdem der Zypriot Barnabas und der Kilikier Paulus auf Reisen geschickt worden waren, waren die Afrikaner – zumindest eine Zeitlang, wir wissen ja nichts, darüber, ob und wie der Kreis dann ergänzt wurde – in der Mehrheit. Mindestens einer dieser beiden Afrikaner war durch seine schwarze Haut unübersehbar als solcher erkennbar. Ob sich auch Luzius durch seine Hautfarbe abhob, ist schwer zu sagen. Der Teint von Libyern und Syrern (wo Antiochia lag) war vielleicht nicht so unterschiedlich wie von – sagen wir – weißen Amerikanern und Afroamerikanern. Doch allen war bewusst, dass auch Luzius aus Afrika kam: Sein Beiname war unmissverständlich.

Unseren westlich geprägten Kulturen muss gerade in diesem Jahr neu bewusst gemacht werden, dass „schwarzes Leben zählt“ (Black Lives Matter, so das Motto einer ursprünglich US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung). Auch unter Christen ist es nicht überall selbstverständlich, Schwarzen ohne Vorbehalte zu begegnen. Luzius aus Kyrene zeigt uns, wie integrativ christliche Gemeinden sein können und sollen. Schon in Jerusalem gehörten ja „Männer aus Kyrene“ fraglos dazu. Und aus Antiochien am Orontes ist uns überliefert, dass Dunkelhäutige (oder People of Color, wie man heute sagen würde) die Gemeinde selbstverständlich prägten und erhebliche Verantwortung in ihr trugen.

Vorhut von Gottes neuer Welt

Luzius und die anderen, die seinen Dienst begrüßten, unterstützten und daraus Nutzen zogen – sie waren eine Vorhut. Die Vorhut der großen Menge „aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen“, die in der Vollendung Gott auf seinem Thron anbeten werden (Offenbarung 7,9). Und wenn der neue Himmel und die neue Erde Realität sind, heißt es: Gott „wird bei ihnen wohnen und sie werden seine Völker sein“ (Offenbarung 21,3) – ethnische Vielfalt also auch dann noch! Das ist Gottes Zukunft. Luzius und seine Mitchristen lebten bereits ein Stück davon.

 

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Inspirierter beten

Lydia Rieß

 

Wie die Bibel das Gespräch mit Gott belebt

„Herr, lehre uns beten.“ Diese Bitte tragen die Jünger an Jesus heran (Lukas 11,1). Beten – ist das nicht etwas, das man einfach macht? Anscheinend nicht. Denn Jesus geht auf diese Bitte ein und gibt den Jüngern ein Beispiel: das Vaterunser. Ein Gebet, das bis heute die Christenheit verbindet. Und eines, das wir direkt und sehr wörtlich aus der Bibel übernommen haben. Beten ist also etwas, das ich lernen kann. Und auch etwas, bei dem ich mich an Vorbildern orientieren darf.

Die Praxis des Bibelbetens greift genau diesen Gedanken auf. Wie das Vaterunser zeigt, ist es an sich nichts Ungewöhnliches, direkt mit Versen aus der Bibel zu beten. Manchmal erweist es sich als sehr wertvoll, wenn ich Worte verwende, die bereits seit Jahrtausenden festgeschrieben sind. Gerade das Gebet mit den Texten der Bibel führt mich zurück zum Ursprung: zu Gott selbst, zu seinem Wort und zu den Erfahrungen, die Menschen in den vergangenen Jahrtausenden mit ihm gemacht haben. Die Worte der Schrift helfen mir dabei, Gott wieder näher zu kommen und ihn besser kennenzulernen. Eine gute Voraussetzung für ein gelingendes und tiefes Gespräch.

Die Reise zurück zu den Wurzeln kann ein eingeschlafenes Gebetsleben erneuern, aber auch neue Impulse in eine bereits lebendige Praxis hineinbringen. Sie kann mir helfen, den Blick von meinen eigenen, festgefahrenen Problemen wegzulenken und hin zu Gott zu öffnen. Die Personen der Bibel hatten ähnliche Lebensthemen und -fragen wie wir heute. Ihre Worte können mir dabei helfen, diese Themen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und mit ihnen gemeinsam in Gottes Richtung zu schauen.

Es gibt verschiedene Ansätze des Bibel-Gebets. Einen Rat findet man bei allen: Wer die Bibel betet, sollte sie laut beten. Das hilft mir, stärker bei der Sache zu bleiben und mich besser in die „Gesprächssituation“ mit Gott einzufinden. Schon der Philosoph Wittgenstein wusste: Sprache schafft Wirklichkeit. Das, was ich laut ausspreche, ist für mich realer als das, was ich nur denke. Ich gebe meinen Worten mehr Gewicht und mache sie auch für mich selbst realer, greifbarer und konkreter.

Aber nicht nur das laute Sprechen ist von Bedeutung, sondern auch das, was ich sage. Bei den verschiedenen Varianten des Bibel-Betens geht es nicht darum, einfach laut aus der Heiligen Schrift vorzulesen und das dann Gebet zu nennen. Vielmehr soll die Bibel hier eine Stütze sein: zum einen, um Worte zu finden für das, worum ich beten möchte; zum anderen, um mich bewusst auf die Suche nach Gott zu machen.

Das Themen-Gebet

Beim Themen-Gebet stelle ich einzelne Passagen bzw. Verse der Bibel zu einem Gebet zusammen, um gezielt für bestimmte Themengebiete, Lebensbereiche oder auch Personen zu beten. Die Passagen kann ich mithilfe einer Konkordanz oder der Suchfunktion einer Online-Bibel nach Stichworten finden. Aus diesen Passagen erstelle ich mir in leichter Abwandlung Gebete – die Bibel wird hier also eher paraphrasiert. Ein Beispiel für ein Gebet für Angehörige und geliebte Menschen:

Gott, du bist ein Gott, der uns sieht (1. Mose 16,13). Herr, erlöse die, die ich liebe, von den Mächten der Finsternis (Kolosser 1,13) und hilf ihnen, die Rüstung des Lichts anzulegen (Römer 13,12). Hilf ihnen, in ihrem täglichen Leben den Herrn Jesus Christus „anzuziehen“ (Römer 13,14) und der Maßlosigkeit und den Versuchungen des Lebens zu widerstehen (Römer 13,13) …

Solch ein Gebet kann ich mir entweder selbst zusammenstellen oder auch von anderen übernehmen. Ich kann mir sogar ein kleines „Gebetsbuch“ mit verschiedenen Themen erstellen (auf Englisch gibt es Anregungen z. B. hier: http://www.prayingscriptures.com/praying-in-victory.shtml). Ich kann diese Gebete immer wieder neu beten, erweitern, Passagen austauschen und auch wieder herausnehmen: gerade so, wie es die Situation, die Person oder meine eigene Haltung erfordern. Durch die Kombination aus direkten Bibelworten und meiner eigenen, persönlichen Auswahl habe ich ein Gebet, das Gottes Nähe sucht und sehr direkt nach seinem Willen fragt, aber doch auch „mein“ Gebet ist.

Biblische Gebete beten

Sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament finden sich zahlreiche schriftlich festgehaltene Gebete. Die bekanntesten sind natürlich die Psalmen, die allein deshalb schon hochspannend sind, weil sie die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen und Lebensthemen abdecken – von Todesangst über Einsamkeit, Klage und Fragen des Glaubens bis hin zu Jubel und Begeisterung. Aber auch an anderen Stellen gibt es solche Gebete in sehr verschiedenen Formen: als Dank- und Lobgesänge, als Buß- und Bekenntnistexte, als Bitten und Fragen, voll von tiefer Verzweiflung oder übersprudelnder Freude.

Da ist das Gebet von Hanna, als sie Gott für den erbetenen Sohn Samuel lobt (1.Samuel 2,1-10). Oder das Siegeslied Deboras (Richter 5) und das Lied Mirjams und Israels, nachdem sie das Schilfmeer durchquert hatten (2. Mose 15). Das Buch Hiob ist stellenweise ein einziges Klagegebet, gekrönt am Ende durch ein Glaubensbekenntnis direkt an Gott. Im Neuen Testament finden sich der Lobgesang Marias (Lukas 1,46-55) und der Lobgesang des Zacharias (Lukas 1,67-79); Paulus hat verschiedene tiefgehende Gebete (z. B. Römer 16,25-37; Epheser 3,14-21; 2. Thessalonicher 2,16-17), und auch die Offenbarung des Johannes ist voll von Gebeten. Diese biblischen Gebete können uns zu „Lehrern werden, die uns beibringen, wie wir mit Gott kommunizieren können“, so beschreibt es Philip Collins, Professor für Christian Ministries an der Taylor University in Upland, Indiana.

Obwohl diese Gebete bereits in sich geschlossen und fertig sind, ist es ratsam, nicht blind drauflos zu beten, sondern bewusst Texte auszusuchen: solche, die zu meiner Situation passen und die mir Worte geben, die ich guten Gewissens zu meinen eigenen machen kann. Außerdem ist es stellenweise klug, Verse auszulassen (so macht es für das persönliche Gebet eher wenig Sinn, über „Schamgar, den Sohn Anats, zu den Zeiten Jaëls“ zu beten wie in Richter 5,6). Indem ich ein solch „fremdgeschriebenes“ Gebet bete, nehme ich die Perspektive der Person ein, die es ursprünglich betete – als Dankende, als Bittender, als Zweiflerin oder Trauernder.

Verheißungen beten

„Wenn wir Gottes Verheißungen laut beten, fangen wir an, Gottes Pläne und Ansichten zu verstehen. Wir bringen unsere Sehnsucht in Einklang mit der seinen“, so Debbie Przybylski, Gründerin eines internationalen Gebetsdienstes. Die Bibel ist voll von Verheißungen, die nicht nur Israel und den Menschen damals, sondern auch uns heute noch gelten. Sie sind in vielfacher Hinsicht ein passendes Gebetsthema: als Bekenntnis und Dank für Lebensbereiche, in denen ich bereits erlebe, wie sich diese Verheißungen erfüllen. Zur eigenen Erbauung und zum Trost, indem ich mich selbst daran erinnere, dass Gott es gut mit mir meint. Als Buße und Bitte um Vergebung, wo ich diesen Verheißungen nicht traue und selbst nach Kontrolle über mein Lebensglück strebe. Und im Ringen mit Gott, wenn ich sein Wirken und seinen Segen in meinem Leben nicht wahrnehmen kann. Verheißungen kann ich mit Hilfe einer Konkordanz oder der Wortsuche einer Online-Bibel finden. Hier hilft auch eine ganzheitliche Sicht: Auch Verheißungen des Alten Testaments kann ich mit dem Wissen beten, dass viele davon in Jesus Christus erfüllt, bestätigt oder auch in ein neues Licht gestellt worden sind.

Als Beispiel sei hier Hesekiel 36,26 angeführt: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“

Einen solchen Vers kann ich sehr vielfältig beten. Als Dank: „Danke, dass du mich erneuern willst mit deinem Geist. Danke, dass du mein steinernes, totes Herz lebendig machen willst.“ Als Bitte: „Erfülle mich neu mit deinem Geist! Nimm mein steinernes Herz weg und gib mir ein fleischernes!“ Als Buße: „Ich habe mein Herz dir und den Menschen gegenüber verhärtet. Ich habe ein steinernes Herz. Vergib mir und schenke mir ein Herz aus Fleisch.“

Die Ermutigungs-Tabelle

Ähnlich wie das Gebet mit Verheißungen ist diese Variante von Andreas Kusch*. Diese Gebetsform eignet sich vor allem in Zeiten von Not, Trauer und Schmerz. Es geht um einen Perspektivwechsel: „Wir schauen nicht auf das Dunkel, sondern auf den, der das Dunkel wenden kann. Die Zusagen und Verheißungen Gottes dürfen wir den Gedanken der Hoffnungslosigkeit und Gottverlassenheit entgegenstellen“, so beschreibt es Kusch. Diese Gebetsform sieht zunächst etwas „technisch“ aus, hilft aber gerade durch das systematische Vorgehen, im Gebet konkret zu werden.

Dabei ist Vorbereitung erforderlich, und zwar in Form einer Tabelle. In der ersten, durchgehenden Spalte formuliere ich die Situation, die mich gerade belastet. Die zweite Spalte wird in Zeilen unterteilt. In diese Zeilen trage ich die Gefühle ein, die für mich mit der Situation einhergehen (Schwäche, Angst, Enttäuschung, Hilflosigkeit …). In der dritten Spalte notiere ich parallel zu den Gefühlen die negativen Gedanken, die diese Gefühle immer wieder in mir auslösen (z. B. Schwäche: „Ich kann nicht mehr.“ Enttäuschung: „Warum lässt Gott das zu? Warum hilft er mir nicht?“ etc.). In der vierten Spalte nun trage ich Bibelverse ein, die mich in diesen Momenten ermutigen, z. B.: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12,9b). Nun „durchbete“ ich diese Tabelle. Angefangen bei der Situation über die Gefühle und Gedanken bis hin zu Gottes Verheißung, auf die ich mich stütze und die ich im Glauben annehme. Dies kann, in Bezug auf die Bibelstelle, auch in abgewandelter Form geschehen: „Gott, ich danke dir, dass deine Kraft in meiner Schwäche mächtig ist.“ Auf diese Weise wird die Tabelle zu einem Rettungsseil, das mich immer wieder daran erinnert, dass Gott in meiner Situation gegenwärtig ist und in sie hineinspricht.

Personalisiertes Bibelbeten

Auch manche Passagen der Bibel eignen sich dazu, um sie zu beten – allerdings umgewandelt zu einem persönlichen Gebet. Jesaja 43 als Dankgebet kann dann so klingen: „Danke, dass ich mich nicht fürchten muss. Danke, dass du mich bei meinem Namen rufst und erlöst und dass ich dein bin!“ Oder als Bitte: „Wenn ich durchs Wasser gehe, lass mich wissen, dass du bei mir bist. Lass nicht zu, dass die reißenden Ströme mich untergehen lassen.“ Für andere kann ich ebenfalls auf diese Weise beten, indem ich ihre Namen in den Bibeltext einfüge: „Auch wenn Paul gerade durchs Feuer gehen muss, lass ihn unversehrt bleiben. Schütze Klara und bewahre sie davor, dass die Flammen sie anrühren. Lass sie wissen, dass du ihr Gott und Retter bist.“ Solche personalisierten Bibelgebete helfen nicht nur dabei, Worte zu finden, die man manchmal einfach nicht hat. Sie führen mir auch vor Augen, dass Menschen bereits vor tausenden von Jahren dieselben Sehnsüchte, Schmerzen und Hoffnungen hatten. Und dass sie bei Gott damit an der richtigen Adresse waren.

Meditation

In Psalm 1 findet sich die indirekte Aufforderung, über das Wort Gottes „nachzusinnen Tag und Nacht.“ Das hebräische Wort für „nachsinnen“ bedeutet hier wörtlich: murmeln. Als jemand, der Gott nachfolgt, soll ich sein Wort vor mich hinmurmeln, immer und immer wieder wiederholen – es also quasi meditieren. Der Begriff „Meditation“ ist in unserem Verständnis manchmal vorbelastet. Man denkt allzu schnell an fernöstliche Esoterik und die mystische Suche nach sich selbst. Ursprünglich bedeutet Meditation aber einfach, sich von allem anderen gedanklich freizumachen und sich nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Das Ziel dabei ist, zur Ruhe zu kommen, sich zu entspannen, vor allem aber, dieser einen Sache seine vollständige Aufmerksamkeit zu widmen und sie ganz und gar aufzunehmen.

Die Bibel zu meditieren, oder anders: sie meditierend und betend zu lesen, bringt mich dazu, mehr zu tun als nur zu lesen. Indem ich einen Bibeltext bewusst lese, wiederhole und ihn betend vor Gott bringe, ihn quasi mit ihm gemeinsam lese, lasse ich ihn näher an mich heran, nehme ich ihn auf und lasse zu, dass er etwas mit mir macht. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass ich jeden beliebigen Bibeltext auf diese Weise beten kann, nicht nur solche, die sich bereits vom Wortlaut her als Gebet eignen, ganz ähnlich wie beim personalisierten Bibelgebet.

Die Bibel singen

Heutzutage finde ich unzählige christliche Lieder, die auf biblischen Passagen beruhen, teilweise sogar sehr wörtlich. Hier sei beispielhaft wieder das Vaterunser angeführt, das bereits vielfach vertont wurde. Auch in diesem Bereich finde ich eine Bandbreite an Themen: Bekenntnis, Lobpreis, aber auch Klage und Bitte. Solche Lieder kann ich ganz bewusst als Gebet singen.

Und natürlich kann ich auch Bibeltexte ganz direkt singen. Dazu kann ich mir eine eigene Melodie ausdenken oder ihn ganz „kindlich“ und spontan vor mich hinsingen. Das mag erstmal befremdlich klingen. Aber Gesang bietet einen ganz neuen Zugang zu einem Text, lässt Emotionen mit einfließen, bringt eine persönliche Note mit hinein. Hilfreich ist hier vielleicht der Gedanke, dass manche Texte der Bibel auch ursprünglich Lieder waren. Nicht nur die Psalmen, sondern z. B. das bereits genannte Siegeslied Deboras oder das Lied Mirjams, nachdem das Volk Israel durch das Schilfmeer gezogen war (2. Mose 15).

Ein paar Gedanken zum Schluss

Die meisten dieser Ansätze kann ich sowohl allein als auch in einer Gebetsgemeinschaft ausprobieren. Hier stellt sich dann die Frage, was für ein Typ Beter ich bin: Profitiere ich vom gemeinschaftlichen Gebet? Oder kann ich mich besser auf Gott einlassen, wenn ich alleine bin? Im Setting der Gruppe kann das Bibel-Beten sehr hilfreich sein, besonders für diejenigen, die einen gewissen „Performance-Druck“ spüren und nicht gut frei formulieren können, wenn andere zuhören. Das Allein-Beten kann hingegen dabei helfen, sich tiefer auf diese Ansätze einzulassen und in der Gestaltung ganz frei und ungehemmt zu sein.

Hier dürfen wir uns auf einen Weg des Lernens einlassen. Ganz nach der Bitte der Jünger: „Herr, lehre uns beten.“

 

*aus dem Buch: Andreas Kusch: Gott, du Liebhaber des Lebens, Trier, Paulinus, 2013

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Hilferuf eines Angefochtenen

Von Levian Scheidthauer

Eine Auslegung von Psalm 13

HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? 

Es ist ein Markenzeichen der Psalmen, dass sie uns die labilen Stimmungslagen großer Glaubenshelden auf dem Silbertablett servieren. „Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen?“ Ist das nicht allzu menschlich? Wie oft fühlen wir uns in unserem Scheitern von Gott verlassen. In der Stunde der großen Niederlagen, wenn es einsam um einen wird. Solange es läuft, feiern wir seinen Segen, aber unser Scheitern erleben wir auf uns selbst zurückgeworfen. Gott, bist du nur der Gott der Siegertypen? David macht aus diesem Gefühl keinen Hehl, auch wenn er es – wie sich zeigen wird – besser weiß.

 

Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?

Da versinkt einer in einer Mischung aus Angst und Selbstmitleid. Nicht aus Selbstzweifeln, sondern aus Gottverlassenheit. Die Angst versperrt uns den klaren Blick auf die Dinge, zerstört auch das stabilste Lebensgefühl. Mit Angst ist alles bitter. Ohne Gott ist alles bitter. Und David leidet wie ein Schlosshund.

Aber David bleibt nicht bei seinen eigenen Gefühlen. Seine Klage wird persönlicher. Das Gefühl, Gott sei irgendwie abwesend in einer Phase, in der David Gottes Beistand mehr denn je brauchen könne, hinterfragt Gottes Gameplan. Gott, bist du wirklich auf der Seite der Unterdrückten? Bist du bereit, dich bei Ungerechtigkeit auf meine Seite zu schlagen? Oder brauche ich auf seine Unterstützung nicht zu hoffen, wenn ich angefeindet werde?

 

Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott! Erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe, dass nicht mein Feind sich rühme, er sei meiner mächtig geworden, und meine Widersacher sich freuen, dass ich wanke. 

Endlich wandelt sich der Tonfall. David überwindet die Distanz, die aus den ersten Versen heraus spricht. Statt weiter mit Gott über dessen Schweigen zu hadern, beginnt er zu flehen. Es geht um Leben und Tod – wie viel Selbstmitleid kann sich David da noch leisten? David vertraut sich Gott neu an. In seiner Ohnmacht lässt er sich retten.

 

Ich traue aber darauf, dass du so gnädig bist; / mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir tut.

„Ich traue aber darauf“ – David besinnt sich auf seinen Gott, den er in der Vergangenheit als gnädig und hilfsbereit erfahren hat. Er wankt, aber fällt nicht. Natürlich registriert er seine Gefühle, bleibt aber nicht bei ihnen stehen, sondern konfrontiert sie mit der Wahrheit über Gottes Wesen. David muss die Wahrheit nicht spüren, um sich auf sie stellen. Gott, der Gnädige und Hilfsbereite, wird „wohl an mir“ tun – auch wenn ich seine Hand in diesem Augenblick nicht spüre. Deshalb endet sein Psalm auch nicht im Moll, sondern im Lobpreis: ein Vorgriff auf Gottes Treue, die David schon heute feiern kann, weil er sie glaubensgewiss morgen erleben wird.

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Die Gottesdienst-Wirkung verstärken

Von Dr. Ulrich Wendel

Die Bibel mit in den Gottesdienst bringen: Ist das nützlich? Oder lenkt es ab von dem, was man von vorne hört?

Die Diskussionsteilnehmer in einem Forum auf www.jesus.de waren geteilter Meinung. Einige bringen aus Überzeugung ihre Bibel in die Kirche mit und lesen den Predigttext nach. Andere bringen ihre Bibel nicht mit – weil sie sie bereits in der Kirche deponiert haben. Manche empfinden es als respektlos dem Pfarrer gegenüber, während der Predigt Bibel zu lesen – als ob man ihn kontrollieren wolle.

Natürlich kann es sein, dass man eine andere Übersetzung dabei hat als die, aus der im Gottesdienst vorgelesen wird. Auch hier finden die einen das dann ablenkend, die anderen begrüßen die Variante als Ergänzung. Die Zahl derer aber ist groß, denen es zur Konzentration hilft, in ihrer eigenen Bibel mitzulesen. Und auch dieser Hinweis kam im Forum: Wenn die Predigt mal langweilig sein sollte, hat man immer noch was Interessantes dabei…

Ich persönlich meine, es kann die Wirkung einer Predigt oder eines Gottesdienstes ziemlich verstärken, wenn ich meine Bibel dabei habe und die Lesungstexte aufschlage. Ich begreife den Zusammenhang des Textes besser, um den es geht. Ich kann einen bedeutsamen Vers mit Bleistift unterstreichen. Und wenn ich den Predigttext zu Hause noch mal in derselben Bibel nachlese, vielleicht mit meinen Anstreichungen, ist das eine gute Verknüpfung zwischen Sonntag und Montag. Das sind Wirkungen, die der Bibeltext, der auf Leinwand gebeamt wird, so nicht leisten kann.

Ich kenne eine Gemeinde, in der es fast schon zum Standard gehört, die eigene Bibel dabei zu haben. Es hat mich beeindruckt, wie die Gemeindemitglieder ermutigt werden, alles Gehörte mit der Bibel zu vergleichen. Auch das persönliche Bibellesen wird so geprägt.

Ich weiß aber, dass es natürlich auch noch die „andere Hälfte“ der Kirchgänger gibt, die im Gottesdienst lieber nur hören und nicht auch noch lesen. Zu welcher Gruppe gehören Sie – und warum?

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Legenden über die Bibel: Das Nadelöhr

Von Dr. Ulrich Wendel

Das Kamel im Nadelöhr

Über die Bibel kursieren viele Ideen, die zwar populär sind, aber der Nachprüfung nicht standhalten: Maria Magdalena war eine Prostituierte, der Rauch von Abels Opfer stieg senkrecht zum Himmel auf – und manches mehr…

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt!“ (Matthäus 19,24). Mit diesem Wort hat Jesus Wohlhabende zu allen Zeiten herausgefordert. Meinte er wirklich, dass kein Reicher in Gottes Reich kommen könnte? Betonte Jesus die Unmöglichkeit?

In vielen Predigten landauf landab hört man eine Erklärung für dieses steile Wort von Jesus. „Nadelöhr“ war damals der volkstümliche Name für ein ziemlich kleines Tor in der Jerusalemer Stadtmauer. Fußgänger passten hindurch, aber wenn jemand sein Lastkamel durch dieses Tor führen wollte, dann musste sich das Kamel dazu niederknien. Für das Wort von Jesus ist damit klar: Das Kamel kommt nur schwer hindurch, aber zur Not kommt es hindurch. Und Gleiches gilt dann für die Reichen und das Himmelreich. Diese Erklärung ist so populär, dass in einem Torbogen am Kirchplatz einer Dortmunder Kirche das Kamel als Steinplastik abgebildet ist.

Bei landeskundlichen oder archäologischen Erklärungen für Bibeltexte findet man in den Kommentaren immer eins von beiden: Entweder den Hinweis auf einen archäologischen Fund, eine Ausgrabung – oder den Verweis auf einen alten Text, der vom betreffenden Sachverhalt spricht. Für das antike Jerusalem würde man vielleicht bei sehr alten Talmudsprüchen oder beim Geschichtsschreiber Josephus suchen. Bloß: Für dieses angebliche Tor gibt es nicht den geringsten historischen Hinweis! Weder hat jemand im Laufe der Geschichte es gesehen noch einen antiken Text als Beleg gefunden.

Auf Knien laufen?

Es handelt sich bei der Stadttor-These also um eine Art Ente, eine Falschmeldung. Genauer: eine urban legend, eine umlaufende Legende, die seit Jahrzehnten ungeprüft weitererzählt und abgeschrieben wird. Gerade die Bibel hat allerlei solcher urban legends an sich gezogen.

Das harte Wort von Jesus wäre durch diese vermeintliche Erklärung leichter geworden. Aber schon einfaches Nachdenken weckt Zweifel: Hätte man damals wirklich so ein unpraktisch kleines Tor gebaut? Wozu wäre das gut gewesen? Und – wenn ein Kamel sich niederkniet, wie sollte es dann noch durch das Tor kommen? Auf Knien laufend? Oder robbend?

Auch die Ankertau-Deutung hilft nicht

Übrigens ist auch eine andere Erklärung für das Jesuswort kaum zutreffend: Das Wort „Kamel“ („kamelos“) soll im Griechischen damals „kamilos“ ausgesprochen worden sein, was auch Ankertau bedeutet. Dagegen spricht dreierlei: An anderer Stelle meint Jesus sicher ein Kamel, wenn er Kamel sagt (Matthäus 23,24). Das Ankertau würde die Sache ja nicht besser machen, denn es geht genauso wenig durch ein Nadelöhr wie das Höckertier. Und schließlich: Jesus benutzte oft groteske Worte, um auf eine bestimmte Wahrheit aufmerksam zu machen, so zum Beispiel das Wort vom Balken im Auge (Matthäus 7,3). Ähnlich gelagert ist auch das Wort von Salz. Wenn es kraftlos geworden sei, kann es nicht mehr salzen (Matthäus 5,13). Was ist gemeint? Nun, Salz kann einfach seine Salzkraft nicht verlieren. So lautet auch eine alte rabbinische Äußerung sinngemäß: So wie eine Mauleselin (die ja biologisch unfruchtbar ist) keine Nachgeburt haben kann, so kann Salz nicht unsalzig werden. Es ist unmöglich.

Die gleiche Unmöglichkeit meinte Jesus auch mit seinem Bildwort vom Kamel im Nadelöhr.

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Legenden über die Bibel: Der Feigenbaum

Von Dr. Ulrich Wendel

„Der blühende Feigenbaum ist Symbol für die Staatengründung Israels“

Über die Bibel kursieren viele Ideen, die zwar populär sind, aber der Nachprüfung nicht standhalten: Maria Magdalena war eine Prostituierte, das „Nadelöhr“ war ein Stadttor in Jerusalem – und manches mehr…

 

„Wenn der Feigenbaum blüht …“ – so oder ähnlich lauten die Titel von Predigten oder frommen Infoschriften über Israel. Im Ton einer gespannten Erwartung wird dann oft gesagt: Jesus habe Israel mit dem Feigenbaum verglichen. Wenn der blüht, sei die allerletzte Zeit angebrochen. Weil nun der Feigenbaum in der Bibel ein Symbol für Israel sei und weil 1948 die Welt zusehen konnte, wie der Staat Israel sich gründete, sei diese Prophetie von Jesus dabei, in Erfüllung zu gehen.

Zweifellos wäre es atemberaubend, direkter Zeitgenosse zu sein, wenn eine biblische Ankündigung sich erfüllt. Bloß: In der Bibel ist der Feigenbaum gar kein besonderes Symbol für Israel! Die Stellen, die dafür gelegentlich genannt werden, sprechen mal von zwei Sorten Feigen (Jeremia 24,1-10), mal von einer Feige zusammen mit Weintrauben (Hosea 9,10), mal von einem Weinstock und einem Feigenbaum (Joel 1,7). Wer das Alte Testament liest, käme kaum auf die Idee, unter den Bildworten für Israel würde gerade der Feigenbaum eine hervorstechende Rolle spielen.

Jesus hat den Feigenbaum dann als Gleichnis angeführt (Matthäus 24,32-44). Aber als Gleichnis wofür? Dafür, dass es Abläufe in der Geschichte gibt, die man an ihren Vorzeichen erkennen kann. So wie man den bevorstehenden Sommer daran erkennt, dass der Feigenbaum Blätter hervorbringt, so hat auch die letzte Zeit der Geschichte vorab ihre Hinweise. Jesus spricht hier weder speziell von Israel noch vom „Blühen“ des Feigenbaums. Und in der parallelen Stelle Lukas 21,29 sagt er: „Seht den Feigenbaum und [überhaupt] alle Bäume“. Es geht Jesus also gar nicht um einen speziellen Baum, sondern allgemein darum, dass Bäume eben zu bestimmter Zeit ausschlagen. Mehr ist nicht gesagt.

Dass die Staatengründung Israels eine Erfüllung des Jesuswortes vom Feigenbaum sei, ist leider ein Beispiel dafür, dass man ein Bibelwort erstens ungenau gelesen hat und zweitens noch mit Vorstellungen auffüllte, die weder dort noch im weiteren Zusammenhang zu finden sind.

Nun gibt es noch eine zweite Begebenheit, die mit Jesus und einem Feigenbaum zu tun hat. Als Jesus in Jerusalem kurz vor dem Passahfest einen Feigenbaum ohne Früchte sah und dort also nicht frühstücken konnte, kündigte er diesem Baum die Vernichtung an. Der verdorrte daraufhin augenblicklich (Matthäus 21,18-22) bzw. am nächsten Tag (Markus 11,20). Zu dieser Jahreszeit wären normalerweise die kleinen Vorfeigen zu erwarten gewesen, aber an diesem Baum nun fehlten sie. Immer wieder wird diese Stelle so ausgelegt, dass Jesus mit dieser Szene zeichenhaft Israel verflucht habe. Diese Auslegung hätte aber nur dann eine Basis, wenn man als Bibelleser beim Feigenbaum unwillkürlich an Israel denken müsste – dieser Zusammenhang fehlt aber eben in der Bibel! Allzu oft haben Christen gemeint, Gott habe sein Volk verflucht. Auch die Begebenheit mit dem Feigenbaum wurde dazu missbraucht. Zwar folgt im Markusevangelium auf die Verfluchung des Feigenbaums sogleich die Szene, in der Jesus im Tempel die Händler hinauswirft (Markus 11,16-19), aber das hat mit einem „Fluch“ über den Tempeldienst nichts zu tun. Jesus übt hier als Prophet eine Kritik am Tempel, wie sie schon aus dem Alten Testament (z.B. in Jeremia 7,1-15) bekannt ist.

Die eigentliche Bedeutung seines Wortes gegen den Feigenbaum hat Jesus seinen Jüngern selbst klar und deutlich gezeigt: Das glaubende Gebet hat eine genauso starke Wirkung wie das Vernichtungswort von Jesus an diesen Baum (Matthäus 21,21-22). Mehr wollte Jesus nicht sagen.

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Luther und die Seligkeit

von Melanie Eckmann

Einem alten Wort aus der Bibelsprache auf der Spur

„Wer’s glaubt wird selig!“ Das ist eine Redewendung, die heute Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer Aussage zum Ausdruck bringt. Dem, der den Glauben aufbringt, trotz schwacher Beweislage an dies oder jenes zu glauben, wird das eigene Seelenheil versprochen. Natürlich ist das ironisch gemeint.

Woher kommt diese Redensart? Der Ausspruch findet sich nicht wortwörtlich in der Bibel, weist aber Anklänge an den Missionsbefehl in Markus 16,16 auf, in dem es nach der Lutherübersetzung aus dem Jahr 1545 heißt: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.“ Noch enger werden die Worte „glauben“ und „selig“ in Johannes 20,29 kombiniert. Jesus begegnet Thomas, der an der Auferstehung zweifelt, mit den Worten: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Das klingt danach, als ob Jesus seinem Jünger das Seelenheil zuspricht, wenn dieser nur glaubt – also ganz auf der Linie seines Missionsbefehls.

Zwei Wege in die Seligkeit

Allerdings ist die Sache komplizierter. Das Wort „selig“ – es gehört zum Grundbestand der „Bibelsprache“ – steht in der Lutherübersetzung für zwei ganz verschiedene Worte des griechischen Grundtextes. Diese beiden Worte heißen, direkt übersetzt, „gerettet“ und „glücklich“. Es geht also einmal um ein Geschenk, das bis in die Ewigkeit hineinreicht, und das andere Mal um eine recht irdische, diesseitige Angelegenheit.

Im heutigen Deutsch sind diese beiden Aspekte kaum mit einem einzigen Wort zu erfassen. Die Medaille hat zwei Seiten. Ein Beispiel: Je nach Familienbeziehung kann der eine an Großmutters Grab der Verstorbenen einen sel’gen Frieden im ewigen Leben wünschen – und einem anderen kann ihr Tod ein seliges, glückliches, Lächeln über das Gesicht huschen lassen. Bei dem ersten geht es um das, was die Bibel mit „Rettung“ meint, beim zweiten um irdische Erleichterung, um Glück hier und jetzt.

Das Ringen um die Worte

Warum war das deutsche Wort „selig“ nun für Luther dennoch geeignet, um beide Aspekte auszudrücken? Beide Verwendungen des Adjektivs „selig“ sind aus dem Germanischen überliefert. Und das griechischen Wort für „gerettet werden“ (sōthēsesthai) hat seinerseits auch eine ziemliche Bedeutungsbreite. Es heißt – je nach Zusammenhang – „gerettet werden“, „beschützt/bewahrt werden“ und „geheilt werden“. Auch in Heilungsberichten wird es verwendet, wo jemand in irdischer Hinsicht gesund wird und die ewige Errettung noch kein Thema ist.

Um die Dinge noch komplizierter zu machen: Für die Übertragung des Neuen Testamentes in die deutsche Sprache verwandte Luther als Hilfsmittel die Vulgata, also die zu dem Zeitpunkt am weitesten verbreitete lateinische Bibelübersetzung. Am Beispiel von Markus 16,16 zeigt ein Blick zwischen ihre Buchdeckel, dass für sōthēsesthai der Ausdruck salvus erit hier seinen Platz gefunden hat. Salvus aber heißt im Lateinischen „gesund“ – obwohl der Missionsauftrag zweifellos die ewige Rettung, die Erlösung durch den Glauben, meint.

Das Glück im Jetzt

Die bekannten Seligpreisungen in Matthäus 5,3-11 sprechen nun noch einmal von einer anderen Art der „Seligkeit“. Das zugrunde liegende Wort makarios meint schlicht „glücklich“. Luther übersetzt auch hier: „Selig sind, die […]“.­ Die Worte von Jesus wirken bei genauerer Betrachtung paradox. Ein momentaner – meist unerfreulicher oder belastender – Lebensumstand bekommt das Prädikat „glücklich“. Die Seligpreisungen stellen das Leid in der Gegenwart in das Licht einer verheißungsvollen Zukunft. Und in diesem Licht kann der Leidende jetzt schon „glücklich“ sein. Auch hier geht es nicht um Erlösung in der Ewigkeit. Jesus meint ein irdisches Glück.

Genau das ist auch die Aussage gegenüber dem Zweifler Thomas. Die Seligkeit in Johannes 20,29 bezieht sich nicht auf das selige Leben bei Gott, sondern ein Glücklich-Sein auf Erden: „Wer’s glaubt, wird selig. Das Versprechen von Jesus zielt auf die Erde.

Greifbares Glück

Glück war für damalige Menschen aus der griechisch-römischen Kultur etwas durchaus Greifbares. Mit ihrem Wort für „glücklich“ – makarios – meinten sie Erfahrungen, die auch mit den Sinnen erfasst werden konnten. Sie dachten nicht bloß an irgendetwas in der Seele.

Genau hier entsteht eine weitere Schwierigkeit mit unserem Wort „selig“. Es klingt eben so sehr nach Seele. In früheren Jahrhunderten wurde dieses Wort tatsächlich noch mit zwei e geschrieben; da sprach die Kirche jemanden „seelig“ und man fragte sich, wie man „seelig“ sterben könne. Gemeint war: so sterben, dass man in die Erlösung eingeht. Wir würden das also als „errettet“ bezeichnen, das griechische Wort sōthēsesthai steht im Hintergrund.

Nun bezieht sich aber die biblische Auferstehungshoffung durchaus nicht nur auf die Seele. Paulus spricht von körperlicher Auferstehung. Das Wort „seelig“ verdeckt diesen Aspekt. Und auch heute noch sind die Seligpreisungen von Jesus diesem Missverständnis ausgesetzt, dass Jesus nur etwas Seelisches meine. Doch so ist es keineswegs. Egal ob das Glück auf Erden gemeint ist oder das Gerettet-Sein bei Gott – die Seligkeit hat in ihrer germanischen Wortherkunft nichts mit der „Seele“ gemeinsam. Von einer bloßen Innerlichkeit kann nicht die Rede sein. „Selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören“, sagte Jesus zu seinen Jüngern (Matthäus 13,16). Und was sahen ihre Augen, wovon hörten ihre Ohren? Doch zum Beispiel auch die Heilungswunder von Jesus. Etwas sehr Irdisch-Greifbares also. Daran beteiligt zu sein, auch das ist Glück.

Luther auf’s Maul geschaut

Luther führte für Jahrhunderte ein Wort in Sprachgebrauch und Volksglauben ein, das zwei Bedeutungen kombinierte. Das prägte. So hat der Volksmund Luther auf’s Maul geschaut und über die Zeit das Sprichwort gebildet: „Wer’s glaubt, wird selig.“ Wenn wir heute verstehen wollen, welche Bedeutung in welcher Bibelstelle genau gemeint ist, hilft uns das Wort „selig“ allerdings nicht mehr viel. Wer hier andere, heute präzisere Worte verwenden wollte, würde wohl ganz im Sinne Luthers handeln, der sagte: „Denn wer übersetzen will, muss einen großen Vorrat an Worten haben, dass er die Wahl haben könne, wo eins nicht an alle Stellen recht klingen will.“

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Mein Lieblingsvers

Von Susanne Tobies

„Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Römer 5,3-5

Ein so unbequemer Abschnitt der Bibel als Lieblingsvers? Wer will schon Bedrängnis, geschweige denn sich dessen rühmen? Ich sicher nicht! Und doch war unsere Familie Ende der Neunzigerjahre in einer existenziellen Bedrängnis – und das für längere Zeit. Ich war emotional am Ende und fragte mich, ob Gott uns überhaupt sieht – keine unserer Bitten hatte er bis dahin erhört. Er schien taub und stumm uns gegenüber zu sein. Wieder einmal saß ich damals mit der Bibel in der Hand und rang mit Gott um Hilfe und Antwort. „Zufällig“ schlug ich Römer 5 auf. Vorher hatte ich diese Sätze nie wirklich verstanden – mir hatte meine Bedrängnis keine Geduld gebracht, und mit meiner Hoffnung war es nach Jahren unbeantworteter Gebete auch nicht mehr weit her.

Doch genau in diesem Moment passierte das Wunder, von dem der Vers sprach: Die Liebe Gottes wurde „ausgegossen in mein Herz durch den Heiligen Geist“. Ich wusste auf einmal mit absoluter Sicherheit, dass Gott mich liebt und daher auch nicht vergessen hat. Das war ein überwältigendes Gefühlserlebnis, das ich nie vergessen werde. Seitdem bin ich überzeugt, dass Gottes Liebe das Allerwichtigste ist, über das ich Gewissheit haben muss, damit ich befreit und unbesorgt leben kann. Alles andere tritt dagegen in den Hintergrund – unsere Lebensumstände, unsere Schwierigkeiten und sogar die erhoffte Hilfe. Heute glaube ich, dass meine „Bewährung“ darin bestand, trotz aller Bedrängnisse und Verwirrung beharrlich an Gott festzuhalten. Und Gott hat seine Zusage wahr gemacht: Hoffnung lässt uns nicht zuschanden werden; er hat uns damals geholfen, so wie wir es uns niemals selbst hätten ausdenken können. Immer wenn ich heute in Bedrängnis komme, erinnere ich mich daran, dass Gott mich liebt. In dieser Geborgenheit kann ich es wagen, auch schwierigen Situationen ins Auge zu schauen – und auf Gott zu vertrauen.

Susanne Tobies ist Redaktionsassistentin beim Magazin AUFATMEN. Jetzt kostenlos testen: www.aufatmen.de

Es gibt keine biblischen Prinzipien

Von Dr. Ulrich Wendel

Man begegnet ihr immer wieder: der Redeweise von „biblischen Prinzipien“. In zahlreichen Predigten, aber auch in Büchern und Schulungskonzepten. Da gibt es zum Beispiel „biblische Prinzipien für gelungene Kommunikation“ nach Epheser 4, ferner biblische Prinzipien für den Umgang mit Geld (unter dem Titel „Mäuse, Motten und Mercedes“) oder auch biblische Geschäftsprinzipien: „Die Bibel, das beste Managementhandbuch der Welt!“ Nicht zu vergessen die biblischen Prinzipien des Gemeindewachstums.

Keine Frage, Prinzipien sind nützlich. Weil man wenige allgemeine Grundsätze dann auf seine spezielle Situation anwenden kann. Ein Prinzip passt „im Prinzip“ erst mal immer und überall. Es ist handhabbar und funktioniert aus sich heraus.

Genau das ist es, was mich misstrauisch macht gegenüber der inflationären Verwendung von sogenannten biblischen Prinzipien. Denn der Glaube, den die Bibel beschreibt, ist nicht handhabbar und funktioniert auch nicht aus sich heraus. Er „funktioniert“ überhaupt nicht, sondern er lebt aus der Begegnung mit Gott.

Gott zeigt sich in der Bibel nicht in abstrakten Prinzipien, sondern durch sein Handeln in der Geschichte. Das ist ein pulsierendes Geschehen. Der lebendige Gott bleibt sich treu – aber er unterwirft sich keinen Prinzipien. Wer biblische Prinzipien sucht, läuft Gefahr, ein Christentum zu produzieren, das letztlich ohne Gott auskommt. Man hat ja Prinzipien…

Außerdem: Sind die Bibeltexte, die für bestimmte Prinzipien herhalten müssen, nicht oft willkürlich ausgewählt? Wer sagt denn, dass ein bestimmtes Prinzip gerade in diesem Briefabschnitt von Paulus oder in jenem Spruch Salomos steckt? Was ist mit den vielen anderen Texten, die auch noch etwas zu sagen haben? Fallen die aus dem Prinzip heraus? Oft fügen sich die Texte der Bibel eben in kein Prinzip ein.

Natürlich gibt es wiederkehrende Grundmuster, wie Gott handelt. So z.B. das Muster von Saat und Ernte: Was der Mensch sät, wird er ernten (vgl. Galater 6,7-8; 2. Korinther 9,6). Aber hier gibt es auch zahlreiche Ausnahmen. Und das wichtigste Grundmuster der Bibel ist kein Prinzip, sondern ein Geschenk: Gott ist Liebe. Die wichtigste Berufung ist keine Maxime, sondern der Ruf eines liebenden Gottes: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben.“

Wie wir als Christen leben sollen, sei es im Blick auf Kommunikation, Geld, Geschäftsverhalten oder Gemeindewachstum, es wird immer nur gehen im engen Gespräch mit Gott. Und nie ohne den Heiligen Geist.

Gottes Wort ist nicht unübersichtlich, nicht unberechenbar. Aber auch nicht starr festgelegt auf Prinzipien. Sondern reich und weit und lebendig und von Gottes Charakter durchdrungen. Es ist jedem Prinzip überlegen.

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Aus der Gnade herausfallen?

Von Dr. Ulrich Wendel

Falsch verstandene Bibelverse erklärt

„Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen (Galater 5,4).“

„Man kann auch aus der Gnade herausfallen!“ Ich habe die besorgte Stimme desjenigen noch im Ohr, der mir das sagte. Erst viel später entdeckte ich, dass er sich auf diesen Vers aus der Bibel bezog. Alle, die ich über diesen Bibelvers sprechen hörte, waren im Glauben eher unsichere Menschen, denen der Zweifel näher lag als die Gewissheit. Diese Verunsicherung hat offenbar ihren biblischen Grund: Wenn man aus der Gnade herausfallen kann, dann scheint es ja noch keine ausgemachte Sache zu sein, dass Gott einen errettet und angenommen hat.

Was aber hat Paulus gemeint, als er den Galatern diesen Satz über das Gesetz und die Gnade schrieb?

Zunächst müsste man exakter übersetzen. Das Wort „aus“ steht nicht im Grundtext. In diesem Falle hat dann auch das Verb eine andere Bedeutung; es heißt: „etwas verlieren“. Unter bestimmten Voraussetzungen können Glaubende also das Geschenk Gottes – die Gnade – wieder verlieren. Welche Voraussetzungen sind das?

Paulus richtet sich im Galaterbrief an Christen, die zum Glauben gekommen sind, aber dann nachträglich noch eigene Leistungen hinzufügen wollen, um bei Gott anerkannt zu sein. Das bloße Glauben reicht ihnen nicht aus, es scheint ihnen nicht verlässlich genug zu sein. Sie halten zusätzlich noch Vorschriften ein, die Gott seinem Volk, den Juden gegeben hatte. Dabei waren die Christen aus Galatien mehrheitlich gar keine Juden.

Wer so etwas tut und zu Gottes Gnade sicherheitshalber noch eigene Leistung hinzufügen will, der ergänzt die Gnade nicht, sondern verliert sie. Das ist es, was Paulus warnend sagen will. Denn Gnade kann man nur ganz oder gar nicht annehmen.

Paulus wendet sich also nicht an unsichere, angefochtene Glaubende, sondern im Gegenteil: an allzu sichere Christen. Er meint niemanden, der in seinem Glauben auf schwankendem Boden steht, sondern er meint Leute, die ihren Glauben durch eine Extrakonstruktion stabilisieren wollen. Die laufen Gefahr, die Gnade zu verlieren.

Für unsichere oder zweifelnde Christen gilt eher das Pauluswort aus dem Philipperbrief (1,6): „Ich bin ganz sicher, dass Gott, der sein gutes Werk in euch angefangen hat, damit weitermachen und es vollenden wird bis zu dem Tag, an dem Christus Jesus wiederkommt.“

 

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