Passionszeit anders

Astrid Eichler

Ich empfinde die Situation mit all ihren Einschränkungen und Herausforderungen als unsagbar vielschichtig und komplex – so viele Facetten unseres Lebens und Christseins sind angesprochen. Ist uns das bewusst? Entdecken wir die Chancen, die in dieser Zeit stecken? Die Botschaft, die uns erreichen könnte? Drei Punkte möchte ich herausgreifen:

Es war ja mitten in der Passionszeit, als Corona alles zu bestimmen begann. Oft überlegen wir uns zum Beginn der Passionszeit (manchmal etwas mühsam …) wie wir fasten könnten. Jetzt war uns ein Fasten auferlegt. Diese Zeit ermöglichte Konzentration. Haben wir das ausgehalten oder versuchten wir möglichst viel von dem, was wir sonst haben, auch jetzt zu haben? Was fehlte uns so sehr, dass wir es nicht aushalten konnten? Könnte es sein, dass diese Zeit uns unsere wahren (= falschen) Götter zeigte? Luther hat mal gesagt: „Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott.“ Es könnte sein, dass wir da ein paar entdeckten. Sind wir bereit, uns von ihnen zu lösen?

Das christliche Leben ist weitgehend in Veranstaltungen organisiert. Die fielen jetzt aus. Und nun? Fällt damit unser christliches Leben in sich zusammen? Auch hier die Frage: Versuchen wir alles so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, den ganzen (frommen) Betrieb? Ich weiß nicht, ob es hunderte gestreamte Gottesdienste sein müssen, jede Gemeinde sich da reinhängt und stolz ist, dass sie es hingekriegt hat. Könnten wir nicht ganz alte Kostbarkeiten wiederentdecken? Selbst in der Bibel lesen, zu zweit oder zu dritt austauschen und füreinander beten? Vielleicht könnten da Beziehungen ganz anders in die Tiefe wachsen? Anbieter für Telefon- oder Videokonferenzen (auch kostenlose …) lassen sich leicht im Internet finden. Da braucht es keinen Aufwand.

Das Wichtigste scheint mir aber die Botschaft zu sein, die in diesen Wochen immer wieder in mir aufklang. Ein Lied, dass wir schon in meiner Kindheit gesungen haben: „Gott hält die ganze Welt in der Hand.“ Das ist eine doppelt wichtige Nachricht. Eine schlechte Nachricht für den selbstbestimmten Menschen, der in uns allen meint: Wir haben das Leben im Griff. Wir wissen, wie es geht. Wir nehmen unser Leben selbst in die Hand. Was für eine Lektion, wenn wir merken, wie wenig wir die Welt und unser Leben im Griff haben. Es ist geradezu eine Beleidigung für den postmodernen Menschen.

Und zugleich ist es eine gute Nachricht für den verunsicherten, ängstlichen Menschen, der in uns allen fragt: Wie soll das weitergehen? Was wird werden? Jetzt und danach? Lernen wir diese Lektion „Gott hält die ganze Welt in der Hand“ und kehren wir um, tun wir Buße für allen Hochmut und Rebellion gegen Gott und nehmen wir Zuflucht bei ihm, in seiner Treue, seinem Beistand: „Wenn ich auch gehe durchs finstere Tal, fürchte ich kein Unglück …“ (Ps.23).

Ich hoffe sehr, dass wir die Passionszeit anders erlebt haben als sonst. Konfrontiert mit Krankheit und Tod mussten wir Ohnmacht erleben, wie wir sie in unserer postmodernen Welt nicht mehr kennen. Aber dann konnten wir mittendrin auch anders Ostern feiern. Ganz neu konfrontiert mit einem Virus, der eine todbringende Macht in sich trägt, können wir jubeln über den, der zu uns sagt (Mt 28,18-20): Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie … Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.

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