Zum Glück gibt’s den Himmel

Jürgen Werth

Er kann nicht mehr, und er will nicht mehr. Das körperliche Elend ist zu groß, die Aussicht auf Heilung zu klein. War‘s das?
Zum Glück gibt’s den Himmel. Ihr Kind, ihr geliebtes und erbetetes Kind, wird von tödlichen
Fieberkrämpfen geschüttelt. Es gibt keine Hoffnung mehr. Nicht für das Kind, nicht für sie.
Zum Glück gibt’s den Himmel.
Menschen gehen auf Menschen los. Reden nicht mehr miteinander. Hören nicht mehr aufeinander. Schießen nur noch. Erst mit Worten, dann mit Gewehren.
Zum Glück gibt’s den Himmel.
Die Pole schmelzen, die Wälder verdursten. Küsten werden überspült, während anderswo Felder verdorren.
Das Klima ist außer Rand und Band und lässt sich kaum noch bändigen.
Zum Glück gibt’s den Himmel.
Sinnlose Kriege allerorten. Überquellende Flüchtlingslager. Und eine unbeherrschbare Pandemie. Politiker im permanenten Krisenmodus. Die Welt wird zunehmend unregierbar.
Zum Glück gibt‘s den Himmel.
Eine Handvoll Reiche und eine Weltvoll Arme. Und immer mehr Geld in immer weniger Taschen.
Zum Glück gibt’s den Himmel.

Den Himmel. Die Wirklichkeit Gottes. Nicht nur für ein paar Privilegierte. Wer hinein will, darf hinein. Licht und Liebe ohne Ende und für alle. Wasser und Wärme, so viel man braucht. Glück und Gerechtigkeit auf ewig.
Nein, was wir erleben und erleiden, ist nicht alles, ist nicht das Letzte. Zum Glück. Es gibt mehr. Anderes. Und darum Hoffnung und Zuversicht gegen allen Augenschein. Und Mut und Tatkraft. Denn die Aussicht aufs Jenseits stärkt die Hände fürs Diesseits. Wer an den Himmel glaubt, dem kann die Erde nicht gleichgültig sein. Wie sie dem nicht gleichgültig war, der aus Liebe zur Erde den Himmel verlassen hat.
„Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten, und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“, dichtete Reinhold Schneider 1936. Allein den Betern. Und damit denen, die an eine Wirklichkeit jenseits unserer Wirklichkeit glauben und die diese Wirklichkeit immer wieder neu in unsere Welt hineinbeten und hineinleben. Die an den „Vater unser im Himmel“ glauben. Die wissen, dass unsere Zeit in seine Ewigkeit mündet. Und die darum immer das Hier und Jetzt mit kritischer Distanz erleben und mit Paulus bekennen, „dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“ (Röm 8,18).
Der himmlische Vater ist auch auf der Erde, aber ja. Teilt unsere Zeit. Ist mittendrin in allem Elend, in aller Zerrissenheit. Aber er geht nicht in der Erde auf und schon gar nicht in der Zeit. Und wir müssen es auch nicht.
Die Alten haben es noch gewusst und geglaubt. Einer wie Paul Gerhardt, der ein Lied singen konnte über „dieser Zeit Leiden“. „Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende. Nach Meeresbrausen und Windessausen leuchtet der Sonne gewünschtes Gesicht. Freude die Fülle und selige Stille wird mich erwarten im himmlischen Garten; dahin sind meine Gedanken gericht’.“
Je älter ich werde, je spürbarer die Lebenskräfte schwinden, je chaotischer mir diese Welt erscheint, desto mehr sehne ich mich nach dem Himmel. Und ich danke Gott, dass er das Ziel meines Weges ist. Das Ziel der Welt und aller Zeit.
Auch hier und jetzt ist seine Wirklichkeit erfahrbar, in dieser Welt und in meinem Lebensalltag. Aber nur in Bruchstücken. Immer wieder fällt sein warmes Licht mitten in unsere Dunkelheiten. Aber nur vorübergehend. Wer die ganze Fülle Gottes, wer alle seine Wohltaten, wer seine grenzenlose Herrlichkeit auf diese Weltzeit begrenzt, glaubt zu kurz. Die Erde spiegelt ein paar Strahlen der himmlischen Herrlichkeit, ja. Und unser Leben tut es hoffentlich auch. Aber es gibt mehr, viel mehr. Darauf warten wir. Dahin sehnen wir uns. Darauf leben wir zu und darauf hoffen wir.

Zum Glück gibt’s den Himmel und nicht nur diese Erde. Vollkommenheit und nicht nur Zerstörung und Zerbruch. Gerechtigkeit und nicht nur die erbärmliche und zynische Arroganz der Emporkömmlinge gegenüber den Habenichtsen und Kannnichtsen dieser Welt. Es gibt die Ewigkeit und nicht nur diese verrinnende Zeit.
Ich bete es darum immer bewusster: „Unser Vater im Himmel. Dein Reich komme!“ Und ich bekenne es immer fröhlicher: Jesus ist „aufgefahren in den Himmel.“ Und ich weiß, dass ich hinterher fahre, wenn meine Zeit gekommen ist. Bis dahin pflanze ich fröhlich und gelassen meine Apfelbäumchen.

 

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Vom Ende der Gemütlichkeit

David Werner

Im vergangenen Dezember sieht sich David herausgefordert, seine festlich-familiäre Komfortzone zu verlassen. Er beschließt das Weihnachtswunder in diesem Jahr unter den Obdachlosen auf den Straßen Hannovers zu suchen. Dafür bekommt er eine neue Dankbarkeit geschenkt.

„Wenn Gott redet, ist die Gemütlichkeit zu Ende“. Als ich diese Worte von Peter Hahne, dem aus dem ZDF bekannten christlichen Fernsehmoderator und Buchautor, einige Wochen vor Weihnachten am Frühstückstisch höre, passiert erstmal nicht viel. Ich mache mich wie geplant auf den Weg zur Bahnhaltestelle, döse auf der 45-minütigen Fahrt durch die Dunkelheit immer wieder ein und bin doch nicht wirklich ausgeschlafen, als ich schließlich, so richtig hell ist es immer noch nicht, an meinem Arbeitsplatz ankomme.

Worte, die mich nicht mehr loslassen

Für gewöhnlich kann ich mir Bibelverse, Zitate oder andere Weisheiten eher schlecht merken. Auch bei der Kurzzeitbibelschule, die ich vor einigen Jahren besucht hatte, schafften es die meisten Verse, die es auswendig zu lernen galt, nur ins Kurzzeitgedächtnis. Dieses Mal ist es anders. Die Tage vergehen, Weihnachten rückt immer näher und Peter Hahnes provokant formulierter Vers geistert immer wieder durch meinen Kopf.

Zwar ziehe ich Ferienwohnungen dem Campingplatz vor und dusche auch nur dann mit kaltem Wasser, wenn die Warmwasseraufbereitung mal wieder nicht funktioniert. Trotzdem würde ich mich nicht als jemanden beschreiben, der sein Leben nach Komfort und Gemütlichkeit ausrichtet. Für Weihnachten im Kreis der Familie, den Spätgottesdienst an Heiligabend in der bekannten Kirche und ein bisschen Gemütlichkeit kann ich mich in diesem Jahr dennoch erwärmen.

Rückkehr in eine fremde Welt

Ein paar Wochen später, es sind nur noch wenige Tage bis zum Christfest, sitze ich in einem mit „Weihnachtstouristen“ gefüllten ICE und bin auf dem Weg in die niedersächsische Landeshauptstadt. Aller Vorfreude auf ein gemütliches Weihnachten zu Hause zum Trotz habe ich mich bei „Christmas in the City“, einer sozial-missionarischen Einsatzwoche in Hannovers Drogenszene, angemeldet. Was mich bei der von „Neues Land“, einer christlichen Drogenarbeit mit mehreren Therapiehäusern, organisierten Aktion erwartet, weiß ich einerseits schon, da es nicht das erste Mal ist, dass ich an diesem besonderen Weihnachtsprogramm teilnehme. Andererseits ist es wieder ein Schritt in eine fremde Welt: Es erwarten mich Begegnungen mit Menschen, die vom Leben nichts mehr erwarten und sich aufgegeben haben. Menschen, die die Hoffnungslosigkeit, in der sie gefangen sind, nicht mehr verstecken (können).

Meine neue Dankbarkeit

Es dauert ein paar Tage bis ich die ersten Berührungsängste überwunden habe, ohne Scheu auf die Menschen zugehen kann und dann häufig „nur“ zuhöre. Ich höre viel von Kinder- und Jugendzeiten, die alles andere als behütet waren und werde dabei neu dankbar für meine Familie und die Zuneigung, die ich von meinen Eltern erfahren habe. Es geht um gescheiterte Therapien, bei manchem waren es Dutzende, mal sind es betrogene Arbeiter aus Osteuropa, die auf Hannovers Straßen gestrandet sind, und von dort nicht mehr wegkommen.

Bei allem Zerbruch und Getrieben sein, dem man sich nicht entziehen kann, wenn man sich den Menschen zuwendet, nehme ich auch eine große Wertschätzung für unseren Dienst wahr. Ein ehrliches „Danke“ oder ein liebevolles Lächeln für einen Kaffee von einem vom Leben gezeichneten Mann, der ansonsten niemandem vertrauen kann, in der Obdachlosenunterkunft sogar sein Hab und Gut, zusammengepackt und verstaut in wenigen Gepäckstücken, mit auf die Toilette nimmt, sind in diesen Tagen unser Lohn.

Obdachlose, Alkoholiker und Drogenabhängige werden nicht nur in Hannover so gut es mit legalen Mitteln geht an den Rand der Gesellschaft geschoben. Die Substitutionsprogramme versorgen viele täglich auf Kosten der Beitragszahler mit der notwendigen Ration „Stoff“. Hilfe beim Ausweg gibt es kaum.

Jesus schenkt Freiheit

Je näher Heiligabend rückt, desto voller werden die Straßen. Reisende gehen eilenden Schrittes zum Bahnhof, um noch rechtzeitig daheim anzukommen.

Diejenigen, die kein Zuhause haben, ihre Nöte mit Alkohol und Drogen betäuben, haben wenig Vorfreude auf die Feiertage. Der Verlust von Angehörigen oder Weggefährten wiegt in diesen Tagen noch schwerer, die Einsamkeit verfolgt manchen wie ein treuer Begleiter.

Ich fühle mich in der Zwischenzeit angekommen, habe viele der 90 anderen Teilnehmenden von „Christmas in the City“ etwas besser kennengelernt und empfinde Freude daran, Zeit mit den Menschen auf der Straße zu verbringen. Besonders begeistern mich die Unterhaltungen mit anderen Mitarbeitenden, ehemaligen Drogenabhängigen, die bereits seit Jahren ein Leben in Freiheit führen, eine Therapie erfolgreich durchlaufen haben und nun auch mit Jesus durchs Leben gehen. Sie haben eine besondere Leidenschaft für ihre ehemaligen Weggefährten, die immer noch im Sumpf der Abhängigkeit feststecken und für die sich die Spirale fortwährend nach unten bewegt. Von Jahren auf der Straße, Gefängnisaufenthalten und der Zerstörung, die die illegalen Substanzen auch in ihrem Leben angerichtet haben, gezeichnet, verbreiten sie nicht nur in der Weihnachtszeit Hoffnung auf ein Leben in wirklicher Freiheit.

Heiligabend im SOS-Bistro

Als in den Kirchen der Stadt Tausende gerührte Kehlen „O du Fröhliche“ schmettern, wird die Menschenschlange vor dem „SOS-Bistro“, dem Hauptquartier von „Neues Land“ in Hannover, immer länger. Die Weihnachtsfeier im Rahmen von „Christmas in the City“ ist für viele zu einer festen Institution an Heiligabend geworden. Es ist der Platz, der diejenigen aufnimmt, die (nicht nur) an Heiligabend niemanden haben.

Im Innern geht es kurz vor dem Einlass geschäftig zu: Die Helfer in der Küche nehmen Stellung, um das Essen zu servieren, der Punsch wird portioniert und findet schnell nach Öffnung der Türen dankbare Abnehmer. Nicht nur ich frage mich mit kindlicher Spannung: „Sehen wir einige von denen wieder, die wir in den vergangenen Tagen kennengelernt und eingeladen haben?“

Es wird ein stimmungsvoller Abend. Die vielen Gäste fühlen sich sichtlich wohl und sind erleichtert, den Heiligen Abend nicht allein verbringen zu müssen. Nach der Weihnachtsgeschichte überreichen Kinder den gerührten Gästen schließlich die Geschenke, gespendet von christlichen Gemeinden aus der Umgebung. Ich ertappe mich, wie meine Augen im Laufe des Programms umherstreifen und die Besucher mustern. So mancher Anblick führt zu einem Schmunzeln, z.B. über einen Gast, der während seines Aufenthalts seine überdimensionierten Kopfhörer nicht abnimmt. Auf vielen der von Enttäuschungen und Tiefschlägen gezeichneten Gesichtern ist ein Lächeln zu sehen. Es ist Weihnachten geworden, mitten in Hannover und hoffentlich in vielen Herzen.

Was bleibt

„Ich muss hier raus, das ist mir zu viel Liebe“, höre ich eine junge Frau von ihren Gefühlen überwältigt sagen, bevor sie mit glasigen Augen den Raum verlässt. Es gab schon schlimmere Gründe, warum Menschen gegangen sind, denke ich mir.

Was bleibt nach acht Tagen „Christmas in the City“? Es sind wohl die vielen Begegnungen mit den Menschen in den dunklen Ecken Hannovers. Es ist die Hoffnung, dass sich der eine oder andere im neuen Jahr auf den Weg macht, seine Drogensucht hinter sich zu lassen und mit einer Therapie zu beginnen. Und es bleibt die Gewissheit, dass Jesus diese Menschen liebt! So sehr, dass er es vor über 2.000 Jahren Weihnachten hat werden lassen.

 

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Minimalismus? Nichts für mich!

Hella Thorn

Theoretisch findet Hella Thorn das „Weniger“ gut. Aber im echten Leben funktioniert es für sie nicht.

Ich möchte wirklich gern. Zumindest manchmal. Weniger Konsum. Weniger Gegenstände im Haus. Weniger Gedanken. Dafür mehr Freiheit. Mehr Bewusstheit. Mehr Konzentration.

Dann gucke ich, wenn die Kinder im Bett sind, auf YouTube Aufräum-Videos und studiere diverse Minimalismus-Blogs, schreibe mir Listen und Zettel, verkünde meinem Mann meine neuen Vorhaben: „Ab morgen verzichte ich auf XY.“ Oder: „Ab morgen mache ich jeden Tag dies oder das.“ Oder: „Ab morgen verändere ich dieses und jenes.“ Und dann stelle ich mir den Wecker eine Viertelstunde früher, um in Ruhe meine Gedanken auf die vor mir liegenden Aufgaben zu fokussieren. Oder ich miste die Kinderzimmer und mein Arbeitszimmer aus. Oder ich verzichte auf industriellen Zucker oder Plastikverpackungen. Drei Tage lang. Und dann passiert irgendetwas Unvorhergesehenes, wie der fiese Eckzahn des Kerlchens, der ihn – und uns – nachts nicht schlafen lässt und – schwupps – wird die Gedankenfokussierung im Kaffee ertränkt. Oder die Vierjährige entdeckt ihre Schnipselleidenschaft wieder neu und verteilt Schnipsel diverser Größen und Formen in allen Räumen unseres Hauses – auch in meinem frisch aufgeräumten Arbeitszimmer. Oder es kommt mir einfach nur mein Schweinehund entgegen, der sich schwanzwedelnd aufs nächste Snickers stürzt und vorbei ist es mit der Zucker- und Plastikabstinenz.

Begrenzte Auswahl

Minimalismus, also der Verzicht auf unnötigen Besitz und Konsum, auf zu viele Bekanntschaften, Termine, Ablenkungen und die teils radikale Hinwendung zur Einfachheit, Reduktion, ja Askese, findet immer mehr Anhänger. Nicht alle leben ihn so radikal wie der Berliner Joachim Klöckner, der nicht mehr als 50 Dinge besitzt. Aber die Sehnsucht, sich vom Unnötigen zu trennen, das Leben einfacher, entschleunigter und dadurch klarer zu machen, ist bei vielen Menschen groß.

Und es klingt auch verlockend: Wer weniger hat, hängt auch sein Herz an weniger Zeug, das dann nur rumsteht und verstaubt. Wer weniger in viele lockere Bekanntschaften investiert, hat mehr Energie und Zeit für echte Freundschaften. Wer weniger von Termin zu Termin hetzt, hat mehr Raum für Müßiggang. Und jeder, der schon einmal eine größere Reise unternommen hat, wird gemerkt haben: Es lebt sich nicht schlecht mit nur einer begrenzten Auswahl an Kleidungsstücken oder Gebrauchsgegenständen – und selbst von den eingepackten Sachen hat man meist noch nicht einmal alle benutzt.

Ich habe bei solchen Reisen gemerkt: Ja, ich kann damit auskommen. Aber ich freue mich nach dem Urlaub mit begrenzter Auswahl auch wieder sehr auf den Luxus, morgens vorm Kleiderschrank eine Auswahl treffen, mich spontan umentscheiden und mich auch mit vielen anderen netten Annehmlichkeiten umgeben zu können.

Schwäche für Brotdosen

Ähnlich erging es mir beim Versuch, unsere Küche zu minimalisieren. Wer braucht schon drei Suppenkellen, zwei Rührschüsseln oder Unmengen an Tupperdosen? Ähm ja, also ich. Ich benutze Suppenkellen nicht nur für Suppen, sondern auch für Pfannkuchen, um die Eier ins kochende Wasser zu legen oder um das Risotto auf die Teller zu bringen. Ehrlich gesagt, sind mir zwei Rührschüsseln auch mindestens eine zu wenig (eine kleinere bräuchten wir wirklich noch). Und auch bei den Tupperdosen stelle ich – trotz jeder Menge geerbter Dosen, Boxen und Schüsseln – immer wieder fest, dass die Größe und Form, die ich jetzt gerade brauche, nicht vorhanden ist. Mal ganz abgesehen davon, dass ich eine Schwäche für Brotdosen habe.

Ein Wochenende, an dem wir nichts vorhaben, löst bei mir mitnichten Gefühle der Entspannung aus. Es verursacht eher ein nervöses Zucken meiner Augenlider, weil ich nicht weiß, wie ich die Tage mit den Kindern gut und sinnvoll rumkriegen soll, ohne dass alle einen Koller kriegen. Ich freue mich über die festen Termine und einen vorgegebenen, ja, manchmal auch vollgepackten Alltag. Das empfindet mein persönlicher kleiner Kontrollfreak in mir als entspannend.

Aus dem Vollen schöpfen

Aber dann gibt es eben auch diese Tage, an denen ich beim Betreten des Wohnzimmers (oder auch jedes anderen Zimmers unseres Hauses) radikale Zerstörungswut bekomme und alles, was irgendwie rumsteht, in einen großen Container schmeißen möchte. Etwas mehr Leichtigkeit, etwas mehr Luft, und ich könnte auch inmitten von nicht enden wollendem Kindergeplapper wieder klar denken. So zumindest meine Vorstellung. Weniger Termine, dafür mehr Nachmittage im Garten, und die Kinder würden auf die fantastischsten Ideen kommen und sich kreative Spiele nur mit Stöcken und Steinen ausdenken. So zumindest meine Hoffnung. Und mich ärgert die Vorstellung, dass das Leben meiner Generation geprägt ist von einer alles umfassenden Konsumhaltung: Niemand will mehr etwas selbst machen, niemand will sich mehr engagieren, niemand will mehr verzichten. So zumindest der Vorwurf.

 

Und das mag auch stimmen. Denn auch ich mache abgesehen vom Essen wenig selbst. Auch ich überlege sehr genau, wann und wo ich mich in welchem Umfang engagieren möchte. Und auch ich möchte lieber aus dem Vollen schöpfen, obwohl Bescheidenheit grundsätzlich ein Wert ist, den ich gut finde.

Doch vermutlich passt dieses minimalistische Leben (gerade) nicht zu mir. Ich befinde mich mitten im Lebensabschnitt, der gerne als Rushhour des Lebens betitelt wird. Mein Leben ist voll. Mein Leben ist laut. Und ich mag mein Leben auch so. Mit Papierschnipseln, Geplapper, etlichen Tupperdosen, Playdates und Turnnachmittagen sowie spontanen Buchkäufen, obwohl ich gerade quasi nie zum Lesen von Büchern komme. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Vielleicht minimalistischere.

 

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