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Herzenssache

Wolfgang Kraska

Die Corona-Zeit hat gezeigt: Wir Menschen brauchen den Kontakt zueinander. Wir sind Beziehungswesen. Eine wichtige Beziehung gerät dabei oft aus dem Blick: die zu Gott, der laut Bibel unser Vater im Himmel und zugleich unser Schöpfer ist. Er hatte die Idee, jeden von uns zu designen, wollte mich, so wie ich bin. Nur Gott weiß, wie ich wirklich gemeint bin und wie ich mich optimal entfalten kann. Es lohnt sich, dazu mehr von ihm zu erfahren. Nur, wie kann ich an Gott herankommen?

Das Gute: Der erste Schritt ist längst getan. Gott kommt uns nahe. Offensichtlich hat er Interesse an uns Menschen –und an mir persönlich. Ich muss also nur reagieren. Ich nenne mal ein paar einfache Schritte, die jeder gehen kann:

Offen sein – Gott schaut mir ins Herz, und wenn er da entdeckt, dass ich sein Interesse an mir erwidere, bin ich bereits auf einem guten Weg zu ihm hin. Damit fängt alles an.

Nähe wagen – Ich kann Gott einfach ansprechen. Es sind keine besonderen Worte oder Rituale, nötig um sich Gott zuzuwenden. Das Gebet ist eine sehr einfache Angelegenheit: Mit Gott kann ich über alles reden, was mir auf dem Herzen liegt. Vielleicht gelingt das nicht gleich beim ersten Mal. Es ist völlig in Ordnung, sich erst vorsichtig heranzutasten – mit wachsendem Vertrauen spreche ich auch über tiefergehende Fragen.

Informationen einholen – Es gibt jede Menge Infos, wie Gott ist – sogar schriftlich, in der Bibel. Hier kann ich mehr über Gott erfahren: wie er ist, was er vorhat, was er von mir denkt und was er sich von mir wünscht. So können wir Gott besser kennenlernen.

Andere fragen – Wer sich heute auf das Abenteuer einlässt, seinen Vater im Himmel kennenzulernen ist damit nicht allein: Viele andere sind diesen weg schon gegangen oder gehen ihn gerade. Es lohnt sich, nach einer aktiven und offenen Gemeinde Ausschau zu halten und die Leute dort zu fragen, wie sie mit Gott leben und was das für sie bedeutet. Andere Menschen helfen dabei, das neue Leben mit Gott wie ein Geschenk auszupacken und zu entfalten.

Freundschaft pflegen – Gott geht es nicht um ein bisschen Aufmerksamkeit und Interesse anlässlich der Weihnachtstage. Er möchte mehr und mehr ein Teil unseres Lebens werden. Gerade im Alltag werden wir ihn immer besser kennen und verstehen lernen, Erfahrungen mit ihm sammeln, ihn lieben und ihm vertrauen. Wer dranbleibt, wird im Rückblick sagen: Gott kennengelernt zu haben, war das Beste, das mir passieren konnte.

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Gut, dass wir einander haben

Agnes Wedell

Meine Mutter war im Frühjahr im Krankenhaus. Nein, sie war nicht an Corona erkrankt. Aber wegen Corona durfte sie niemand aus unserer Familie besuchen. Gerade in einer Zeit, in der unsere Nähe für sie wichtig gewesen wäre, konnten wir sie ihr nicht geben. So wie uns erging es vielen anderen Familien. Aber anders als bei uns endeten diese Geschichten nicht immer mit einem Happy End. Alte und auch jüngere Menschen sind einsam im Krankenhaus gestorben – und ihre Angehörigen müssen jetzt damit leben, sie auf ihrem letzten Weg nicht begleitet zu haben.
Gemeinschaft  ist lebensnotwendig. Der dreieine Gott hat uns so geschaffen, dass wir einander brauchen. Von Anfang an wollen wir zu jemandem gehören. Das gibt Sicherheit und Geborgenheit.  Wer sind wir schon als Einzelkämpfer? „Der Mensch wird am Du zum Ich“, drückte der jüdische Philosoph Martin Buber dieses Bedürfnis nach Miteinander aus.
Das kann natürlich ganz  unterschiedlich aussehen: Der eine liebt es, in große Gruppen einzutauchen und unterhält mit Leichtigkeit alle Anwesenden. Die andere macht lieber mit einer Freundin einen Spaziergang, bei der sich beide rege austauschen, aber auch mal gemeinsam schweigen. Und natürlich braucht und verträgt nicht jeder dieselbe „Dosis“ an Gemeinschaft. Extrovertierte tanken im Miteinander auf.  Und leiden dementsprechend am Alleinsein. Ich bin introvertiert. Um neue Kraft zu schöpfen oder einen klaren Kopf zu bekommen, muss ich mich zurückziehen. Um danach eine Begegnung umso mehr genießen zu können.
Wenn das Bedürfnis nach Nähe und Distanz so unterschiedlich verteilt ist, kann das natürlich zu Konflikten führen – in der Familie, unter Freunden, aber auch in der Gemeinde. Zumal es ja noch so viele andere Aspekte gibt, die uns unterscheiden: Gott baut aus jungen und alten Frauen und Männern seine Gemeinde. Pedanten treffen in der Kirche auf  Chaoten, Streitlustige einigen sich mit Harmoniebedürftigen, Menschen aus verschiedenen Kulturen erleben miteinander Gemeinschaft. Ganz schön anstrengend – aber auch ein unglaublicher Reichtum!

 

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Essen wie Luther

Nathanael Ullmann

Fünfmal im Jahr treffen sich in der Sulinger Kirchengemeinde Männer, um gemeinsam zu kochen – mal klassisch, mal nach Rezepten von vor 500 Jahren. Christian Jost hat die Gruppe ins Leben gerufen.

 

Herr Jost, wie kam es zum Männerkochen?

Christian Jost: Ich leite seit zehn Jahren Familienfreizeiten in unserer Kirchengemeinde. Wir Männer saßen auf einer dieser Freizeiten abends zusammen und dachten uns: Die Frauen treffen sich regelmäßig, aber für uns Männer gibt es nichts. Also haben wir angefangen, gemeinsam in der Küche unseres Gemeindezentrums zu kochen. Begonnen haben wir mit fünf oder sechs Männern, mittlerweile sind immer so um die 20 da.

20? Kann man da noch vernünftig arbeiten?

Das ist ganz einfach: Zwei Männer sind immer Chef de Cuisine und suchen die Rezepte raus – und zwar so, dass zwei oder drei Teilnehmer zusammen einen Teil des Menüs vorbereiten können. Die einen machen das Fleisch, die anderen den Teig usw. …

Warum gerade Kochen?

Weil es verbindet. Bei der Freizeit damals haben wir uns gefragt: Was machen wir alle? Der eine joggt, der andere spielt Fußball. Aber die Freude am Kochen war das, was alle gemeinsam hatten.

Was war das Außergewöhnlichste, was Sie kreiert haben?

2017 haben wir ein Lutherdinner veranstaltet und 80 Leute aus der Gemeinde bekocht. Wir haben Gerichte zubereitet wie vor 500 Jahren. Wir haben sogar das Bier besorgt, das Luther getrunken haben soll.

Und was hat Luther so gegessen?

Erbsenbrei. Das sind pürierte Erbsen mit verschiedensten Gewürzen. Was es nicht gab, waren Kartoffeln, dafür Reis und Nudeln. Und natürlich wurde viel Fleisch gegessen, wenn man das nötige Geld hatte.

Bei Ihren regulären Treffen gibt es auch eine Andacht.

Genau, zwischendrin. Zuerst werden die Rezepte verteilt. Und wenn wir eine Stunde am Kochen sind, hole ich alle zusammen. Wir lesen aus dem Andachtsbuch „M wie Männer“.

Mittendrin eine Andacht, passt das?

Auf jeden Fall. Es wird dann immer richtig ruhig. Beim Kochen im Anschluss wird in den einzelnen Gruppen oft über das Andachtsthema gesprochen.

Haben Sie einen Tipp für Menschen, die auch ein Männerkochen veranstalten wollen?

Das Wichtigste ist eine gut ausgestattete Küche. In unserer Küche im Gemeindezentrum konnte man anfangs zwar Essen mitbringen und auf Teller legen, aber nicht wirklich kochen. Die ersten Male habe ich meine halbe Küche ausgeräumt, alle Messer und Töpfe. Da war es eine Herausforderung, auch alles wieder mit nach Hause und an den richtigen Platz in der Küche zu bringen. Irgendwann haben wir im Gemeindevorstand entschieden, die Küche richtig auszustatten. Aber prinzipiell gilt: Einfach loslegen!

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Lobpreis zu Hause

Christof Klenk

Die Corona-Krise hat für Familie Klenk neue Möglichkeiten eröffnet. War das gemeinsam Musikzieren sonst eher schwierig, wurde es nun zum Segen.

Wir machen eigentlich alle gerne Musik. Unsere drei Töchter sowieso, aber auch meine Frau und ich. Jede/r von uns spielt mindestens ein Instrument. Zusammen haben wir das bis jetzt aber eher selten getan. Ich glaube, dass man sich das auch romantischer vorstellt, als es ist.

Tränen bei den Proben

Ich weiß noch, dass wir bei einer Hochzeit mal als Familienband aufgetreten sind. Danach haben uns alle gefragt, ob wir das öfter machen. Das wäre so nett gewesen, uns da vorne zusammen zu sehen. Zum Glück hat man damals unserem Auftritt nicht angemerkt, dass wir bei den Proben mehrfach vor dem Abbruch standen, weil es heftigen Zoff gab. Mal hat die eine geheult und wollte nicht mehr, mal die andere. Ich schätze, dass wir da kein Einzelfall sind. In einer Familie gibt es immer auch eine gewisse Rivalität. Beim Musikmachen lässt die sich nicht immer abschalten. Von der älteren Schwester zu hören, dass man gerade nicht mehr im Takt war, ist gar nicht so leicht zu verkraften.

Corona-Chance

Die Hochzeit liegt jetzt sechs Jahre zurück. Entsprechend sind auch unsere Kinder älter und ein bisschen reifer geworden, vor allem aber wir Eltern. Als in der Corona-Krise die Gottesdienste ausfallen mussten, haben wir das auch als Chance begriffen. Wir haben zusammen Gottesdienst gefeiert. Ganz am Anfang noch zusammen mit unserer Nachbarin, als das nicht mehr ging, im engsten Familienkreis. Jede/r durfte sich ein Lied wünschen und dann haben wir zusammen Lobpreislieder gesungen.

In den ersten sieben Wochen der Krise war noch unsere älteste Tochter bei uns, die vor zwei Jahren zum Studium nach Münster gezogen ist. Ihre Präsenz und ihre Stimme haben unseren Lobpreis sehr belebt. Jetzt ist sie wieder am Studienort und unser Gesang etwas dünner, die Instrumente stehen eher im Vordergrund und die anderen beiden Töchter sind auch nicht jeden Sonntag dabei. Aber es ist trotzdem eine sehr schöne Erfahrung, sich in diesen Zeiten gemeinsam zu erleben und den Blick nach oben zu richten.

Manchmal vermisse ich die großen Gottesdienste gar nicht so sehr: Im Familienkreis können wir uns auf die Lieder konzentrieren, die uns besonders viel Freude machen. Das macht den Lobpreis persönlicher. Ich habe in so einer kleinen, intimen Runde den Eindruck, dass es mir eher gelingt, ganz bei mir zu sein und mich auf Gott auszurichten, weil es wenig gibt, was mich ablenkt. Häufig vergessen wir dabei sogar die Rivalität … Trotzdem freue ich mich auch auf die großen Gottesdienste und den Gesang von 250 Leuten, wenn das denn wieder möglich ist.

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„Viele wollen nicht im Kreis sitzen und Tee trinken“

Marietta Steinhöfel

Im Frühjahr 2017 hat die Kirche im Pott in Bochum ihr Hauskreis-Konzept komplett umgestellt: Gruppen können ab sofort ihr Hobby zum Thema machen und sind zwölf Wochen lang zusammen unterwegs, um geistlich zu wachsen. Pastor Renke Bohlen und Bereichsleiter Markus Bräuer erklären das Modell.

 

Im März 2017 habt ihr als Kirche das „Trimester“ gestartet.  Zwölf Wochen lang sind Gruppen zu einem bestimmten Thema oder Hobby unterwegs. Es gibt zum Beispiel eine Longboard- und eine Playstation-Gruppen.

Markus Bräuer: (lacht) Playstationspielen ist voll okay! Aber drei Sachen sollten in Familygroups – so nennen wir unsere Kleingruppen – immer vorkommen: Gemeinschaft, Gebet und geistliches Wachstum.

Wie kann man beim Zocken oder beim Longboarden geistlich wachsen?

Markus Bräuer: Natürlich ist es beim Zocken oder Longboarden direkt nicht möglich geistlich zu wachsen. Allerdings können bei diesen Aktivitäten Beziehungen aufgebaut und gepflegt werden. Mit diesen festeren und tieferen Beziehungen wird es dann auch leichter sein, sich geistlich zu öffnen und zu stützen. Wir geben unseren Leitern auch mit, dass sie mindestens einmal pro Treffen mit der Gruppe zusammen beten.

Wenn ich es recht verstanden habe, kann jeder die Leitung einer solchen Gruppe übernehmen.

Renke Bohlen: Ja, genau. Wir geben ganz viel Vertrauen in die Kirche hinein. Wir hoffen, dass Leute sagen: „Ich habe momentan Bock an diesem Thema zu arbeiten und vielleicht gibt es andere, die sich mir anschließen möchten!”

Das klingt herausfordernd für Leute, die so etwas noch nie gemacht haben. Gibt es eine Form der Begleitung?

Markus Bräuer: Ja, auf jeden Fall! Vor dem Trimester gibt es immer eine Schulung, wo wir Tipps geben und unsere Werte erklären. Wir haben mit jedem Leiter, der vorher noch nicht geleitet hat, ein persönliches Gespräch. Und während des Trimesters gibt es für jeden Family-Group-Leiter einen Coach, der sich regelmäßig bei ihm meldet, für ihn da ist und für ihn betet. Wir sprechen aber auch Leute von uns aus an, bei denen wir uns das gut vorstellen können, dass sie eine Gruppe leiten könnten.

Renke Bohlen: Das war sogar der Großteil der Leute! Die, die wir angesprochen haben, waren auch direkt begeistert und haben mitgemacht. Und das finde ich, ist das Schöne daran, dass man Menschen hilft und sie ermutigt etwas zu tun, das sie sich vorher vielleicht nie zugetraut hätten.

Wo seid ihr erstmalig auf das Konzept gestoßen?

Renke Bohlen: Bei einer Konferenz in Nürnberg hat der Leiter der Church of the Highland, erzählt, dass sein Vater, der nie in einen Hauskreis gegangen ist, eine Motorradgruppe aufgemacht hat. Dort hat der Vater seine besten Kumpels kennengelernt und sie haben sich auch noch geistlich stärken können. Da dachte der Sohn: Boah, das will ich auch! Und das dachte ich mir auch. Ich kenne so viele unterschiedliche Menschen in unserer Kirche, die nicht im Kreis sitzen und Tee trinken wollen. Das ist für die nichts. Da wünsche ich mir, dass wir Gruppen bilden, auf die die Leute echt Bock haben – zum Beispiel eine Motorrad oder Angel-Gruppe. Wir sammeln uns dabei um ein gemeinsames Interesse – das ist aber nicht der Kern! –, sondern, dass wir uns geistlich fördern und füreinander da sind!

Was hat dich an dem Konzept im Vergleich zu vielleicht eher klassischen Hauskreisen angesprochen, die über einen langen Zeitraum hinweg laufen?

Renke Bohlen: Ich muss sagen, am Anfang war ich extrem skeptisch. Ich bin jahrelang leidenschaftlicher Jugendpastor gewesen und habe Kleingruppen begleitet, wo über drei, vier Jahren enge Verbindungen untereinander entstanden sind. Ich habe das geliebt! Das war auch mein Traum für die Kirche im Pott anfangs. Aber ich musste einsehen, dass eine Jugendgruppe in der Kleinstadt nicht mit einer Gesellschaft im Ballungsgebiet wie dem Ruhrgebiet zu vergleichen ist. Die Interessen der Menschen hier sind extrem verschieden und die Gruppen sind sehr dynamisch. Bei zwölf Wochen hat man nichts zu verlieren. Die Leute können es einfach ausprobieren. Auch wenn man nicht weiß, wo man in einem halben Jahr vielleicht wohnen wird, kann starten. Und man bekommt die Möglichkeit, Verantwortung und Mitarbeit auszutesten.

Können in einem kurzen Zeitraum überhaupt  enge Verbindungen entstehen?

Renke Bohlen: Wenn die Leute Bock haben nach den drei Monate zusammen weiterzumachen, können sie das natürlich tun! Wir ermuntern dazu, die Pausen zwischen den Trimester zu nutzen, aber in diesem Zeitraum wird es dann keine Begleitung unsererseits geben.

Und wie war die Resonanz der Gemeinde?

Markus Bräuer: Ich würde sagen, es ist sehr gut gelaufen. Wir haben sehr viel positives Feedback bekommen, haben von geistlichem Wachstum und Glaubenswundern gehört. Viele Gruppen haben auch gesagt, sie machen den Sommer über weiter. Es haben sich insgesamt dreihundert Leute angemeldet – als Leiter oder Teilnehmer. Im alten System mit den fortlaufenden Familygroups hatten wir weniger. Da waren etwa zweihundertvierzig registriert, von denen viele aber gar nicht mehr gekommen sind. Daran haben wir gemerkt, dass es einen Unterschied macht, dass die Leute sich aktiv für eine Gruppe entscheiden, anmelden oder sogar gründen mussten. Zuvor war es so, dass die Leute der Gruppe in ihrer Nähe zugewiesen wurden.

Was macht ihr beim nächsten Trimester anders?

Markus Bräuer: Wir möchten die Coaches noch besser begleiten. Wir haben beim Start relativ geringe Rahmenbedingungen für die Leitenden gesetzt und ihnen Freiheit gelassen, ihr Amt selbst auszugestalten. Hier haben sich die Leitenden gewünscht, genauer zu wissen, was von ihnen erwartet wird oder wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten können. Dazu haben wir im Sommer über unser Material weiter ausgearbeitet.

Was versprecht ihr euch langfristig von der Umstellung?

Renke Bohlen: Dass Freundschaften entstehen und Menschen geistlich zusammenwachsen. Ich kann als Pastor nicht mehr alle in der Kirche kennen, aber ich möchte, dass jeder von jemandem gekannt wird. Mein Wunsch ist, dass sich Gruppen auf lange Sicht zusammentun und sagen: Wir hatten so eine gute Zeit zusammen, wir bleiben zusammen! Und vor allem, dass sie geistliche Erlebnisse haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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Zwölf Wochen kreativ

Marietta Steinhöfel

Was haben Collagen, Rapmusik oder Lettering (kunstvolles Schreiben) mit dem Glauben zu tun? Eine Menge, wenn man sie zur Anbetung Gottes nutzt. In einer Kleingruppe in Bochum stehen unterschiedliche kreative Ausdrucksformen im Mittelpunkt.

 

Ich sitze in einer von vielen Stuhlreihen der Kirche im Pott, als Pastor Renke Bohlen von der Bühne des großzügigen Gebäudes am Bochumer Stadtpark ein neues Hauskreiskonzept ankündigt. Ab sofort seien zwei Wochen Zeit, sich für die Gruppen online anzumelden. Es würde Kleingruppen zu verschiedenen Themen geben, die sogenannten Familygroups, in denen sich Leute mindestens ein Trimester lang, also für zwölf Wochen zusammen tun. Ich möchte Menschen aus der Kirche kennenlernen und geistlich wachsen. Also die perfekte Gelegenheit für mich!

 

Wo Hobby und Glaube eins werden

Zuhause am Rechner schaue ich mir online eine Zusammenstellung der Kreise an. Bislang stehen 18 verschiedene Gruppen zur Auswahl. Von Playstation-Zockern bis Bibelstudium-Hockern ist alles dabei. Auch die Gruppe „Creative“. Sie weckt meine besondere Aufmerksamkeit. Sie verkörpert genau das, was ich schon lange auf dem Herzen habe, wofür mir aber bisher die richtigen Leuten in meiner Umgebung fehlten: Mich mit Menschen treffen, die es lieben, kreativ zu sein, um Kunst und Glauben zu vereinen. Mir gefällt die Vorstellung, Gott in unterschiedlichen Dinge zu begegnen und anzubeten, im Wort, aber auch im Malen, in lyrischen Texten, im Fotografieren. Hier bekomme ich also die Chance, andere Kunst-Begeisterte zu treffen. Nach kurzer Überlegung melde ich mich an und hoffe einen Platz in der Gruppe zu ergattern. Schon kurze Zeit später schreibt mich Gruppenleiterin Teresa an. Und schon bin ich Mitglied der Gruppe, erst virtuell via WhatsApp und schon bald live.

 

Ein Gebetsraum mitten im Szeneviertel

Endlich findet unser erstes wöchentliches Treffen statt. Mit Pinseln, Blöcken, Zeitschriften versammeln wir uns im dritten Stock einer Jugendherberge, wo ein Gebetsraum eingerichtet ist. Hier – unweit des Bochumer Ausgehviertel „Bermuda 3Eck“ – hätte ich eine solchen Ort nun wirklich nicht erwartet. Er passt jedenfalls gut zu den Kernwerten unserer Gruppe, die Leiterin Teresa zu Beginn vorstellt: Gebet, Gemeinschaft und Freiheit.

Überrascht bin ich nicht, als ich auf zehn bastelfreudige Mädels treffe, alle etwa in den Zwanzigern. „Insgesamt haben sich elf Teilnehmer angemeldet“, berichtet Teresa, die die Liste durchgeht, als plötzlich die Tür aufgeht und ein großer Mann in Anzug und Krawatte reinkommt. Ich frage mich kurz, ob er sich in der Tür geirrt hat und er sich vermutlich auch. “Hallo, bin ich hier richtig bei der Creative-Group? Ich bin Marcus, ich komme gerade von der Arbeit und bin deshalb ein bisschen zu spät.”

 

Wir erfahren, dass Marcus Mitte dreißig ist, seit ein paar Jahren Christ, bei der Sparkasse arbeitet und Rapmusik für Jesus macht. „Ich dachte, kreativ sein kann ja auch was mit Musik zu haben”, sagt er und legt eine CD von sich ein, die er mitgebracht hat. Augenblicklich ist Ruhe im Raum und alle hören gespannt zu. Ich bin sehr berührt von den Texten, die wie ein Gebet in Rapform klingen. Kunst und Gebet sind hier eins. Marcus und ich vertiefen uns in ein Gespräch, auch andere tun sich zu zweit zusammen, wieder andere, beginnen zu malen. Schon an diesem ersten Abend zeigt sich, dass Freiheit ein gelebter Wert unserer Gruppe ist – die Freiheit, das zu tun, was in diesem Moment wichtig ist. Ich bin inspiriert von Marcus’ Erzählungen und begeistert von diesem ersten Abend. Die Gruppe vereint so verschieden Persönlichkeiten, ich hätte sie mir niemals aussuchen können. So unterschiedlich die Gebiete auch sind, in denen wir kreativ agieren, es ist offensichtlich, was uns eint:

  • Im Kreativsein beten wir Gott an. Wir verstehen Kunst als Lobpreis, die Inspiration des Heiligen Geistes wirkt in uns.
  • Es geht nicht um Perfektion. Es geht um die Freiheit, zu schaffen. Kunst ist eine Ausdrucksform des persönlichen Gebets.
  • Wir wollen unsere Talente verbessern und voneinander lernen. Kunst kann Menschen zum Glauben einladen, wenn wir Kunstwerke schaffen und sie im öffentlichen Raum ausstellen.

 

Das Leben ist wie ein Aquarell: Nicht planbar

An diesem Abend führt uns Co-Leiterin Jana in ihre Lieblingsdisziplin ein: das Aquarellmalen. Nach gemeinsamer und privater Gebetszeit legt sie – ganz selbstverständlich – ihre hochwertigen Farben, Pinsel und das Aquarellpapier für alle in die Mitte. Sie zeigt uns einige ihrer privaten Bilder und gibt Tipps, wie man für gewöhnlich vorgeht. Es ist schön, in der Kunst die Begabungen des anderen „sehen“ zu können. Ich habe das Gefühl, dadurch zu sehen, wie Gott uns wunderbar gemacht hat. Das, was wir gerne tun oder gut können, sei es Kunst oder etwas anderes, ist so von Gott durchdrungen, wie alles in der Welt, das er geschaffen hat. Umso mehr festigt sich mein Verständnis, dass Hobby und Glaube eins sind.

Für mich ist es, wie so oft in der Kunst – eine Übertragung auf das ganze Leben: Aquarelle lassen sich nur bedingt planen. Man gibt Kontrolle ab, denn man hat nicht immer in der Hand, wie sich die wässrige Farbe auf dem grobfasrigen Papier ausbreitet. Auch ist es kaum möglich, Dinge „rückgängig“ zu machen. Mit vermeintlichen „Fehlern“ muss man plötzlich arbeiten, sie ins Gesamtkunstwerk einarbeiten und am Ende stellen doch gerade sie die Besonderheit im Bild dar. So wie der Wasserklecks in dem Blütenmotiv meiner Sitznachbarin, der die Bewunderung von uns allen auf sich zieht: “Wie hast du das gemacht? Das sieht toll aus!”, frage ich staunend.  “Das war ein Versehen”, lautet ihre Antwort.

 

Scheinbar unvereinbare Dinge

An einem sommerlichen Abend Mitte Mai bin ich an der Reihe und bringe ein Thema mit, bei dem ich erlebt habe, dass Gott mich darin inspiriert und Bilder entstehen, die ich nicht geplant habe. Es ist das Gestalten von Collagen. Dazu habe ich einen Stapel Zeitschriften mitgebracht. Oft hatte ich keine so rechte Idee, welches Thema oder Bild ich aus Magazin-Schnipseln zusammenstellen wollte. So habe ich durch die Hefte geblättert und herausgerissen, was mich intuitiv „angesprochen“ hat. Entstanden sind Collagen mit einer Botschaft – einer Botschaft für mich. Diese handelten von Neuanfängen und dem Mut, im Vertrauen auf Gott, Neues zu wagen, manchmal aber auch vom Wunsch anzukommen und Wurzeln zu schlagen. Diese Visionen visuell vor mir zu sehen, haben mich begleitet und mich daran erinnert, was gerade mein Weg ist  – manchmal für einen bestimmten Lebensabschnitt, für die Zeit einer Entscheidung, die es zu treffen galt, manchmal für ein ganzes Jahr.

Es ist für mich als Leiterin dieses Abends schön, mit der Gruppe ein Thema zu teilen, das zu mir gehört. Nichts Angelesenes, sondern Erlebtes. Wo Menschen von Erfahrungen wie diesen berichten, können wir entdecken, wie unterschiedlich Gott mit jedem und jeder von uns Beziehung lebt. An anderen Abenden haben wir uns zum Beispiel am „Lettering“ ausprobiert, bei dem es darum geht, Schriften kunstvoll zu zeichnen. Dadurch kann man einzelnen Worte oder ganze Sätzen und ihrer Bedeutung besonderes Gewicht verleihen. Bei einem anderen Treffen wurden Plakate für das Kinderprogramm der Gemeindefreizeit bemalt.

 

Wir bleiben bestehen – auch virtuell

Die zwölf Wochen sind wie im Flug vergangen und ein bisschen traurig war es schon, als die Zeit plötzlich vorbei war. Ich kann sagen, dass das Trimester eine bereichernde Erfahrung war, in der ich Menschen kennengelernt habe, denen ich so sicherlich nicht in der Kirche begegnet wäre. Das Wissen, dass man vorerst eine Gemeinschaft auf Zeit ist, hat meiner Meinung nach großes Potenzial, um den anderen viel offener zu begegnen. Man lässt sich darauf ein, weil es ein Experiment ist. Und im Anschluss hat man die Freiheit zu wählen, ob man weitermachen oder neue Wege zu gehen möchte. Ich finde, das ist in einer Zeit wie der unseren, ein großartiges Geschenk. Ausprobieren dürfen – als Teilnehmende oder Leitende. Die WhatsApp-Gruppe unserer Creative-Croup wird jedenfalls nicht gelöscht. Und ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.

Ich gehe jetzt jedenfalls mit einem anderen Gefühl in den Gottesdienst. Denn ich weiß, ich treffe auf bekannte Gesichter, Schwestern und Brüder, mit denen ich einen gemeinsamen Weg gegangen bin, Inneres geteilt und viel gebetet habe.

 

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Judy Bailey

Interview: Jörg Podworny

„Wir sind eine Welt“

Die Sängerin Judy Bailey über Songs zwischen Reggae und Disco und die vereinende Kraft der Musik.

Judy, du bist schon von deiner Lebensgeschichte her – auf Barbados aufgewachsen, jetzt in Deutschland – eine Weltmusikerin und Weltbürgerin, die in vielen Teilen der Welt unterwegs ist. Welche Rolle spielt das für deine Art, Musik zu machen?

Es hat auf jeden Fall etwas miteinander zu tun. Ich bin auf Barbados aufgewachsen – das ist sowieso viel Reggae, Rhythmus, Calypso, afrikanische Einflüsse … Aber auch da hatte ich schon viele Poplieder in meinem Kopf. Und das ist weiter gegangen, seit ich mit Musik um die Welt reise: Was ich erlebe, das taucht auch in meiner Musik auf. Was mir gefällt, das fließt mit ein, auch unbewusst. Und wenn Leute fragen: „Wie nennst du deine Musik?“, dann ist das wirklich schwer zu beantworten. Weil es ist so gemischt: Reggae, Rock, Soul, Balladen, auch ein Disco-Song ist auf meinem neuen Album. Es ist schwer für mich, zu sagen: Das ist jetzt meine Musik. Es ist alles meine Musik irgendwie.

„Judy-Music“ sozusagen.

Ja, wirklich (lacht). Und Menschen aus buchstäblich aller Welt singen mit mir gemeinsam.

Neue Lieder haben oft zu tun mit Erinnerungen und Begegnungen. Gibt es im Rückblick auf die vergangenen Monate besonders bewegende Geschichten?

Oh, da gibt es einige! Ich habe eine ruhige Ballade getextet: „Let love have the last word“. Die habe ich geschrieben, als mein Schwiegervater gestorben ist. Das war keine einfache Geschichte. Vieles war nicht gelöst. Es gab noch viele Fragen, es war eine Herausforderung für die ganze Familie. Und das Lied soll ausdrücken: Obwohl man nicht alles versteht, soll die Liebe das letzte Wort haben – ohne dass es naiv oder simpel ist. Egal, was deine Gefühle sagen: Lass Liebe das letzte Wort haben! Auch wenn es schwer ist – lass nicht deine Wut oder deine Gefühle gewinnen! Das hat natürlich viel mit Vergebung zu tun.

Und eine zweite Geschichte: Als bei uns im Dorf viele Flüchtlinge ankamen, sind nach einiger Zeit ganz viele Leute zusammengekommen und wir haben ein Begegnungsfest gefeiert. Daraus ist das Lied „Home“ entstanden: ein Lied über Zuhause, besonders für die Flüchtlinge in meinem Dorf. Es begleitet uns irgendwie jeden Tag.

Gleichzeitig lag mein Bruder in diesen Tagen auf dem Sterbebett. Er hatte nicht das beste Verhältnis zu meinen Eltern, aber jetzt war er wieder zu Hause. Und als er gestorben ist, war das auch wie nach Hause gehen, zu Gott.

Zwei sehr eindrückliche Geschichten. Nun hat das Album den Titel One – und es trägt diesen Titel nicht einfach so …  

Ja. Ganz allgemein heißt „One“: Egal, wer du bist, wo du herkommst, wie du aussiehst und nach welcher Religion du lebst – wir sind eins! Durch die Adern jedes Menschen fließt Blut, jeder atmet, kennt Enttäuschungen, hat Freude: Wir teilen so viel gemeinsam. Als Christ heißt „One“ für mich: Wir sind eins, egal welcher Glaubensrichtung wir angehören, wenn wir den grundsätzlichen Kern des Glaubens haben. Und zusammen: Wir sind eine Kirche, haben einen Glauben, eine Hoffnung. Wir sind eine Welt.

Was ist dein Wunsch, wenn Menschen sich begegnen, wenn sie deine Musik hören oder auch gemeinsam singen?

Ich wünsche mir, dass meine Musik Leute zusammenbringt, dass wir zusammen tanzen und singen und sehen, dass wir eins sind. Und wenn wir von unserem Glauben singen, dann kann man den nicht sehen, nicht mit Händen greifen. Aber ich hoffe, dass Menschen es spüren und dass der Glaube anziehend ist für Menschen. Dazu möchte ich ermutigen mit meiner Musik.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Aufstand proben

von Lasse Eggers

Was wir konkret tun können, wenn wir merken: Die Welt geht uns was an

Wann hast du dich zuletzt öffentlich aufgeregt? Also so, dass es jemand mitbekommen hat? Oder gehörst du auch zu denen, die meinen, irgendwo im Social Web einen Hashtag zu setzen, müsste als politisches Statement allemal reichen? Wer anfängt, sich über das Thema Gedanken zu machen, stößt unweigerlich auf eine Reihe offener Fragen. Zwei davon sind mir besonders wichtig: Bin ich politisch aktiv genug? Und: Was ist eigentlich eine angemessene Art und Weise, im 21. Jahrhundert politisch aktiv zu sein?

 

Politisch aktiv?

Schauen wir auf die erste Frage. Grundsätzlich bin ich politisch aktiv: Ich gehe wählen, vertrete eine Meinung und beteilige mich an Diskursen im Social Web. Aber reicht das? Die Frage nach dem “Genug” ist eine heikle, denn wer legt schon das Maß für politischen Aktivismus fest? Na ja, zum einen haben wir da den Staat als Maßstab, der ein paar Beteiligungsmöglichkeiten anbietet. Wer unsere Demokratie stützen will, weil sie uns ein hohes Maß an persönlicher und öffentlicher Gestaltungsfreiheit gewährleistet, sollte von diesen Möglichkeiten schon Gebrauch machen. Dazu gehören die Wahlen, das Recht, Parteien zu gründen und sich darin zu engagieren, das freie Demonstrationsrecht und andere Bürgerbeteiligungen wie zum Beispiel Volksabstimmungen.

Einen anderen Maßstab, den wir anlegen sollten, bietet die Bibel. Schon die frühen Christen beschäftigte die Frage, wie sich die ethische Linie von Jesus in gesellschaftliches Leben und soziale Verantwortung übersetzen lässt. Paulus verdanken wir zum Beispiel ein paar kluge Anweisungen, wie wir als Christen mit den gesellschaftlichen Verantwortungsträgern umgehen sollen. In Titus 3,1-2 und Römer 13,1-6 mahnt er, dem Staat zu dienen und der Obrigkeit als weltlicher Autorität den fälligen Respekt zu erweisen. Unser politischer Aktivismus soll die respektieren, die verantwortlich eingesetzt sind, das Leben in unserem Land zu gestalten.

Noch eine andere Stelle möchte ich hier als eine der bedeutendsten Möglichkeiten der politischen Beteiligung besonders hervorheben: 1.Timotheus 2,1-3: „Betet für alle Menschen, besonders für die, die in Staat und Regierung Verantwortung tragen…“ Damit wir, wie Paulus sagt, in Frieden leben können. Hier bekommt das Gebet, das du still bei dir sprichst, oder die Fürbitte in der Gemeinde Gewicht: Es steuert seinen Teil dazu bei, dass wir in Frieden leben und unseren Dienst tun können. Wie schön, dass ich mich so für meinen Staat einsetzen kann.

Aber wieso sollte ich als Christ Aufstand leisten, wenn ich doch der Obrigkeit gehorchen soll? Reicht es dann nicht, wenn ich für meinen Staat bete? Es reicht überall dort nicht, wo die Gesellschaft spürbar aus den guten Ordnungen Gottes herausdriftet. Wo wir als Christen für Werte stehen, die gesellschaftlich an Wert zu verlieren drohen. Wenn es um Themen wie die Zukunft der Gentechnik, den Schutz des ungeborenen Lebens, soziale Gerechtigkeit oder den Einsatz der Bundeswehr geht, können wir einen Unterschied machen, wenn wir unsere Positionen an den richtigen Stellen einbringen.

Die Qual der Wahl: Welchen Aufstand proben wir?

Kommen wir zur zweiten Frage: Was ist die richtige Art und Weise, um heute noch politisch aktiv zu sein?

Da sind die Parteien, klar. Jede hat auch eine eigene Jugendorganisation, in der das politische Handwerk erlernt und entwickelt wird. Dabei darf es dann auch mal zur Sache gehen und Positionen sehr pointiert geäußert werden. In den Ortsverbänden der Parteien wird Lokalpolitik gemacht. Muss die neue Umgehungsstraße ausgerechnet durch ein Naturschutzgebiet verlaufen? Wie viele Bäume wollen wir uns in der Innenstadt leisten? Wie wär’s mit einem Marketingkonzept für unsere Kleinstadt? Alle Parteien suchen händeringend.

Politisch ungebunden, aber durchaus aktiv sind auch die Bürgervereine und –initiativen. Als Sparringspartner für die Politik und die Stadtverwaltung gestalten sie das Leben der Stadt oder des Viertels sehr konkret und häufig pragmatisch mit. Als Vereine spiegeln sie der Verwaltung den Bürgerwillen und sind eingebunden, wenn seitens der Verwaltung Lösungen für Gestaltungsherausforderungen im öffentlichen Raum gesucht werden.

Im akuten Fall helfen auch freiere Formen: die Mahnwache, die Demonstration, das Bürgerbegehren, die Petition, der offene Brief, ein Infostand, das Flugblatt, Kunstaktionen, Menschenketten und alles, was du dir sonst noch ausdenken kannst.

Neu in der Liste ist der Netzaktivismus, also Bloggen, Vloggen, Hashtaggen und Co. Gerade der Hashtag-Aktivismus wird oft als faul oder nutzlos eingestuft – reine Gewissensberuhigung? Natürlich beruhigt „Slacktivism“ das soziale Gewissen und geht so leicht von der Hand, dass er uns dauerhaft in Aktion versetzt. Nicht hinter jedem #prayfor… steckt auch ein Gebet. Dann doch lieber still bleiben und wirklich beten.

Aber Hashtags haben auch Power. Sie können, wenn sie richtig benutzt werden, gewaltige Kraft entwickeln in Zusammenarbeit mit den sozialen Netzwerken. Besonders jene Hashtags waren erfolgreich, die mit realen Aktionen verbunden waren. #blacklivesmatter, #aufschrei, #landesverrat: Es ist die gekonnte Verbindung des Social-Online-Lebens mit dem Real-Life, die Hashtags zu einer glaubwürdigen politischen Willensäußerung machen. Wenn Hashtags also richtig verwendet werden, dann bewegen sie etwas. Poste also das nächste #prayfor… lieber direkt mit einer Veranstaltung, die wirklich zum gemeinschaftlichen Gebet aufruft, dann folgt nämlich aus Beteiligung echte Aktion.

#aufstehen

Am Beispiel des Hashtags sieht man: Politik ist nicht nur eine Frage der Werkzeuge, sondern auch der richtigen Verwendung. Für jedes Werk gibt es das richtige Werkzeug und für jedes Werkzeug die richtige Verwendung. So liegt es an dem Umstand, der dich in Bewegung versetzt, welche Form von Aktivität in deiner Situation die richtige ist. Manchmal bewegen Hashtags die Massen, manchmal bewegen Massen auf der Straße den Staat.

Also: Bist du aktiv oder nicht? Beruhigst du nur dein Gewissen oder geht es dir ums Mitgestalten des öffentlichen Lebens? Und wogegen steht dein Herz auf, oder besser noch: Wofür? Unterlassener Aufstand ist unterlassene Hilfestellung. Es ist diese, unsere Welt, in der wir unseren Dienst verrichten. Wenn wir uns mit ihr auseinandersetzen, merken wir vielleicht, dass sie uns mehr angeht als gedacht.

Dieser Kommentar erschien in DRAN NEXT, dem Magazin zum Selberglauben. Jetzt kostenlos testen: www.dran-next.de

Unstrittig lecker

von Pascal Görtz

Jennys gedeckte Apfel-Mohntorte war ein Traum von einem Kuchen. Einer, für den man unter bestimmten Umständen töten würde. An jenem Nachmittag aber waren die Gäste dafür eindeutig zu nett: Wir saßen mit guten Freunden zusammen, ließen uns die Spätsommersonne ins Gemüt scheinen und nutzten einen vorgeschobenen Feiervorwand zur gehobenen Kalorienaufnahme. Der Nachmittag entwickelte sich prächtig, wir scherzten wild und frei, die Gäste blieben bis in den Abend. Nur ein letztes Stück Kuchen, das ab 16 Uhr unberührt auf der Kuchenplatte dahinvegetierte, bis der letzte Gast unseren Garten verlassen hatte, störte die Harmonie. Wir ließen es vor unseren Augen in der Sonne vergammeln.

Seltsam, oder? So lecker und gleichzeitig so liegen gelassen? Mir ist das an diesem Abend nachgegangen: Warum sitzen erwachsene Menschen an einem Tisch und lassen zu, dass die schlechteste aller Varianten eintrifft? Wir hätten stattdessen darüber streiten sollen, was mit dem letzten Stück Kuchen passieren soll. Wer noch Lust darauf hatte – oder ob wir es auf einem Pappteller zum Fifty-Fifty-Verkäufer tragen oder der einsamen Nachbarin vor die Tür stellen wollten. Wir haben keine vernünftige Lösung für das letzte Stück gehabt, weil der „Streit“ an diesem Nachmittag – aus Höflichkeit oder mangelnder Anteilnahme – abgesagt wurde. Ich habe das Stück am Abend in den Kühlschrank wandern lassen und nach drei Tagen ordnungsgemäß entsorgt. Schade drum.

Das letzte Stück Kuchen ist für uns das eindrücklichste Bild für etwas, um das man ruhig mal streiten darf. Und davon gibt es mehr als uns lieb sein dürfte. Es gibt genügend Menschen am Rand unserer Gesellschaft, für die niemand streitet. Und das, obwohl sie nur auf dem Papier gleichberechtigt leben dürfen. Es gibt ausreichend Situationen, in denen nicht gute Argumente das Recht auf ihrer Seite haben, sondern missbräuchliche Machtstrukturen. Es gibt doch so viel, über das man heimlich den Kopf schüttelt und erst dann auspackt, wenn andere derselben Meinung sind. Warum nicht mal miteinander auseinandersetzen und genau darin die eigene Wertschätzung ausdrücken?

Wer etwas bewegen will und um die beste Lösung ringt, wird den „Streit“ auf dem Weg dorthin als Gewinn betrachten. Selbst dann, wenn es um etwas so profanes wie das letzte Stück Kuchen geht.

So viel Streit muss noch erlaubt sein!

Dieser Kommentar erschien in DRAN NEXT, dem Magazin zum Selberglauben.  Jetzt kostenlos testen: www.dran-next.de

Vertrauter Schutzraum

von Dr. Ulrich Wendel

Wenn Gott uns anrührt, dann hat das oft große Wirkung. Aber diese Wirkung muss nicht von Dauer sein. Es kann auch sein, dass sie verpufft: Jesus sprach im Gleichnis von Vögeln, die das Wort wegpicken, oder von Dornen, die es überwuchern.

Wie kann man einen Ort schaffen, an dem das, was Gott an uns tut, geschützt ist und sich auswirkt? In unserer Gemeinde bieten wir seit Jahren regelmäßig nach dem Gottesdienst einen Fürbitte- und Segnungsdienst an. In einem Nebenraum ist ein Beter bereit – manchmal sind es auch zwei –, für das Anliegen zu beten, das jemand mitbringt. Das Gebet hat oft den Charakter der Fürbitte; das heißt: Beide kommen gemeinsam zu Gott und möchten etwas empfangen. Wenn es passt, mündet die Fürbitte aber auch in ein Segnungsgebet. Dann ist der Beter der Gebende und derjenige, der mit einem Anliegen kam, der Empfangende.
Der Wunsch, für sich beten zu lassen, kann ganz frisch in diesem Gottesdienst entstanden sein. Dann ist der Segnungsdienst der nötige Schutzraum, damit diese eben erst erfahrene Gottesbegegnung nicht im Alltag schnell wieder verblasst. Im gemeinsamen Gebet kann man vor Gott etwas festmachen. Oft kommen aber auch Menschen zum Segnungsdienst, die eine Sorge schon länger mit sich herumtragen. Sie wissen: Spätestens am kommenden Sonntag finde ich Menschen, die mit mir beten.
Genau darin liegt der große Gewinn dieses Angebotes: in der Regelmäßigkeit. Es ist unseren Gottesdienstbesuchern vertraut geworden, dass man für sich beten und sich segnen lassen kann. Das ist der Normalfall. Deshalb macht es auch nichts, wenn an manchen Sonntagen niemand kommt. Dass auf jeden Fall Beter da sind, wenn jemand hätte kommen wollen – das ist uns ganz wichtig.
In dieser meist recht kurzen Begegnung findet keine Beratung und keine Seelsorge statt. Das würde den Rahmen sprengen. Wir wollen aber auch nicht den Eindruck vermitteln, dass jedes Problem mit einem Gebet zu „reparieren“ wäre. Deshalb empfehlen wir, wenn es angebracht ist, sich weitergehende seelsorgliche Hilfe zu suchen.
Für mich ist es bewegend, wenn ich später Menschen in der Gemeinde begegne, von denen ich weiß: Für die dürfte ich beten, sie haben Gottes Segen empfangen, Gott hat etwas in ihr Leben hineingelegt. Es berührt mich auch, wenn ich erlebe, dass gestandene Männer im Gebet ihre Tränen nicht zurückhalten müssen – dieser Schutzraum ist da. Vor einiger Zeit suchte ein jüngerer Mann den Gebetsdienst auf, weil eine wichtige Entscheidung vor ihm lag. Wir beteten um Gewissheit und inneren Frieden. Ein paar Wochen später wurde seine bevorstehende Hochzeit bekanntgegeben. Und ich freute mich still: Da hat Gott gewirkt, und unser gemeinsames Gebet konnte etwas dazu beitragen.

Dieser Artikel erschien im Magazin LebensLauf. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslauf-magazin.net