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Inspirierter beten

Lydia Rieß

 

Wie die Bibel das Gespräch mit Gott belebt

„Herr, lehre uns beten.“ Diese Bitte tragen die Jünger an Jesus heran (Lukas 11,1). Beten – ist das nicht etwas, das man einfach macht? Anscheinend nicht. Denn Jesus geht auf diese Bitte ein und gibt den Jüngern ein Beispiel: das Vaterunser. Ein Gebet, das bis heute die Christenheit verbindet. Und eines, das wir direkt und sehr wörtlich aus der Bibel übernommen haben. Beten ist also etwas, das ich lernen kann. Und auch etwas, bei dem ich mich an Vorbildern orientieren darf.

Die Praxis des Bibelbetens greift genau diesen Gedanken auf. Wie das Vaterunser zeigt, ist es an sich nichts Ungewöhnliches, direkt mit Versen aus der Bibel zu beten. Manchmal erweist es sich als sehr wertvoll, wenn ich Worte verwende, die bereits seit Jahrtausenden festgeschrieben sind. Gerade das Gebet mit den Texten der Bibel führt mich zurück zum Ursprung: zu Gott selbst, zu seinem Wort und zu den Erfahrungen, die Menschen in den vergangenen Jahrtausenden mit ihm gemacht haben. Die Worte der Schrift helfen mir dabei, Gott wieder näher zu kommen und ihn besser kennenzulernen. Eine gute Voraussetzung für ein gelingendes und tiefes Gespräch.

Die Reise zurück zu den Wurzeln kann ein eingeschlafenes Gebetsleben erneuern, aber auch neue Impulse in eine bereits lebendige Praxis hineinbringen. Sie kann mir helfen, den Blick von meinen eigenen, festgefahrenen Problemen wegzulenken und hin zu Gott zu öffnen. Die Personen der Bibel hatten ähnliche Lebensthemen und -fragen wie wir heute. Ihre Worte können mir dabei helfen, diese Themen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und mit ihnen gemeinsam in Gottes Richtung zu schauen.

Es gibt verschiedene Ansätze des Bibel-Gebets. Einen Rat findet man bei allen: Wer die Bibel betet, sollte sie laut beten. Das hilft mir, stärker bei der Sache zu bleiben und mich besser in die „Gesprächssituation“ mit Gott einzufinden. Schon der Philosoph Wittgenstein wusste: Sprache schafft Wirklichkeit. Das, was ich laut ausspreche, ist für mich realer als das, was ich nur denke. Ich gebe meinen Worten mehr Gewicht und mache sie auch für mich selbst realer, greifbarer und konkreter.

Aber nicht nur das laute Sprechen ist von Bedeutung, sondern auch das, was ich sage. Bei den verschiedenen Varianten des Bibel-Betens geht es nicht darum, einfach laut aus der Heiligen Schrift vorzulesen und das dann Gebet zu nennen. Vielmehr soll die Bibel hier eine Stütze sein: zum einen, um Worte zu finden für das, worum ich beten möchte; zum anderen, um mich bewusst auf die Suche nach Gott zu machen.

Das Themen-Gebet

Beim Themen-Gebet stelle ich einzelne Passagen bzw. Verse der Bibel zu einem Gebet zusammen, um gezielt für bestimmte Themengebiete, Lebensbereiche oder auch Personen zu beten. Die Passagen kann ich mithilfe einer Konkordanz oder der Suchfunktion einer Online-Bibel nach Stichworten finden. Aus diesen Passagen erstelle ich mir in leichter Abwandlung Gebete – die Bibel wird hier also eher paraphrasiert. Ein Beispiel für ein Gebet für Angehörige und geliebte Menschen:

Gott, du bist ein Gott, der uns sieht (1. Mose 16,13). Herr, erlöse die, die ich liebe, von den Mächten der Finsternis (Kolosser 1,13) und hilf ihnen, die Rüstung des Lichts anzulegen (Römer 13,12). Hilf ihnen, in ihrem täglichen Leben den Herrn Jesus Christus „anzuziehen“ (Römer 13,14) und der Maßlosigkeit und den Versuchungen des Lebens zu widerstehen (Römer 13,13) …

Solch ein Gebet kann ich mir entweder selbst zusammenstellen oder auch von anderen übernehmen. Ich kann mir sogar ein kleines „Gebetsbuch“ mit verschiedenen Themen erstellen (auf Englisch gibt es Anregungen z. B. hier: http://www.prayingscriptures.com/praying-in-victory.shtml). Ich kann diese Gebete immer wieder neu beten, erweitern, Passagen austauschen und auch wieder herausnehmen: gerade so, wie es die Situation, die Person oder meine eigene Haltung erfordern. Durch die Kombination aus direkten Bibelworten und meiner eigenen, persönlichen Auswahl habe ich ein Gebet, das Gottes Nähe sucht und sehr direkt nach seinem Willen fragt, aber doch auch „mein“ Gebet ist.

Biblische Gebete beten

Sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament finden sich zahlreiche schriftlich festgehaltene Gebete. Die bekanntesten sind natürlich die Psalmen, die allein deshalb schon hochspannend sind, weil sie die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen und Lebensthemen abdecken – von Todesangst über Einsamkeit, Klage und Fragen des Glaubens bis hin zu Jubel und Begeisterung. Aber auch an anderen Stellen gibt es solche Gebete in sehr verschiedenen Formen: als Dank- und Lobgesänge, als Buß- und Bekenntnistexte, als Bitten und Fragen, voll von tiefer Verzweiflung oder übersprudelnder Freude.

Da ist das Gebet von Hanna, als sie Gott für den erbetenen Sohn Samuel lobt (1.Samuel 2,1-10). Oder das Siegeslied Deboras (Richter 5) und das Lied Mirjams und Israels, nachdem sie das Schilfmeer durchquert hatten (2. Mose 15). Das Buch Hiob ist stellenweise ein einziges Klagegebet, gekrönt am Ende durch ein Glaubensbekenntnis direkt an Gott. Im Neuen Testament finden sich der Lobgesang Marias (Lukas 1,46-55) und der Lobgesang des Zacharias (Lukas 1,67-79); Paulus hat verschiedene tiefgehende Gebete (z. B. Römer 16,25-37; Epheser 3,14-21; 2. Thessalonicher 2,16-17), und auch die Offenbarung des Johannes ist voll von Gebeten. Diese biblischen Gebete können uns zu „Lehrern werden, die uns beibringen, wie wir mit Gott kommunizieren können“, so beschreibt es Philip Collins, Professor für Christian Ministries an der Taylor University in Upland, Indiana.

Obwohl diese Gebete bereits in sich geschlossen und fertig sind, ist es ratsam, nicht blind drauflos zu beten, sondern bewusst Texte auszusuchen: solche, die zu meiner Situation passen und die mir Worte geben, die ich guten Gewissens zu meinen eigenen machen kann. Außerdem ist es stellenweise klug, Verse auszulassen (so macht es für das persönliche Gebet eher wenig Sinn, über „Schamgar, den Sohn Anats, zu den Zeiten Jaëls“ zu beten wie in Richter 5,6). Indem ich ein solch „fremdgeschriebenes“ Gebet bete, nehme ich die Perspektive der Person ein, die es ursprünglich betete – als Dankende, als Bittender, als Zweiflerin oder Trauernder.

Verheißungen beten

„Wenn wir Gottes Verheißungen laut beten, fangen wir an, Gottes Pläne und Ansichten zu verstehen. Wir bringen unsere Sehnsucht in Einklang mit der seinen“, so Debbie Przybylski, Gründerin eines internationalen Gebetsdienstes. Die Bibel ist voll von Verheißungen, die nicht nur Israel und den Menschen damals, sondern auch uns heute noch gelten. Sie sind in vielfacher Hinsicht ein passendes Gebetsthema: als Bekenntnis und Dank für Lebensbereiche, in denen ich bereits erlebe, wie sich diese Verheißungen erfüllen. Zur eigenen Erbauung und zum Trost, indem ich mich selbst daran erinnere, dass Gott es gut mit mir meint. Als Buße und Bitte um Vergebung, wo ich diesen Verheißungen nicht traue und selbst nach Kontrolle über mein Lebensglück strebe. Und im Ringen mit Gott, wenn ich sein Wirken und seinen Segen in meinem Leben nicht wahrnehmen kann. Verheißungen kann ich mit Hilfe einer Konkordanz oder der Wortsuche einer Online-Bibel finden. Hier hilft auch eine ganzheitliche Sicht: Auch Verheißungen des Alten Testaments kann ich mit dem Wissen beten, dass viele davon in Jesus Christus erfüllt, bestätigt oder auch in ein neues Licht gestellt worden sind.

Als Beispiel sei hier Hesekiel 36,26 angeführt: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“

Einen solchen Vers kann ich sehr vielfältig beten. Als Dank: „Danke, dass du mich erneuern willst mit deinem Geist. Danke, dass du mein steinernes, totes Herz lebendig machen willst.“ Als Bitte: „Erfülle mich neu mit deinem Geist! Nimm mein steinernes Herz weg und gib mir ein fleischernes!“ Als Buße: „Ich habe mein Herz dir und den Menschen gegenüber verhärtet. Ich habe ein steinernes Herz. Vergib mir und schenke mir ein Herz aus Fleisch.“

Die Ermutigungs-Tabelle

Ähnlich wie das Gebet mit Verheißungen ist diese Variante von Andreas Kusch*. Diese Gebetsform eignet sich vor allem in Zeiten von Not, Trauer und Schmerz. Es geht um einen Perspektivwechsel: „Wir schauen nicht auf das Dunkel, sondern auf den, der das Dunkel wenden kann. Die Zusagen und Verheißungen Gottes dürfen wir den Gedanken der Hoffnungslosigkeit und Gottverlassenheit entgegenstellen“, so beschreibt es Kusch. Diese Gebetsform sieht zunächst etwas „technisch“ aus, hilft aber gerade durch das systematische Vorgehen, im Gebet konkret zu werden.

Dabei ist Vorbereitung erforderlich, und zwar in Form einer Tabelle. In der ersten, durchgehenden Spalte formuliere ich die Situation, die mich gerade belastet. Die zweite Spalte wird in Zeilen unterteilt. In diese Zeilen trage ich die Gefühle ein, die für mich mit der Situation einhergehen (Schwäche, Angst, Enttäuschung, Hilflosigkeit …). In der dritten Spalte notiere ich parallel zu den Gefühlen die negativen Gedanken, die diese Gefühle immer wieder in mir auslösen (z. B. Schwäche: „Ich kann nicht mehr.“ Enttäuschung: „Warum lässt Gott das zu? Warum hilft er mir nicht?“ etc.). In der vierten Spalte nun trage ich Bibelverse ein, die mich in diesen Momenten ermutigen, z. B.: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12,9b). Nun „durchbete“ ich diese Tabelle. Angefangen bei der Situation über die Gefühle und Gedanken bis hin zu Gottes Verheißung, auf die ich mich stütze und die ich im Glauben annehme. Dies kann, in Bezug auf die Bibelstelle, auch in abgewandelter Form geschehen: „Gott, ich danke dir, dass deine Kraft in meiner Schwäche mächtig ist.“ Auf diese Weise wird die Tabelle zu einem Rettungsseil, das mich immer wieder daran erinnert, dass Gott in meiner Situation gegenwärtig ist und in sie hineinspricht.

Personalisiertes Bibelbeten

Auch manche Passagen der Bibel eignen sich dazu, um sie zu beten – allerdings umgewandelt zu einem persönlichen Gebet. Jesaja 43 als Dankgebet kann dann so klingen: „Danke, dass ich mich nicht fürchten muss. Danke, dass du mich bei meinem Namen rufst und erlöst und dass ich dein bin!“ Oder als Bitte: „Wenn ich durchs Wasser gehe, lass mich wissen, dass du bei mir bist. Lass nicht zu, dass die reißenden Ströme mich untergehen lassen.“ Für andere kann ich ebenfalls auf diese Weise beten, indem ich ihre Namen in den Bibeltext einfüge: „Auch wenn Paul gerade durchs Feuer gehen muss, lass ihn unversehrt bleiben. Schütze Klara und bewahre sie davor, dass die Flammen sie anrühren. Lass sie wissen, dass du ihr Gott und Retter bist.“ Solche personalisierten Bibelgebete helfen nicht nur dabei, Worte zu finden, die man manchmal einfach nicht hat. Sie führen mir auch vor Augen, dass Menschen bereits vor tausenden von Jahren dieselben Sehnsüchte, Schmerzen und Hoffnungen hatten. Und dass sie bei Gott damit an der richtigen Adresse waren.

Meditation

In Psalm 1 findet sich die indirekte Aufforderung, über das Wort Gottes „nachzusinnen Tag und Nacht.“ Das hebräische Wort für „nachsinnen“ bedeutet hier wörtlich: murmeln. Als jemand, der Gott nachfolgt, soll ich sein Wort vor mich hinmurmeln, immer und immer wieder wiederholen – es also quasi meditieren. Der Begriff „Meditation“ ist in unserem Verständnis manchmal vorbelastet. Man denkt allzu schnell an fernöstliche Esoterik und die mystische Suche nach sich selbst. Ursprünglich bedeutet Meditation aber einfach, sich von allem anderen gedanklich freizumachen und sich nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Das Ziel dabei ist, zur Ruhe zu kommen, sich zu entspannen, vor allem aber, dieser einen Sache seine vollständige Aufmerksamkeit zu widmen und sie ganz und gar aufzunehmen.

Die Bibel zu meditieren, oder anders: sie meditierend und betend zu lesen, bringt mich dazu, mehr zu tun als nur zu lesen. Indem ich einen Bibeltext bewusst lese, wiederhole und ihn betend vor Gott bringe, ihn quasi mit ihm gemeinsam lese, lasse ich ihn näher an mich heran, nehme ich ihn auf und lasse zu, dass er etwas mit mir macht. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass ich jeden beliebigen Bibeltext auf diese Weise beten kann, nicht nur solche, die sich bereits vom Wortlaut her als Gebet eignen, ganz ähnlich wie beim personalisierten Bibelgebet.

Die Bibel singen

Heutzutage finde ich unzählige christliche Lieder, die auf biblischen Passagen beruhen, teilweise sogar sehr wörtlich. Hier sei beispielhaft wieder das Vaterunser angeführt, das bereits vielfach vertont wurde. Auch in diesem Bereich finde ich eine Bandbreite an Themen: Bekenntnis, Lobpreis, aber auch Klage und Bitte. Solche Lieder kann ich ganz bewusst als Gebet singen.

Und natürlich kann ich auch Bibeltexte ganz direkt singen. Dazu kann ich mir eine eigene Melodie ausdenken oder ihn ganz „kindlich“ und spontan vor mich hinsingen. Das mag erstmal befremdlich klingen. Aber Gesang bietet einen ganz neuen Zugang zu einem Text, lässt Emotionen mit einfließen, bringt eine persönliche Note mit hinein. Hilfreich ist hier vielleicht der Gedanke, dass manche Texte der Bibel auch ursprünglich Lieder waren. Nicht nur die Psalmen, sondern z. B. das bereits genannte Siegeslied Deboras oder das Lied Mirjams, nachdem das Volk Israel durch das Schilfmeer gezogen war (2. Mose 15).

Ein paar Gedanken zum Schluss

Die meisten dieser Ansätze kann ich sowohl allein als auch in einer Gebetsgemeinschaft ausprobieren. Hier stellt sich dann die Frage, was für ein Typ Beter ich bin: Profitiere ich vom gemeinschaftlichen Gebet? Oder kann ich mich besser auf Gott einlassen, wenn ich alleine bin? Im Setting der Gruppe kann das Bibel-Beten sehr hilfreich sein, besonders für diejenigen, die einen gewissen „Performance-Druck“ spüren und nicht gut frei formulieren können, wenn andere zuhören. Das Allein-Beten kann hingegen dabei helfen, sich tiefer auf diese Ansätze einzulassen und in der Gestaltung ganz frei und ungehemmt zu sein.

Hier dürfen wir uns auf einen Weg des Lernens einlassen. Ganz nach der Bitte der Jünger: „Herr, lehre uns beten.“

 

*aus dem Buch: Andreas Kusch: Gott, du Liebhaber des Lebens, Trier, Paulinus, 2013

Dieser Artikel erschien in Faszination Bibel. Jetzt kostenlos testen: www.faszination-bibel.net

Frischer Wind für die Kirchenmusik

Musik ist wesentlich für die Kirche. Wer die Musik der Kirche ändert, ändert die Kirche. Ein Gespräch mit Martin Bartelworth, Geschäftsführer der neu eröffneten Evangelischen Pop-Akademie in Witten, über neue Liturgien, Schlager und die wachsende Vielfalt von Kirche.

Welcher Pop-Song geht Ihnen gerade durch den Kopf?

„Mach‘s Maul auf!“ von Eddi Hüneke (Wise Guys). Da geht’s darum, dass es auf jeden ankommt und dass man sich einbringen soll, und ich finde, das kann man auch gut für die Musik der Gemeinden sagen. Unsere Vision ist die singende und musizierende Gemeinde.

Wie führte diese Vision zur Entstehung der Pop-Akademie?

Entstanden ist die Pop-Akademie aus der Frage heraus, was wir aus dem Reformationsjubiläum mitnehmen können. Luther ging es auch um die Kommunikation des Evangeliums durch Musik. Musik holt Glaubensimpulse, Glaubensgefühle und Glaubenserfahrungen in die Mitte des Lebens und macht sie abrufbar. Im Bereich der traditionellen Kirchenmusik sind wir da sehr gut. Aber es gab auf dem breiten Feld der Popmusik wenig strategische Qualifizierungsmaßnahmen. Da macht oft jeder selbst sein Geschrammel.

Setzen Sie nur auf zukünftige hauptamtliche Kirchenmusiker?

Wir hatten eine Hochschule erst mal gar nicht im Blick, sondern wir dachten an Erzieherinnen in Kitas. Es soll ein Qualitätsmerkmal einer evangelischen Kita sein, dass dort religions- und musikpädagogisch professionell gearbeitet wird. Im Moment ist es so, dass die Musikalität in Kitas Zufall ist. Und das zweite war die Gemeindepädagogik und Jugendarbeit. Und es geht um Neben- und Ehrenamtliche, denn 90 %  der Kirchenmusik wird gar nicht von Hauptamtlichen gemacht, sondern im Ehren- und Nebenamt.

In welchem Verhältnis steht die Pop-Akademie zu klassischen Musik-Hochschulen?

Ein klassischer Kirchenmusikstudent hat schon jetzt immer einen kleinen Teil Popmusik im Studium. Aber wenn Gemeinden wirklich wollen, dass es auch Schwerpunktstellen im Popbereich gibt, brauchen wir einen eigenen Studiengang. Die Hochschule für Kirchenmusik in Herford hat das ernst genommen, sodass wir jetzt in Westfalen eine Hochschule mit zwei Schwerpunktstudiengängen haben.

Wie wird das konkret?

Alle sind Studenten der Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten und sie besuchen sich auch. Der Semestereröffnungsgottesdienst und z.T. auch Seminare finden gemeinsam statt. Gegenseitiges Verständnis und Wertschätzung sollen dadurch wachsen. Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um eine notwendige Ergänzung.

Man könnte jetzt fragen: Popmusik höre ich im Alltag ständig. Warum soll es unruhige, profane Musik auch in der Kirche geben?

Weil sie Menschen anspricht und weil sie Teil der Verkündigung geworden ist. Das ist Fakt. Unter 400 Stellenausschreibungen der letzten Jahre war die Hälfte explizit mit dem Hinweis versehen, dass man eine Kompetenz im popmusikalischen Bereich mitbringen muss. Und da gab es bislang überhaupt keine geeigneten Kandidaten.

Welche Chancen bietet Musik für den Gemeindeaufbau?

Ich glaube, es ist die meistunterschätzte Chance. Die Creative Kirche haben wir nur mit Musik aufgebaut. Wir haben zielgruppenspezifisch musikalische Angebote entwickelt. Da kommen Menschen, um zu singen, und darüber finden sie zum Glauben.

Welche Rolle spielen liturgische Gesänge in der modernen Kirchenmusik? Können sie durch popmusikalische Ausdrücke ersetzt oder neu interpretiert werden?

Ja, können sie. Der umfassendste Beitrag dazu kommt aus Norwegen. Tore W. Aas, der Leiter des Oslo Gospel Choir, hat eine ganz neue popmusikalisch geprägte Liturgie geschrieben. Also alles: Agnus Dei, Gloria, Kyrie … Es gibt in der norwegischen Staatskirche jetzt zwei Liturgien! Und das funktioniert hervorragend.

Das bedeutet eine starke Veränderung der Gottesdienstkultur. Wie sieht Ihrer Meinung nach die musikalische Zukunft unserer Gottesdienste aus?

Wir müssen einen zeitgemäßen Umgang mit den Bedürfnissen der Menschen nach Sinneserfahrung finden, und dazu kann die Popmusik beitragen. Meine Prognose für die Zukunft ist: Es wird vielfältiger werden.

Also wird es dann sehr unterschiedliche Gottesdienste geben? Einen mit klassischer Musik, einen mit Rock, einen mit Schlagern?

Ja, das wäre noch was, mit Schlagermusik. Das fände ich super spannend, aber ich kann‘s nicht. (schmunzelt) Aber das wäre schon toll, wenn es da was gäbe. Man wechselt die Perspektive: Nicht mein Kirchturm ist das Entscheidende, sondern das Reich Gottes.

Mit welchem Popmusiker würden Sie gerne mal einen Gottesdienst gestalten?

Herbert Grönemeyer fänd‘ ich schon gut. Gerade weil er kein Christ ist. Das ist sehr erfrischend, wenn man nicht nur immer unter sich ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieses Interview erschien in der Zeitschrift 3E. Jetzt kostenlos testen: www.bundes-verlag.net/3E

Olé du fröhliche

In immer mehr Fußballstadien treffen sich Menschen zum Vor-Weihnachtssingen

Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten. Das Weihnachtssingen auch. Und die Stadien in Deutschland werden immer voller. In der Adventszeit in ein Fußballstadion zu pilgern – um dort mit Tausenden anderen Weihnachtslieder zu singen – ist ein Trend, der Jahr für Jahr wächst.

In Aachen auf dem „Tivoli“ – für Nicht-Fußballer: das ist kein Vergnügungspark sondern so heißt das Stadion – wird es traditionell am 4. Advent weihnachtlich-stimmungsvoll; sofern der 4. Advent nicht (wie in diesem Jahr) mit Heiligabend zusammenfällt. Anno 2017 wird also am 17. Dezember gesungen. Um 19 Uhr läuten die Glocken des Aachener Doms ganz offiziell das Singen ein. Mit einem kleinen Schönheitsfehler: „Die Domklänge kommen vom Band“, verrät Siegmar Müller, Gründer und bis heute einer der Organisatoren des Aachener Weihnachtssingens.

Der Pastor im Ruhestand hatte von dem Weihnachtssingen in Berlin gehört und dachte sich: „Das könnten wir in Aachen doch auch probieren!“ Er sucht sich Mitstreiter in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), der Stadt Aachen, der Interessengemeinschaft der Aachener Fangruppen und dem Kongresszentrum „Eurogress“ (dem Stadion-Vermieter) – und 2013 findet mit 1.500 Mitsängern das erste Weihnachtssingen auf dem Aachener Tivoli statt. Zum „kleinen Jubiläum“, dem 5. Weihnachtssingen in diesem Jahr, werden wie schon 2016 wieder mehr als 21.000 Besucher erwartet.

Fußball-Clubs organisieren für ihre Fans Weihnachtssingen in den Stadien – oder sie sind selbst Gäste. Oder ein freier Organisator lädt ein. Die Modelle sind unterschiedlich. Der Hauptstadt-Club Union Berlin veranstaltet seit 2003 das Event, ist damit das Urgestein der modernen Gesangsbewegung – und mehrere Vereine der Republik zogen nach. Vor zwei Jahren (2015) waren es vier Traditionsvereine, die neben den Berlinern ein Vor-Weihnachtssingen arrangierten: Beim TSV 1860 München im Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße (dort erlebte das Adventssingen seine dritte Auflage). Im – damals noch so genannten – „Rudolf-Harbig-Stadion“ von Dynamo Dresden (wo der Massen-Gesang von dem 128-köpfigen Kreuzchor begleitet wurde). Außerdem im Westen im „Wohnzimmer“ von Alemannia Aachen (ebenfalls zum 3. Mal), und im Rheinenergie-Stadion des 1. FC Köln (wo es klassisch kölsch hieß: „Loss mer Weihnachtsleeder singe“).

In München und Dresden war nach 2015 Schluss mit dem öffentlich-volkstümlichen Singen im Advent. Immerhin tritt in diesem Jahr (am 22. Dezember 2017) der Dresdner Kreuzchor im „DDV Stadion“ auf, allerdings ohne Mitsänger und zu entsprechenden Konzertpreisen. An die Stelle der bayerischen und sächsischen Metropole treten – seit 2016 – die Sängertreffen in Gelsenkirchen auf Schalke und in der MDCC-Arena des 1. FC Magdeburg.

Weihnachtslieder, Fangesänge

Was bringt die Menschen zum Singen ins Stadion? „Gemeinsame Anknüpfungspunkte“ gibt es „in der Musik und im Gesang“, glaubt Siegmar Müller: „In der Kirche wird gesungen – und auf dem Fußballplatz, mit Inbrunst und Begeisterung.“ Beim Weihnachtssingen wird das verbunden: christliche Weihnachtslieder, volkstümliche Weihnachtslieder und Fangesänge – „das bringt Fußball und Kirche zusammen“. Auch Nicht-Alemannia-Fans singen dann die Vereinshymne. „Es packt einen mitzusingen“, findet Müller. In den vergangenen Jahren hat der Trommler von Alemannia den Song begleitet.

Das Weihnachtssingen entfaltet einen Charakter „fast wie ein Gottesdienst“ (Müller). Und ein katholischer Besucher erklärte zuletzt: „Das war meine eigentliche Weihnachtsmesse.“

Bevor es richtig losgeht, stimmen die Chöre die Gäste mit einem einstündigen Vorprogramm ein, dann folgen die 90 Minuten Hauptprogramm. Alle Texte werden in einem Liederbuch ausgeteilt, die Texte auch auf die Leinwände projiziert. Weihnachtslieder – darunter Klassiker wie „Stille Nacht“, „O du fröhliche“, „Vom Himmel hoch“, „White Christmas“ oder „Feliz Navidad“ stehen im Vordergrund. Instrumentalchöre begleiten die Lieder; (Gospel-)Chöre animieren die Leute zum Mitsingen. 2016 hat ein 9-jähriges afrikanisches Mädchen die 1. Strophe von „Stille Nacht“ allein gesungen. 2017 ist erstmals auch ein Kinderchor dabei.

Die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel wird vorgelesen. Sie sorgt ebenso für Andacht und Stille im Stadionrund wie das Gebet, das sich anschließt. Obendrein ist das Aachener Weihnachtssingen ein wichtiges Stadtereignis: Der Oberbürgermeister begrüßt jedes Jahr die Gäste. Robert Moonen, der offizielle Stadionsprecher, moderiert das Programm. Und der Sänger Jupp Ebert, ein „Öcher Original“ (Müller), stimmt traditionell die Alemannia-Gesänge an.

Mit zunehmender Größe steigen Professionalisierung und Kosten. Der Etat liegt inzwischen bei rund 100.000 € (vor allem für Sicherheit und Technik), der zu gleichen Teilen geschultert wird von Spendern, Sponsoren und einer kleinen Reservierungsgebühr der Besucher (ab 5 Euro). „Bei 20.000 Menschen können wir die Besucherströme in die Stadionblöcke und auf die Tribünen nur lenken über die Ausgabe von Tickets“, erklärt Müller.

Gänsehautmomente

Philipp Scheufler (24) studiert Fahrzeug- und Antriebstechnik an der FH Aachen. Dreimal war er schon beim Weihnachtssingen; das erste Mal auf Einladung eines Freunds: „Der meinte, es wäre megacool, das müsste man unbedingt erlebt haben! Und ich dachte: Da gehe ich mal mit.“

Mit zigtausend anderen Menschen auf den Rängen zu singen, ist „etwas komplett anderes“ als zu Weihnachten in der Kirche. Scheufler hat zwischendurch „aufgehört mitzusingen, um einfach nur zu hören“. Das war „teilweise atemberaubend.“

Und jedes Mal gibt es ganz sicher einen „Gänsehautmoment“: Am Eingang werden Kerzen verteilt, jeder Besucher bekommt eine. Das Stadionlicht wird heruntergedimmt und auf allen Rängen leuchten allein die Kerzen. „Dieser Moment hat sich bei mir festgesetzt“, gesteht Scheufler, „es ist tatsächlich eine coole Atmosphäre.“ Und das Weihnachtssingen nicht nur für ihn „jedes Mal wieder ein Erlebnis; auf jeden Fall eine Sache, die sich lohnt“. Für ihn persönlich bedeutet es noch mehr: Hier wird, eine Woche vor dem Fest, „die Weihnachtszeit eingeläutet“.

 

Von Berlin bis Köln: Weihnachtssingen 2017

Berlin: Das älteste und größte Treffen dieser Art. Hier fing alles an, an der Alten Försterei in Berlin. Im Jahr 2003 trafen sich 89 Verrückte „halblegal“ mit Glühwein und Gebäck auf Höhe der Mittellinie im Stadion An der Alten Försterei zum Weihnachtsliedersingen. Von Jahr zu Jahr wuchs die Schar der Sänger. Weihnachten 2010 erfüllten schon die Stimmen von über 10.000 Menschen das „eiserne“ Wohnzimmer.

Der Fanclub Alt-Unioner organisiert das inzwischen traditionelle Weihnachtssingen. 2017 werden über 28.000 Menschen erwartet: Das Weihnachtssingen ist zu einem generations- und vereinsübergreifenden Ereignis geworden. Pfarrer Müller trägt die Weihnachtsgeschichte vor, der Chor des Emmy-Noether-Gymnasiums gibt Tonart und Takt vor und eine kleine Bläsergruppe sorgt für festlich-fröhliche Klänge. Liederbuch und Kerze gibt es gratis – eine kleine Spende für die Nachwuchsarbeit des Vereins ist immer willkommen (23.12.2017, 19 Uhr, Einlass 17 Uhr).

Köln: Die Karnevalsmitsinginitiative „Loss mer singe“ hat einen Ableger in der Weihnachtszeit: Am 23. Dezember klingen bei „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ im Rheinenergie-Stadion Adventslieder aus Tausenden von Kehlen (23.12.2017, 19 Uhr; Tickets ab 5 Euro).

Weihnachtssingen auf Schalke: Wo sonst die Fußballprofis der Königsblauen spielen, stehen einen Tag vor Weihnachten wieder bekannte Musiker und Chöre zum Weihnachtssingen auf der Bühne. PUR-Frontsänger Hartmut Engler lässt es sich nicht nehmen, beim 2. Weihnachtssingen auf Schalke gemeinsam mit den Besuchern Weihnachtslieder zu singen (23.12.2017, 19 Uhr, Tickets 14 Euro).

Magdeburg: Das 2. Weihnachtssingen findet dieses Jahr am Tag vor Heiligabend statt. Die Tore werden um 16 Uhr geöffnet, es gibt ein kleines Vorprogramm auf den Vorplatz, mit kleiner Bühne und Weihnachtsmarkt. Aufgrund des Erfolgs beim Start im Vorjahr (7.000 Besucher) rechnen die Veranstalter in diesem Jahr mit 10.000 bis 15.000 Besuchern in die MDCC-Arena. Trotz steigender Besucherzahlen und Kosten für Bühne, Technik, Sicherheitskonzept und eine erhöhte Zahl an Liederheften und Kerzen bleibt der Eintritt zum Weihnachtssingen kostenlos (23.12.2017, 18 Uhr).

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift lebenslust. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslust-magazin.net

Daniel Kallauch

Interview: Bettina Wendland

Kinder stark machen

Über ein Vierteljahrhundert steht Daniel Kallauch schon auf der Bühne. Und macht dabei nicht nur eine professionelle Show für Kinder und Eltern, sondern vermittelt auch wichtige Werte.

Du bist seit über 25 Jahren Kindermusiker. Macht es dir immer noch Spaß?

Ja, es macht mir richtig Spaß. Vor einigen Jahren dachte ich, mit Mitte 50 mache ich mehr für Erwachsene. Aber dann hatte ich so etwas wie ein Gotteserlebnis, wo ich auf einmal wusste: „Du bist und bleibst bei den Kindern.“ Das war befreiend für mich.

Wie bist du denn überhaupt zur Kindermusik gekommen?

Seit ich 16 bin, bin ich mit Musik unterwegs – zuerst mit einem Freund, dann mit Anke, meiner Frau. Bei meiner ersten Arbeitsstelle als Vikar bin ich im Kinderbereich gelandet. Der Diakon brauchte für einen Einschulungsgottesdienst ein Lied zur Speisung der 5.000. Da ich kein passendes Lied kannte, habe ich eins geschrieben: „4999 und 1“. Danach entstand ein Kinderlied nach dem anderen und die kamen viel besser an als die Lieder, die ich vorher gemacht hatte.

Ist der Willibald auch schon 26 Jahre dabei?

Ja. Vom ersten Kinderkonzert im Januar 1991 bis heute. Der Spaßvogel sah zwar noch etwas anders aus, hatte aber immer seinen Charakter, der sich im Lauf der Jahre weiterentwickelte. So wie bei mir!

Wie hast du das Bauchreden gelernt?

Bei einen Wochenend-Kurs. Mit dem Bauchreden ist es wie mit dem Klavierspielen. Man braucht eine halbe Stunde, um zu wissen, wo welcher Ton ist. Aber es dauert zehn Jahre, bis es klingt.

Du hast in den letzten  Jahren viele Kinder erlebt. Würdest du sagen, dass die Kinder sich verändert haben?

Ja, die Aufnahmefähigkeit hat nachgelassen. Aber auch die Eltern haben sich verändert. Viele sind nicht mehr so konzentriert dabei. Bei fast jedem Auftritt gibt es eine Mutter, die mit ihrem Kind auf dem Schoß ihr Smartphone bearbeitet. Für die Veranstalter ist es auch nicht leichter geworden. Früher war eine Familienshow oft zwei Wochen vorher ausverkauft. Heute bezahlen die Leute lieber den teureren Tagespreis, um spontan entscheiden zu können, ob sie hingehen.

Hast du dein Showprogramm an diese Veränderungen angepasst?

Eigentlich nicht. Häufig bekomme ich die Rückmeldung von Eltern, sie hätten noch nie erlebt, dass ihr Kind 80 bis 90 Minuten so konzentriert bei einer Sache dabei war. Mal hören sie zu, dann kommt Willibald wieder, kurz darauf heißt es aufstehen zum Mitmachen … Wir wechseln ständig die Impulse, alles mit Regisseur und viel Erfahrung geplant.

Auf deiner neuen CD „Ganz schön stark“ geht es darum, Kinder stark zu machen. Was sind denn die größten Herausforderungen für sie?

In unserer Gesellschaft müssen alle richtig viel Leistung bringen, auch die Kinder schon. Unser Schulsystem ist darauf aufgebaut. Das ist zunehmend eine große Herausforderung für Kinder und Familien. Kreativität zum Beispiel ist kaum gefragt. Ich hoffe, dass ich Kindern, die sensibler und kreativer sind, Mut mache, stark zu sein und zu sich zu stehen.

Wie können Eltern das fördern?

Eltern müssen sich nicht dem Diktat der Schule und der Gesellschaft unterwerfen. Sie sollten den Mut haben, ihren eigenen Weg mit ihren Kindern zu gehen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu entfalten. Eltern dürfen mutig als Vorbilder vorangehen und dem Nachwuchs zeigen, dass nicht immer alles glatt läuft. Sie sollten bereit sein, ihre Kinder mehr in ihr Leben mit hineinzunehmen und ihnen zeigen, wie jemand mit Schwierigkeiten umgeht, der Gott vertraut.

Dieses Interview erschien in der Zeitschrift Family. Jetzt kostenlos testen: www.family.de

Judy Bailey

Interview: Jörg Podworny

„Wir sind eine Welt“

Die Sängerin Judy Bailey über Songs zwischen Reggae und Disco und die vereinende Kraft der Musik.

Judy, du bist schon von deiner Lebensgeschichte her – auf Barbados aufgewachsen, jetzt in Deutschland – eine Weltmusikerin und Weltbürgerin, die in vielen Teilen der Welt unterwegs ist. Welche Rolle spielt das für deine Art, Musik zu machen?

Es hat auf jeden Fall etwas miteinander zu tun. Ich bin auf Barbados aufgewachsen – das ist sowieso viel Reggae, Rhythmus, Calypso, afrikanische Einflüsse … Aber auch da hatte ich schon viele Poplieder in meinem Kopf. Und das ist weiter gegangen, seit ich mit Musik um die Welt reise: Was ich erlebe, das taucht auch in meiner Musik auf. Was mir gefällt, das fließt mit ein, auch unbewusst. Und wenn Leute fragen: „Wie nennst du deine Musik?“, dann ist das wirklich schwer zu beantworten. Weil es ist so gemischt: Reggae, Rock, Soul, Balladen, auch ein Disco-Song ist auf meinem neuen Album. Es ist schwer für mich, zu sagen: Das ist jetzt meine Musik. Es ist alles meine Musik irgendwie.

„Judy-Music“ sozusagen.

Ja, wirklich (lacht). Und Menschen aus buchstäblich aller Welt singen mit mir gemeinsam.

Neue Lieder haben oft zu tun mit Erinnerungen und Begegnungen. Gibt es im Rückblick auf die vergangenen Monate besonders bewegende Geschichten?

Oh, da gibt es einige! Ich habe eine ruhige Ballade getextet: „Let love have the last word“. Die habe ich geschrieben, als mein Schwiegervater gestorben ist. Das war keine einfache Geschichte. Vieles war nicht gelöst. Es gab noch viele Fragen, es war eine Herausforderung für die ganze Familie. Und das Lied soll ausdrücken: Obwohl man nicht alles versteht, soll die Liebe das letzte Wort haben – ohne dass es naiv oder simpel ist. Egal, was deine Gefühle sagen: Lass Liebe das letzte Wort haben! Auch wenn es schwer ist – lass nicht deine Wut oder deine Gefühle gewinnen! Das hat natürlich viel mit Vergebung zu tun.

Und eine zweite Geschichte: Als bei uns im Dorf viele Flüchtlinge ankamen, sind nach einiger Zeit ganz viele Leute zusammengekommen und wir haben ein Begegnungsfest gefeiert. Daraus ist das Lied „Home“ entstanden: ein Lied über Zuhause, besonders für die Flüchtlinge in meinem Dorf. Es begleitet uns irgendwie jeden Tag.

Gleichzeitig lag mein Bruder in diesen Tagen auf dem Sterbebett. Er hatte nicht das beste Verhältnis zu meinen Eltern, aber jetzt war er wieder zu Hause. Und als er gestorben ist, war das auch wie nach Hause gehen, zu Gott.

Zwei sehr eindrückliche Geschichten. Nun hat das Album den Titel One – und es trägt diesen Titel nicht einfach so …  

Ja. Ganz allgemein heißt „One“: Egal, wer du bist, wo du herkommst, wie du aussiehst und nach welcher Religion du lebst – wir sind eins! Durch die Adern jedes Menschen fließt Blut, jeder atmet, kennt Enttäuschungen, hat Freude: Wir teilen so viel gemeinsam. Als Christ heißt „One“ für mich: Wir sind eins, egal welcher Glaubensrichtung wir angehören, wenn wir den grundsätzlichen Kern des Glaubens haben. Und zusammen: Wir sind eine Kirche, haben einen Glauben, eine Hoffnung. Wir sind eine Welt.

Was ist dein Wunsch, wenn Menschen sich begegnen, wenn sie deine Musik hören oder auch gemeinsam singen?

Ich wünsche mir, dass meine Musik Leute zusammenbringt, dass wir zusammen tanzen und singen und sehen, dass wir eins sind. Und wenn wir von unserem Glauben singen, dann kann man den nicht sehen, nicht mit Händen greifen. Aber ich hoffe, dass Menschen es spüren und dass der Glaube anziehend ist für Menschen. Dazu möchte ich ermutigen mit meiner Musik.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Den Dank-Tank wieder füllen

Von Martin Gundlach

Wer sich dafür entschieden hat, dankbar zu leben, braucht Orte, um diesen Lebensstil frisch zu halten. Aber wo sind diese Auftank-Orte zu finden?

Wer ein dankbarer Mensch werden will, trifft eine grundsätzliche Entscheidung dafür, diesen Weg zu beschreiten. Diese Entscheidung ist die Voraussetzung für Veränderung. Klingt einfach, ist es aber nicht.

Denn das ist nicht die ganze Wahrheit. Der Alltagstest zeigt (zumindest bei mir): Der Danke-Lebensstil ist flüchtig. Zumindest mir wurde eine Haltung der Dankbarkeit nicht in die Wiege gelegt. Kaum jemand entscheidet sich einmal dafür, ein dankbarer Mensch zu sein – und bleibt es dann einfach für den Rest seines Lebens.

Es ist beim Danken ähnlich wie beim Laufen oder Autofahren: Ist der „Dank-Tank“ voll, dann ist man damit eine Weile gut unterwegs. Aber irgendwann ist der Tank leer. Der Blick, der eben noch auf die Geschenke Gottes in unserem Leben gerichtet war, sieht plötzlich wieder die herumliegenden Socken der Kinder und die Bartstoppel-Reste des Göttergatten im Waschbecken. Dann wandern die Gedanken zur kranken Freundin und hin zur weltweiten Ungerechtigkeit. Der Ärger über den bornierten Kollegen steigert noch den Unmut über die Überforderung am Arbeitsplatz. Dankbar? Jeder von uns kennt die Momente, in denen einem zu allem anderen zumute ist, nur nicht zum Danken. Und solche Momente, Menschen und Situationen wird es immer geben.

Es gibt zwei gute Möglichkeiten, den leeren Dankbarkeits-Tank aufzufüllen. Die eine ist ruhig und findet eher in der Einsamkeit und Stille statt. Die andere vollzieht sich in Gemeinschaft und ist mit mehr Lautstärke verbunden. Die eine Form ist der Rückzug, die andere Möglichkeit ist das Zusammensein mit anderen.

Ich glaube, dass den meisten von uns dabei eine der beiden Tankstellen typmäßig näher liegt. Die eine freut sich seit Wochen auf die Stille-Tage. Die andere ist froh, wenn es nicht zu ruhig wird. Der eine freut sich auf einen lauten Lobpreis-Abend, der andere ist glücklich, wenn er abends keinen Menschen mehr sehen muss und im Rückzug und Alleinsein auftanken kann.

 

Den Tank füllen: Rückzug in die Stille

Christen aller Jahrhunderte haben sich in die Stille zurückgezogen. Von den Wüstenmönchen im 6. Jahrhundert bis hin zu den Stille-Tagen, die heute auch wieder viele christliche Freizeitveranstalter anbieten, gibt es eine lange Tradition. Im Neuen Testament lesen wir: Jesus selbst zog sich immer wieder aus dem Trubel zurück, um in der Stille Kraft zu schöpfen.

Am nächsten Morgen ging Jesus allein an einen einsamen Ort, um zu beten. Später suchten ihn Simon und die anderen. Als sie ihn gefunden hatten, sagten sie zu ihm: „Alle fragen nach dir.“ Doch er entgegnete: „Wir müssen auch in die anderen Städte gehen, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.“  Markus 1,35-38 (NLB)

Zwischen zwei herausfordernden Tagen ging Jesus in die Stille, um zu beten. Das tat er nicht aus pädagogischen Gründen. Um ein „gutes Vorbild“ zu sein nach dem Motto: „Schaut her, so sollt ihr das auch machen!“ Nein, er verschwindet eher heimlich, still, unauffällig und leise. Die Jünger mussten ihn erst suchen.

„Wo ist Jesus?“

„Keine Ahnung.“

„Dann ausschwärmen und suchen.“

Irgendwann finden sie ihn. Leicht vorwurfsvoll klingt es, wenn sie sagen:

„Alle suchen nach dir!“

Sie meinen: „Wo bist du? Was tust du? Wir haben doch noch viel vor!“ Jesus geht auf diesen Vorwurf gar nicht ein. Er hat in der Stille Kraft getankt. Jetzt ist er wieder voller Tatendrang:

„Wir müssen los, in die anderen Städte …“

Er weiß: Wer sich für andere einsetzen will, wer anderen helfen will, der braucht die Besinnung, den Rückzug.

Ähnliche Szenen finden wir im Neuen Testament immer wieder: Jesus allein an abgeschiedenen Orten. Dann wieder unterwegs und in Aktion. Stille. Trubel. Stille. Trubel. Es ist fast ein Takt zwischen Aktion und Ruhe zu erspüren im Wanderleben von Jesus.

Um ehrlich zu sein: Wir wissen nicht, wie Jesus diese einsamen Zeiten gestaltet hat. Aber offensichtlich ist: Er braucht die Ruhe. Er braucht das Alleinsein. Im Rückzug findet für ihn eine Konzentration auf das Wesentliche statt, ein Zurechtrücken der Prioritäten, Gottesbegegnung. Daraus kommt die Kraft für alles Weitere.

Ich will mich nicht mit Jesus vergleichen, aber die Erfahrung kenne ich auch. Wenn ich morgens zur Arbeit fahre und in Ruhe über den gerade begonnenen Tag nachdenke, anstatt Radio zu hören, in frühmorgendlicher Muffel-Laune vor mich hin zu nörgeln oder schon in Gedanken die ersten Fragestellungen aus meinem Büroalltag zu klären. Dann werde ich dankbar: für meine Frau, für meine Arbeitsstelle, für die Tatsache, dass ich lebe, mich bewegen kann, für meine Kinder, für die Großzügigkeit Gottes und und und… Dass ich all das erleben darf! Dass ich all diese Menschen kennen darf. Mit ihnen leben darf. Dass Gott so gnädig ist… Solche ruhigen Zeiten geben dem Tag ein völlig anderes Lebensgefühl, in dem Dankbarkeit unaufhaltsam wächst.

 

Den Tank füllen: in der Gemeinschaft

Für viele füllt sich der Dank-Tank eher in gemeinsamen Aktivitäten. Die können ganz unterschiedlich aussehen, haben aber eines gemeinsam: dass ich mich auf Augenhöhe und mit einem offenen Herzen mit anderen zusammentue.

Gemeinsam beten

Immer brauchen wir die anderen, die uns dabei helfen, die Danke-Spur zu halten. Alleine hängen wir vielleicht trüben Gedanken nach – und benötigen andere, um den Kopf wieder hoch zu bekommen. Das Beten ist manchmal einfacher, wenn wir es gemeinsam tun. Denn dann bleiben wir nicht nur bei uns und unserer Sicht, sondern können uns von den anderen inspirieren, ermutigen und mitnehmen lassen. Denn das Dankgebet des anderen hilft auch mir zum Danken – und umgekehrt.

Gemeinsam singen

Gerade Musik und Gesang sind eine wunderbare Form, gemeinsam unsere Dankbarkeit Gott gegenüber auszudrücken. Lieder helfen uns, eine Haltung der Dankbarkeit zu üben und sie zu bewahren.

Danke-Lieder haben eine lange Geschichte. Die Bibel ist voll von Lob-Psalmen, mit denen der einzelne oder die singende Gemeinde ihre Dankbarkeit Gott gegenüber ausdrückt. Immer und immer wieder wurden diese Lieder gesungen, weil man immer und immer wieder die Erinnerung brauchte und auch die Erfahrung machte: Es gibt so viele Gründe, Gott zu danken. „Danke, für alles, was du gibst, Herr!“

Gemeinsam etwas tun

Für manche ist es auch das Größte, gemeinsam mit anderen etwas zu tun. „Wie schön ist es, wenn wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen!“ Gemeinsam einen Umzug stemmen, bei Freunden im Haus helfen, mit einer Gruppe eigener und fremder Kinder in den Zoo fahren. In der Gemeinschaft entwickelt sich Freude. Wer anderen hilft, hat am Ende müde Knochen, aber meistens ein dankbares, zufriedenes Grundgefühl:  Wir haben etwas Sinnvolles geschafft und vielleicht noch eine positive Rückmeldung bekommen.

Freiwillige aus den unterschiedlichsten Hilfsorganisationen sagen: „Die Menschen, denen wir geholfen haben, waren unendlich dankbar. Aber am meisten beschenkt waren wir, die wir ihnen geholfen haben.“ Andere freuen sich, wenn sie Geld zusammen bekommen haben, um Menschen in Not zu helfen oder eine besondere Freude zu machen. Das muss nicht immer etwas Spektakuläres sein. Einem Kind aus der Nachbarschaft bei den Hausaufgaben helfen, einen anderen zu einem schwierigen Arzttermin begleiten, sich gemeinsam um vernachlässigte Menschen kümmern – auch das sind wichtige Dinge.

Gemeinsam feiern

Die großen Dank-Feste Israels waren Gelegenheiten, sich zu freuen, sich an Gottes Heilshandeln zu erinnern und es zu feiern. Für die Israeliten war klar: Erinnern an die Gottestaten in der Vergangenheit und das Danken gehören zusammen.

So auch bei uns: Spontane Feste, lang geplante Feiern. Geburtstage, Feste im Kirchenjahr, Jubiläen, Hochzeitstage – das sind Erinnerungsorte, an denen wir uns bewusst machen können: Gott war mit uns – und er wird auch in Zukunft mit uns sein. Der Blick zurück bewirkt Dankbarkeit. Wir feiern das Gute, das uns widerfahren ist. Und schöpfen daraus Mut und Kraft für die Zukunft.

 

Leise oder laut?

Wie füllen Sie Ihren Dank-Tank auf? Eher in der Stille? Oder eher in der Gemeinschaft? Jedem Menschen liegt vielleicht einer der beiden Wege vom Typ her näher: Manche lieben es, alleine zu sein und müssen sich zu gemeinsamen Aktionen erst aufraffen. Andere lieben die Gemeinschaft, können aber mit Alleinsein oder Einsamkeit zunächst mal nichts anfangen. Und natürlich hat das auch etwas mit der persönlichen Lebenssituation und den Möglichkeiten zu tun. Das ist normal, das ist okay, diese Unterschiede zeichnen uns als Menschen aus.

Aber ich merke: Über die Länge der Zeit brauche ich beides. Und vielleicht profitiere ich am Ende vor allem in dem Bereich, der mir zunächst einmal fremd scheint. Als eher „lauter“ Typ taste ich mich also gerade an die Stille heran…

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Family.  Jetzt kostenlos testen: www.family.de