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Luther und die Seligkeit

von Melanie Eckmann

Einem alten Wort aus der Bibelsprache auf der Spur

„Wer’s glaubt wird selig!“ Das ist eine Redewendung, die heute Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer Aussage zum Ausdruck bringt. Dem, der den Glauben aufbringt, trotz schwacher Beweislage an dies oder jenes zu glauben, wird das eigene Seelenheil versprochen. Natürlich ist das ironisch gemeint.

Woher kommt diese Redensart? Der Ausspruch findet sich nicht wortwörtlich in der Bibel, weist aber Anklänge an den Missionsbefehl in Markus 16,16 auf, in dem es nach der Lutherübersetzung aus dem Jahr 1545 heißt: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.“ Noch enger werden die Worte „glauben“ und „selig“ in Johannes 20,29 kombiniert. Jesus begegnet Thomas, der an der Auferstehung zweifelt, mit den Worten: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Das klingt danach, als ob Jesus seinem Jünger das Seelenheil zuspricht, wenn dieser nur glaubt – also ganz auf der Linie seines Missionsbefehls.

Zwei Wege in die Seligkeit

Allerdings ist die Sache komplizierter. Das Wort „selig“ – es gehört zum Grundbestand der „Bibelsprache“ – steht in der Lutherübersetzung für zwei ganz verschiedene Worte des griechischen Grundtextes. Diese beiden Worte heißen, direkt übersetzt, „gerettet“ und „glücklich“. Es geht also einmal um ein Geschenk, das bis in die Ewigkeit hineinreicht, und das andere Mal um eine recht irdische, diesseitige Angelegenheit.

Im heutigen Deutsch sind diese beiden Aspekte kaum mit einem einzigen Wort zu erfassen. Die Medaille hat zwei Seiten. Ein Beispiel: Je nach Familienbeziehung kann der eine an Großmutters Grab der Verstorbenen einen sel’gen Frieden im ewigen Leben wünschen – und einem anderen kann ihr Tod ein seliges, glückliches, Lächeln über das Gesicht huschen lassen. Bei dem ersten geht es um das, was die Bibel mit „Rettung“ meint, beim zweiten um irdische Erleichterung, um Glück hier und jetzt.

Das Ringen um die Worte

Warum war das deutsche Wort „selig“ nun für Luther dennoch geeignet, um beide Aspekte auszudrücken? Beide Verwendungen des Adjektivs „selig“ sind aus dem Germanischen überliefert. Und das griechischen Wort für „gerettet werden“ (sōthēsesthai) hat seinerseits auch eine ziemliche Bedeutungsbreite. Es heißt – je nach Zusammenhang – „gerettet werden“, „beschützt/bewahrt werden“ und „geheilt werden“. Auch in Heilungsberichten wird es verwendet, wo jemand in irdischer Hinsicht gesund wird und die ewige Errettung noch kein Thema ist.

Um die Dinge noch komplizierter zu machen: Für die Übertragung des Neuen Testamentes in die deutsche Sprache verwandte Luther als Hilfsmittel die Vulgata, also die zu dem Zeitpunkt am weitesten verbreitete lateinische Bibelübersetzung. Am Beispiel von Markus 16,16 zeigt ein Blick zwischen ihre Buchdeckel, dass für sōthēsesthai der Ausdruck salvus erit hier seinen Platz gefunden hat. Salvus aber heißt im Lateinischen „gesund“ – obwohl der Missionsauftrag zweifellos die ewige Rettung, die Erlösung durch den Glauben, meint.

Das Glück im Jetzt

Die bekannten Seligpreisungen in Matthäus 5,3-11 sprechen nun noch einmal von einer anderen Art der „Seligkeit“. Das zugrunde liegende Wort makarios meint schlicht „glücklich“. Luther übersetzt auch hier: „Selig sind, die […]“.­ Die Worte von Jesus wirken bei genauerer Betrachtung paradox. Ein momentaner – meist unerfreulicher oder belastender – Lebensumstand bekommt das Prädikat „glücklich“. Die Seligpreisungen stellen das Leid in der Gegenwart in das Licht einer verheißungsvollen Zukunft. Und in diesem Licht kann der Leidende jetzt schon „glücklich“ sein. Auch hier geht es nicht um Erlösung in der Ewigkeit. Jesus meint ein irdisches Glück.

Genau das ist auch die Aussage gegenüber dem Zweifler Thomas. Die Seligkeit in Johannes 20,29 bezieht sich nicht auf das selige Leben bei Gott, sondern ein Glücklich-Sein auf Erden: „Wer’s glaubt, wird selig. Das Versprechen von Jesus zielt auf die Erde.

Greifbares Glück

Glück war für damalige Menschen aus der griechisch-römischen Kultur etwas durchaus Greifbares. Mit ihrem Wort für „glücklich“ – makarios – meinten sie Erfahrungen, die auch mit den Sinnen erfasst werden konnten. Sie dachten nicht bloß an irgendetwas in der Seele.

Genau hier entsteht eine weitere Schwierigkeit mit unserem Wort „selig“. Es klingt eben so sehr nach Seele. In früheren Jahrhunderten wurde dieses Wort tatsächlich noch mit zwei e geschrieben; da sprach die Kirche jemanden „seelig“ und man fragte sich, wie man „seelig“ sterben könne. Gemeint war: so sterben, dass man in die Erlösung eingeht. Wir würden das also als „errettet“ bezeichnen, das griechische Wort sōthēsesthai steht im Hintergrund.

Nun bezieht sich aber die biblische Auferstehungshoffung durchaus nicht nur auf die Seele. Paulus spricht von körperlicher Auferstehung. Das Wort „seelig“ verdeckt diesen Aspekt. Und auch heute noch sind die Seligpreisungen von Jesus diesem Missverständnis ausgesetzt, dass Jesus nur etwas Seelisches meine. Doch so ist es keineswegs. Egal ob das Glück auf Erden gemeint ist oder das Gerettet-Sein bei Gott – die Seligkeit hat in ihrer germanischen Wortherkunft nichts mit der „Seele“ gemeinsam. Von einer bloßen Innerlichkeit kann nicht die Rede sein. „Selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören“, sagte Jesus zu seinen Jüngern (Matthäus 13,16). Und was sahen ihre Augen, wovon hörten ihre Ohren? Doch zum Beispiel auch die Heilungswunder von Jesus. Etwas sehr Irdisch-Greifbares also. Daran beteiligt zu sein, auch das ist Glück.

Luther auf’s Maul geschaut

Luther führte für Jahrhunderte ein Wort in Sprachgebrauch und Volksglauben ein, das zwei Bedeutungen kombinierte. Das prägte. So hat der Volksmund Luther auf’s Maul geschaut und über die Zeit das Sprichwort gebildet: „Wer’s glaubt, wird selig.“ Wenn wir heute verstehen wollen, welche Bedeutung in welcher Bibelstelle genau gemeint ist, hilft uns das Wort „selig“ allerdings nicht mehr viel. Wer hier andere, heute präzisere Worte verwenden wollte, würde wohl ganz im Sinne Luthers handeln, der sagte: „Denn wer übersetzen will, muss einen großen Vorrat an Worten haben, dass er die Wahl haben könne, wo eins nicht an alle Stellen recht klingen will.“

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Ist die Zeit der Ewigkeit abgelaufen?

von Marietta Steinhöfel

Nachgefragt bei Prof. Dr. Peter Zimmerling, Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig.

Die heutige Gesellschaft lebt im Hier und Jetzt. Auch unter Christen ist man viel beschäftigt – Gottesdienstvorbereitungen, Chorproben, Teamtreffen… Hat die Ewigkeit da überhaupt noch Platz?

Kaum. Für die Christenheit, und selbst für „heißtemperierte“ Gläubige, ist Ewigkeit in den Hintergrund gerückt. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist unsere Gesellschaft ebenso beschäftigt mit dieser Welt, dass die Perspektive auf eine andere, unsichtbare Welt schlechte Karten hat. In der ehemaligen DDR kommt hinzu, dass die Propaganda der SED – die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – die christliche Auferstehungshoffnung regelrecht diskreditiert hat. Man sagte: Die Jenseits-Hoffnung sei eine Form von Vertröstung, und hindere Menschen daran, mit aller Kraft für die Verbesserung der irdischen Verhältnisse zu kämpfen.

Bei allem Nicht-Perfekten in der Welt scheint die Vertröstung auf eine bessere Zukunft naheliegend. Doch ist dies erstrebenswert? Ewig das Gleiche, ewig orgellauschend?

Der Eindruck von einer Ewigkeit als nahtlose Fortsetzung des Jetzt-Zustandes ist unter anderem dadurch aufgekommen, dass die Evangelische Theologie aufgegeben hat, irgendetwas Inhaltliches über das ewige Leben auszusagen. Ja, es gibt eine Kontinuität zwischen unserem irdischen und dem ewigen Leben. Denken wir an das neue Jerusalem, das auf die Erde herabkommt, dann sehen wir auch, dass all das Schöne, der Reichtum der Kulturen, den es auf dieser Welt gibt, nicht verloren geht, sondern eingebracht wird in die himmlische Stadt. Aber es gibt auch eine Diskontinuität: Das neue Leben bei Gott ist etwas völlig anderes. Es kommt zu einer Verwandlung in eine andere Qualität. Und zwar nicht in Form von einem Weniger an Leben, sondern einem Mehr. Einem vollendeten Leben in Fülle, frei von Begrenzungen. Wir haben nur das Problem, dass wir diese biblische Botschaft irgendwie nicht richtig vermittelt bekommen.

Ewigkeit als Begriff ist schwer greifbar – vor allem für die Wissenschaft. Wie bekommen Sie ihn zu packen?

Ewigkeit wird oft versucht, allein auf der Zeitschiene zu verorten. Die Zeitlosigkeit ist aber nur ein Aspekt von Ewigkeit. Wir müssen auch die qualitative Dimension ins Gespräch bringen. Außerdem müssen wir versuchen zu vermeiden, dass der Himmel nur ganz jenseitig gedacht wird. Es gibt „Vorwegerfahrungen der Ewigkeit“, die wir alle erleben können; zum Beispiel bei Naturerfahrungen wie dem Anblick eines wunderschönen Sonnenuntergangs, im Gottesdienst durch himmlisch anmutende Musik und Gesänge, oder die unmittelbare Antwort auf ein Gebet. In solchen Momenten hat man doch den Eindruck, dass der Atem des Höchsten einen schon berührt. C.S. Lewis hat in seinem Buch „Die große Scheidung“ einen Versuch unternommen, Ewigkeit als Qualitätsbegriff in Bildern zu verorten. Symbole, die beschreiben, wie sich dieses „Mehr an Leben“ anfühlt: Das Schwimmen im frischen Bergsee, das all das Positive enthält, was wir auch im irdischen Leben erleben können, aber ohne das, was sonst noch an Negativem im Hintergrund dabei ist. Etwa das Gefühl des Unterkühlt-Werdens oder die Angst vorm Ertrinken. Es bleibt nur das Gefühl prickelnder Frische.

Das Cover Ihrer neusten Publikation (Evangelische Mystik) ist betitelt mit „Alles Ding währt seine Zeit – Gottes Lieb in Ewigkeit“. Was bedeutet das?

Mystiker und Mystikerinnen haben sich nicht damit zufrieden gegeben, erst nach dem Tod ungetrübte Gottesgemeinschaft und Seligkeit zu erfahren. Sie sind umgetrieben von der Sehnsucht, die „unio mystica“, die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott, schon jetzt zu erleben. In solchen Augenblicken verschwindet plötzlich die Zeit, so wie wir sie gewöhnt sind. Die Begegnung mit dem Göttlichen, so sagen die Mystiker, ist eine so intensive Erfahrung, dass die Schranken von Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft fallen.

Herr Prof. Dr. Zimmerling, vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview erschien im Magazin 3E. Jetzt kostenlos testen: www.magazin3e.net