Beiträge

Wenn flexibel auf organisiert trifft

Rüdiger Jope

Der Iraner Gholamreza Sadeghinejad liest das Johannesevangelium. Dabei begegnet ihm Jesus. Er konvertiert und muss fliehen. In Deutschland studiert er Theologie. Seit September 2018 ist Reza zuständig für die Beheimatung Geflüchteter in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern (ELKB).

Vor fünf Jahren sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Blick auf die Flüchtlingskrise den epochalen Satz „Wir schaffen das“. Würden Sie Ihr zustimmen?

Ich war froh, dass Angela Merkel damals Kanzlerin Deutschlands war. Sie hat mir als ehemaligem Flüchtling, der achtzehn Monate aus dem Iran unterwegs war, mit diesem epochalen Satz aus der Seele gesprochen. Ich finde, dass „wir“ politisch, gesellschaftlich und kirchlich gut unterwegs sind. Und ich bin sehr froh, dass sich unser Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm der Sache so engagiert angenommen hat und jetzt ein Schiff zur Rettung der Flüchtling auf dem Mittelmeer unterwegs ist.

Was hat Sie zum Flüchtling gemacht?

(holt tief Luft) Wollen Sie nur ein Kirchenmagazin über mich machen? Stoff hätte ich genug. (lacht) Über einen Arbeitskollegen, der auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft hatte, habe ich mir ein Johannesevangelium ausgeliehen. Ich las die Seiten, war wie gefesselt. Dabei hatte ich förmlich das Gefühl, dass mein Kopf in Flammen steht. Mir war plötzlich klar: Ich bin Christ. Ich habe mich daraufhin einer Untergrundgemeinde angeschlossen. 2009 ließ ich mich taufen. 2010 flog die Gemeinde auf, der Imam des Ortes erklärte sämtliche Christen für vogelfrei. Dies bedeutete: Jeder konnte dich töten ohne dafür belangt zu werden. Über die Türkei, Tansania, Kenia, Nairobi und Mombasa floh ich nach Europa.

Wie wird ein Vierzigjährige Iraner zum Ansprechpartner für evangelische Kirchengemeinden in ganz Bayern?

2012 kam ich nach Deutschland. Ich hatte den brennenden Wunsch Theologie zu studieren. Das Johanneum in Wuppertal räumte mir diese Möglichkeit ein. Bereits während dem Studium wurde ich von der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns angefragt: Können Sie sich vorstellen, die über 1100 iranischen Christen in Bayern zu begleiten?

Sie sind seit 2018 Ansprechpartner für konvertierte Flüchtlinge. Was ist ihre Aufgabe?

Ich kümmere mich um Farsi sprechende Christen aus dem Iran und Afghanistan zwischen Aschaffenburg und Obersdorf. Ich bin deren Seelsorger und Ansprechpartner. Ich gestalte persische Gottesdienste. Ich bin bayernweit für Gottesdienste, Bibelstunden und Hauskreise unterwegs. Ich stehe Ehren- und Hauptamtlichen aus den Gemeinden als Ansprechpartner und Ratgeber zur Seite.

Iranische Christen werden Teil der evangelischen Kirche Bayerns. Alles Bestens? Was sind große Stolperfallen auf Seiten der Iraner, der Deutschen?

Manche Iraner kommen eigentlich nie pünktlich zum Gottesdienst. Wir passen von unserer Kultur gar nicht in die protestantische Kultur mit einem Gottesdienstbeginn um Punkt 10.00 Uhr. Iraner sind von ihrem Naturell her sehr flexibel und locker. Wenn dann diese Art auf die Deutschen trifft, die alles 100% vorbereiten, im Griff haben, organisieren…, dann knistert es schon mal in Gemeinden, weil Iraner einfach sehr „flexibel“ sind. (lacht) Auch kommunikativ gibt es große Unterschiede.

Zum Beispiel?

Wenn ein Iraner sagt „Du musst mir helfen!“ drückt er damit die Bitte und Frage aus „Kannst du mir helfen?“ Diese Art zu kommunizieren sorgt bei Helfenden schnell für Frust und Überforderung.

Was ist für einen Iraner gewöhnungsbedürftig bei dem Besuch eines herkömmlichen Gottesdienstes?

Die kühle, anonyme Distanziertheit, die es auch ohne den Coronaabstand in den meisten Kirchengemeinden vorherrscht. In kleinen Orten passiert es immer mal wieder, dass Geflüchtete sich in der Kirche hinsetzen und plötzlich eine Person kommt und sagt: Dies ist mein Platz. Ein großer Stolperstein ist in der Landeskirche auch die traditionelle Liturgie. Hier braucht es viel Geduld, den Willen, die Dinge gut und verständlich zu erklären, aber auch Mut zur Lücke, zum Auslassen oder zur Veränderung.

Iraner bringen ihre Kultur mit.  Welchen Reichtum bringen iranische Christen ein?

Gute Frage. Meine Überzeugung ist: Diese beiden Kulturen können sich gerade im Gottesdienst gegenseitig befruchten. Wir bringen einen einfachen Glauben, eine Freude an Jesus mit. Wenn Sie einen Iraner fragen, warum bist du Christ geworden, antwortet er: Weil ich meinen Frieden in Jesus gefunden habe. Stellen Sie diese Frage mal einem deutschen Pfarrer mit seiner durchreflektierten Theologie oder einem durchschnittlichen Gottesdienstbesucher. (lacht) Dieses Feuer und Flamme sein für Jesus kann deutsche Gemeinden ungemein bereichern, ihnen helfen mal aus dem verkopften Glauben rauszukommen.

Erleben Sie Gemeinden, die durch Iraner verändert werden?

Ja, unbedingt! Lesungen werden in Farsi gehalten, Lieder werden in Farsi gesungen. Teil der Liturgie wie „Christi du Lamm Gottes“ erklingen im Wechsel in Farsi und Deutsch. Ich erlebe viele Deutsche, die sich sehr über gemeinsame Bibelstunden freuen, deren Glauben beflügelt wird, von dieser kindlichen Glaubensfreude.

Mit dieser Projektstelle will ihre Landeskirche ein Zeichen setzen nach dem Motto: Das sind auch unsere Gemeindemitglieder, wir haben für sie Verantwortung und wir kümmern uns. Doch was passiert, wenn aus den Umsorgten, plötzlich Kümmerer, aktive Gemeindeglieder werden?

7 iranische Männer und Frauen sind inzwischen gewählte Mitglieder von Kirchenvorständen in Bayern. Ja, Iraner wollen sich beteiligen, nicht nur Empfänger, sondern auch Gebende sein. In manchen Gemeinden wird nach dem Gottesdienst persisch gekocht. Ohne Afghanen und Iraner sind manche Gemeindefeste gar nicht mehr durchführbar. Die sind früh da, packen mit an und gehen als Letzte nach Hause.

Immer wieder taucht der Vorwurf auf: Flüchtlinge lassen sich taufen, damit sie hier in Deutschland bleiben können. Was entgegnen Sie?

Das ist ein schwieriges Feld. Iraner sind auch Menschen wie Sie und ich. Kurz: Ja, mir begegnen auch Menschen, die den christlichen Glauben benutzen, um hier Asyl zu bekommen. Ich verstehe es menschlich natürlich, wenn jemand alles versucht, um hier zu bleiben. Trotzdem lasse ich mich ungern auf den Arm nehmen, wenn es um Jesus geht. Doch 95% der Flüchtlinge, mit denen ich zu tun habe, haben sich ihren Glauben etwas kosten lassen. Sie haben die Familie, ihren Job, ihre Heimat, die Freunde verlassen müssen, weil ihnen die Verhaftung oder gar der Tod drohte.

Was schätzen Sie in Deutschland? Was vermissen Sie?

Ich schätze die Religionsfreiheit. Das ist unglaublich kostbar. Auch die Demokratie, die Rechtsstattlichkeit halte ich für ein sehr kostbares Gut. Jeder darf sein wie er will. Diese Individualität, dies Freiheit findet sich in der islamischen Welt fast nirgendwo.

Sie sind zuständig für über 1000 iranische Flüchtlinge in Bayern. Was macht Sie getrost nach dem Motto: Ich schaffen das?

Weil ich Jesus an meiner Seite habe. Weil ich weiß, dass meine Landeskirche hinter mir steht, sie mich angestellt und mit großen Freiheiten ausgestattet hat. Weil die Verantwortlichen mir ein großes Vertrauen entgegenbringen, mich unterstützen, damit iranische Christen eine Heimat in unserer Kirche finden.

Dieser Artikel erschien in 3E. Jetzt kostenlos testen: www.magazin3e.net

 

Das Bibel Projekt

Liesa Dieckhoff

Neuer Zugang zu alten Schätzen

Ist die Bibel in gedruckter Form noch zeitgemäße Verkündigung? Müsste jetzt nicht alles digital werden? Nein, meint Philipp Kruse. Er hat mit dem Bibel Projekt eine Kombination aus digitalen und analogen Inhalten nach Deutschland gebracht. Animierte Videos und übersichtliche Poster sollen das Buch der Bücher neu anschlussfähig machen.

Philipp, wie bist du mit dem Bibel Projekt in Kontakt gekommen?

Als Jugendpastor habe ich nach einem Tool gesucht, um meine Jugendlichen besser mit biblischen Inhalten zu schulen. Vor drei Jahren bin ich dann in Amerika während einer Schulung auf das original amerikanische Bibelprojekt gestoßen. Und da dachte ich, das ist so cool, das muss es auch in Deutschland geben.

Und dann habt ihr die Videos einfach aus dem Englischen übersetzen lassen?b

Das amerikanische Projekt war damals noch gar nicht so groß, aber schon am Durchstarten. Als ich nachgehört habe, ob sie sich sowas vorstellen könnten, meinten sie: Mach einfach mal, du bist der erste, der gefragt hat. Mittlerweile haben sie Anfragen aus der ganzen Welt.

Warum ist das Interesse auf einmal so groß?

Ich glaube, gerade Jugendlichen fällt es oft schwer, die Zusammenhänge der Bibel zu verstehen. Für viele sind das einfach Geschichten, die aneinandergereiht sind. Aber das große Ganze zu sehen, die eine Geschichte, die Gott mit uns Menschen schreibt und darin seinen Platz zu finden, ist eine echte Herausforderung. Genau dort wollen wir ansetzen und aufzeigen: Wie hängt das Alles zusammen? Was ist der rote Faden der Bibel? Und was hat das mit meinem Leben zu tun?

Trotz dieser großen Perspektive kommt man um konkrete Auslegungen nicht herum. Wer legt die theologische Deutung der Videos fest?

Das große theologische Konzept kommt von Tim Becky. Er war Professor für Theologie in Portland, Oregon. Den Videos liegt eine Mischung aus evangelikaler und reformierter Theologie zugrunde – und das unterstützen wir von Herzen. Die Freiheit, Kleinigkeiten zu ändern, haben wir natürlich. Zum Beispiel müssen wir sprachlich oft Anpassungen vornehmen. Aber das große Konzept brechen wir nicht auf.

Wieso ist euch dieses Medium ein besonderes Anliegen?

Ich glaube, weil es digital und analog nicht gegeneinander ausspielt, sondern auf eine coole Art und Weise miteinander verbindet. Ich werde oft zu Diskussionen eingeladen und gefragt: Muss jetzt alles digital werden? Liegt die Zukunft in digitaler Jugendarbeit? Aber ich glaube nicht, dass die Frage nach analog oder digital entscheidend ist, sondern ob es ästhetisch schön ist, ob es sinnvoll und gut gemacht ist und ob es eine gewisse Tiefe hat. Sinnvoll ist oft eine Kombination aus beidem. Ein gutes Beispiel dafür sind die Micro-Influencer, die es gerade im Bereich Bible-Lettering gibt. Die verkaufen auch alle ihre Karten und Poster, Tagebücher und T-Shirts und generieren damit eine beeindruckende Reichweite.

Wie können Gemeinden oder Privatpersonen die Videos für sich nutzen?

Vor allem Hauskreise nutzen unser Material, bestellen sich die Poster und diskutieren darüber. Seit ein paar Monaten läuft auch das Zusatzmaterial an. Damit wird das Bibel Projekt runtergebrochen in die einzelnen Facetten von theologischer Ausbildung, Jugendarbeit, Religionsunterricht, und so weiter. Es soll zum Beispiel noch eine Toolbox für Jugendarbeit entstehen, so eine Art Schuhkarton, wo Gruppenstunden-Entwürfe zu unseren Videos drin sind. Wir wissen auch, dass viele Studierende mit unserem Material lernen – zum Teil sogar von Dozierenden, die es im Unterricht einsetzten.

Und ihr finanziert die Übersetzungen über Spenden?

Genau, wir geben alles kostenlos raus und finanzieren uns allein über Spenden. Wir haben vor, bis Januar die Read-Scripture-Serie zu beenden. Aber natürlich ist deshalb das Bibelprojekt nicht zu Ende! Es gibt mittlerweile schon acht Serien und es kommen noch mehr. Wir haben Material für die nächsten fünf Jahre.

Und wie priorisiert ihr dann, was ihr als nächstes herausgebt?

Die Landeskirche Württemberg ist vor eineinhalb Jahren als Partner bei uns eingestiegen. Gemeinsam haben wir eine Prioritätenliste erstellt: Welche Bücher sollten wir zügig vorliegen haben, weil sie am meisten gelesen und gebraucht werden? Das sind zum Beispiel die Evangelien, alle Paulusbriefe oder die kleinen Propheten.

Wie viel Aufwand investiert ihr in ein Video?

Wir brauchen mindestens vierzehn Tage für ein Video, und das mit sieben Hauptamtlichen. Das war auch die Herausforderung: Den Prozess so zu optimieren, dass wir relativ schnell sind. Aber dafür braucht es eben mehrere Menschen, die das beruflich machen und das Know-how mitbringen. Die Animationen sind komplex und sehr zeitintensiv.

Lohnt sich der Aufwand?

Absolut. Wir sind anfangs fast überrannt worden und konnten die Anfragen zeitweise kaum kanalisieren. Manchmal haben wir schon ein schlechtes Gewissen, weil wir so schnell gar nicht auf alles reagieren können.

Welche Kanäle für digitale Bibelvermittlung wollt ihr künftig noch nutzen?

Zukunftsmusik ist definitiv Virtual Reality. Das heißt, du gehst zum Beispiel mit einer VR-Brille durch den Tempel in Jerusalem und bekommst alles erklärt. Da sind die Amerikaner schon dran. Wir müssen dann sehen, wie wir das nach Deutschland holen können. Hierzulande fehlt oft das Verständnis für den erhöhten Kostenaufwand solcher Technologien.

Gibt es auch kritische Stimmen auf Grund des Mediums?

Es gibt auch Leute, die meinen, wir würden durch unsere Videos Leute vom klassischen Bibellesen ablenken. Aber wir wollen das Bibellesen ja nicht ersetzen, sondern vielmehr ergänzen. Wir wollen die Bibel wieder anschlussfähig für die junge Generation machen, die sich häufig schwertut, einen Einstieg zu finden. Wir wollen Tür und Tor öffnen und damit das Bibellesen aktiv fördern.

Habt ihr auch erlebt, dass Leute über eure Videos zurück zur Buchversion gefunden haben?

Absolut. Viele bedanken sich bei uns. Sie hätten endlich etwas verstanden und dadurch wieder mehr Freude am Bibellesen.

 

Dieses Interview erschien in DRAN. Jetzt kostenlos testen: www.dran.de

Missionarische Chance oder ethische Herausforderung?

Anna Maria Gerlach

Als Fachfrau für das Themenfeld „Kirche und Medien“ begleitete Johanna Haberer das Projekt „Multimediale Kirche“. Im Interview spricht sie über digitale Gebetswände, Datenkraken und die Verantwortung der Kirche.

 

Das Handbuch „Multimediale Kirche“ zeigt Möglichkeiten auf, wie Kirchengebäude multimedial ausgestattet werden können. Dies soll zeitgemäße Formen bieten, den Glauben zu kommunizieren und Kirchenräume zu erschließen. Es ist eine Veröffentlichung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), die während des Projekts von verschiedenen Partnern bergleitet und unterstützt wurde.

Johanna Haberer ist Professorin des Studiengangs „Medien – Ethik – Religion“ an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie begleitete das Projekt aus praktisch-theologischer Perspektive und entwickelte gemeinsam mit Studierenden Ideen für zwei Erprobungskirchen.

 

Worum geht es beim Projekt „Multimediale Kirche“?

Es geht darum, dass man die digitale Technologie und alles, was man an Wunderwerken damit machen kann, nutzt, um Kirchenräume sprechen zu lassen. Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten, um sie verständlicher zu machen und auch mit ihren Frömmigkeitspotenzialen zu erschließen. Es gibt die einfache Hilfsmittel-Funktion, indem man beispielsweise kleine Laptops als Kirchengesangbücher installiert, wo man die Textgröße einstellen kann. Dann gibt es die Möglichkeit der Raumerschließung: Audiofiles oder Videofiles erklären bestimmte Symbole in der Kirche.

Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe vor Augen?

Wir haben zwei Versuche gemacht: zum einen mit einer Dorfkirche, zum anderen mit einer klassischen Hochzeitskirche. Es ist eine völlig andere Sache, mit einer Kirche zu arbeiten, in der im Jahr 200 Hochzeiten stattfinden, als mit einer mecklenburgischen Dorfkirche. In die eine Kirche kommen die Leute von außen, um genau in dieser Kirche zu heiraten. Im mecklenburgischen Dorf kommen im Sommer vielleicht ein paar Radler vorbei und wollen einfach nur, dass diese Kirche offen ist, und sich ein bisschen über die Gegend erkundigen.

Wie kann man auf diese unterschiedlichen Kirchen eingehen?

Man kann mit dem Kirchenraum Öffentlichkeitsarbeit für die Gemeinden machen. Zum Beispiel könnten in der Hochzeitskirche Paare, die sich dort trauen lassen, aus der Kirche ihre Fotos verschicken. In der Dorfkirche lässt man sich Geschichten erzählen, wie die ersten Kirchengemeinden gegründet wurden usw. Dabei braucht man dann auch kein Personal, weil man Kirchenführer mit Audio-Guides zur Verfügung stellen kann.

Und wie könnte man damit Gemeindearbeit machen?

Die Konfirmanden könnten sich auf diese Weise mit kleinen Filmen die Geschichte der eigenen Gemeinde erschließen. Oder die Kinder des Kindergottesdienstes könnten ihre Gebete online stellen: auf größeren Wänden in der Kirche, wo man früher analoge Gebetswände hatte. Man kann auch etwas ganz Einfaches machen: zum Beispiel die Kirche als Kinoraum nutzen. Hinterher kann man dann über die Filme, deren Wertorientierung und religiöse Grundierung sprechen. Es gibt eine ungeheure Fülle an Möglichkeiten, wie man mit dieser Technik Gemeindeaufbau betreiben kann.

Wie können Kirchengemeinden ein solches Projekt umsetzen?

Es gibt eine Webseite dazu und unser Büchlein – das ist so eine Art Handbuch der Anregungen. Dazu braucht man aber erst einmal Geld. Ich nehme an, so zwischen 5.000 Euro und 20.000 Euro muss man aufbringen. Und jede Gemeinde müsste sich ein eigenes Konzept überlegen. Außerdem braucht man jemanden, der die Technik wartet. Sie darf einem nicht im Wege sein und sie darf auch nicht in der Kirche verrotten, sondern man muss sie auch bespielen.

Sind digitale Medien in der Kirche gemeinschaftsstiftend oder gemeinschaftshinderlich?

Das kommt darauf an. Diese Technologie ist neutral – ein Spielzeug. Man kann sie auch falsch benutzen, indem man zum Beispiel übertechnisiert. Oder indem man die Leute nicht in die Kirche hineinführt, sondern hinaus. Was ich toll finde, ist aber, dass man generationenübergreifende Gemeindeaufbau-Projekte daraus machen könnte: Die jungen Leute bringen das technische Know-how ein und die älteren Leute bringen zum Beispiel das geschichtliche Wissen mit.

Ist im digitalen Lebensraum auch die Begegnung von Mensch und Gott möglich?

Das Problem am Internet ist, dass es eher schwache Beziehungen generiert und flüchtige Kontakte auslöst. Natürlich ist Gott so frei, jedem zu begegnen, wann und wie er will. Ich glaube aber, dass eine tiefe religiöse Erfahrung mehr Aufmerksamkeit braucht: viel Übung, tiefe Beziehungen zu anderen Menschen, konzentrierte Gespräche. Und das Netz ist eigentlich nicht der Ort der ungeteilten Aufmerksamkeit. Insofern würde ich sagen, man kann da vieles anbahnen, aber für eine wirkliche stabile, intensive Gotteserfahrung ist das Netz nicht prädestiniert.

Hat die Kirche eine besondere Verantwortung in der digitalen Welt?

Ich finde: Ja! Mit der Datensicherheit geht es los, zum Beispiel in Beratungsinstitutionen, bis hin zum Datenschutz der Mitarbeitenden und zu vorbildhafter Kommunikation mit den Gemeindegliedern. Da kann die Kirche exemplarisch etwas vormachen. Und dann muss die Kirche als theologische, geistliche und ethische Agentur in der Gesellschaft auch kommentieren, was diese neue Technologie mit uns als Menschen macht – mit unserer Kommunikation, unseren Biografien und unseren Gesellschaften.

Entstehen denn neue Fragestellungen, die es vorher so nicht gab?

Ja. Wir haben eine Technologie, die behauptet: „Ich weiß ganz genau, was du als nächstes machst!“ Was bedeutet unter diesen Bedingungen die Freiheit eines Menschen? Wie kann man dann Freiheit leben? Oder wir kommen irgendwann in die Situation, dass Krankenversicherungen Daten sammeln und auf dieser Grundlage entscheiden: „Den Physiotherapeuten zahlen wir nicht, weil du selbst zu wenig für deine Gesundheit getan hast.“ Man kann bei dieser gnadenlosen Vermessung auch das Wort Gnade wieder neu buchstabieren und verständlich machen. Denn da werden Menschen normiert. Das können wir als Kirchen nicht mitmachen!

Was sollten wir stattdessen tun?

Durch diese Vermessung bekommen Firmen wie Google, Amazon und Facebook einen ungeheuren Einfluss auf die einzelnen Biografien bzw. auch auf politische Systeme. Neben diesen großen Datenkraken sind die Kirchen ebenso globale Player. Das heißt, sie können auch einen Widerstand leisten. Ich habe nichts gegen diese Technologie – ich sehe ihre Schönheit und ich sehe ihre Möglichkeiten. Aber die Kirchen müssten international hier die Machtfrage stellen: Wem gehören die Daten? Und wer bestimmt über die Biografien der Menschen? Da müssen die Kirchen Einhalt gebieten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieses Interview erschien im Magazin 3E. Jetzt kostenlos testen: www.magazin3e.net

 

10 Tipps für den Neuanfang

Von Marietta Steinhöfel

  1. Frischen Sie eine vergessene Freundschaft wieder auf. Greifen Sie zum Hörer oder sprechen Sie eine Einladung zum gemeinsamen Kaffee aus. Sie haben nichts zu verlieren! Mehr als Nein sagen kann ihr Gegenüber nicht.
  2. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“ Etwas zu tun, was man noch nie – oder lange nicht – gemacht hat, birgt immer ein Risiko: Es könnte misslingen. Aber Sie haben eine Menge zu gewinnen: Selbstvertrauen, geniale Erfahrungen, neue Freundschaften. Was wollen Sie heute wagen?
  3. Neuanfänge bedeuten für Sie eher Stress? Schreiben Sie für sich auf, wie Ihre bisherigen Erfahrungen waren, wenn sich Dinge in Ihrem Leben verändert haben. Welche Sorgen und Ängste hatten Sie? Was davon traf ein? Welche positiven Überraschungen haben Sie erlebt?
  4. Lassen Sie Altes, Vergessenes neu aufleben. Erinnern Sie sich: Was haben Sie als Kind richtig gern gemacht? Womit konnten Sie sich stundenlang beschäftigen? Tun Sie es heute wieder!
  5. Krempeln Sie die Ärmel hoch und packen Sie ein Projekt im Haushalt an: Den Keller entrümpeln, das Wohnzimmer streichen, die Schublade reparieren. Auch wenn der Anfang erstmal mühsam sein mag: Ist man erstmal in Aktion, werden ungeahnte Kräfte und Glücksgefühle freigesetzt. Und etwas geschafft zu haben – ist ein tolles Gefühl!
  6. Woran denken Sie, wenn Sie folgenden Satz vervollständigen? „Eigentlich möchte ich viel lieber …“ Es ist nie zu spät, Lebensbereiche in Frage zu stellen und zu verändern.
  7. Neu anfangen muss man auch nach einer langen Krankheit. Gehen Sie bewusst kleine Schritte, überlegen Sie: Was traue ich mir heute zu? Was kann ich jetzt tun, auf meinem Weg zurück zu mehr Selbstständigkeit und Mobilität? Vielleicht ist es „nur“ der Weg zum Bäcker, und auch das ist ein Fortschritt!
  8. Engagieren Sie sich mit einer Projekt-Idee in Ihrer Gemeinde! Schauen Sie sich in der Kirche um, reden Sie mit Menschen: Woran mangelt es? Was braucht es? Starten Sie die Initiative.
  9. Manchmal muss man erst etwas loszulassen, bevor etwas Neues beginnen kann. Wovon müssen Sie sich verabschieden, um neu anfangen zu können? Es ist hilfreich, diesen Abschied sichtbar zu machen: etwa als Brief oder im Gespräch mit einer Vertrauensperson.
  10. Gemeinsam läuft’s leichter an. Suchen Sie sich Mitmacher für ihr Vorhaben, beispielsweise mehr Sport zu treiben. Bilden Sie eine wöchentliche Nordic Walking Gruppe, verabreden Sie sich zum täglichen Spaziergang…

Diese 10 Tipps erschienen im Magazin LebensLauf. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslauf-magazin.net