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Andreas, der Abschlepper

Andreas Klotz

Als Kind habe ich mich „selbstverständlich“ für meinen Namen interessiert und mir gewünscht, dass damit ein besonderer Sinn oder eine außergewöhnliche Persönlichkeit verbunden wäre. Durch Nachfrage bei meinen Eltern und Namensgebern konnte ich in Erfahrung bringen, dass sie diesen Namen einfach nur schön gefunden haben, dass die Bedeutung von Andreas „der Männliche“ wäre und dass auch in der Bibel ein Andreas vorkommt.

Die Beschäftigung mit diesem Namensvetter im Jüngerteam von Jesus führte für meinen damaligen Geschmack aber zu einem enttäuschenden Ergebnis: Andreas wird kaum erwähnt und steht im Schatten seines deutlich berühmteren Bruders Simon Petrus (Markus 1, 16).

Erst später habe ich in den wenigen biblischen Notizen zu Andreas etwas entdeckt, das für mich ein wichtiger Impuls geworden ist: Andreas war gerne behilflich, wenn Menschen zu Jesus wollten. Er war aber nicht nur unterstützend tätig (Johannes 12, 22), sondern als Abschlepper hat er Menschen auch proaktiv eingeladen. Ein Beispiel dafür ist, wie er seinen leiblichen Bruder Simon zu Jesus führte (Johannes 1, 41-42). Einen wichtigeren Dienst können wir anderen Menschen, auch den direkten Familienangehörigen, nicht tun.

Selbst wenn sein Bruder Simon der einzige Mensch gewesen sein sollte, den Andreas für Jesus gewonnen hat, dann war das eine große Sache. Denn Simon wurde zu einer Schlüsselperson, die anschließend als Apostel Petrus eine bewegte und wirkungsvolle Segensgeschichte entfalten sollte. So kann ein einziger missionarischer Vermittlungsdienst eine großartige Kettenreaktion zur Folge haben. Das finde ich sehr verheißungsvoll.

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Haifischfüttern

Rüdiger Jope

Ein Outdoor-Erlebnis mit Jesus.

Die Sonnenstrahlen brachen sich auf dem Atlantik. Ein Fischerboot sollte mich mit fünfzehn anderen raus auf hohe See zum Haifischangeln bringen. Das Boot legte ab. Nach etwa einer Stunde schaukelte unsere Nussschale inmitten von Wellen so hoch wie Zweifamilienhäuser. Ein kleiner Junge, der mit seinem Opa dieses Abenteuer gebucht hatte, machte den Anfang. Aus einem fröhlichen Haifischangeln wurde ein nicht enden wollendes Haifischfüttern. Ich robbte fast fünf Stunden von meinem Sitzplatz über die Planken an die Reling, um immer wieder meinem längst leeren Magen Entlastung zu verschaffen. Nie habe ich mich mehr nach festem Boden unter den Füßen gesehnt.

In den Turbulenzen des Lebens

Die Jünger Jesu sind unterwegs auf dem See Genezareth (Matthäus 14,22-33). Jesus hat sie dazu gedrängt! (V. 22) Für einige von ihnen ist es ihre Heimat, ihr Handwerkszeug. Und gerade in dem Gewohnten passiert es. Es wird für die Jünger sprichwörtlich eine finstere Nacht. Sie erleben ihr persönliches Haifischangelerlebnis. Sie geraten in einen Sturm. Die Wellen werden höher und höher. Klatschnass und verzweifelt klammern sie sich an die Reling. Die Verzweiflung der erfahrenen Schiffer ist buchstäblich. Sie sind mit ihrem Fischerlatein am Ende. Ruhe, Land unter den Füßen ist ihr sehnlichster Wunsch.

So ist das Leben. Man muss nicht unbedingt auf einem Schiff gewesen sein. Man muss nicht in tückische Fallwinde aus dem Gebirge geraten, um ähnliche Turbulenzen zu kennen. Da strahlt gerade noch die Sonne über dem Job, der Familie, der Gesundheit, den Eltern … Plötzlich tobt ein Sturm. Der betriebliche Standort wird geschlossen. Der Sohn wird mit Drogen erwischt. Das Röntgenbild zeigt einen Schatten. Der Vater wird zum Pflegefall.

So ist das Leben. Plötzlich bricht ganz unabänderlich die Seekrankheit des Lebens herein. Plötzlich steckt man in Stürmen, in Finsternis, in der einem Hören und Sehen vergeht. Man werkelt, wurschtelt und stemmt sich vehement mit allen Kräften gegen die hohen Wellen im Lebensschiff.

Haifischfüttern gehört zum Glauben

Etwa sechs Stunden kämpfen die Jünger, um festzustellen: Wir packen das nicht! Wir sind mit unserem Fischerlatein am Ende. Sie erfahren: Als Christ zu leben, heißt nicht nur, an tollen Speisungsprogrammen (Matthäus 14,13ff) teilzuhaben, sich auf Bergen der Verklärung zu sonnen (Matthäus 17,1ff) oder auf Hochzeiten Wein zu genießen (Johannes 2,1ff). Im Unterwegssein mit Jesus kann es passieren, dass unerwartete Stürme und Schwierigkeiten über einen hereinbrechen, dass Gott schweigt und Jesus nicht da zu sein scheint. Die Niederlage, das Schwanken, das Verzweifeln an den Stürmen, sich selbst und seiner Ohnmacht ist die christliche Outdoor- und Tiefenerfahrung des Lebens. Und genau in dieser Situation gilt: Glaube riskieren trotz Wellen. In den Wellen und Bergtälern reift der Glaube. Und dieser Reifungsprozess geschieht gerade auch in der Nichtverfügbarkeit Jesu, und indem das Schweigen Gottes über Stunden, Tage und vielleicht auch Jahre ausgehalten wird.

Inmitten der männlichen Hilflosigkeiten erscheint plötzlich Jesus. Er kommt ihnen um vier Uhr morgens auf den Wellen entgegen. Die Jünger erkennen ihn erst mal nicht. Sie schreien: „Hilfe, ein Gespenst!“ Doch Jesus blickt seine Jünger an und ruft ihnen zu: „Fürchtet euch nicht. Ich bin es: euer guter Hirte. Macht euch locker!“ (V. 27)

Das Komische ist jedoch: Das erbetene Wunder bleibt erst mal aus. Jesus reagiert anders als gewünscht und erwartet. „Für die Jünger heißt die entscheidende Frage: ‚Wie werde ich den Sturm los?’ Für Jesus dagegen heißt die Frage: ‚Wie gelangt ein Mensch mitten im Sturm zum Frieden?‘“ (Klaus Douglass in „Expedition zum Anfang“)

Vertrauen bewährt sich in den Stürmen

Jesus ärgert sich über die Panik seiner Jünger. Er ärgert sich darüber, dass ihre innere Einstellung mehr von der Angst statt dem Vertrauen geprägt ist. Jesus ist der Ruhepol. Er ist die Gelassenheit im Sturm. Und seine Gegenwart sollte auch uns ruhig machen. Nicht im Sinne einer Untätigkeit, sondern im Sinne der inneren Gelassenheit.

Noch stürmt es. Und inmitten von Wind und Wellen nimmt einer dieses Jesuswort „Habt keine Angst“ für bare Münze. Petrus kriegt sich am schnellsten wieder ein. Er brüllt Jesus impulsiv entgegen: „Darf ich auf dem Wasser zu dir kommen?“ Das gab mehr als ein Gemurmel im Boot. „Der hat ein Rad ab!“ „Dem hat der Sturm die Gehirnzellen durcheinandergewirbelt!“ „Der will sich doch bloß wieder wichtigmachen!“ „Das hat doch noch nie funktioniert!“ „Jesus, still erst mal den Sturm, dann können wir über das Jüngerschafts-Bonusprogramm nachdenken!“ Während sie sich noch rumärgern, befiehlt Jesus dem Petrus: „Komm!“ (V. 29)

Raus in die Wellen, Männer

Und Petrus? Vorsichtig stellt er einen Fuß aufs Wasser, zieht den zweiten nach. Lässt beide Hände vom Boot los. Unglaublich! Er steht! Er dreht sich. Er hüpft. Er ballt die Fäuste. Wow! Er macht die Erfahrung: Das Wasser trägt! Er geht Schritte auf Jesus zu. Aber plötzlich dämmert ihm, was er da tut. Er sieht die Wellen. Und sein Glaube wird kleiner. Er verlässt ihn. Die Angst hat ihn wieder und er beginnt, unterzugehen.

Hat Petrus versagt? Ja, das hat er. Er hat mit seinem Glauben Schiffbruch erlitten. Er schafft es nicht, auf Jesus zu sehen. Aber: In dem Boot sitzen elf viel größere Versager. Sie versagen unauffällig und in der Stille. Sie stellen nicht die kecke Frage: „Herr, wenn du willst, werden wir auf dich zukommen?“ Ihr Scheitern bleibt unbemerkt, kann daher nicht kritisiert werden. Nur Petrus erlebt wieder mal die Schmach des öffentlichen Versagens – aber nur Petrus erlebt auch: Wasser trägt! Nur Petrus erfährt auf eindrückliche Weise: Wenn man zu versinken droht – ist Jesus da! Petrus erlebt die rettenden, zupackenden Arme Jesu, wie sonst keiner der elf Boothocker.

Eine Entscheidung für ein Leben in der Nachfolge Jesu ist eine Entscheidung dafür, immer wieder mit der Angst konfrontiert zu werden. Die Angst wird uns einreden: Bleib im Boot! Lass bloß die Finger von den Dingen, die du nicht übersehen kannst. Ein Jünger zu sein, bedeutet, ein Lernender zu sein, sich dafür zu entscheiden, dass man wachsen will. Wachsen bedeutet, vollkommen neuen Boden, hohe Wellen zu betreten. Und jedes Mal, wenn wir dies tun, ist auch Angst dabei.

Angst gehört dazu

Nachfolge ist immer eine Entscheidung zwischen Gemütlichkeit und Angst, zwischen Wasserwandler oder Boothocker sein. Wer zum Aussteiger wird, wird Angst haben, wird sich nass machen, aber das ist nicht das Entscheidende. Denn Jesus ist in der Lage, Männer (und Frauen) zu retten, die zu versinken drohen. Petrus‘ Ruf nach Rettung und seine Einsicht, dass Jesus die Situation im Griff hat, reichen aus. Wenn wir aus dem Boot aussteigen, kann Erstaunliches passieren. Bei Petrus wird mitten im Versinken die rettende Hand Jesu offenbar (V. 31). Durch den mutigen Schritt von Petrus lernen alle anderen Jesus ganz neu kennen. Sie erleben eine bis dahin unbekannte Dimension des Glaubens.

„Die Hoffnung weiß, dass große Dinge ungetan bleiben, wenn wir großen Anfechtungen aus dem Weg gehen, und da Wachstum damit gehindert wird“, schreibt Brennan Manning. Welche Wachstums- und damit Wasserschritte sind von dir gefragt? Jesus sucht Männer, die sich aufs Boot begeben, die aus dem Boot aussteigen, die kleine und große Dinge in ihrem Leben anpacken, die sich nasse Füße holen, die Wasserläufer und Wellenbewältiger werden. Angst und Scheitern gehören zum Jünger- und Mannsein dazu. Das Versagen ist mit eingepreist, gerade darin wird uns Jesus die Hand reichen. Er wird uns herausziehen, mitten im Versinken in seine Arme schließen und festhalten.

Am Ende steht ein Wunder: Wind und Meer kommen zur Ruhe. Doch das entscheidende Wunder besteht nicht darin, dass Wind und Wellen Jesus gehorchen, sondern dass Jesus mit ins Boot steigt (V. 32) und wir inmitten der Haifischangelerlebnisse des Lebens seine Gegenwart mit einem Staunen erkennen.

Was bringt’s?

von Pascal Görtz

Glaube und Vertrauen – wie sich beide gegenseitig bedingen, zeigt eine biblische Episode

Es gibt Verse in der Bibel, die erstaunen einen auch noch nach dem 50. Mal lesen. Weil sie einem ermöglichen, Mäuschen zu spielen, wie die Jünger zweifelnd und stolpernd wichtige Fortschritte im Glauben machen. Da ist zum Beispiel die Episode, in der ein reicher, in vielerlei Hinsicht vorbildlicher Jüngling zu Jesus kommt und dieser ihm barsch die Grenzen seines Gottvertrauens aufzeigt. Die Szene muss ordentlich Eindruck bei den Aposteln hinterlassen haben. Es scheint, als seien sie mit dem armen Jung gleich mit abgebügelt worden. Von jetzt auf gleich wissen auch sie nicht mehr so genau, was sie von der Zukunft erwarten dürfen. Wenn der es nicht ins Reich Gottes packt, wer denn dann? Am Ende des kurzen Dialogs muss Petrus doch mal allen Mut zusammennehmen und so ganz offen fragen: „Wir haben alles aufgegeben, um dir nachzufolgen. Was werden wir dafür bekommen?“

Paulus‘ Frage könnte auch unsere sein: Was werden wir dafür bekommen, dass wir unsere Wochenenden zwischen 16 und 30 in muffigen Gemeinderäumen statt in der weiten Welt zugebracht haben, um Lobpreisbands auszuleuchten? Dass wir unsere Karrieren aufgegeben haben, ehe sie richtig ins Laufen kamen, weil wir dem missionarischen Herz nach Nepal gefolgt sind? Hat sich das gelohnt, alles auf eine Karte zu setzen?

 

Glaube – Vertrauen, das Werke fordert

In Momenten wie diesem merkt auch der Letzte, dass der Glaube mehr ist als das bloße Fürwahrhalten philosophischer Optionen. Er braucht den Vertrauensschritt, die Tat, fordert den Glaubenden mit Haut und Haaren heraus. Der Glaube betrifft das große Bild, nicht nur den philosophischen Zweikanalton.

Drastisch fasst das der Verfasser des Jakobus-Briefes in Worte, wenn er schreibt: „Ohne Taten ist der Glaube tot.“ (Jakobus 2,26). Was für eine radikale Zuspitzung! Kaum haben sich die ersten Christen von der Werkgerechtigkeit verabschiedet, da werden sie auch schon wieder von der Bedeutung der Tat eingeholt. Weil sich gelebter Glaube konsequenterweise in Taten äußert. Sie sind einerseits Resultat des Glaubens, aber auch sein Katalysator: Menschen, die gelernt haben, aus dem Boot auszusteigen und im übertragenden Sinne „auf dem Wasser zu gehen“, erleben Gottes Gegenwart als belastbares Fundament ihres Glaubens. Wer Gotteserfahrungen machen will, muss sich auf Wagnisse einlassen. Insofern fordern wir unseren Glauben durch unser Handeln tagtäglich heraus, indem wir Gott unser Vertrauen vorschießen. Mal bedeutet es, eine Sache anzupacken, wann anders, auf Gottes Moment zu warten oder uns auf neue Wege einzulassen.

Der Glaube ist nichts, was wir besitzen könnten. Er will in jedem Augenblick durch Vertrauen erworben werden. Denn unser Glaube ist nie letzte Gewissheit, sondern „Glaubensgewissheit“. Dazwischen passt eine gute Portion Vertrauen, ohne die es nicht geht. Zurück auf Anfang: Lohnt sich das Ganze? Wir haben alles aufgegeben. Was werden wir dafür bekommen? „Ich versichere euch: jeder, der um meines Namens willen sein Haus, seine Geschwister, seine Eltern, seine Kinder oder seinen Besitz aufgegeben hat, wird hundertmal so viel wiederbekommen und das ewige Leben erlangen. Doch viele, die heute wichtig erscheinen, werden dann die Geringsten sein, und die, die hier ganz unbedeutend sind, werden dort die Größten sein.“ (Matthäus 19, 29)

Der Rest ist Vertrauen.

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Unbekannte Personen der Bibel: Urija ben Schemaja

von Dr. Ulrich Wendel

Hat Gott seinen Diener vernachlässigt?

„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ heißt ein erfolgreich verfilmter Roman, und es gab schon immer viele Menschen, die ihr eigenes Leben so beschreiben würden. Auch in der Bibel bildet sich die Ungerechtigkeit der Lebensschicksale häufig ab. Urija ben Schemaja ist so einer, dem das Leben offenbar unfair mitgespielt hat.

Urija war ein Zeitgenosse des Propheten Jeremia. Er stammte aus Kirjat-Jearim, einer Stadt, die gut 25 Kilometer von Jeremias Heimatort Anatot entfernt lag. Beide Männer hatten viel gemeinsam: Sie lebten unter demselben König, Jojakim. Wie Jeremia war auch Urija ein Prophet – und sie hatten dieselbe Botschaft: Sie sprachen im Namen Gottes gegen das Land Juda und die Mächtigen in Jerusalem, denn diese hatten Gottes Wege verlassen.

Für diese mutige Botschaft musste Urija einen hohen Preis bezahlen. Nichts war damals verwerflicher als die göttlichen Vorzüge von Jerusalem in Frage zu stellen. König Jojakim plante Urijas Hinrichtung. Der Prophet erfuhr davon und floh nach Ägypten. Doch Jojakim hatte politische Verbindungen dorthin. Er schickte ein Kommando hinterher, ließ Urija zurückholen, mit dem Schwert hinrichten und seinen Leichnam unehrenhaft verscharren (die Geschichte steht in Jeremia 26,20-24).

Kollege Jeremia stand in der gleichen Gefahr. Doch er hatte einen einflussreichen Beamten des Königshofes hinter sich stehen, der seine Hand über ihn hielt. So kam Jeremia mit dem Leben davon, und das mehr als einmal. Urija aber hatte niemanden auf seiner Seite. Und auch Gott schützte ihn nicht. So viel zum Thema Gerechtigkeit.

Keine falschen Schuldzuweisungen!

Manche Bibelausleger machen Urija zum Vorwurf, dass er nach Ägypten geflohen ist. Anstatt sich auf Gott zu verlassen, habe er selbst für seinen Schutz sorgen wollen. Doch diese Erklärung ist wohl nur ein Versuch, die drängende Frage nach der Gerechtigkeit zu übertünchen. Der biblische Bericht hat an der Flucht von Uirja nichts auszusetzen. Im Gegenteil – auch Jeremia musste sich in einer bestimmten Situation einmal vor König Jojakim verstecken. Der Bericht kommentiert das mit den Worten, dass Gott selbst ihn – den fliehenden Propheten – verborgen hielt (Jeremia 36,18). Auch früher schon war es ein Zeichen der Treue zu Gott gewesen, wenn jemand Propheten vor dem rachsüchtigen König versteckte (1. Könige 18,3-4). Man kann also Urija nicht vorwerfen, er sei eigenmächtig davongelaufen und also selbst Schuld an seinem Schicksal.

Wir müssen zunächst einfach anerkennen: Gott behandelt nicht jedes seiner Kinder gleich. Und Gott gibt auch nicht jedes Mal eine Erklärung dafür, warum er seine Leute ungleich behandelt. Wir leben in einer Welt, in der Menschen einander Schaden zufügen, ja einer den anderen tötet. Gott schiebt dem manchmal einen Riegel vor – aber nicht immer. Zuweilen lässt er dem Bösen seinen Lauf, auch wenn das seine Diener das Leben kostet. Auch im Neuen Testament steht beides hart nebeneinander: Der Apostel Petrus wird ins Gefängnis geworfen, aber durch ein Wunder befreit – und kurz vorher ist der Apostel Jakobus geköpft worden, ohne Wunder, ohne Rettung (Apostelgeschichte 12,2-11).

Aus dem Abstand betrachtet

Das einzige, was manchmal (!) hilft: Einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild betrachten. Die Jahre verstreichen lassen und sehen, was zu allerletzt herauskommt. Bei Jeremia war es so: Immer wieder hatte er einflussreiche Fürsprecher, die ihm das Leben retteten. Gott schenkte ihm eine längere Lebenszeit als Urija. Am Ende allerdings war Jeremia dann doch ein Spielball der Judäer, denen er die ganze Zeit treu Gottes Wort gesagt hatte. Sie verschleppten ihn nach Ägypten – wo sich dann sein Weg verliert. Der Überlieferung zufolge wurde er von seinen Landsleuten gesteinigt. Letzten Endes ging es ihm also nicht besser als Urija. Es traf ihn bloß später.

Bei Petrus war es vermutlich ähnlich. Anders als Jakobus war er gerettet worden, doch frühe christliche Historiker sagen, er sei später in Rom hingerichtet worden. Dasselbe Muster also: Auch der, den Gott beschützte, blieb zum Schluss nicht verschont.

Vielleicht ist der Unterschied zwischen Urija und Jeremia doch nicht so groß. Aus menschlicher Perspektive zwar durchaus: Jahre und Jahrzehnte weiterleben dürfen oder nicht, das ist ein Riesenunterschied! Doch am Ende warteten auf beide die Mörder. Und am Ende hieß es für beide auch: Man hat ihnen nicht geglaubt, ihre Botschaft kam nicht an. Am Erfolg gemessen, war Jeremia gescheitert. Urija ebenso – bloß früher. Sein Leben blieb ein Fragment.

Lebenssinn trotz Scherben

Aber es gibt auch Fragmente, die in tieferem Sinn vollständig sind. „Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es besteht. Es gibt schließlich Fragmente … die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen … Wenn unser Leben auch nur ein entfernter Abglanz eines solchen Fragmentes ist, … dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.“ Das schrieb Dietrich Bonhoeffer – auch einer, den Gott am Ende nicht beschützt hat, als er seinen Mördern in die Hände fiel.

Zum größeren Bild, aus dem Abstand betrachtet, gehört schließlich auch dies: König Jojakim, der Urija wie einen ehrlosen Verbrecher verscharren ließ, erlitt am Ende dasselbe Schicksal: Seine Leiche sollte den Tieren auf dem Feld vorgeworfen werden (Jeremia 22,19; 36,30). In der Tat – die Bibel erwähnt seinen Tod, aber weder Begräbnis noch Trauer (2. Könige 24,6).

Ist das ausgleichende Gerechtigkeit? Hat jemand wie Urija etwas davon, wenn es am Ende den anderen auch nicht besser geht? Unterm Strich hilft wohl nur das Vertrauen: Auch wenn Menschen einander töten – Gott ist es, der über die Dauer eines Lebens entscheidet. Und an Gott liegt es auch, dass ein Leben erfüllt sein kann, selbst wenn es zu früh endet. Nein, Gott behandelt nicht jeden gleich. Doch seine Zuwendung und Zuneigung sind nicht geringer, auch wenn jemand ein Leben voller Belastungen und Grenzen führen muss.

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