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Zurück zu den Wurzeln

Nathanael Ullmann

Thomas Sackmann (45) hat den Wald für sich entdeckt. Als zertifizierter Waldbademeister unternimmt er mit Interessierten Ausflüge in die Natur. Stets mit im Rucksack: der Glaube.

 

Ich muss gestehen: Als ich das erste Mal das Wort „Waldbaden“ gehört habe, dachte ich an Planschen im Weiher.

Tatsächlich denkt man bei dem Wort zuerst an Badehose und Bikini und ab in den Wald. Das ging mir auch so. Eigentlich ist es aber eine Übersetzung des japanischen Ausdrucks „Shinrin Yoku“.

Was genau passiert beim Waldbaden?

Es geht um ungezwungenes In-den-Wald-Gehen. Wenn Männer in die Natur gehen, dann geht es oft um Ziele, um Kondition, darum, Strecke zu machen. Waldbaden hat nur einen Sinn: zu entschleunigen, achtsam sich selber wahrzunehmen und in die Atmosphäre des Waldes einzutauchen.

Was begeistert dich daran?

Ich bin durch eigene Erfahrungen auf das Waldbaden gekommen. 2016 hatte ich selber eine Krisenzeit. Ich war für 16 Wochen krankgeschrieben. In der Zeit war ich oft alleine im Wald unterwegs. Jedes Mal bin ich ruhiger und sortierter zurückgekommen. Aber es ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass Waldbaden die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol verringert, die Krebsabwehr unterstützt, das Immunsystem stärkt und den Blutdruck senkt.

Um die Natur zu erleben, braucht es da wirklich einen Waldbademeister?

Sicher kann man auch alleine in den Wald gehen. Aber der moderne Mensch hat sich von der Natur entfremdet. Es gab jetzt eine Studie, dass die Millennials so gut wie nicht mehr draußen sind. Da kann man Hilfe geben.

In Videos zum Waldbaden sieht man Menschen, die an Blättern riechen und Bäume umarmen …

Das ist der Klassiker, den die Leute mich fragen: Muss ich jetzt Bäume umarmen? Das muss man nicht, aber man kann es machen. Eine Buche hat zum Beispiel eine ganz kalte Rinde, die Eiche ist warm. Und wenn wir an irgendetwas im Wald riechen, kommen vielleicht plötzlich Erinnerungen wieder.

Du willst das Waldbaden mit christlichen Inhalten füllen, richtig?

Richtig. Als Theologe möchte ich mir das Thema nicht von Esoterikern aus der Hand nehmen lassen. In der Natur gibt es ganz viele biblische Bezüge. Es gibt Geschichten in der Bibel, wo Gott den Menschen durch die Natur und in der Natur begegnet ist. Auch durch die Schöpfung kann ich Gott erfahren.

Wie beschreiben die Teilnehmer das Erlebnis?

Als ungewohnte Erfahrung. Bei allen ist spürbar, dass sie runterkommen. Anfangs sagen die Teilnehmer zum Beispiel, dass sie gestresst, traurig oder frustriert sind. Am Ende hat sich das ins Positive verkehrt, ohne dass man viel gemacht hat.

 

Dieses Interview erschien in der MOVO. Jetzt kostenlos testen auf https://www.movo.net/

 

Wie groß bist du!

Agnes Wedell

Gott kann man nicht nur im Gottesdienst oder beim Bibellesen begegnen, sondern zum Beispiel auch während eines Spaziergangs in der Natur, meint Agnes Wedell.

Jedes Jahr bin ich neu davon fasziniert: Auf scheinbar toten Zweigen entstehen zunächst pockenartige „Ausbuchtungen“, die sich nach und nach zu Knospen erweitern, irgendwann aufbrechen und dann filigran gefaltete Blättchen ans Tageslicht bringen. Diese sind zunächst durchscheinend und winzig. Man ahnt kaum, dass sie irgendwann ein dichtes Blätterdach bilden werden.

Ich liebe den Frühling: das zarte, erwachende Grün, Blüten in den verschiedensten Farben und Formen, mal dezent duftend, mal betörend. Dazu Vogelzwitschern und Bienensummen. Wobei ich letzteres in diesem Jahr noch vermisse. Dafür konnte ich schon einige Meisen und Eichhörnchen bei ihrer emsigen Betriebsamkeit beobachten.

Wenn ich dieses Wunder Jahr für Jahr erlebe, entsteht in mir ganz von selbst ein ehrfürchtiges Staunen über den, der das alles geschaffen hat, am Leben erhält und immer wieder neu ins Leben ruft. Also Anbetung – die meistens ganz ohne Worte auskommt. Ähnlich empfinde ich, wenn ich ein neu geborenes Kind sehe, die winzigen, aber schon perfekt geformten Fingerchen bewundere, staunend feststelle, dass dieser kleine Mensch von Anfang an eine ganz eigene Persönlichkeit ist. „Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt.“ Dieses Zitat wird Martin Luther zugesprochen, vielleicht stammt es auch von einem Unbekannten. Treffend ist es auf jeden Fall.

ALLEIN DAS WORT

Gott in der Natur begegnen – das stößt bei einigen Christen auf Misstrauen. Sie sehen die Gefahr, in Baum und Blume ein unbestimmtes göttliches Wesen zu verehren, statt das eigene Leben dem Gott anzuvertrauen, der sich in der Bibel offenbart. Deren Wert hat der schon erwähnte Martin Luther betont – und die Heilige Schrift durch seine Übersetzung ins Deutsche auch für Laien zugänglich gemacht. Seitdem gilt: Nicht Reliquien und Rituale (und schon gar nicht Naturbeobachtungen) sollen im Mittelpunkt des christlichen Glaubens stehen, sondern die biblische Botschaft von Gott, dem Vater, der die Menschen liebt, sie erlöst und ihnen Richtlinien für ein gelingendes Leben gibt. Die „Wortverkündigung“ hat deshalb im evangelischen Gottesdienst einen wichtigen Stellenwert, vor allem in reformierten Landes- und Freikirchen. Was gut und richtig ist.

Aber wie bei allen guten Dingen kann man auch hier übertreiben – beziehungsweise einseitig werden. Dann steht das Wort nicht nur im Mittelpunkt, sondern es ist (abgesehen von geistigen Liedern und der christlichen Gemeinschaft) das Einzige, das zählt. Alles andere – Bilder, kunstvolle Musik, liturgische Texte, Schauspiel und vieles mehr – gelten dann als überflüssig oder sogar schädlich. Ich freue mich, dass es hier in den vergangenen Jahrzehnten ein Umdenken gegeben hat. Dass man den Reichtum der verschiedenen Ausdrucksformen des christlichen Glaubens inzwischen wieder mehr schätzt.

Ganz verschwunden ist das Misstrauen gegenüber diesen Formen aber noch nicht, fürchte ich. Ich habe jedenfalls oft Sätze wie diesen gehört: „Das ist ja alles gut und schön, aber kommen wir endlich zur Hauptsache!“ Aber ist es wirklich so selbstverständlich, dass diese Hauptsache immer und für jeden aus Worten bestehen muss?

GÖTTLICHE VIELFALT

Damit kein Missverständnis entsteht: Worte sind mir sehr wichtig. Sonst wäre ich sicher nicht Journalistin geworden. Ich höre gerne Predigten und Vorträge, besonders, wenn sie Gedanken enthalten, die für mich neu sind oder bekannte Wissensschnipsel in einen Zusammenhang setzen. Es macht mir Spaß, allein oder zusammen mit anderen über praktische, biblisch-theologische oder auch mehr oder weniger philosophische Fragen nachzudenken. Manchmal enden diese Gedanken aber in einer Sackgasse oder sie laufen im Kreis. In dieser Situation hilft es mir erst einmal nicht weiter, noch mehr Worte und Gedanken zu hören – und seien sie auch noch so wertvoll. Eine Blume oder eine Schneeflocke kann mir dann mehr „sagen“ als zehn Predigten.

Eine meiner Freundinnen blickt in den Sternenhimmel und spürt dabei Gottes Größe und Allmacht. Zu einer anderen spricht Gottes Wort besonders intensiv, wenn sie sich mit Pinsel, Farbe, Aufklebern, Schere und Papier mit einem Bibelvers auseinandersetzt. Ille Ochs, die wir im Titelporträt dieser Ausgabe vorstellen, bringt ihre Bitten, ihre Fragen und ihre Anbetung im Tanz vor Gott. Liebhaber klassischer Musik erkennen in der vollkommenen Schönheit der Bach’schen Fugen einen Abglanz von Gottes Genialität.

Was der oder die andere als Offenbarung Gottes sieht, spricht mich manchmal kaum oder gar nicht an. Das macht auch nichts. Wir glauben an einen Gott, der seine unfassbare Kreativität auf dieser Erde so verschwenderisch wirken lässt, dass jeder von uns nur einen winzigen Bruchteil davon erkennen kann. Jammerschade wäre es aber, wenn wir „unser Bruchteil“ übersehen.

Dieser Artikel erschien in LebensLauf. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslauf-magazin.net

Stein für Stein

von Pascal Görtz

Hätte ich früher gewusst, wie sehr Räume mein Leben prägen, wäre ich Architekt oder Stadtplaner geworden. Ich liebe es, mich auf offenen Plätzen selbst wahrzunehmen, Häuserschluchten mit Jugendstilfassaden abzulaufen, die Spuren anderer Stadtbewohner im Straßenbild zu entdecken. Aber auch hohe Decken, Stadtgärten und schwer einsehbare Dachterrassen. Und Charakterecken, von denen nur wenige Notiz nehmen. Die Neugierde treibt mich. Das alles ist verbaute Sehnsucht nach Freiheit oder Größe oder Gemeinschaft oder einer besseren Zukunft. Die Gesichter unserer Städte tragen zutiefst menschliche Züge.

Als Christen haben wir naturgemäß ein gespaltenes Verhältnis zu dieser Form von „Menschlichkeit“. In Städten begegnen wir einer Kultur, die uns in manchem nahekommt, in vielem aber fremd ist. Als Bürger der zukünftigen Welt erleben wir uns als Fremde in der Diaspora. Wir sehen Menschenverachtendes, strukturelle Sünde, Egoismen, die unverheilten Brüche des Lebens auf engstem Raum. Gleichzeitig ist Flucht keine Option: Als christliche Gemeinschaften können wir dem Blick des Nächsten kaum ausweichen. Deshalb ist es nur logisch, wenn sich Gemeinden fragen, wie sie das Evangelium innerhalb der Kultur ihrer Städte zum Strahlen bringen können.

Verändere deine Stadt! Das ist kein Aufruf zum Starksein. Nicht aus uns selbst heraus, nicht als Selbstzweck werden wir die Kultur verändern. Sondern als Erlöste, die zu lieben gelernt haben, weil sie von Gott Liebe erfahren haben.

Schauen wir unseren Städten ins Gesicht – und krempeln dann die Ärmel hoch.

Stein für Stein eine neue Stadt.

Dieser Kommentar erschien in DRAN NEXT, dem Magazin zum Selberglauben. Jetzt kostenlos testen: www.dran-next.de