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„Klage auch an Weihnachten“

Brian Doerksen ist einer der bedeutendsten Künstler in der modernen Anbetungsmusik. Einige seiner Lieder („Kommt, jetzt ist die Zeit“) werden in vielen Gottesdiensten gesungen. Aber der Komponist und Musiker ist auch Ehemann und Vater von sechs inzwischen erwachsenen Kindern.

2003 hatten wir ihn schon einmal im Family-Interview. Damals sagte er, dass er am liebsten seinen Job als Musiker und Anbetungsleiter aufgegeben hätte, als klar wurde, dass auch sein zweiter Sohn die Fragile X–Diagnose hatte – eine geistige Behinderung. Wie sein Bruder würde er vermutlich nie ein „normales“ Leben führen können.

Brian, wie geht es deinen beiden Jungen heute?

Isiah ist inzwischen 18 Jahre alt. Er spricht immer noch nur drei Worte: „Ich“, „Nein“ und „Mama“. Aber er kann auch ohne Worte kommunizieren und ausdrücken, was er braucht. Er ist sehr gut darin, Liebe und Mitgefühl zu kommunizieren. Der Große, Benjamin, hat gerade seinen 26. Geburtstag gefeiert. Beide Jungs sind uns kostbare Geschenke, und wir danken Gott für sie.

Hattest du eine ähnliche Krise nochmal – wie damals in der Zeit, als Isiah geboren wurde? Damals warst du kurz davor, alles hinzuwerfen.

Das Leben ist voller Herausforderungen: Nach einer Minikrise folgt die nächste Minikrise. Doch meine Frau Joyce und ich lernen, im Vertrauen zu leben und uns dabei zu entwickeln – von der Ängstlichkeit hin zur Dankbarkeit. Ich bin ganz versöhnt damit, dass diese beiden Jungs so sind, wie sie sind. Sie sind ein Geschenk. Und ja, an manchen Tagen liegt die Last schwer auf uns, wie wohl die Zukunft wird. Aber nie lange, denn dann passiert irgendetwas Witziges oder Süßes – dann merken Joyce und ich wieder, wie gesegnet wir doch sind.

Heute sind deine Kinder groß, nur Isiah wohnt noch bei euch. Was beschäftigt dich, wenn du an deine erwachsenen Kinder denkst?

Ich trage jedes meiner Kinder jeden Tag in meinem Herzen. Ich bin stolz auf sie – wie sie sind, wie sie füreinander sorgen. Und wie sie sich freuen, wenn sie zusammen sind. Unsere Kinder sind keine „Hochleistungsmenschen“, aber sie sind Menschen, die für andere Sorge tragen. Wenn es im Leben wirklich darum geht, Liebe zu geben und zu empfangen, sind meine Kinder darin sehr gesegnet – und leben dies auch aus. Natürlich mache ich mir auch manchmal Sorgen um die Finanzen und wie sie es in dieser Welt schaffen werden.

Wie gelingt es euch, dass eure Ehe vital bleibt?

Wir gehen immer noch regelmäßig miteinander aus. Wir haben einen Abend pro Woche für ein Date reserviert. Wie bemühen uns umeinander und um die kleinen Dinge, die die Romantik aufrechterhalten. Ich weiß, dass meine Ehe mit Joyce wahrscheinlich das größte Glück ist, das ich in meinem Leben habe. Deshalb ist das für mich auch so wertvoll. Natürlich haben wir auch unsere Missverständnisse. Oder Joyce will bei einer anstehenden Entscheidung in die eine Richtung — und ich in die andere. Doch wir finden immer einen Weg, wie wir unsere Verbindung aufrechterhalten. Manchmal tun wir das auch, indem wir dem anderen die Freiheit geben, anders sein zu können. Aber es beglückt mich noch immer, wenn sie meine Hand beim Spazierengehen halten möchte.

Ihr seid ja schon lange miteinander unterwegs: Du hast mit 19 geheiratet – und bist jetzt 52. Hast du jemals bereut, so früh geheiratet zu haben?

Nicht ein einziges Mal! Das war die beste Entscheidung, die wir je getroffen haben. Wir sind gemeinsam ins Erwachsenendasein hineingewachsen. Wir kennen einander besser, weil wir mehr miteinander durchgestanden haben. Als kreative Persönlichkeit bin ich durch einige Hochs und Tiefs hindurchgegangen – und wir halten daran fest, dass wir in jeder dieser Phasen zueinander gehörten und gehören. Da wir eine sexuelle Beziehung nur im Rahmen unserer Ehe hatten, erleben wir Stabilität und Sicherheit in diesem tiefen Vertrauen. Dankenswerterweise sieht Joyce in mir, obwohl ich Anfang 50 bin, immer noch den 19 Jahre alten Mann. Wie sollte ich das jemals bedauern?

Wie macht ihr es mit den erwachsenen Kindern? Wie haltet ihr den Draht, die innere Verbundenheit?

Wir haben mindestens einmal im Monat sonntagabends „Familienabend“, Wir sind durch Text-Botschaften und Video-Chats in Kontakt. Zwei unserer Töchter studieren auch am Prairie College, sodass wir uns dort oft sehen.

Für wen ist das Loslassen schwerer, Mama oder Papa?

Für Mama. Isiah und Joyce sind sehr miteinander verbunden – er ist das Nesthäkchen der Familie. Es wird für Joyce ein harter Tag werden, wenn er ausziehen sollte – falls er das mit seinen besonderen Bedürfnissen je tun wird! Wir würden für ihn ein besonderes Zuhause benötigen und Menschen, die nach ihm sehen … Und doch hoffe ich, dass wir das finden werden und dann in eine Ehephase eintreten können, in der alle unsere Kinder ausgeflogen sind.

Was hat euch in der Zeit geholfen, in der das Haus leerer geworden ist?

Wir lieben diese Phase. Wir haben mehr Zeit füreinander und können mehr tiefe Gespräche miteinander führen. Wir lieben es, miteinander auf der Couch zu liegen und einen Historienfilm zu gucken. Und wir haben oft Gäste. Joyce hat eine außergewöhnliche Gabe der Gastfreundschaft und führt nun ein 5-Sterne-AirBnB in dem Studio über der Garage, wenn ich es nicht für meine Aufnahmen oder das Komponieren benötige. Obwohl also fünf der sechs Kinder das Haus verlassen haben, sind immer Menschen bei uns … Und Joyce liebt es so.

Du sagtest in unserem Gespräch 2003, dass ihr vier Paare habt, denen ihr euch verantwortet, die in euer Leben hineinsprechen dürfen. Ist das noch so?

Absolut. Wir haben mehrere Paare, mit denen wir in enger Beziehung stehen, die in unser Leben und wir in ihre Leben hineinsprechen. Inzwischen sind wir Teil einer kleinen Hausgemeinde, die aus vier Familien besteht. Wir meinen: In christliche Beziehungen geht es nicht um Bequemlichkeit; sondern es geht darum, füreinander in harten Zeiten einzustehen. Und durch die verschiedenen Phasen gemeinsam hindurchzugehen.

Stichwort „harte Zeiten“: Ich habe vor zwei Jahren ein Konzert von dir auf dem Dünenhof gehört, zu den Psalmen. Gerade die Klagepsalmen scheinst du zu lieben. Warum?

Klage auszudrücken ist eines der wichtigsten Dinge, die wir tun können. Jeder leidet, auch Menschen, die einen starken Glauben haben. Die moderne Kulturwelt – und auch ein Großteil der modernen Kirche — reagiert auf Leid und Schmerz mit Verleugnung und Zerstreuung. Die biblische Antwort ist aber: zu klagen. Die Psalmen geben uns die Sprache dafür, um dies gut zu lernen, und so sehe ich die Psalmen als eins der größten Geschenke, die der Menschheit gegeben wurden. Sie helfen uns, eine emotional gesunde Spiritualität in unserem Leben zu entwickeln. Die SHIYR Poets (Anm. d. Red.: die kanadische Band von Brian Doerksen) und ich arbeiten derzeit am Volume 3 der Psalmen, den Kapiteln 21 bis 30. Zum Beispiel Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Ich finde es sehr bemerkenswert, dass Psalm 22 vor dem Trost von Psalm 23 kommt. Und es ist sehr wichtig, diesen schwierigen Emotionen in unserer heutigen Welt eine Stimme zu verleihen. Es ist ein zentraler Schlüssel, um zu erkennen, was es heißt, Mensch zu sein.

Was singt ihr, wenn an Weihnachten die ganze Familie da ist?

Wir singen einige klassische Weihnachtslieder wie „Silent Night“ – ein deutsches Lied! Ich habe selbst einige Weihnachtslieder geschrieben. Wir lieben es, Schallplatten aufzulegen und mitzusingen. Ich singe wahrscheinlich am lautesten und mache damit meine Familie verrückt. „It’s the most wonderful time of the year“ – es ist die wundervollste Zeit im Jahr. Aber es ist nicht immer rein schimmernde Freude. Meine Mutter starb vor drei Jahren kurz vor Weihnachten, und um meine Trauer zu verarbeiten, schrieb ich ein Lied: „Christmas is the saddest season“ –„Weihnachten ist die traurigste Jahreszeit“. Das singe ich dann auch. Weihnachten ist die Zeit, in der wir wirklich merken, welche unserer Lieben uns für immer fehlen. Klage ist also auch an Weihnachten wichtig. Aber die Grundstimmung, die du bei uns zu Hause erleben würdest, ist die Haltung der Dankbarkeit, wenn wir gemeinsam auf ein Jahr zurückschauen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Martin Gundlach. Übersetzung: Ulrike Propach.

Dieses Interview erschien in der Zeitschrift FamilyNEXT. Jetzt kostenlos testen: www.family-next.de

 

Info zu Brian Doerksen:

Mit 22 Jahren wurde Brian Doerksen Pastor mit dem Schwerpunkt Lobpreismusik in der Langley Vineyard Christian Fellowship in Kanada. In dieser Zeit erschienen bei Vineyard Music die ersten Worship-Alben mit seiner Beteiligung. Brian Doerksen hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Lobpreis-Musik. Zu seinen bekanntesten Liedern zählen „I lift my eyes up“, „Hallelujah (Your Love is Amazing)“, „Refiner’s Fire“ und „Come Now is the Time to Worship“.

1994 veröffentlichte er das Musical „Father’s House“. Zwei Jahre lang wurde es mit Erfolg aufgeführt, danach folgte eine Flaute und schließlich der finanzielle Bankrott. Zur selben Zeit suchte die Vineyard-Kirche in Großbritannien eine Lobpreis-Leiter und Trainer für Songwriter. Brian zog mit seiner Familie nach England, wo er an zahlreichen erfolgreichen Alben mitarbeitete. 1999 kehrte er nach Kanada zurück, seit 2014 hat er eine Professur am Prairie College in Alberta.

Weggeben!

Von Martin Gundlach

Wir haben ein kleines Haus und wenig Platz für Überflüssiges. Trotzdem staut sich bei uns eine Menge, in den Regalen, auf Schränken und in den Zimmerecken. Gerade merken wir, wie befreiend es ist zu entrümpeln. Kaputte und wertlose Dinge zu entsorgen und gut erhaltene an Menschen weiter zu geben, die sie richtig gut gebrauchen können. Wir haben das Gefühl, dass mit dem gewonnenen Platz auch Raum für neue Gedanken entsteht – und dass wir so manche verschütteten Dinge oder Themen überhaupt erst wieder in den Blick bekommen. Deshalb an dieser Stelle zwei Anregungen aus den beiden letzten Wochen.

  • Leben Sie nicht in der Vergangenheit! Hoffen Sie nicht, dass Ihre Kinder irgendwann einmal die alten vergilbten Reclam-Hefte lesen wollen. Ihr altes Telefon reaktivieren? Das Geschirr von Oma übernehmen? Ja, ein oder zwei Nostalgiestücke sind okay. Trennen Sie sich vom Rest. Klamotten, aus denen die Kinder herausgewachsen sind, Spielzeug, mit dem keiner mehr spielt. Weg damit, wenn Sie es nicht mehr brauchen. Es gibt ganze Regale voller Literatur, wie befreiend dieser Schritt ist. Ich weiß das – und trotzdem tue ich mich oft überraschend schwer mit dem Weggeben.
  • Für uns gibt es zwei Optionen: Die schönen Teile verschenken, die unnützen Dinge wegwerfen. Wir verkaufen nichts. Wir fühlen uns beschenkt und schenken weiter. Es gibt momentan so unendlich viel Bedarf im Land bei denen, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Ja, Sie können aus Ihrer Entrümpelungstour noch ein paar Euro oder Franken herausholen. Das ist nicht verwerflich und vielleicht im Einzelfall richtig. Sie können sich aber auch überlegen, wer sich drüber freuen würde oder wer diese Dinge wirklich noch gebrauchen kann. Und sie dann fröhlich weiter geben.

Auch andere sind auf dieser Spur unterwegs: „Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 Prozent nicht brauchst“, singt Silbermond auf ihrem aktuellen Album in „Leichtes Gepäck“. Das erinnert mich an ein Buch des US-Autors Richard Foster, das ich gelesen habe, als ich Anfang 20 war. In „Leben mit leichtem Gepäck“ geht es um einen Lebensstil, der auf Unnötiges leicht verzichten kann und sich auf Wesentliches konzentriert. Ich werde das Buch heute mit ganz anderen Augen betrachten. (Und seit letzter Woche ist meine Chance gewachsen, dieses Buch auch wieder zu finden.)

Dieser Kommentar erschien in Family. Jetzt kostenlos testen: www.family.de

Den Dank-Tank wieder füllen

Von Martin Gundlach

Wer sich dafür entschieden hat, dankbar zu leben, braucht Orte, um diesen Lebensstil frisch zu halten. Aber wo sind diese Auftank-Orte zu finden?

Wer ein dankbarer Mensch werden will, trifft eine grundsätzliche Entscheidung dafür, diesen Weg zu beschreiten. Diese Entscheidung ist die Voraussetzung für Veränderung. Klingt einfach, ist es aber nicht.

Denn das ist nicht die ganze Wahrheit. Der Alltagstest zeigt (zumindest bei mir): Der Danke-Lebensstil ist flüchtig. Zumindest mir wurde eine Haltung der Dankbarkeit nicht in die Wiege gelegt. Kaum jemand entscheidet sich einmal dafür, ein dankbarer Mensch zu sein – und bleibt es dann einfach für den Rest seines Lebens.

Es ist beim Danken ähnlich wie beim Laufen oder Autofahren: Ist der „Dank-Tank“ voll, dann ist man damit eine Weile gut unterwegs. Aber irgendwann ist der Tank leer. Der Blick, der eben noch auf die Geschenke Gottes in unserem Leben gerichtet war, sieht plötzlich wieder die herumliegenden Socken der Kinder und die Bartstoppel-Reste des Göttergatten im Waschbecken. Dann wandern die Gedanken zur kranken Freundin und hin zur weltweiten Ungerechtigkeit. Der Ärger über den bornierten Kollegen steigert noch den Unmut über die Überforderung am Arbeitsplatz. Dankbar? Jeder von uns kennt die Momente, in denen einem zu allem anderen zumute ist, nur nicht zum Danken. Und solche Momente, Menschen und Situationen wird es immer geben.

Es gibt zwei gute Möglichkeiten, den leeren Dankbarkeits-Tank aufzufüllen. Die eine ist ruhig und findet eher in der Einsamkeit und Stille statt. Die andere vollzieht sich in Gemeinschaft und ist mit mehr Lautstärke verbunden. Die eine Form ist der Rückzug, die andere Möglichkeit ist das Zusammensein mit anderen.

Ich glaube, dass den meisten von uns dabei eine der beiden Tankstellen typmäßig näher liegt. Die eine freut sich seit Wochen auf die Stille-Tage. Die andere ist froh, wenn es nicht zu ruhig wird. Der eine freut sich auf einen lauten Lobpreis-Abend, der andere ist glücklich, wenn er abends keinen Menschen mehr sehen muss und im Rückzug und Alleinsein auftanken kann.

 

Den Tank füllen: Rückzug in die Stille

Christen aller Jahrhunderte haben sich in die Stille zurückgezogen. Von den Wüstenmönchen im 6. Jahrhundert bis hin zu den Stille-Tagen, die heute auch wieder viele christliche Freizeitveranstalter anbieten, gibt es eine lange Tradition. Im Neuen Testament lesen wir: Jesus selbst zog sich immer wieder aus dem Trubel zurück, um in der Stille Kraft zu schöpfen.

Am nächsten Morgen ging Jesus allein an einen einsamen Ort, um zu beten. Später suchten ihn Simon und die anderen. Als sie ihn gefunden hatten, sagten sie zu ihm: „Alle fragen nach dir.“ Doch er entgegnete: „Wir müssen auch in die anderen Städte gehen, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.“  Markus 1,35-38 (NLB)

Zwischen zwei herausfordernden Tagen ging Jesus in die Stille, um zu beten. Das tat er nicht aus pädagogischen Gründen. Um ein „gutes Vorbild“ zu sein nach dem Motto: „Schaut her, so sollt ihr das auch machen!“ Nein, er verschwindet eher heimlich, still, unauffällig und leise. Die Jünger mussten ihn erst suchen.

„Wo ist Jesus?“

„Keine Ahnung.“

„Dann ausschwärmen und suchen.“

Irgendwann finden sie ihn. Leicht vorwurfsvoll klingt es, wenn sie sagen:

„Alle suchen nach dir!“

Sie meinen: „Wo bist du? Was tust du? Wir haben doch noch viel vor!“ Jesus geht auf diesen Vorwurf gar nicht ein. Er hat in der Stille Kraft getankt. Jetzt ist er wieder voller Tatendrang:

„Wir müssen los, in die anderen Städte …“

Er weiß: Wer sich für andere einsetzen will, wer anderen helfen will, der braucht die Besinnung, den Rückzug.

Ähnliche Szenen finden wir im Neuen Testament immer wieder: Jesus allein an abgeschiedenen Orten. Dann wieder unterwegs und in Aktion. Stille. Trubel. Stille. Trubel. Es ist fast ein Takt zwischen Aktion und Ruhe zu erspüren im Wanderleben von Jesus.

Um ehrlich zu sein: Wir wissen nicht, wie Jesus diese einsamen Zeiten gestaltet hat. Aber offensichtlich ist: Er braucht die Ruhe. Er braucht das Alleinsein. Im Rückzug findet für ihn eine Konzentration auf das Wesentliche statt, ein Zurechtrücken der Prioritäten, Gottesbegegnung. Daraus kommt die Kraft für alles Weitere.

Ich will mich nicht mit Jesus vergleichen, aber die Erfahrung kenne ich auch. Wenn ich morgens zur Arbeit fahre und in Ruhe über den gerade begonnenen Tag nachdenke, anstatt Radio zu hören, in frühmorgendlicher Muffel-Laune vor mich hin zu nörgeln oder schon in Gedanken die ersten Fragestellungen aus meinem Büroalltag zu klären. Dann werde ich dankbar: für meine Frau, für meine Arbeitsstelle, für die Tatsache, dass ich lebe, mich bewegen kann, für meine Kinder, für die Großzügigkeit Gottes und und und… Dass ich all das erleben darf! Dass ich all diese Menschen kennen darf. Mit ihnen leben darf. Dass Gott so gnädig ist… Solche ruhigen Zeiten geben dem Tag ein völlig anderes Lebensgefühl, in dem Dankbarkeit unaufhaltsam wächst.

 

Den Tank füllen: in der Gemeinschaft

Für viele füllt sich der Dank-Tank eher in gemeinsamen Aktivitäten. Die können ganz unterschiedlich aussehen, haben aber eines gemeinsam: dass ich mich auf Augenhöhe und mit einem offenen Herzen mit anderen zusammentue.

Gemeinsam beten

Immer brauchen wir die anderen, die uns dabei helfen, die Danke-Spur zu halten. Alleine hängen wir vielleicht trüben Gedanken nach – und benötigen andere, um den Kopf wieder hoch zu bekommen. Das Beten ist manchmal einfacher, wenn wir es gemeinsam tun. Denn dann bleiben wir nicht nur bei uns und unserer Sicht, sondern können uns von den anderen inspirieren, ermutigen und mitnehmen lassen. Denn das Dankgebet des anderen hilft auch mir zum Danken – und umgekehrt.

Gemeinsam singen

Gerade Musik und Gesang sind eine wunderbare Form, gemeinsam unsere Dankbarkeit Gott gegenüber auszudrücken. Lieder helfen uns, eine Haltung der Dankbarkeit zu üben und sie zu bewahren.

Danke-Lieder haben eine lange Geschichte. Die Bibel ist voll von Lob-Psalmen, mit denen der einzelne oder die singende Gemeinde ihre Dankbarkeit Gott gegenüber ausdrückt. Immer und immer wieder wurden diese Lieder gesungen, weil man immer und immer wieder die Erinnerung brauchte und auch die Erfahrung machte: Es gibt so viele Gründe, Gott zu danken. „Danke, für alles, was du gibst, Herr!“

Gemeinsam etwas tun

Für manche ist es auch das Größte, gemeinsam mit anderen etwas zu tun. „Wie schön ist es, wenn wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen!“ Gemeinsam einen Umzug stemmen, bei Freunden im Haus helfen, mit einer Gruppe eigener und fremder Kinder in den Zoo fahren. In der Gemeinschaft entwickelt sich Freude. Wer anderen hilft, hat am Ende müde Knochen, aber meistens ein dankbares, zufriedenes Grundgefühl:  Wir haben etwas Sinnvolles geschafft und vielleicht noch eine positive Rückmeldung bekommen.

Freiwillige aus den unterschiedlichsten Hilfsorganisationen sagen: „Die Menschen, denen wir geholfen haben, waren unendlich dankbar. Aber am meisten beschenkt waren wir, die wir ihnen geholfen haben.“ Andere freuen sich, wenn sie Geld zusammen bekommen haben, um Menschen in Not zu helfen oder eine besondere Freude zu machen. Das muss nicht immer etwas Spektakuläres sein. Einem Kind aus der Nachbarschaft bei den Hausaufgaben helfen, einen anderen zu einem schwierigen Arzttermin begleiten, sich gemeinsam um vernachlässigte Menschen kümmern – auch das sind wichtige Dinge.

Gemeinsam feiern

Die großen Dank-Feste Israels waren Gelegenheiten, sich zu freuen, sich an Gottes Heilshandeln zu erinnern und es zu feiern. Für die Israeliten war klar: Erinnern an die Gottestaten in der Vergangenheit und das Danken gehören zusammen.

So auch bei uns: Spontane Feste, lang geplante Feiern. Geburtstage, Feste im Kirchenjahr, Jubiläen, Hochzeitstage – das sind Erinnerungsorte, an denen wir uns bewusst machen können: Gott war mit uns – und er wird auch in Zukunft mit uns sein. Der Blick zurück bewirkt Dankbarkeit. Wir feiern das Gute, das uns widerfahren ist. Und schöpfen daraus Mut und Kraft für die Zukunft.

 

Leise oder laut?

Wie füllen Sie Ihren Dank-Tank auf? Eher in der Stille? Oder eher in der Gemeinschaft? Jedem Menschen liegt vielleicht einer der beiden Wege vom Typ her näher: Manche lieben es, alleine zu sein und müssen sich zu gemeinsamen Aktionen erst aufraffen. Andere lieben die Gemeinschaft, können aber mit Alleinsein oder Einsamkeit zunächst mal nichts anfangen. Und natürlich hat das auch etwas mit der persönlichen Lebenssituation und den Möglichkeiten zu tun. Das ist normal, das ist okay, diese Unterschiede zeichnen uns als Menschen aus.

Aber ich merke: Über die Länge der Zeit brauche ich beides. Und vielleicht profitiere ich am Ende vor allem in dem Bereich, der mir zunächst einmal fremd scheint. Als eher „lauter“ Typ taste ich mich also gerade an die Stille heran…

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Family.  Jetzt kostenlos testen: www.family.de

Nichts ist selbstverständlich!

Von Martin Gundlach

Eine Einladung zum Mitgestalten.

Die Briten sind raus aus der EU. In Frankreich sind die beiden großen Volksparteien bei der Wahl zum Präsidenten nur Zaungäste. In Europa, in der Türkei und in den USA sind von Politikern Sätze zu hören, die ich längst in die Geschichts-Kiste gelegt hatte. Ich reibe mir die Augen: Kann das wirklich alles sein?

Nichts ist mehr selbstverständlich. Das ist vor allem eine aufrüttelnde Nachricht für die, die sich nicht vorstellen können, dass sich das Leben wirklich grundlegend ändern könnte. Die sich öffentlich nicht engagieren, weil sie an das unaufhaltsame „Immer-weiter-so“ des Gewohnten glauben. An diejenigen, die vielleicht gelegentlich zur Wahlurne gehen – wenn es nicht gerade in Strömen regnet oder Oma Geburtstag hat. Die nichts anderes kennen, als ein Leben in Freiheit und in Demokratie zu leben. Und die niemals darüber nachgedacht haben, dass all die (mühsam erkämpften) Werte wie Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit einmal gefährdet sein könnten. Was also tun, um das Gute zu bewahren?

Zur Wahl zu gehen, um die Demokratie mitzugestalten, ist das Minimum. Ich habe das Gefühl: Wir alle, die wir (in Westdeutschland, Österreich, der Schweiz …) nie in einem anderen System gelebt haben, haben manchmal vergessen, was für ein Vorrecht es ist, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben. Nichtwählen ist keine Option.

Darüber hinaus finde ich wichtig, in Gesprächen Position zu zeigen für die Einstellungen und Werte, die mir wichtig sind. Ich staune, wie unwidersprochen fremdenfeindliche Gesprächsbeiträge geduldet werden. Auch wie abfällig zum Beispiel von manchen Christen über „die Moslems“ geredet wird, als wären sie keine Menschen, sondern nur ein Problem. Das darf nicht sein.

Zum dritten: Auch wenn wir als Einzelne die Welt nicht komplett ändern können, finde ich es wichtig, mit zeichenhaften Taten deutlich zu machen, in welcher Welt wir leben wollen. Einer Flüchtlingsfamilie zu helfen. Eine Hilfsorganisation zu unterstützen, die sich für die Werte einsetzt, die mir wichtig sind. Einen Politiker zu kennen und einmal nach seinen Anliegen zu fragen, ihm zu schreiben, für ihn (oder sie!) zu beten. Und über all das mit der eigenen Familie, den eigenen Kindern im Gespräch zu bleiben. Darin liegt eine Chance, gemeinsam dazuzulernen und Neues zu entdecken.

Damit das, was uns heute selbstverständlich scheint, auch eine Zukunft hat!

Dieser Kommentar erschien in FamilyNEXT.  Jetzt kostenlos testen: www.familynext.net