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Viele Namen, ein Gott

Leonardo Iantorno

Die Bibel ist voll von ihm: Gott. Aber „Gott“ ist eigentlich kein Name, sondern in unserem Sprachgebrauch eine Art Berufsbezeichnung und vor allem unpersönlich. Die Bibel zeichnet jedoch ein ganz anderes, vielfältiges Bild des Gottes, an den Christen glauben. Er ist gerecht, allmächtig, gütig, helfend, treu u.v.m. Aber hat Gott auch einen Namen? Ja, er hat mehrere Namen, die ihn nicht nur identifizieren, sondern auch mehr über sein Wesen und seine Identität aussagen. Wir können Gott nicht fassen und Worte sind beim Versuch, das doch zu tun, nur begrenzt eine Hilfe. Trotzdem liegt es in der Natur des Menschen, Dinge, Personen und auch Gott zu benennen. Weil Gott aber größer ist, als wir es in Worte fassen können, finden wir in der Bibel viele unterschiedliche Gottesnamen.

ICH BIN DA?

Als Mose vor dem brennenden Dornbusch steht und Gott ihn dazu beruft, nach Ägypten zu ziehen, um Israel zu befreien, stellt er eine nachvollziehbare und logische Frage: „Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen?“ (2. Mose 3,13 b). Was soll Mose sagen, wenn ihn die Menschen fragen, wer ihn geschickt hat? Wer bist du, Gott? Und Gott antwortet ihm. Er nimmt ihn ernst und versteht, warum Mose diese Frage stellen muss: „Da antwortete Gott Mose: Ich bin der ‚Ich-bin-da‘. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der ‚Ich bin- da‘ hat mich zu euch gesandt.“ (2. Mose 3,14). Gott ist eben keine unbekannte Macht, er versteckt sich nicht und hüllt sich auch nicht in eine Wolke des Schweigens. Er ist da. Wörtlich bedeutet JHWE so viel wie „Ich werde sein, der ich sein werde“. Er ist der Ursprung des Lebens, er schenkt das Leben, war schon lange vor allem anderen und er wird immer sein. Wir glauben also nicht an einen identitätslosen Gott, sondern an den lebendigen und realen Gott, der sich zeigt, der lebt und uns begegnen will. Ob wir ihn immer spüren oder nicht, sein Name Jahwe ist ein Versprechen an uns, dass er mit uns sein will und wird. Mitten im Leben und nicht nur in Gottesdiensten oder wenn wir uns gerade korrekt verhalten. Gott ist da.

JESUS, DER GESALBTE

Zum Höhepunkt kommt Gottes Sehnsucht nach uns in Jesus, den die Bibel als den Messias oder Christus bezeichnet. Christus ist das griechische Wort für Messias und ein Ehrentitel. Es bedeutet „der Gesalbte“, in dem sich alle Verheißungen Gottes erfüllen werden und der der Retter für alle ist. Gesalbt werden in der Bibel auf der einen Seite Könige und Propheten, die eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen sollen. Auf der anderen Seite salbt man Kranke mit dem Wunsch, dass sie geheilt und wiederhergestellt werden. Gesalbt zu werden, ist ein Symbol des Heiligen Geistes, der auf und mit Jesus war. Gesalbt zu sein, heißt auch, mit Gottes Vollmacht ausgestattet zu werden. Jesus ist durch den Heiligen Geist der Bevollmächtigte Gottes und wir als Christen (Christus heißt ja auch „Gesalbter“) sind berufen, in dieser Bevollmächtigung durch den Heiligen Geist zu beten, zu reden und zu leben.

GOTT KENNENLERNEN

Wir glauben also nicht an einen unbekannten Gott, denn Gott selbst zeigt sich als der Ursprung des Lebens und als derjenige, der uns neue Hoffnung und eine Perspektive schenkt. Diesen Gott dürfen wir persönlich kennenlernen – immer mehr, immer besser – und er wird sich immer wieder neu zeigen. Gott ist vielseitig, überwältigend und er hat viele Namen und Charakterzüge, die wir entdecken und für uns in Anspruch nehmen dürfen. Wenn wir jemanden kennenlernen, sagen wir meistens zuerst unseren Namen, denn unsere Namen gehören zu uns und geben anderen die Möglichkeit, uns direkt anzusprechen. Das ist mit Gott nicht anders. Er hat Namen und wir dürfen ihn direkt ansprechen. Noch besser, er reagiert darauf, und wenn wir ihn anrufen, wird er sich uns zeigen und antworten. Ich darf Gott bei seinen Namen nennen und ihn z. B. als meinen Gott (Eli) anrufen, der für mich ist und mir nahe sein will. Weil Gott Namen hat, können wir ihn suchen, finden und anrufen.

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Alt, weiß, männlich

Judith Eggers

Woher kommt mein Gottesbild?

Voriges Jahr saß ich in einem Gottesdienst. Mitten in der Predigt zeigte der Prediger „Die Erschaffung Adams“ von Michelangelo an der Wand: ein Bild von Gott, mit weißem Bart, der seinen Arm Adam entgegenstreckt, der ihm nackt gegenüberliegt. Dabei sagte der Prediger: „Denken wir nicht alle beim Stichwort ‚Gott‘ an dieses Bild – einen älteren, weißen Mann mit Rauschebart?“ Um mich herum schüttelten einige die Köpfe. Ich dachte nur: „Nee, ich nicht. Das ist doch ein Klischee.“ Der Prediger sprach weiter: „Ob ihr die Frage gerade mit Ja oder Nein beantwortet habt – ich glaube, keiner von euch stellt sich Gott SO vor.“ Erneut wurde ein Bild an die Wand geworfen. Es war im Grund das gleiche wie vorher: rechts Gott, links ein Mensch, beide mit ausgestrecktem Arm. Es gab jedoch entscheidende Unterschiede: Gott war schwarz. Und eine Frau. Und sie reichte ihre Finger nicht dem weißen Adam – sondern Eva, die ebenfalls schwarz war. Ich stockte. Okay, Punkt für den Prediger. Als schwarze Frau, wie hier im Bild von Harmonia Rosales, hatte ich mir Gott wirklich nicht vorgestellt. Und das, obwohl Männlichkeit und Weiß-Sein keine Eigenschaften Gottes sind, von denen die Bibel explizit berichten würde. Rein intellektuell war mir das auch bewusst. Und dennoch: Die Vorstellung vom weißen Mann hatte sich hartnäckig gehalten. Woher kam dieses Bild?

EIN BILD ENTSTEHT

Dass wir uns Gott auf eine bestimmte Art und Weise vorstellen, ist normal. Tragisch wird es, wenn ein Bild entsteht, das schädigt, ausgrenzt oder zum einzig legitimen deklariert wird. Darum ist es wichtig, Gottesbilder zu hinterfragen, die uns begegnen, angefangen bei dem eigenen. Denn unser Gottesbild ist nichts, womit wir geboren werden: Es wird uns von Kindesbeinen an eingeprägt. Alles, was wir über Gott hören und sehen, spielt dabei eine Rolle, sowohl bei denen, die in einem christlichen Elternhaus aufwachsen, als auch bei denen, in deren Zuhause Gott nicht ausdrücklich thematisiert wird. Ein erster Faktor, der unser Gottesbild prägt, ist Sprache. Zum Beispiel ist „der Gott“ im Deutschen rein grammatikalisch ein maskulines Wort. Unsere Sprache kennt auch „die Göttin“, aber damit assoziieren wir eher Aphrodite oder Venus. Auch die Bibel spricht oft in Bildern von Gott, die traditionell eher mit Männern in Verbindung gebracht werden – Vater, Herr, Richter, König. Dass Gott in der Bibel durchaus auch mit weiblichen Bildern beschrieben wird (z. B. als Mutter in Jesaja 66,13) kommt in unseren Liedern, Predigten und theologischen Werken jedoch kaum vor. Auch wenn Strömungen wie feministische Theologie dem vermehrt entgegenwirken. Neben der Bibel hat uns auch die westeuropäische Kunstgeschichte geprägt, in der Jesus Christus fast immer mit hellbraunem Haar und blauen Augen gemalt wurde. Auch viele deutsche Kinderbibeln sind voll solcher blasser Jesusbilder. Dabei hat Jesus als Hebräer wahrscheinlich eher ausgesehen, wie die heute aus dem Nahen Osten stammenden Menschen. Die Bilder, die uns begegnen und prägen, sind also keineswegs selbstverständlich, sondern wiederum geprägt von Kultur, Sprache, Tradition, Geschlecht, Geschichte, … Eine große Rolle spielt das soziale Umfeld, zum Beispiel, wie offen die Eltern über ihren eigenen Glauben sprechen. Auch die eigene Kirchengemeinde prägt, sowohl in Aussagen über Gott als auch in Handlungen und unausgesprochenen Regeln: Wer darf etwas in der Gemeinde sagen? Wie wird mit Fehlern umgegangen? Wofür wird gebetet? Wie sehen die Menschen aus, die im Gottesdienst sitzen, wie reden sie, was haben sie an?

Und noch vieles mehr formt unser Gottesbild: einschneidende Erlebnisse, (christliche) Literatur, Filme und Serien, der Umgang mit der Bibel, den wir lernen usw. Aus all dem speist sich das bunte Mosaik eines Bildes, das sowohl die Prägungen enthält, die wir − bewusst oder unbewusst − übernommen oder abgelehnt haben, als auch die persönlichen Erlebnisse, die wir mit Gott verbinden.

PRÜFEN UND DAS GUTE BEHALTEN

Wie gehen wir mit dem Wissen um, dass unsere Erfahrungen unser Gottesbild geformt haben? Zuerst einmal sei gesagt, dass es dadurch nicht automatisch schädlich ist oder verworfen werden muss. Aber das Wissen um unsere Prägung zeigt, dass wir unser Gottesbild kritisch hinterfragen und prüfen sollten. Ein erster Schritt dabei ist zu reflektieren, welches Gottesbild wir haben. Dabei kann es helfen, Beobachtungen zu sammeln, zum Beispiel, verschiedene Bilder von Gott zu betrachten und zu fragen: Sieht so mein Gott aus? Oder aber, das eigene Denken und Handeln zu beobachten: Wie wähle ich meine Worte im Gebet? Welche Reaktionen Gottes male ich mir aus? Und bei alldem: Warum? Diese gesammelten Mosaiksteinchen ergeben nach und nach ein Bild, das nie ganz vollständig sein wird und auch Widersprüche enthält. Dann gilt es, sich dieses Bild anzusehen und zu fragen: Finde ich es angemessen? Passt dieses Bild mit dem zusammen, wie Gott in der Bibel beschrieben wird? Wie erleben ihn andere? Nicht zuletzt sollten wir dabei im Gespräch mit Gott bleiben und ihn bitten, diesen Prozess zu begleiten.

ES BLEIBT BEGRENZT

Vielleicht merkst du bei manchen Mosaiksteinchen, dass du ehrlich von ihnen überzeugt bist. Super – behalte sie! Es wird dich bereichern, dass du dir ihrer jetzt bewusst bist. Andere Steinchen wirst du als ungesunde Prägungen entlarven. Hier kann es hilfreich sein, Sätze zu finden, die diesen Bildern Wahrheiten entgegensetzen – zum Beispiel „Gott ist gerecht“, „Ich bin genug“. Und vielleicht bemerkst du Stellen, an denen du noch einiges über Gott lernen musst, weil dein Bild unausgeglichen ist – zu streng, zu milde, zu leistungsorientiert. Dann beschäftige dich mit Bibelstellen oder Bildern, die eine für dich unbequeme Seite Gottes darstellen, und frage: Was wäre, wenn auch das zu Gott gehörte? Bei alldem müssen wir uns klar sein, dass wir nie ein vollumfängliches Bild von Gott erreichen werden. Viel zu eingeschränkt ist unser Blick, viel zu gefärbt auch unsere reflektierte Wahrnehmung, viel zu groß und alle Sinne übersteigend dieser Gott, den wir zu greifen versuchen. Aber sich das einzugestehen, ist der beste Ausgangspunkt, um über Gott nachzudenken: in dem Wissen, dass wir nicht das ganze Bild von Gott haben. Dass vielleicht auch die Bilder zu ihm gehören, die andere von ihm malen. Und vielleicht auch noch ganz andere.

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