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Stein für Stein

von Pascal Görtz

Hätte ich früher gewusst, wie sehr Räume mein Leben prägen, wäre ich Architekt oder Stadtplaner geworden. Ich liebe es, mich auf offenen Plätzen selbst wahrzunehmen, Häuserschluchten mit Jugendstilfassaden abzulaufen, die Spuren anderer Stadtbewohner im Straßenbild zu entdecken. Aber auch hohe Decken, Stadtgärten und schwer einsehbare Dachterrassen. Und Charakterecken, von denen nur wenige Notiz nehmen. Die Neugierde treibt mich. Das alles ist verbaute Sehnsucht nach Freiheit oder Größe oder Gemeinschaft oder einer besseren Zukunft. Die Gesichter unserer Städte tragen zutiefst menschliche Züge.

Als Christen haben wir naturgemäß ein gespaltenes Verhältnis zu dieser Form von „Menschlichkeit“. In Städten begegnen wir einer Kultur, die uns in manchem nahekommt, in vielem aber fremd ist. Als Bürger der zukünftigen Welt erleben wir uns als Fremde in der Diaspora. Wir sehen Menschenverachtendes, strukturelle Sünde, Egoismen, die unverheilten Brüche des Lebens auf engstem Raum. Gleichzeitig ist Flucht keine Option: Als christliche Gemeinschaften können wir dem Blick des Nächsten kaum ausweichen. Deshalb ist es nur logisch, wenn sich Gemeinden fragen, wie sie das Evangelium innerhalb der Kultur ihrer Städte zum Strahlen bringen können.

Verändere deine Stadt! Das ist kein Aufruf zum Starksein. Nicht aus uns selbst heraus, nicht als Selbstzweck werden wir die Kultur verändern. Sondern als Erlöste, die zu lieben gelernt haben, weil sie von Gott Liebe erfahren haben.

Schauen wir unseren Städten ins Gesicht – und krempeln dann die Ärmel hoch.

Stein für Stein eine neue Stadt.

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Gebets-Container

Von Ulrich Eggers

Ich freue mich, dass überall in unseren Ländern Gebetshaus-Initiativen aus dem Boden sprießen oder sogar schon in schöner Blüte stehen. Das ist ein starkes Zeichen für ein ganz neues Verständnis von Gebet. Und für dessen Wichtigkeit.

Und je nachdem, wie Sie gestrickt sind, werden Sie jetzt sagen: „Genau! So ist es! Das habe ich ja schon immer gesagt!“ Oder Sie werden vielleicht auch leise denken: „Oh nein, jetzt auch noch er!“ Und ehrlich gesagt: Dass gerade ich mich daran freue, überrascht mich auch. Denn eigentlich bin ich manchmal eher genervt von den Gebets-Promotern, Gebets-Messern und Gebets-Forderern in unserer frommen Landschaft. Neulich traf ich den Gründer eines der Gebetshäuser und fragte ihn nach dem Werden seiner Arbeit. „Eigentlich war ich immer eher genervt vom Gebet …“ begann er. Und das fand ich schon mal einen guten Start, der mir das Zuhören erleichterte und mich hinein nahm in eine Mitfreude an seinen Entdeckungen.

Auch ich halte Gebet für unverzichtbar. Ich lebe mein Leben zu Gott hin. Bin ständig im Gespräch mit ihm – rede, denke, bitte, danke laufend und ansatzlos und beziehe ihn ein – so gut es geht und so wach und Gottes-gegenwärtig ich gerade bin. Denn ich weiß ihn ja um mich, lebe in seiner Gegenwart. Gebet ist Beziehung, ist Leben, ist das eine wesentliche Lebensmittel. Und, ja – manchmal bete ich auch laut oder zu einem Anlass – oder weil es gerade dran ist auf irgendeiner Tagesordnung. Aber ich bin auch genervt. Zumindest davon, dass Gebet so ein Container-Begriff ist, den Christen so völlig unterschiedlich füllen. Der so überlagert ist mit Vorstellungen und Erwartungen und Fremdheiten, die mich jedes Mal vor die Frage stellen, ob ich da wirklich mitmachen mag und ob ich mein belastetes geistliches Immunsystem damit weiter de-sensibilisieren soll.

 

„Ach“, denken Sie jetzt vielleicht, „was macht es sich der Mann so schwer! Wo ist denn da das Problem?“ Das Problem sind unsere Gebets-Container – ihre so völlig unterschiedliche Füllung:

Da sind die Befürworter, die überzeugt sind, dass nur mit Gebet Entscheidendes passiert. Und sie machen sich zum Lobbyisten dieses Verständnisses und versuchen möglichst viele werbend zu verpflichten, denn – komisch – diese Erkenntnis allein zu leben, reicht ihnen nicht. Und so missionieren sie mit ihrem Gebets-Container und nehmen die Menschen unter die pädagogische Knute ihrer Erkenntnis – und stoßen auf Leute, die seufzend die Augen verdrehen – denn wer mag schon gegen Gebet sein? Also machen sie knurrig mit – oder nicht. Denn sie wollen nicht verhaftet werden von einem Überzeugungs-Feldzug, der ihr Herz nicht erreicht. Und der nichts nützt, wenn das Herz nicht erreicht ist. Und Gott sieht das Herz an.

Oder da sind die „Gebets-Messer“, die das Vorhandensein von Gebet nutzen wie einen Lackmustest und ihr Häkchen setzen an eine Situation und zuverlässig zu wissen meinen, ob man diesem oder jenem Menschen überhaupt vertrauen kann – denn er hat ja „vorher“ gebet – oder eben nicht. Und die Welt ist in Ordnung – aber was und wie gebetet wurde, ist eigentlich egal, denn dieser Gebets-Container ist eine Art geistliches Mess-Verfahren und hat gelegentlich eine mehr horizontale Bedeutung. Gebet ist da eine Chiffre, dass da wohl einer glaubt – dass ich da wohl beruhigt sein kann, dass nun wohl alles gut ist.

 

Ich bin viel unterwegs in der christlichen Szene, und ich erlebe so etwas – formalistische, rituelle, gruppendynamische Ansätze von Gebet – öfter einmal. Und man könnte da noch manches erzählen – aber man kann es auch lassen. Denn ich will das ja gar nicht schlecht machen, wo es gefüllt und echt und innig ist. Und Missbrauch und Gefährdung bedeutet ja noch lange nicht, dass man es nicht gut oder besser oder richtig machen kann! Und ich kann auch vieles mit gutem Willen akzeptieren. Und wir sind ja alle unterschiedlich – aber eben: Wir sind unterschiedlich! Und deswegen erlaube ich mir, nicht einfach jede Erwartung zu bedienen oder alles mitzumachen. Es ist ein feiner Grat – aber ich möchte da zu mir stehen. Und will da zugleich auch kein Verbrannter oder Enttäuschter sein, der nicht mehr zum guten Gebrauch findet, weil er immer wieder einmal schrägen Gebrauch sieht.

 

Eben deswegen bin ich so froh, dass in den Gebetshäusern etwas Neues entsteht: Dass hier Gebet nicht zuerst als Ritus, Methode oder absolvierbare Pflicht gesehen wird, sondern als eine große weite Chiffre für das Sein vor Gott, für Begegnung und Kommunikation mit ihm. So, wie es mir mit meiner Frau geht: Alles ist schöner, wenn sie dabei ist. Überall ist mir wohler, wenn ich sie habe.

Was also ist drin in unserem Gebets-Container? Was wollen wir wirklich? Die Begegnung mit dem heiligen fremden fernen nahen Gott, den wir ehren und dem wir folgen – guter Papa und ungezähmter Löwe, verzehrende Glut und anziehende Wärme? Oder geht es uns um unsere Einsicht oder eine Methode oder einen Situationstest oder einen Hype oder eine Richtigkeit?

Jeder prüfe sich da selbst. Und keiner lasse sich sein Kostbares hinterfragen – auch nicht von mir. Aber jeder gehe auch ins stille Kämmerlein und prüfe, was da Bestand hat. Denn die stillen Orte scheinen mir immer noch der beste Platz für Gebet und Begegnung. Und mein persönlicher Alltag – 24/7.

 

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Mehr im Hier und Jetzt

Von Marietta Steinhöfel

Von der Kunst des Beobachtens

Unsere Gedanken sind überall und nirgendwo – bei dem, was gestern war, und morgen sein könnte. Wann sind wir einfach mal nur da? In diesem Moment? Warum es sich lohnt, wahrzunehmen, was gerade ist.

Beim Blick in die Zeitschriftenläden oder manche Arztpraxis, fällt auf: Wir werden ermuntert, achtsamer zu sein. Was hat es damit auf sich? Wieder ein neumodischer Gesundheitstrend? Als Synonyme für Achtsamkeit werden im Duden Aufmerksamkeit, Augenmerk, Interesse, Konzentration, Sammlung und Teilnahme genannt.

Interessant. Lassen wir uns doch auf ein Gedankenexperiment ein. Durchleuchten wir einmal unseren Alltag und fragen uns: Wie oft am Tag erwischen wir uns dabei, aufmerksam, konzentriert und wachsam, zu sein? Wann nehmen wir teil an dem, was wir gerade tun? Es ist schon halb vier und noch immer ärgert sich Harald über den unfreundlichen Busfahrer am Morgen. Die schweren Einkaufstaschen einige Zentimeter über dem Boden schleifend, mit gesenktem Kopf an den Geschäften vorbeitrottend, fragt sich Ilse, warum eigentlich nicht sie die Wohnung in der Stadtmitte bekommen hat. Hanna sitzt am Küchentisch über ihrem Mittagessen. Wie es wohl werden wird, wenn ihr Mann nächsten Monat aus dem Beruf scheidet? Die drei sind gedanklich und emotional abwesend. Beschäftigt mit dem was war, und noch kommt – eventuell. Der Kontakt zur Gegenwart reißt ab.

Achtsamkeit kann trainiert werden

Es ist nicht verkehrt, über Vergangenes nachzudenken und daraus Handlungslinien für die Zukunft abzuleiten. Das Problem liegt im Grübeln und Sorgen. „Wer ständig beschäftigt ist, läuft Gefahr die Gegenwart zu verpassen“, sagt Martin Grabe, Psychiater und Psychotherapeut an der Klinik Hohe Mark in Oberursel.

Im Hier und Jetzt zu sein, den Moment wahrzunehmen und wertzuschätzen: Das bedeutet, achtsam zu sein.Vielen älteren Menschen gelingt das sehr gut. Vorausgesetzt, sie haben es eingeübt, meint der Psychiater: „Wer sein Leben lang nicht gelernt hat achtsam zu sein, wird es im Alter auch nicht können.“ Um achtsamer zu werden, lassen sich Phasen in den Tagesablauf einbauen, in denen man das bewusste Wahrnehmen einübt. Unterwegs in die Stadt lohnt sich ein Blick an den Wegesrand, wo eine Löwenzahnpflanze aufgeblüht ist. Bei näherem Hinsehen fällt auf, wie saftig das Grün ist, und wie schön die Blüten aussehen. In Momenten wie diesen, ist man achtsam. Die Sinne zu schärfen ist eine Komponente von Achtsamkeit. Die zweite, so Grabe, sei die Schöpfung wahrzunehmen. Die Welt um uns herum, wie uns selbst. Im Büro könne das sein, einmal zu prüfen, ob man bequem sitzt und die Haltung gegebenenfalls zu korrigieren.

Achtsamkeit in der Bibel

Auch wenn die Bibel nicht explizit von „Achtsamkeit“ spricht, zeigt sie doch auf, dass es wichtig ist, geistig anwesend zu sein:

  • Achtsamkeit als Aufmerksamkeit. Der Samariter, der nicht einfach am geschändeten Mann am Wegesrand vorbei geht – der sieht (Lukas 10,30-37).
  • Achtsamkeit als Offenheit. Jesus, der dazu aufruft, wie die Kinder zu sein: empfänglich, offen, interessiert, neugierig (Matthäus 18,3).
  • Achtsamkeit als Wachsamkeit. „Haltet euch bereit und seid wach“, heißt es im Lukas-Evangelium. Im Kontext (Lukas 12, 35-40) geht es um viel: das Wiederkommen des Herrn, das Erettetwerden.
  • Achtsamkeit als Vorsicht. Im Gleichnis von den zehn Brautjungfern (Matthäus 25,1-13) werden jene Frauen belohnt, die klugerweise zusätzliches Öl für ihre Öllampen mitgenommen haben. Als die Nacht hereinbricht, und der Bräutigam endlich kommt, sind die anderen Brautjungfern, die neues Öl kaufen mussten, nicht anwesend.

„Sorgt euch nicht“, sagt Jesus im Matthäus-Evangelium. Und genau darum geht es beim Achtsamsein. Nicht im Groll der Vergangenheit bleiben, oder sich um die Zukunft sorgen. Sondern im Hier und Jetzt zu leben.

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10 Tipps um verzichten zu lernen

Von Marietta Steinhöfel

  1. „Sieben Wochen ohne Enge“, so lautete das Fastenmotto der Evangelischen Kirche für die Zeit vom 10. Februar bis 26. März im Jahr 2016. Die Aktion ist zwar bereits vorbei, aber das Herz für Mitmenschen zu öffnen – das geht auch außerhalb der Fastenzeit! In diesem Sinne: Seien Sie großzügig mit Liebe, Ressourcen, Geduld!
  2. Jeder kennt sie: die eine Sache, die er gerne tut – per se schlecht ist sie nicht. Aber das Herz sagt: Das nimmt dich viel zu sehr in Anspruch! Wem oder was widmen Sie sich, wenn Sie eine Weile vermeiden, womit Sie sonst zu viel Zeit verbringen?
  3. Aufhören, Herzensanliegen aufzuschieben. „Eigentlich wollte ich meine Nachbarin mal zum Kaffee einladen.“ „Die Familienfotos muss ich dringend mal einkleben!“ Wenn „irgendwann mal“ heute ist, was tun Sie?
  4. Wir trinken ein Glas Wein am Abend, essen Schokolade, reden mit jedem über unser Problem. Kleine Seelentröster, die viel versprechen, aber meist wenig bringen. Sie sind eingeladen loszulassen, woran Ihr Herz festhängt. Vertrauen Sie es stattdessen Gott an – etwa als Brief oder im Gebet.
  5. Auf Luxusgüter verzichten. Autofahren zum Beispiel. Dafür auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen oder zu Fuß gehen. Das schont die Umwelt und zeigt den Alltag aus einer anderen Perspektive.
  6. Oft verstecken wir uns in unserem gewohnten Umfeld, umgeben uns mit den gleichen Leuten, besuchen dieselben Orte. Verzichten Sie auf Ihre Komfortzone: Gehen Sie auf unbekannte Menschen zu, probieren Sie eine neue Route zum Spazierengehen aus, blicken Sie sich um!
  7. Plastik-Fasten. Eigentlich weiß man’s: Plastik ist alles andere als umweltfreundlich, aber ja so praktisch. Das Experiment: Jute-Beutel statt Plastiktüte, Lebensmittel in mitgebrachten Glasbehältern abfüllen – in vielen Supermärkten ist das schon möglich (www.bund.net/plastikfasten).
  8. Kein (unnötiger) Konsum. Heißt: Nichts kaufen, was Sie nicht (wirklich!) brauchen. Einfach mal vorbeigehen, an dem, was uns in den funkelnden Fußgängerzonen lockt.
  9. Gastfreundlich, gebend und gutmütig sein. Fasten, wie’s Gott gefällt. Lesen Sie hierzu in der Bibel Jesaja 58,6-7.
  10. Fasten mit Mehrwert. Halten Sie Ihre Erfahrungen in einem Fasten-Tagebuch fest oder tun Sie sich mit anderen zusammen. Tauschen Sie sich untereinander aus, und ermutigen Sie sich durchzuhalten.

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Der Abend, als wir zu Jesus sangen

Von Gordon MacDonald

Oder: Spannende Spontan-Fragen und ein Blick in den Himmel

Manche Fragen stelle ich gern, wenn es Zeit genug für ein intensives Gespräch gibt. Wenn ich jemanden kennen lernen will, sage ich zum Beispiel: „Erzähl mir die Geschichte Deines Lebens in vier Minuten – und lass nichts aus!“

Natürlich ist das eine verrückte Bitte. Es ist erstaunlich, wie viele Leute es dennoch versuchen…

Ich liebe Fragen über jemandes Arbeit, seinen oder ihren Lieblingsverwandten, ihr Lieblingsbuch oder den engsten Freund.

Und dann gibt es noch eine Frage, die sehr unterschiedliche Antworten provoziert: „Wann“, frage ich, „hast du dich Gott am nahesten gefühlt?“

Viele Leute müssen dann erstmal eine Denkpause einlegen und intensiv grübeln, bevor sie antworten können. Man merkt, dass sie noch nie darüber nachgedacht haben. Manche antworten – und richten danach die Frage an mich: „Und wann hast du dich Gott am nahesten gefühlt?“ Und weil ich die Frage schon so oft gestellt habe, muss ich über meine Antwort nicht mehr lange nachdenken.

 

Vor einigen Jahren war ich einer von mehreren Sprechern bei einer großen Missionskonferenz. Am letzten Abend versammelten sich 18.000 Menschen – die meisten Studenten – in einer großen Basketball-Arena. Mit großer Begeisterung sangen wir Anbetungslieder. Ein Missionar erzählte eine fesselnde Missionsgeschichte aus Übersee. Dann war ein bekannter Bibellehrer mit seiner intensiven Predigt dran – die Leute hingen ihm an den Lippen. Und am Schluss des Abends gab es eine Abendmahlsfeier für die große Menge. Danach sangen wir das Schlusslied und empfingen einen wunderbaren Segen. Die Leute standen auf, kramten ihre Sachen zusammen und wollten den Heimweg antreten.

Auf einmal aber – mitten aus der aufbrechenden Menge heraus – hörte man eine schöne männliche Stimme einen Chorus anstimmen, den jeder kannte: „Sing Hallelujah To The Lord …“

Die Menge stockte, hörte ein paar Sekunden zu – und stimmte dann ein. Jeder – wirklich jeder, so schien es – blieb stehen und sang mit. Keine Instrumente, kein Leiter, keine Worte auf der Leinwand. Einfach nur 18.000 Menschen, gefangen von diesem schönen Anbetungslied.

Und als die Menge mit dem Lied durch war, wurde es erneut angestimmt. Und als die Strophen zum zweiten Mal endeten, begann es ein drittes Mal. Immer wieder, ohne Aufhören. Niemand wollte gehen. Niemand! Jeder – ich eingeschlossen – wollte immer wieder dieses eine Lied singen.

Als ich so von der Bühne in die Menge heruntersah, blickte ich in die Gesichter von Männern und Frauen, die sich ihrer Tränen nicht schämten. Ehrfurcht und Dankbarkeit war zu erkennen.

 

Wir alle wissen, wie ein Sonntagsgottesdienst sein kann. Wenn die Predigt durch ist und Abschlussgebet und Segen verklungen sind, will jeder schnell nach Haus. Manch einer will so schnell wie möglich zum Parkplatz zu seinem Auto. Kein Gespräch. Kein andächtiges Sitzen mit stillen Nachgedanken. Einfach nur Aufbruch, Abmarsch, fertig …

Dieser Moment, den ich beschreibe, war nicht so. Jeder wollte noch bleiben. Jeder wollte dabei sein. Wollte mitsingen. Keinen drängte es nach Hause.

Ich verließ die Bühne und ging hinüber zu dem Bereich, wo meine Frau Gail und unsere Kinder saßen. In diesem besonderen Moment wollte ich bei ihnen sein. Als mich unsere Tochter Kristi, damals neun, kommen sah, lief sie auf mich zu, schlang ihre Arme um meine Hüfte und barg ihren Kopf an meiner Brust. Ich konnte ihre Tränen spüren. Plötzlich sah sie auf und sagte: „Papa, so wird es im Himmel sein!“

Ich glaube, sie hat Recht. Wir werden viele Tausend unterschiedliche Dinge im Himmel machen, da bin ich mir sicher. Aber zu den wichtigsten wird gehören, beieinander zu stehen, all unsere kleinlichen Meinungsverschiedenheiten, Konflikte und Feindschaften zu vergessen und dem Herrn zuzusingen. Keine Instrumente, kein Beamer, keine Leinwand. Keine Musiker, keine Cheerleader, noch nicht einmal Pastoren. Wir werden einfach einen Chor bilden – so wie eine Gruppe von Sportlern eine Fußballmannschaft bildet. Und wir werden unglaublich schöne Musik für den Herrn machen.

Und niemand wird gehen wollen. Hey, es ist der Himmel. Wo sonst wollen wir hingehen?

 

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Fairness hat einen Preis

Von Ansgar Hörsting

Wir suchten gar nicht danach, aber im Schaufenster hingen besondere Kleider. Echte Hingucker. Dafür sind Schaufenster ja da, dass sie Kunden anlocken. Das war also schon mal gelungen. Meine Frau probierte einige Kleider an, aber eins hat es uns besonders angetan. Manchmal, bevor wir kaufen, gehen wir gerne noch mal einen Kaffee trinken. Das wollten wir auch in diesem Fall tun. Ich fragte die Verkäuferin, die zugleich die Inhaberin war, ob ich ein Foto machen dürfe, damit wir uns das noch mal ansehen könnten. Sie bat darum, nicht zu fotografieren. Weil, das schob sie sofort nach, weil manche Leute im Geschäft die Kleidungsstücke anprobieren, ein Foto davon machen, um sie dann im Internet für fünf oder zehn Prozent – oder wieviel auch immer – günstiger zu kaufen. Ich war sprachlos. Das ist wirklich dreist. Es war mir schon peinlich, dass ich ein Foto machen wollte und mich diesem Verdacht aussetzte. Diese Art der Schnäppchenjägerei macht die Geschäfte kaputt, in denen man noch anprobieren kann und gut beraten wird – wie in diesem Fall. Hauptsache günstig. Das ist der alleinige Maßstab für manche.

 

Ich bin nicht Krösus

Ganz klar, ich kaufe auch im Internet. Ich mag es auch, Sachen günstiger zu kaufen. Manchmal warte ich sogar drauf, dass etwas günstiger wird. Ich bin ja nicht Krösus. Geld sparen und es dann für etwas anderes zu haben, kann Spaß machen. Und nur so kann mancher private Haushalt über jeden Monat gebracht werden. Aber den Service von jemandem in Anspruch zu nehmen, um dann systematisch woanders zu kaufen, um Geld zu sparen? Nein. Es gibt sogar Fälle, da kaufe ich etwas, obwohl es teurer ist, nur weil das Verkaufspersonal extrem nett ist. Ich finde manchmal, das muss belohnt werden.

 

Fragwürdige Praxis

Wenige Tage nach diesem Erlebnis berichtet mir Volkmar Birx, der Vorstandssprecher unserer Spar- und Kreditbank in Witten, dass es in letzter Zeit mehrfach vorgekommen sei, dass eine Gemeinde seine Beratung für den Bau eines Gemeindehauses, die Finanzierung und auch den ganzen Prozess der Entscheidungsfindung in Anspruch genommen, dann aber bei einer anderen Bank den Kredit aufgenommen habe. Sicher, in der momentanen Niedrigzinsphase hat sich das Kreditgeschäft verändert. Sicher, eine Ortsgemeinde muss mit ihren Spendengeldern verantwortlich umgehen und das heißt: sparsam. Aber die gemeinten Gemeinden haben sich noch nicht mal gemeldet, haben nicht mal ein neues Angebot erfragt,  sondern sind wortlos weitergezogen. Der Dienst wurde gerne in Anspruch genommen. Das Geschäft machte jemand anderes. Das ist nicht verboten. Aber ist es richtig?

 

Ist das noch fair?

Man sagt uns Deutschen nach, wir seien Weltmeister im Schnäppchenjagen. Das mag ja sein – aber lassen wir es nicht so weit kommen, dass vor lauter Sparsamkeit die Fairness auf der Strecke bleibt. Denn das ist dann nicht mehr Sparsamkeit, sondern Geiz oder Unfairness. Mir ist bewusst, dass das – wie vieles im Leben – eine Gratwanderung ist. Ich bin aber sicher, dass bei diesem Balanceakt hilft, was Jesus sagte: „Behandelt eure Mitmenschen in allem so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt. Das ist es, was das Gesetz und die Propheten fordern.“ (Mt 7,12, NGÜ).

Denn wir wollen alle fair behandelt werden. Möglicherweise gehen unsere Empfindungen und Überzeugungen darüber, was fair ist, auseinander, aber manchmal ist Fairness oder Unfairness offensichtlich. Übrigens: Unfaires Verhalten kann rechtlich gesehen in Ordnung sein.

Wenn ich das hier so schreibe, könnte der Eindruck entstehen, als handele ich immer nach diesem Maßstab. Nein, ich tue es wahrscheinlich nicht. Und mir kommen plötzlich die Bilder von den Kindern in den Sinn, die auf kongolesischen Minen arbeiten, um das Erz Koltan abzubauen, das chinesische Händler kaufen, um es weiter zu verkaufen, damit es in den Akku kommt, der in meinem Smartphone steckt. Mir wird schlecht  bei diesem Gedanken. Es gibt alternative Produkte. Ich muss mich mal drum kümmern. Dafür war ich aber bisher zu faul und außerdem bin ich extrem wenig technikinteressiert. Ich bin froh, wenn solch ein Ding läuft und verlasse mich auf Experten. Oder sind das nur Ausreden? Bin ich letztlich doch gleichgültig? Verhalte ich mich nach Jesu Wort? Ich fürchte nicht.

Dieser Kommentar erschien im Magazin Christsein Heute.

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Kraftvoll gegen die Angst

Von Bettina Wendland

Sind wir auf dem Weg zu einer angsterfüllten Gesellschaft? Wie reagieren wir angemessen auf Hassparolen, Terrorangst und „besorgte Bürger“?

Die Angst greift um sich: Zum ersten Mal seit Jahren sind die Deutschen 2016 nicht mit Optimismus, sondern sorgenvoll ins neue Jahr gestartet. Blickten in den vergangenen Jahren nur jeweils um die 30 Prozent angstvoll in die Zukunft, sind es nun mehr als 50 Prozent. Eine ähnliche Umfrage in der Schweiz ergab eine etwas optimistischere Einschätzung, allerdings stand hier auch die häufig gewählte Option „Ich nehme es, wie es kommt“ zur Auswahl, die bei der deutschen Umfrage nicht angeboten wurde.

Die „besorgten Bürger“ sind in den letzten Monaten zum Schlagwort geworden. Sie sorgen sich, dass der Zustrom der Flüchtlinge zu groß sei, um ihn zu bewältigen. Dass die Menschen, die zu uns kommen, nicht ausreichend integriert werden können. Sie haben Angst, dass unser Wohlstand und unser innerer Friede leiden könnte. Diese Angst teile ich nicht. Aber ich bemerke auch bei mir, dass die Angst zugenommen hat. Ende letzten Jahres war es vor allem die Angst vor Terroranschlägen. Wenn  mein Mann mit den Kindern zum Bundesligaspiel fährt, habe ich immer wieder ein mulmiges Gefühl.

Flagge zeigen gegen Hass

Ich bin immer wieder erschrocken über Brandanschläge, Hassparolen, offene Feindseligkeiten gegenüber Menschen, die aus anderen Ländern schutzsuchend zu uns kommen. Was manche früher vielleicht am Stammtisch hinter vorgehaltener Hand gesagt haben, ist nun fast salonfähig geworden. Zumindest facebook-fähig. Woher kommt dieser Hass? Und vor allem: Wo führt er hin? Wie wird sich mein Land verändern, wenn Menschen mit dieser Geisteshaltung mehr Einfluss bekommen?

Zum Glück gibt es immer wieder Hoffnungszeichen. Da lehnen die Schweizer eine Volksinitiative der SVP ab, die bewirken sollte, dass Ausländer schneller abgeschoben werden können. Viele Menschen zeigen Flagge gegen Hass und Rassismus. Und eine ZEIT-Studie hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Deutschen Angst hat vor Ausländerfeindlichkeit. Angst vor Überfremdung hat nur ein Drittel der Bürger.

Angst ernstnehmen

Es ist wohl kein Zufall, dass etwa in der Bibel gefühlt auf jeder zweiten Seite steht: „Fürchte dich nicht!“. Es gehört zu unserem Menschsein dazu, Angst zu haben. „In der Welt habt ihr Angst“, stellte Jesus einmal fest. Aber dann ergänzt er: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Für mich bedeutet das, dass ich meine und die Ängste anderer Menschen erst einmal wahrnehme. Und dann auch ernstnehme. Dass ich mich ihnen stelle, mich aber nicht von ihnen bestimmen lasse.

Ermutigend finde ich einen Bibelvers im Neuen Testament: „Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,7). Mit dieser Haltung will ich meiner Angst begegnen: mit Kraft, mit Liebe und mit Besonnenheit. Das bedeutet für mich, dass ich zu meinen Überzeugungen stehe, sie kraftvoll und besonnen vertrete. Ohne Hass, dafür mit Liebe. Wie würde sich unsere Gesellschaft ändern, wenn wir es schafften, diesem Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit mehr Raum zu geben?

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So wäre ich gerne …

Von Pfarrer Hanspeter Wolfsberger

Der 13. Opferkasten im Tempel – aussehend wie eine auf dem Trichter stehende Posaune –war der Platz für Spenden mit dem Zweck „wo am Nötigsten“. Der dabei stehende Priester nahm die laut zu äußernde Spendensumme zur Kenntnis, bestätigte sie, kommentierte sie wohl auch manchmal – vor allem, wenn sie gering war in seinen Augen –, und wer in der Nähe war, hörte es.

Jesus war in der Nähe. Und hörte deshalb, wieviel diese Frau einlegte. Eine verarmte Witwe, heißt es. Das heißt: So sah sie auch aus. Sie hatte einen ungünstigen Moment erwischt, ihre Gabe abzugeben. Vor ihr waren etliche reiche Leute „benannt“ worden. Nun kam sie – mit fast nichts. Der laut gewordene Unterschied war schon akustisch krass. Als die Frau abdrehte und die sogenannten „Schatzkammer“ verließ, kam sie an Jesus vorbei. Er sah sie an, und er sah – das Mehr. Das in ihrer Gabe Verborgene umwehte sie. Das Eigentliche. Der von Gott gesuchte „wohlgefällige Geruch“, wie die Rabbinen lehrten. Das, was Gott aufregend findet, weil es sein Herz berührt. Und Jesus sagte leise zu seinen Jüngern: „Sie hat ihre Armut gegeben, ihren bios, ihr Leben.“ (Markus 12,41ff / Lukas 21,1 ff)

Was da in den Opferkasten hinunter klimperte, war materiell zu vernachlässigen. Schon das Porto für eine Zuwendungsbescheinigung war teurer als die Gabe selbst. Aber diese Mini-Gabe war etwas seltsam Ganzes. Etwas zum Himmel hinauf Gegebenes. Etwas dort Angekommenes und Verwandeltes.

 

Man erlaube mir die Assoziation: Wenn so meine Mitarbeit im Reich Gottes wäre, auch und vor allem als Verkündiger und in Beziehungen: Das Wenige, die eigene Armut Gott hinhalten, weil ich mehr nicht habe: „Da, Jesus, mein Leben. Mach was draus. Egal was. Aber mach was draus!“

Zeuge sein ohne künstliche Ergänzungsmittel. Ohne die Armut schönredende Performance. Ohne „Auftritt“, ohne verbale Vorführung. Ohne gestische oder auditive Wirkungsverstärker. Dafür zutiefst bescheiden, entwaffnend ehrlich, heiter und spürbar darauf angewiesen, dass der Himmel selbst sich erbarmt und Feuer auf die hingehaltene Opfergabe fallen lässt…

Ein chassidischer Rabbi besuchte ein auswärtiges Bethaus. Unter der Tür blieb er jedoch stehen und weigerte sich, hinein zu gehen. Er erklärte: „Ich kann nicht hinein. Das Haus ist vom Boden bis zur Decke voll mit hier geäußerter Lehre und mit Gebeten.“ Er fuhr fort: „Die Worte, die über die Lippen der Lehrer und Beter gehen und die nicht aus einem auf den Himmel ausgerichteten Herzen kommen, die verlassen den Raum nicht, sondern füllen ihn nur. Darum ist hier kein Platz mehr.“

„Sie hat ihre Armut gegeben, ihren bios, ihr Leben.“

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Unterlassene Hilfeleistung

Von Bettina Wendland

Ein 82-jähriger Mann brach im Vorraum einer Bank zusammen. Vier Menschen sind achtlos an ihm vorbeigegangen oder sogar über ihn hinweggestiegen. Erst der fünfte Mann hat einen Notarzt gerufen. Da war es aber schon zu spät …

Eine uralte Geschichte. Schon Jesus hat sie als Gleichnis erzählt: der barmherzige Samariter. Es ist vielleicht ein natürlicher Reflex: Augen zu und durch. Oder: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Aber es ist und bleibt unterlassene Hilfeleistung. Es ist und bleibt falsch.

Aber ist es nur dann unterlassene Hilfeleistung, wenn etwas direkt vor meinen Augen passiert und ich nicht reagiere? Ist es nicht auch unterlassene Hilfeleistung, wenn ich weiß, dass im Sudan Menschen hungern und ich nichts dagegen unternehme? Wenn ich lese, dass in Bangladesch keine fairen Löhne gezahlt werden, ich aber trotzdem Klamotten bei H&M kaufe?

Diese Liste ließe sich unendlich erweitern. Not und Hilfsbedürftigkeit begegnen mir auf allen Kanälen. Aber ich kann ja nicht die ganze Welt retten. Es gibt nicht den Ausweg aus diesem Dilemma. Es gibt keine Lösung, um allen gerecht zu werden. Aber das Entscheidende ist, dass ich erst mal hingucke. Dass ich anfange. Dass ich Schritt für Schritt losgehe.

Natürlich ist mein Nächster zunächst mein Nächster: meine Familie, meine Freunde, meine Nachbarn. Die alte Frau im Supermarkt. Die Flüchtlinge in meinem Stadtteil. Hier soll ich helfen, wo ich kann. Aber ich darf die Nächsten, die weiter weg leben, auch nicht vergessen.

Alles richtig machen kann ich nicht. Aber aus lauter Angst, etwas falsch zu machen, gar nichts zu tun, ist erst recht verkehrt. Da gibt es ja noch das andere Gleichnis von Jesus, in dem es darum geht, wie die Knechte mit dem Geld umgehen, dass ihnen ihr Herr anvertraut hat. Dabei kommt der Knecht am schlechtesten weg, der das Geld vergräbt, statt damit zu arbeiten – aus Angst, er könne einen Fehler machen.

Also, Augen auf und helfen! Da, wo es am dringendsten scheint. Da, wo Gott mir etwas aufs Herz legt. Da, wo meine Fähigkeiten und Talente, mein Geld und meine Zeit besonders gebraucht werden. Ohne Anspruch, alles richtig zu machen. Nur wegsehen – das geht gar nicht!

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