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Wenn flexibel auf organisiert trifft

Rüdiger Jope

Der Iraner Gholamreza Sadeghinejad liest das Johannesevangelium. Dabei begegnet ihm Jesus. Er konvertiert und muss fliehen. In Deutschland studiert er Theologie. Seit September 2018 ist Reza zuständig für die Beheimatung Geflüchteter in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern (ELKB).

Vor fünf Jahren sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Blick auf die Flüchtlingskrise den epochalen Satz „Wir schaffen das“. Würden Sie Ihr zustimmen?

Ich war froh, dass Angela Merkel damals Kanzlerin Deutschlands war. Sie hat mir als ehemaligem Flüchtling, der achtzehn Monate aus dem Iran unterwegs war, mit diesem epochalen Satz aus der Seele gesprochen. Ich finde, dass „wir“ politisch, gesellschaftlich und kirchlich gut unterwegs sind. Und ich bin sehr froh, dass sich unser Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm der Sache so engagiert angenommen hat und jetzt ein Schiff zur Rettung der Flüchtling auf dem Mittelmeer unterwegs ist.

Was hat Sie zum Flüchtling gemacht?

(holt tief Luft) Wollen Sie nur ein Kirchenmagazin über mich machen? Stoff hätte ich genug. (lacht) Über einen Arbeitskollegen, der auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft hatte, habe ich mir ein Johannesevangelium ausgeliehen. Ich las die Seiten, war wie gefesselt. Dabei hatte ich förmlich das Gefühl, dass mein Kopf in Flammen steht. Mir war plötzlich klar: Ich bin Christ. Ich habe mich daraufhin einer Untergrundgemeinde angeschlossen. 2009 ließ ich mich taufen. 2010 flog die Gemeinde auf, der Imam des Ortes erklärte sämtliche Christen für vogelfrei. Dies bedeutete: Jeder konnte dich töten ohne dafür belangt zu werden. Über die Türkei, Tansania, Kenia, Nairobi und Mombasa floh ich nach Europa.

Wie wird ein Vierzigjährige Iraner zum Ansprechpartner für evangelische Kirchengemeinden in ganz Bayern?

2012 kam ich nach Deutschland. Ich hatte den brennenden Wunsch Theologie zu studieren. Das Johanneum in Wuppertal räumte mir diese Möglichkeit ein. Bereits während dem Studium wurde ich von der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns angefragt: Können Sie sich vorstellen, die über 1100 iranischen Christen in Bayern zu begleiten?

Sie sind seit 2018 Ansprechpartner für konvertierte Flüchtlinge. Was ist ihre Aufgabe?

Ich kümmere mich um Farsi sprechende Christen aus dem Iran und Afghanistan zwischen Aschaffenburg und Obersdorf. Ich bin deren Seelsorger und Ansprechpartner. Ich gestalte persische Gottesdienste. Ich bin bayernweit für Gottesdienste, Bibelstunden und Hauskreise unterwegs. Ich stehe Ehren- und Hauptamtlichen aus den Gemeinden als Ansprechpartner und Ratgeber zur Seite.

Iranische Christen werden Teil der evangelischen Kirche Bayerns. Alles Bestens? Was sind große Stolperfallen auf Seiten der Iraner, der Deutschen?

Manche Iraner kommen eigentlich nie pünktlich zum Gottesdienst. Wir passen von unserer Kultur gar nicht in die protestantische Kultur mit einem Gottesdienstbeginn um Punkt 10.00 Uhr. Iraner sind von ihrem Naturell her sehr flexibel und locker. Wenn dann diese Art auf die Deutschen trifft, die alles 100% vorbereiten, im Griff haben, organisieren…, dann knistert es schon mal in Gemeinden, weil Iraner einfach sehr „flexibel“ sind. (lacht) Auch kommunikativ gibt es große Unterschiede.

Zum Beispiel?

Wenn ein Iraner sagt „Du musst mir helfen!“ drückt er damit die Bitte und Frage aus „Kannst du mir helfen?“ Diese Art zu kommunizieren sorgt bei Helfenden schnell für Frust und Überforderung.

Was ist für einen Iraner gewöhnungsbedürftig bei dem Besuch eines herkömmlichen Gottesdienstes?

Die kühle, anonyme Distanziertheit, die es auch ohne den Coronaabstand in den meisten Kirchengemeinden vorherrscht. In kleinen Orten passiert es immer mal wieder, dass Geflüchtete sich in der Kirche hinsetzen und plötzlich eine Person kommt und sagt: Dies ist mein Platz. Ein großer Stolperstein ist in der Landeskirche auch die traditionelle Liturgie. Hier braucht es viel Geduld, den Willen, die Dinge gut und verständlich zu erklären, aber auch Mut zur Lücke, zum Auslassen oder zur Veränderung.

Iraner bringen ihre Kultur mit.  Welchen Reichtum bringen iranische Christen ein?

Gute Frage. Meine Überzeugung ist: Diese beiden Kulturen können sich gerade im Gottesdienst gegenseitig befruchten. Wir bringen einen einfachen Glauben, eine Freude an Jesus mit. Wenn Sie einen Iraner fragen, warum bist du Christ geworden, antwortet er: Weil ich meinen Frieden in Jesus gefunden habe. Stellen Sie diese Frage mal einem deutschen Pfarrer mit seiner durchreflektierten Theologie oder einem durchschnittlichen Gottesdienstbesucher. (lacht) Dieses Feuer und Flamme sein für Jesus kann deutsche Gemeinden ungemein bereichern, ihnen helfen mal aus dem verkopften Glauben rauszukommen.

Erleben Sie Gemeinden, die durch Iraner verändert werden?

Ja, unbedingt! Lesungen werden in Farsi gehalten, Lieder werden in Farsi gesungen. Teil der Liturgie wie „Christi du Lamm Gottes“ erklingen im Wechsel in Farsi und Deutsch. Ich erlebe viele Deutsche, die sich sehr über gemeinsame Bibelstunden freuen, deren Glauben beflügelt wird, von dieser kindlichen Glaubensfreude.

Mit dieser Projektstelle will ihre Landeskirche ein Zeichen setzen nach dem Motto: Das sind auch unsere Gemeindemitglieder, wir haben für sie Verantwortung und wir kümmern uns. Doch was passiert, wenn aus den Umsorgten, plötzlich Kümmerer, aktive Gemeindeglieder werden?

7 iranische Männer und Frauen sind inzwischen gewählte Mitglieder von Kirchenvorständen in Bayern. Ja, Iraner wollen sich beteiligen, nicht nur Empfänger, sondern auch Gebende sein. In manchen Gemeinden wird nach dem Gottesdienst persisch gekocht. Ohne Afghanen und Iraner sind manche Gemeindefeste gar nicht mehr durchführbar. Die sind früh da, packen mit an und gehen als Letzte nach Hause.

Immer wieder taucht der Vorwurf auf: Flüchtlinge lassen sich taufen, damit sie hier in Deutschland bleiben können. Was entgegnen Sie?

Das ist ein schwieriges Feld. Iraner sind auch Menschen wie Sie und ich. Kurz: Ja, mir begegnen auch Menschen, die den christlichen Glauben benutzen, um hier Asyl zu bekommen. Ich verstehe es menschlich natürlich, wenn jemand alles versucht, um hier zu bleiben. Trotzdem lasse ich mich ungern auf den Arm nehmen, wenn es um Jesus geht. Doch 95% der Flüchtlinge, mit denen ich zu tun habe, haben sich ihren Glauben etwas kosten lassen. Sie haben die Familie, ihren Job, ihre Heimat, die Freunde verlassen müssen, weil ihnen die Verhaftung oder gar der Tod drohte.

Was schätzen Sie in Deutschland? Was vermissen Sie?

Ich schätze die Religionsfreiheit. Das ist unglaublich kostbar. Auch die Demokratie, die Rechtsstattlichkeit halte ich für ein sehr kostbares Gut. Jeder darf sein wie er will. Diese Individualität, dies Freiheit findet sich in der islamischen Welt fast nirgendwo.

Sie sind zuständig für über 1000 iranische Flüchtlinge in Bayern. Was macht Sie getrost nach dem Motto: Ich schaffen das?

Weil ich Jesus an meiner Seite habe. Weil ich weiß, dass meine Landeskirche hinter mir steht, sie mich angestellt und mit großen Freiheiten ausgestattet hat. Weil die Verantwortlichen mir ein großes Vertrauen entgegenbringen, mich unterstützen, damit iranische Christen eine Heimat in unserer Kirche finden.

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