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Angekommen

Ich liebe die deutsche Sprache. Nicht nur, wenn ich Gedichte des Poeten Rainer Maria Rilke lese. Oder wenn ich bei einem Poetry-Slam-Abend in einem Berliner Club rumhänge. Der Grund für meine Sprach-Liebe? Im Deutschen gibt es großartige Worte, die einfach nicht übersetzbar sind! Oft werden sie eins zu eins in den Wortschatz anderer Sprachen übernommen. Da gibt es zum Beispiel so stimmungsvolle Ausdrücke wie „Gemütlichkeit“. Oder „Weltschmerz“. Oder „Wunderkind“.

Nick Vujicic

von Jörg Podworny

Der Hoffnungs-Botschafter

Nick Vujicic ist ein Phänomen: Er hat keine Arme und Beine. Aber als witziger und nachdenklicher Motivationscoach begeistert er Millionen Zuhörer in aller Welt. Protokoll eines Deutschland-Besuchs:

Auftritt. Nick. Oben auf der Leinwand flimmern Szenen aus seinem Leben, Besuche in Afrika, in Asien. Auftritte vor jungen und älteren Zuhörern. Lachende Menschen, nachdenkliches Publikum. Umarmungen. Währenddessen teilt sich unten der Vorhang und ein kantiger roter Rollstuhl mit kleinen Rollen wird auf die Bühne geschoben. Ein Mitarbeiter packt sich mit beiden Armen den Mann im Rollstuhl – es sieht ein wenig so aus, als ob ein voller Seesack gehoben wird – und setzt ihn vorn auf der leicht erhöhten Extra-Bühne ab.

Gespannt richten sich über 5.000 Augenpaare in der Halle auf den nur rund 80 Zentimeter kleinen Mann. Wegen ihm sind sie heute hier in die Arena nach Oberhausen gekommen, wollen hören, was er aus seinem Leben erzählt: Nick Vujicic. Was erwarten seine Zuhörer? Nun, sagt Nick, die Fragen sind überall auf der Welt gleich: „Warum bin ich eigentlich hier? Wo finde ich Hoffnung, gerade dann, wenn’s mir dreckig geht? Wie finde ich Frieden für meine Seele? – Eine echte Hoffnung ist alles.“ Und die Zuhörer bewundern seinen Mut, seine Fröhlichkeit, der man sich nur schwer entziehen kann, und seine Lebenskraft. Er inspiriert, motiviert, bringt zum Lachen und „zündet einen Funken“, wie viele bekennen.

Nick Vujicic (33) ist Australier serbischer Abstammung und lebt heute in Los Angeles. Er wurde wegen eines seltenen Gendefekts ohne Arme und Beine geboren, hat nur einen kleinen linken Fuß mit zwei Zehen am Rumpf, mit dem er erstaunlich beweglich ist. Als 10-Jähriger denkt er darüber nach, sich in der Badewanne zu ertränken, überlegt es sich aber im letzten Moment anders. Danach stürzt er sich ins Leben, lernt mit E-Rollstuhl und Joystick zu fahren oder zu telefonieren (ohne Arme!), düst auf dem Skateboard über die Pisten und surft auf dem Brett vor der Küste von Hawaii. Heute reist er als Motivationstrainer, Sprecher und Buchautor um die Welt. Er hat in seinen Vorträgen vor mehr als drei Millionen Menschen gesprochen, dabei nach eigener Zählung fünf Millionen (Flug-) Kilometer in etwa 2.500 Flugzeugen zurückgelegt. In Deutschland hat Nick im Sommer nur diesen einen Auftritt, schon am nächsten Tag jettet er weiter, ans andere Ende des Globus, nach Malaysia, Singapur und auf die Philippinen. Er wird von Regierungen und Gemeinden eingeladen, referiert in Schulen und großen Veranstaltungshallen wie hier.

 

„Low Two“ statt „High Five“

Eine zentrale Botschaft Nicks wird schnell klar: „Du bist wunderbar – so, wie du bist!“ Wenn einer wie er das sagt, nimmt man ihm das sofort ab. Und es geht weiter: Dankbarkeit, der nächste bedeutsame Punkt; dankbar zu sein für das, was man hat, statt zu meckern über das, was man nicht hat. „Ein gebrochenes Herz kann schlimmer sein als keine Arme und Beine zu haben“, sagt er. Nick redet häufig in solchen Gegensatz-Beispielen, um seine Gedanken zu verdeutlichen.

Er tut das höchst unterhaltsam. Es macht ihm sichtlich Spaß zu erzählen: Einmal hat er in Flugkapitäns-Uniform die verdutzten Fluggäste beim Einsteigen begrüßt. Ein anderes Mal, im Straßenverkehr, ist der Fahrerin im Auto neben ihm die Kinnlade herunter geklappt, als er sich auf seinem Autositz einmal um 360 Grad gedreht hat. Nick Vujucic ist ein guter Entertainer, der knochentrocken seine Pointen abfeuert: „Manchmal nervt mich die viele Aufmerksamkeit auch. Dann tarne ich mich – setze eine Sonnenbrille und einen Hut auf …“

Seinen Zuhörern nimmt er schnell die Befangenheit, weil er sich ständig selbstironisch auf die Schippe nimmt. Während er noch berichtet, dass sein Vater nach der Geburt fast in Ohnmacht gefallen wäre, erzählt er, wie er mit seinen Handicaps umgeht: Dann spricht er von Daniel Martinez, einem Jungen, der ähnlich behindert ist wie er, und wie er sich mit ihm „abklatscht“. Weil das mit Händen nicht geht, „High Five“ also ausscheidet, muss eben das „Low Two“ der beiden Stummel-Zehen herhalten.

Der Witz mit Herz ist aber nicht alles. Nick Vujicic präsentiert sich ebenso als nachdenklicher, ruhiger Typ, der über Gott und die Welt nachgedacht hat. Ein wichtiges Thema für ihn sind junge Menschen, Teenager. Er hat in den USA in Schulen geforscht und herausgefunden, dass 40 von 1.000 Schülern Selbstmordgedanken haben. Weil sie gemobbt werden. Darum mahnt er: Überlegt euch gut, was ihr zu anderen sagt! Darum spricht er oft über Selbstannahme und sagt: „Du musst nicht ‚perfekt‘ sein!“

 

Glaube. Liebe. Und Hoffnung.

Dabei lautet seine Botschaft nicht oberflächlich: Denk positiv! Nimm‘s leicht! Das wird schon!

Es steckt mehr dahinter. Nick Vujicic ist Christ und er sagt das auch. Der alte christliche Dreiklang klingt hörbar bei ihm durch.

Der Glaube ist seine Grundlage. „Nachdem ich entschieden hatte, mich nicht umzubringen, dachte ich: Wenn Gott einen Plan für mich hat, dann will ich wissen, was für einen!“ Nick hat für sich eine Antwort gefunden und sagt sie auch anderen: „Wenn ich selbst keine Wunder erlebe, kann ich immer noch ein Wunder für jemand anderes sein!“ Sagt es und wippt auf seinem kleinen Füßchen; er selbst ist ein lebendes Beispiel dafür.

Die Liebe zählt für ihn: Die Liebe zu seiner Frau Kanae, mit der er seit 2012 verheiratet ist: „Ich kann zwar nicht ihre Hand halten – aber ihr Herz.“ Die Liebe zu seinen beiden Kindern, mit denen er auf dem Trampolin tollt. Oder auch die Liebe für Menschen, die eigentlich keine Liebe verdient haben, sagt er, und erzählt die bewegende Geschichte einer Bordellmutter in Indien, die nach langer Behinderung eine wundersame Heilung erlebt hat.

Und nicht zuletzt die Hoffnung. Nicks wichtigster Gedanke ist der: „Wenn jemand wie ich es schaffen kann, dann schaffst du es auch! Und du musst dabei nicht ‚perfekt‘ sein!“ Gleich witzelt er wieder: „Sehe ich etwa so aus, als ob mir etwas fehlt?“, ruft er in die Zuschauermenge – und antwortet: „No!“ Und das hat seinen tieferen Sinn: „Ich bin nicht ‚der Mann ohne Arme und Beine‘, sondern ein göttliches Königskind!“ Humorvoll schiebt er nach – indem er auf die Gemeinschaft von Christen in aller Welt verweist: „Seht her, ich bin euer Halbbruder!“

„Leben ohne Limits“ heißt Nicks Motto. Er hat viele persönliche Grenzen überwunden, war Surfen, Skateboarden, Golfen, Tauchen, ist mit dem Fallschirm abgesprungen … Hat er noch eine „Löffelliste“ der Dinge, die er unbedingt noch machen möchte? Nein, meint er, er will vor allem für seine Familie da sein.

Wenn er von Reisen heimkommt, erzählt er, hat er „1.189 SMS“ auf dem Smartphone, die er alle gern beantworten würde. Aber seine Frau legt sein Handy dann ganz oben auf ein Regal, wo er auf keinen Fall rankommt.

Infos auf Nicks Webseite: www.nickvujicic.com

 

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Unbekannte Personen der Bibel: Urija ben Schemaja

von Dr. Ulrich Wendel

Hat Gott seinen Diener vernachlässigt?

„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ heißt ein erfolgreich verfilmter Roman, und es gab schon immer viele Menschen, die ihr eigenes Leben so beschreiben würden. Auch in der Bibel bildet sich die Ungerechtigkeit der Lebensschicksale häufig ab. Urija ben Schemaja ist so einer, dem das Leben offenbar unfair mitgespielt hat.

Urija war ein Zeitgenosse des Propheten Jeremia. Er stammte aus Kirjat-Jearim, einer Stadt, die gut 25 Kilometer von Jeremias Heimatort Anatot entfernt lag. Beide Männer hatten viel gemeinsam: Sie lebten unter demselben König, Jojakim. Wie Jeremia war auch Urija ein Prophet – und sie hatten dieselbe Botschaft: Sie sprachen im Namen Gottes gegen das Land Juda und die Mächtigen in Jerusalem, denn diese hatten Gottes Wege verlassen.

Für diese mutige Botschaft musste Urija einen hohen Preis bezahlen. Nichts war damals verwerflicher als die göttlichen Vorzüge von Jerusalem in Frage zu stellen. König Jojakim plante Urijas Hinrichtung. Der Prophet erfuhr davon und floh nach Ägypten. Doch Jojakim hatte politische Verbindungen dorthin. Er schickte ein Kommando hinterher, ließ Urija zurückholen, mit dem Schwert hinrichten und seinen Leichnam unehrenhaft verscharren (die Geschichte steht in Jeremia 26,20-24).

Kollege Jeremia stand in der gleichen Gefahr. Doch er hatte einen einflussreichen Beamten des Königshofes hinter sich stehen, der seine Hand über ihn hielt. So kam Jeremia mit dem Leben davon, und das mehr als einmal. Urija aber hatte niemanden auf seiner Seite. Und auch Gott schützte ihn nicht. So viel zum Thema Gerechtigkeit.

Keine falschen Schuldzuweisungen!

Manche Bibelausleger machen Urija zum Vorwurf, dass er nach Ägypten geflohen ist. Anstatt sich auf Gott zu verlassen, habe er selbst für seinen Schutz sorgen wollen. Doch diese Erklärung ist wohl nur ein Versuch, die drängende Frage nach der Gerechtigkeit zu übertünchen. Der biblische Bericht hat an der Flucht von Uirja nichts auszusetzen. Im Gegenteil – auch Jeremia musste sich in einer bestimmten Situation einmal vor König Jojakim verstecken. Der Bericht kommentiert das mit den Worten, dass Gott selbst ihn – den fliehenden Propheten – verborgen hielt (Jeremia 36,18). Auch früher schon war es ein Zeichen der Treue zu Gott gewesen, wenn jemand Propheten vor dem rachsüchtigen König versteckte (1. Könige 18,3-4). Man kann also Urija nicht vorwerfen, er sei eigenmächtig davongelaufen und also selbst Schuld an seinem Schicksal.

Wir müssen zunächst einfach anerkennen: Gott behandelt nicht jedes seiner Kinder gleich. Und Gott gibt auch nicht jedes Mal eine Erklärung dafür, warum er seine Leute ungleich behandelt. Wir leben in einer Welt, in der Menschen einander Schaden zufügen, ja einer den anderen tötet. Gott schiebt dem manchmal einen Riegel vor – aber nicht immer. Zuweilen lässt er dem Bösen seinen Lauf, auch wenn das seine Diener das Leben kostet. Auch im Neuen Testament steht beides hart nebeneinander: Der Apostel Petrus wird ins Gefängnis geworfen, aber durch ein Wunder befreit – und kurz vorher ist der Apostel Jakobus geköpft worden, ohne Wunder, ohne Rettung (Apostelgeschichte 12,2-11).

Aus dem Abstand betrachtet

Das einzige, was manchmal (!) hilft: Einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild betrachten. Die Jahre verstreichen lassen und sehen, was zu allerletzt herauskommt. Bei Jeremia war es so: Immer wieder hatte er einflussreiche Fürsprecher, die ihm das Leben retteten. Gott schenkte ihm eine längere Lebenszeit als Urija. Am Ende allerdings war Jeremia dann doch ein Spielball der Judäer, denen er die ganze Zeit treu Gottes Wort gesagt hatte. Sie verschleppten ihn nach Ägypten – wo sich dann sein Weg verliert. Der Überlieferung zufolge wurde er von seinen Landsleuten gesteinigt. Letzten Endes ging es ihm also nicht besser als Urija. Es traf ihn bloß später.

Bei Petrus war es vermutlich ähnlich. Anders als Jakobus war er gerettet worden, doch frühe christliche Historiker sagen, er sei später in Rom hingerichtet worden. Dasselbe Muster also: Auch der, den Gott beschützte, blieb zum Schluss nicht verschont.

Vielleicht ist der Unterschied zwischen Urija und Jeremia doch nicht so groß. Aus menschlicher Perspektive zwar durchaus: Jahre und Jahrzehnte weiterleben dürfen oder nicht, das ist ein Riesenunterschied! Doch am Ende warteten auf beide die Mörder. Und am Ende hieß es für beide auch: Man hat ihnen nicht geglaubt, ihre Botschaft kam nicht an. Am Erfolg gemessen, war Jeremia gescheitert. Urija ebenso – bloß früher. Sein Leben blieb ein Fragment.

Lebenssinn trotz Scherben

Aber es gibt auch Fragmente, die in tieferem Sinn vollständig sind. „Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es besteht. Es gibt schließlich Fragmente … die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen … Wenn unser Leben auch nur ein entfernter Abglanz eines solchen Fragmentes ist, … dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.“ Das schrieb Dietrich Bonhoeffer – auch einer, den Gott am Ende nicht beschützt hat, als er seinen Mördern in die Hände fiel.

Zum größeren Bild, aus dem Abstand betrachtet, gehört schließlich auch dies: König Jojakim, der Urija wie einen ehrlosen Verbrecher verscharren ließ, erlitt am Ende dasselbe Schicksal: Seine Leiche sollte den Tieren auf dem Feld vorgeworfen werden (Jeremia 22,19; 36,30). In der Tat – die Bibel erwähnt seinen Tod, aber weder Begräbnis noch Trauer (2. Könige 24,6).

Ist das ausgleichende Gerechtigkeit? Hat jemand wie Urija etwas davon, wenn es am Ende den anderen auch nicht besser geht? Unterm Strich hilft wohl nur das Vertrauen: Auch wenn Menschen einander töten – Gott ist es, der über die Dauer eines Lebens entscheidet. Und an Gott liegt es auch, dass ein Leben erfüllt sein kann, selbst wenn es zu früh endet. Nein, Gott behandelt nicht jeden gleich. Doch seine Zuwendung und Zuneigung sind nicht geringer, auch wenn jemand ein Leben voller Belastungen und Grenzen führen muss.

Dieser Artikel erschien im Magazin Faszination Bibel. Jetzt kostenlos testen: www.faszination-bibel.net