Kreuz, nein danke?

Nathanael Ullmann

Wer mein Bürozimmer betritt, der sieht es in der Regel sofort: In leuchtenden Farben prangt ein Kreuz an der Wand. Das Gemälde befindet sich in bester Gesellschaft: Ihm gegenüber hängen zwei Sprüche aus der Theaterwelt und eine Leinwand mit Bioshock-Motiv; direkt neben dem Kreuz findet sich ein Plakat, das mir einmal ein Künstler während meiner Zeit beim Radio geschenkt hat. In dieser Kombination macht das Kreuz für mich Sinn. Die Zimmerwände zeigen, wer ich bin: Theatermacher, Spiele-Nerd, Journalist – und Christ.

Bekenntnis auf der Brust

Etwas anders verstehe ich das Kreuz, das ich mir (fast) jeden Morgen um den Hals hänge. Es fungiert für mich mehr als ein Bekenntnis: „Hey, hier steht Christus drauf und ist (hoffentlich) auch ein wenig Christus drin.“ Ich verstehe es als eine Art Erkennungszeichen. Außerdem zeigt mir meine Kreuzkette noch etwas Anderes: Ich habe mich mit meiner Taufe zu einem Leben mit Jesus Christus verpflichtet. Die Kette ist für mich so etwas wie ein Brandmal – nur weniger schmerzhaft und definitiv hübscher. Jeden Morgen aufs Neue mache ich mir bewusst, dass ich ein Teil der christlichen Gemeinde bin, mit allem, was dazugehört. Das Ritual des Kette-Anziehens macht aus der Entscheidung mit Gott zu gehen, immer wieder eine konkrete Tat. Und das hilft mir ungemein.

Setze dein Kreuz mit Bedacht

Als Erkennungszeichen und Symbol des gelebten Glaubens finde ich das Kreuz legitim. Jede Privatperson, Initiative und Vereinigung, die sich bewusst und in Absprache mit allen Beteiligten dafür entscheidet, deswegen auf das Kreuz zurückzugreifen, kann ich nur beglückwünschen. Und trotz allem (oder gerade deswegen) habe ich den Beschluss des bayerischen Landeskabinetts, dass in allen Behörden der Staatsverwaltung Kreuze im Eingangsbereich hängen müssen, nicht gefeiert. Denn hier liegt eine gänzlich andere Geisteshaltung vor.

Revier markieren

Wenn Ministerpräsident Markus Söder behauptet, das Kreuz solle kein religiöses Symbol des Christentums sein, sondern ein „Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung“, wird klar, was hier Sache ist: Von der rettenden Botschaft des Evangeliums ist dieser Schachzug so weit entfernt wie ein Apple-Produkt vom Ein-Euro-Laden. An die Stelle der guten Nachricht tritt ein leerer Traditionsbegriff. Das Glaubensbekenntnis verkommt von einem „Ich bin für euch gestorben“ zu einem „Halt Stopp, das Kreuz bleibt, wo es ist (weil das schon immer so war)“. Es ist, als wolle die CSU hier schlichtweg ihr Revier markieren. Nur, dass sie nicht das Beinchen hebt, sondern ein Symbol an die Wand tackert. Es wirkt wie eine Machtgeste: „Wir waren zuerst hier!“ Zudem werden hier Menschen dazu gezwungen, zu etwas zu stehen, mit dem sie sich unter Umständen gar nicht identifizieren.

Und das ist noch eine freundliche Auslegung dieses Spektakels. Viel eher ließe sich dahinter schnöder Stimmenfang vermuten. Deutlich effektiver wäre es allerdings, den Inhalt neu zu überdenken, statt die Verpackung aufzumotzen. Oder, anders gesagt: Es wäre besser, das zu leben, was das Kreuz bedeutet, statt es als Kulturobjekt zu vereinnahmen.

Was ich hier am Beispiel der Amtskreuze durchexerziert habe, gilt nebenbei für alle Kreuze aus reiner Tradition. Wer dieses Symbol benutzt, muss auch zu der christlichen Bedeutung stehen. Und im Bestfall hinterfragt er immer wieder aufs Neue, ob er das noch kann. Insofern: Kreuz, ja bitte! Aber bitte aus Überzeugung.

Lass dich nicht gehen!

Tobias Hambuch

 

Flavio Simonetti ist Fitness-Blogger. Sein Fokus liegt auf Gewicht, Bizepsgröße und Massephasen – manchmal regeneriert er auch. Doch zu viel Leerlauf kann er sich nicht erlauben, denn er ist auf neue Klicks angewiesen. Und das Streben nach Reichweite ist nicht sein einziger Kampf.

Ein recht unscheinbarer Raum. Darin eine gemütlich aussehende graue Couch, ein Tisch mit Sitzschalen-Stühlen. Ein paar Regale. Eine Büro-Ecke. Flipchart. Kartons. Und ein großes rotes Poster vor einer Sperrholzwand. Darauf prankt der Mann, der hier bis zu dreimal in der Woche ein neues Video dreht, und es dann bei YouTube mit seinen fast 250.000 Abonnenten teilt: Flavio Simonetti. Betritt er die Bildfläche, gibt es klare Ansagen zu hören wie »Achte auf deinen Körperfettanteil, dein Krafttraining und deine Ernährung – sie haben Auswirkungen auf deinen Testosteron-Wert!« oder „Diese Kohlenhydrate sind die besten Quellen für deinen Muskelaufbau!“ Manchmal ist auch Christian mit dabei. Der war sogar schon mal Deutscher Meister im Natural-Bodybuilding – also im Muskelmasseaufbau ohne Doping. Dann stehen zwei Typen vor der Kamera, deren Oberarme Eindruck hinterlassen und deren Shirts dem Platzen nahe scheinen. Und reden über Einfach- und Mehrfachzucker. Warum das alles? Und warum dreht sich hier eigentlich alles nur um den Körper? Wen bedient Flavio eigentlich?

Neue Formate, neue Follower?

„Die, die seit Jahren ins Fitnessstudio rennen. Die, die sich abquälen und irgendwann frustriert merken: Es hat sich nichts getan.“ Sie hat Flavio im Blick. Weil er ihnen Erfolgserlebnisse schenken will, die er am eigenen Körper erleben durfte. Er will ihr Motivator sein. Und das hat er zu seinem Geschäft gemacht. Der Deutsch-Italiener hat die Trainings-App „Coach Carter“ entwickelt, das Fitnessprogramm „Muskelakademie“ erarbeitet und eine eigene Bekleidungsmarke am Start: „Natural Athlet“. Gleichzeitig will er seine eigene Fitness auf einem hohen Level halten. Und hat mit zwei kleinen Kindern zudem ein prall gefülltes Familien-Leben. Sein Aufruf: »Hol das Beste aus dir raus.« Dazu will er niemanden zwingen. Aber für ihn steckt dahinter auch die biblische Aufforderung, den „Tempel des Heiligen Geistes“ zu pflegen und den eigenen Körper wertzuschätzen. Flavio ist Christ. Auf seinem Insta-Account ist vor allem anderen „God First“ zu lesen. Und doch sagt er: „Meine erste Frage ist: Wie kann ich für das Publikum attraktiv bleiben? Da kann ich nicht jedes Mal über Gott reden. Die Reichweite würde zusammenfallen. Ich will für die Welt interessant bleiben.“

Der „Retter der Dünnen“

Flavios Beruf ist ein Kampf um Klicks. Nur die sichern ihm und seinen Mitarbeitern eine stabile Finanzlage. Das macht auch Druck. „Da muss ich manchmal aufpassen, dass mich das nicht auffrisst. Ich kämpfe immer wieder mit mir selbst und frage mich: Ist dieses Format noch interessant? Was kann ich neu machen? Wie bleibe ich authentisch? Und wenn du dann was startest, über das du dir lang Gedanken gemacht hast, und es trotzdem nicht ankommt, ist das total frustrierend. Dann sehne ich mich manchmal danach, Zahnarzt zu sein und immer wieder den gleichen Prozess wiederholen zu können.“
Für mehr Reichweite polarisiert der Blogger auch gerne. Er nennt sich „Retter der Dünnen“ oder startet eine „Lauch-Challenge“ mit Jungs, die mehr Muskeln haben wollen. Natürlich kommt da auch Kritik ins Haus. Wie er als Christ einen so starken Fokus auf den Körper legen könne?

Weniger Körperkult, mehr Selbstannahme

Flavio setzt zwar provokante Titel, aber entscheidend ist für ihn, dass er jeden einzelnen Teilnehmer seiner Programme wertschätzt, geduldig begleitet und motiviert. Einst ging er als Jugendlicher selbst ins Fitnessstudio, um sich besser zu fühlen. Stärker. Entschlossener. Geliebter. „Zwischen 15 und 24 Jahren war ich auf der Suche. Ich wollte herausfinden, was ich überhaupt kann. Frauen, Geld und Fitness dominierten mein Leben.“ Deshalb versteht er die Leute, die Sport und Muskeln gebrauchen, um sich Selbstvertrauen zu holen. „Auch ich habe damals nicht an mich geglaubt und wusste nicht, wer ich bin. Ich kenne die große Challenge, zu trainieren, ohne mich darüber zu definieren. Das ist ein Kampf. Ich will Gott an die erste Stelle setzen. Nur bei ihm finde ich wirklich Identität.“

Berufen

Jungen Menschen zuzusprechen, dass sie aus einem Grund hier sind und nicht einfach so vor sich hin leben sollten – das sieht Flavio als Teil seiner Berufung an. Und er erreicht diese Menschen auf seine eigene Art und Weise. Dahinter steckt seine Geschichte. Flavio hätte den Begriff „Berufung“ lange nicht in den Mund genommen, lenkte sich ab, wurde immer unzufriedener, fühlte sich leer. Mit 24 Jahren nahm er an einem illegalen Autorennen teil, das frontal vor einem Baum endete. Ein vorbeifahrender Autofahrer war sich sicher: Der ist tot! Doch Flavio lebte und wusste: Es muss sich was ändern. In der Rückschau meint er: „Ich brauchte diese Neujustierung. Da war die bohrende Frage, auf die ich endlich eine Antwort finden wollte: Was will ich wirklich? Ich habe plötzlich gespürt, dass Gott mein Leben lenkt und ich nicht mehr an ihm vorbeileben will. Bislang hatte ich alles auf eigene Faust erkundet und war damit nicht weit gekommen.“ Dieser biographische Wendepunkt scheint kaum übertragbar. Wie können dann andere Menschen ihre Berufung finden? Flavio macht klar: „Auch ich bin immer wieder auf der Suche, muss prüfen, ob ich auf dem richtigen Weg bin, brauche Leute, die mir ins Leben reinreden.“ Er gibt den Tipp: Manchmal sind wir viel zu abgelenkt und brauchen einfach mal Ruhe, Zeiten fern vom Handy, fern vom Unterhalten-Werden, offline. Um dort die eigene Kreativität und Leidenschaft zu entdecken. Zu erkennen, wie man tickt. „Dann besteht auch eine geringere Gefahr, nur von anderen zu kopieren.“ Aber kann Berufung nicht auch manchmal wie eine verheißungsvolle Illusion wirken? Flavio hat genug Rückschläge erlebt und meint: „Gott kann auch da wirken und uns schleifen, wo wir uns im Beruf gerade durchschleppen und keinen Spaß haben.“

Der Bequemlichkeit den Kampf ansagen

Vor einigen Tagen ist er aus Italien zurückgekehrt. Pizza, Pasta und Eis standen auf der Speisekarte, Flavio hat ganze sechs Wochen nicht trainiert. Mit schlechtem Gewissen? „Nein, im Urlaub habe ich das Ziel, zu genießen. Tief im Innern könnte ich jetzt auch ohne Training weiterleben. Aber jetzt beginnt wieder der Kampf mit mir selbst. Ich merke, dass ich nicht auf jedes meiner Gefühle hören sollte. Denn ich habe auch oft keine Lust auf Beten oder keinen Bock auf Bibellesen. Aber davon will ich mich nicht leiten lassen.“
Heute schauen tausende Menschen seine Videos an. Und Flavio will ihnen die Bereitschaft vermitteln, an sich zu arbeiten – „an den Dingen, die andere davon abhalten, dich als Vorbild zu sehen. Am Ende geht es nicht darum, gut dazustehen, sondern deine Talente wachzurufen und dadurch auf Gott zu zeigen, der sie dir gegeben hat.“ Flavio wünscht sich Menschen, die über sich hinauswachsen. Und das muss überhaupt nichts mit dem eigenen Körper zu tun haben. „Auch eine schüchterne Person, die vor einer großen Gruppe von Leuten redet, wächst über sich hinaus.“

 

 

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