Beiträge

Gut, dass wir einander haben

Agnes Wedell

Meine Mutter war im Frühjahr im Krankenhaus. Nein, sie war nicht an Corona erkrankt. Aber wegen Corona durfte sie niemand aus unserer Familie besuchen. Gerade in einer Zeit, in der unsere Nähe für sie wichtig gewesen wäre, konnten wir sie ihr nicht geben. So wie uns erging es vielen anderen Familien. Aber anders als bei uns endeten diese Geschichten nicht immer mit einem Happy End. Alte und auch jüngere Menschen sind einsam im Krankenhaus gestorben – und ihre Angehörigen müssen jetzt damit leben, sie auf ihrem letzten Weg nicht begleitet zu haben.
Gemeinschaft  ist lebensnotwendig. Der dreieine Gott hat uns so geschaffen, dass wir einander brauchen. Von Anfang an wollen wir zu jemandem gehören. Das gibt Sicherheit und Geborgenheit.  Wer sind wir schon als Einzelkämpfer? „Der Mensch wird am Du zum Ich“, drückte der jüdische Philosoph Martin Buber dieses Bedürfnis nach Miteinander aus.
Das kann natürlich ganz  unterschiedlich aussehen: Der eine liebt es, in große Gruppen einzutauchen und unterhält mit Leichtigkeit alle Anwesenden. Die andere macht lieber mit einer Freundin einen Spaziergang, bei der sich beide rege austauschen, aber auch mal gemeinsam schweigen. Und natürlich braucht und verträgt nicht jeder dieselbe „Dosis“ an Gemeinschaft. Extrovertierte tanken im Miteinander auf.  Und leiden dementsprechend am Alleinsein. Ich bin introvertiert. Um neue Kraft zu schöpfen oder einen klaren Kopf zu bekommen, muss ich mich zurückziehen. Um danach eine Begegnung umso mehr genießen zu können.
Wenn das Bedürfnis nach Nähe und Distanz so unterschiedlich verteilt ist, kann das natürlich zu Konflikten führen – in der Familie, unter Freunden, aber auch in der Gemeinde. Zumal es ja noch so viele andere Aspekte gibt, die uns unterscheiden: Gott baut aus jungen und alten Frauen und Männern seine Gemeinde. Pedanten treffen in der Kirche auf  Chaoten, Streitlustige einigen sich mit Harmoniebedürftigen, Menschen aus verschiedenen Kulturen erleben miteinander Gemeinschaft. Ganz schön anstrengend – aber auch ein unglaublicher Reichtum!

 

Dieser Artikel erschien in LebensLauf. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslauf-magazin.net

Essen wie Luther

Nathanael Ullmann

Fünfmal im Jahr treffen sich in der Sulinger Kirchengemeinde Männer, um gemeinsam zu kochen – mal klassisch, mal nach Rezepten von vor 500 Jahren. Christian Jost hat die Gruppe ins Leben gerufen.

 

Herr Jost, wie kam es zum Männerkochen?

Christian Jost: Ich leite seit zehn Jahren Familienfreizeiten in unserer Kirchengemeinde. Wir Männer saßen auf einer dieser Freizeiten abends zusammen und dachten uns: Die Frauen treffen sich regelmäßig, aber für uns Männer gibt es nichts. Also haben wir angefangen, gemeinsam in der Küche unseres Gemeindezentrums zu kochen. Begonnen haben wir mit fünf oder sechs Männern, mittlerweile sind immer so um die 20 da.

20? Kann man da noch vernünftig arbeiten?

Das ist ganz einfach: Zwei Männer sind immer Chef de Cuisine und suchen die Rezepte raus – und zwar so, dass zwei oder drei Teilnehmer zusammen einen Teil des Menüs vorbereiten können. Die einen machen das Fleisch, die anderen den Teig usw. …

Warum gerade Kochen?

Weil es verbindet. Bei der Freizeit damals haben wir uns gefragt: Was machen wir alle? Der eine joggt, der andere spielt Fußball. Aber die Freude am Kochen war das, was alle gemeinsam hatten.

Was war das Außergewöhnlichste, was Sie kreiert haben?

2017 haben wir ein Lutherdinner veranstaltet und 80 Leute aus der Gemeinde bekocht. Wir haben Gerichte zubereitet wie vor 500 Jahren. Wir haben sogar das Bier besorgt, das Luther getrunken haben soll.

Und was hat Luther so gegessen?

Erbsenbrei. Das sind pürierte Erbsen mit verschiedensten Gewürzen. Was es nicht gab, waren Kartoffeln, dafür Reis und Nudeln. Und natürlich wurde viel Fleisch gegessen, wenn man das nötige Geld hatte.

Bei Ihren regulären Treffen gibt es auch eine Andacht.

Genau, zwischendrin. Zuerst werden die Rezepte verteilt. Und wenn wir eine Stunde am Kochen sind, hole ich alle zusammen. Wir lesen aus dem Andachtsbuch „M wie Männer“.

Mittendrin eine Andacht, passt das?

Auf jeden Fall. Es wird dann immer richtig ruhig. Beim Kochen im Anschluss wird in den einzelnen Gruppen oft über das Andachtsthema gesprochen.

Haben Sie einen Tipp für Menschen, die auch ein Männerkochen veranstalten wollen?

Das Wichtigste ist eine gut ausgestattete Küche. In unserer Küche im Gemeindezentrum konnte man anfangs zwar Essen mitbringen und auf Teller legen, aber nicht wirklich kochen. Die ersten Male habe ich meine halbe Küche ausgeräumt, alle Messer und Töpfe. Da war es eine Herausforderung, auch alles wieder mit nach Hause und an den richtigen Platz in der Küche zu bringen. Irgendwann haben wir im Gemeindevorstand entschieden, die Küche richtig auszustatten. Aber prinzipiell gilt: Einfach loslegen!

Dieses Interview erschien in der MOVO. Jetzt kostenlos testen auf https://www.movo.net/

Den Nächsten im Blick

Nathanael Ullmann

Hans-Martin Wiedemann strotzt nur so vor Energie. Das ist vor allem verwunderlich, wenn man bedenkt, wie viele ehrenamtliche Projekte der 60-Jährige neben seinem Beruf noch meistert.

Hans-Martin Wiedemann ist ein ehrenamtlicher Tausendsassa. Er sitzt im Gemeinderat seiner Kirche, engagiert sich bei der Kolpingfamilie und hilft bei der Caritas. Aber auch außerhalb der kirchlichen Strukturen endet sein Engagement nicht. Im Flüchtlingsnetzwerk ist er ebenfalls voll mit dabei. „Ich kann das nicht haben, wenn Menschen auf der Straße leben oder keinen Zugang zu Bildung haben“, so der Bochumer. Früher habe er bis zu 16 Stunden täglich als Werkzeugvertriebler gearbeitet. „Dann habe ich mir gedacht: Das kann es nicht sein.“ Wiedemann fuhr seine Stundenzahl zurück und engagiert sich seitdem verstärkt ehrenamtlich. Das sei zwar nicht bezahlt, gebe ihm aber ganz viel zurück.

Kleiderkammer fehlte

Auf die Flüchtlingsarbeit ist er durch das Bibelteilen (gemeinsames Bibellesen) gekommen. Zusammen hatte das Team überlegt, wo ihre Hilfe am ehesten gebraucht wird. Schnell war klar: Im Bochumer Stadtteil Langendreer fehlte es an einer Kleiderkammer. „Wir haben dienstags Bibel geteilt und den Sonntag darauf die Kleiderkammer eingerichtet“, erinnert sich der Ehrenamtliche.

Mittlerweile sind die meisten Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht, die Kleiderkammer ist überflüssig geworden. Für Wiedemann endet die Arbeit damit nicht. Nach wie vor ist er im koordinativen Bereich der Flüchtlingsarbeit tätig. Der zweifache Vater ist in unterschiedlichen Vereinen im Stadtteil unterwegs. Für jeden Belang weiß er den richtigen Ansprechpartner. Aber auch den persönlichen Kontakt zu den Geflüchteten unterhält er noch: „Die sind mir ans Herz gewachsen.“

Vorbild Adolph Kolping

Motiviert wird Hans-Martin Wiedemann durch sein großes Vorbild: Adolph Kolping. „Für ihn hat Kirche eine wichtige Rolle gespielt. Aber vor allem sein soziales Engagement für die Menschen, die keine Fürsprecher haben, inspiriert mich“, erzählt er begeistert. Zusätzlich dazu stärkt seine Frau ihm den Rücken: „Wenn ich meine Frau nicht hätte, könnte ich viele Projekte, die mir wichtig sind, so nicht umsetzen.“

Und wenn dann doch mal die Motivation schwindet? „Dann gucke ich abends noch mal aufs Kreuz oder morgens beim Guten-Morgen-Gebet, dann geht das.“ Besonders, wenn Wiedemann die Früchte seiner Arbeit sieht, findet er neue Energie. Vor einiger Zeit hat sich der Ehrenamtliche dafür stark gemacht, eine Flüchtlingsfamilie über dem Gemeindehaus einziehen zu lassen. „Wenn ich dann die Kinder auf dem Kirchplatz sehe, denke ich jedes Mal, dass es sich dafür gelohnt hat.“

In die Flüchtlingsarbeit einsteigen könne übrigens jeder, davon ist der gläubige Katholik überzeugt. Voraussetzungen müsse man keine mitbringen. „Jeder Mensch hat Gaben, die Gott ihm geschenkt hat. Der eine kann vielleicht besser vorlesen, der andere Möbel schleppen.“

 

Dieser Artikel erschien in Family. Jetzt kostenlos testen: www.family.de

 

Haltepunkte

Jörg Podworny

Das Kopfkino springt sofort an. Es ist ein ungemein spannender, lebenswichtiger und inspirierender Begriff: Halt. Und er wirft sehr schnell die Frage auf: Wann brauche ich eigentlich Halt?

Ein Halt tut gut, wenn ich unsicher bin. Ich habe das gerade wieder im Urlaub erlebt. Wir waren in Dänemark – und außer dem fröhlichen Begrüßungs-„Hej!“ und Straßenschildern mit der Aufschrift „Knallert forbudt“ (etwa „Hier dürfen keine Motorräder – oder ähnliche Fahrzeuge – fahren“) haben wir nicht ganz viel verstanden und sagen können (glücklicherweise sprechen viele Dänen besser Deutsch als viele Deutsche Dänisch). Wenn ich nicht so recht weiß, was ich sagen soll, gehe ich deutlich unsicherer mit anderen Menschen um. Ähnlich ist es, wenn ich (mit dem Auto) im Nebel unterwegs bin und nicht wirklich sehe, wo es langgeht. Ich brauche Halt, wenn ich rutsche oder zu fallen drohe – wenn es im schlimmsten Fall kein Halten mehr gibt. Nochmal das Beispiel Auto: Mehr als einmal habe ich versucht, auf spiegelglatt vereister Straße zu bremsen … es wurde erst besser, als ich – in umgekehrter Fahrtrichtung – am gegenüberliegenden Straßenrand zum Halten kam.

Überhaupt im Leben: Es wird zumindest komplizierter, wenn nicht überhaupt unmöglich, ein Leben zu führen, in dem es keine Sicherheiten (mehr) gibt, wenn ich nichts habe, woran ich mich (fest)halten kann, keine Orientierung, kein Halteseil; wenn ich nicht weiß, wo’s langgeht oder es kein Halten mehr gibt.

Das gilt ebenso für die Fragen und das Leben im Glauben: Wenn Glaube nichts hat, woran er sich halten kann, wenn Orientierungspunkte fehlen, sorgt das für eine enorme Verunsicherung. Wir wünschen uns, wir hoffen, beten und vertrauen darauf, dass unser, dass mein persönlicher Glaube sich als tragfähig erweist. Gerade dann, wenn es schwierig wird, wenn vieles schwankt und vertraute Planken (vielleicht ganz plötzlich) wegbrechen.

Aber – und das ist das Großartige: Der Glaube an Jesus Christus ist kein verzweifeltes Festhalten an theologischen Richtigkeiten, sondern eine Beziehungs-, eine Vertrauenssache. Es werden ziemlich sicher Schwierigkeiten und unsichere Zeiten oder Momente kommen in meinem Leben. Die meisten könnten dazu ihre Geschichten erzählen. Vielleicht sind diese Zeiten nur ein wenig, vielleicht aber auch richtig ernsthaft bedrohlich. Gut zu wissen, dass Jesus mir gerade dann Halt gibt. Auch wenn ich vieles nicht verstehe, wenn mir selbst die Kraft zum Halten fehlt. Die gute Nachricht darin: Ich muss mich – nicht nur in solch bedrängenden Lagen – nicht selber (fest)halten. Sondern ich werde gehalten. Immer. Daran glaube, darauf vertraue ich.

Ergänzend dazu bedarf es noch eines anderen Haltepunktes: Halt im Sinne von Anhalten, Innehalten. Die Stille und Gegenwart Gottes suchen – als ein Halt zum Auftanken, zu einer neuen Inspiration und Motivation. Im ganz normalen Alltag. Und auch an besonderen Haltepunkten.

Als Redaktion wünschen wir Ihnen für das persönliche wie für das Gemeinde-Leben eine gute Haltung!

 

Dieser Kommentar erschien in Christsein Heute. Jetzt kostenlos testen: www.christsein-heute.de

Wir alle sind die Kirche

Anna Maria Gerlach

Warum es wichtig ist, über unser kirchliches Selbstverständnis nachzudenken, wenn wir Kirche als Ehrenamtliche gestalten wollen.

„Eine evangelische Kirche, die sich dem Gedanken des Priestertums aller Getauften verpflichtet fühlt, sollte Ehrenamtliche nicht (mehr) als ‚Laien‘ bezeichne. Auf diesen Begriff sollten wir ganz verzichten“, schreibt Steffen Bauer auf der Webseite des Ehrenamtsportals www.evangelisch-ehrenamt.de. Es war die These mit der größten Zustimmung auf den Seiten des EKD-Diskursprojekts zum Thema „Zukunft Ehrenamt“. Über 13 Monate lang konnten in den Jahren 2016 und 2017 online Thesen eingebracht, diskutiert und gewertet werden.

Das Priestertum aller Getauften

Immer wieder sprechen wir von dieser Unterscheidung von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen – sie scheint uns wichtig zu sein. Doch was schwingt eigentlich darin mit? Die Hauptamtlichen, das sind die Profis. Die haben Theologie studiert, die können das: Kirche. Auch mir als Gemeindepädagogin schwingt das manchmal entgegen: „Mach du das mal – du hast das doch studiert!“ Ja, hab ich. Trotzdem: Ehrenamtliche sind keine Laien. Sie sind Christen. Wie ich auch. Das sogenannte „Priestertum aller Getauften“ meint, dass alle Christen Priester sind. Alle sind fähig und berufen dazu, Ämter in einer Gemeinde zu übernehmen. Alle haben die Aufgabe der Verkündigung des Evangeliums (vgl. 1. Petrus 2,9).

Die Reformatoren haben das stark gemacht – in diesem Punkt unterscheiden wir uns also wesentlich von unseren katholischen Geschwistern. Doch damit die Verkündigung des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente geordnet ablaufen, haben wir Hauptamtliche eingesetzt. Sie sind mit den Grundaufgaben der Gesamtgemeinde beauftragt. Dabei dürfen wir uns klarmachen: Ein Pfarrer ist kein Vermittler zwischen Gott und der Gemeinde. Ganz im Gegenteil: Alle sind gleichrangig und wer für ein Amt beauftragt ist, soll von den übrigen Gemeindegliedern kritisch überprüft werden.

Das bedeutet: Hauptamtliche sind der Gemeinde untergeordnet. Sie dienen der Gemeinde. Nicht erst mit Hauptamtlichen ist Kirche Kirche. Auch eine Kirche ohne Pfarrer ist vollwertig Kirche!

Ehrenamt – die zweite Arbeit?!

Das Wort „Ehrenamt“ klingt schon so nach „Arbeit“. Es meint auch ganz simpel eine unentgeltliche Arbeit, oft eine anstrengende Arbeit: „Gibst du den kleinen Finger, wollen sie gleich die ganze Hand“, beschweren sich viele ehrenamtliche Engagierte – verständlicherweise. Schnell kann der Eindruck entstehen, ausgenutzt zu werden, für die Kirche zu arbeiten, aber nicht unbedingt Kirche zu sein.

Ein Blick in die Bibel zeigt, dass es in den ersten Gemeinden dieses Verständnis noch nicht gab. Es gab Ämter. Aber sie wurden nicht als solche bezeichnet. Wo deutsche Bibeln „Amt“ übersetzen, stehen im Griechischen oft Wörter, die zunächst einmal „Dienst“ bedeuten. Und dabei wird nicht unterschieden zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen. Ein Dienst in der Gemeinde ist nicht in erster Linie eine Arbeit, sondern eben ein Dienst. Ein Dienst an Menschen, zu dem alle Gläubigen berufen sind.

Mich fordert das heraus, neu über mein Verständnis von Ehrenamt nachzudenken: Ist meine Aufgabe etwas, das ich gerne tue, weil ich lieben und dienen möchte, oder übe ich mein Amt aus, weil ich denke, ich muss?

Oft denken wir, wir müssten unsere Ämter ausüben, damit die Kirche „funktioniert“. „Aber wir können doch die Kindergruppen nicht einfach ausfallen lassen!?“, solche oder ähnliche Sätze höre ich immer wieder in Gemeinden, wenn beispielsweise kein Gemeindepädagoge mehr da ist oder die Ehrenamtliche, die die Gruppe immer geleitet hat, plötzlich aufhört. Angebote und Gruppen dürfen auch sterben. Sie dürfen aufhören. Wenn WIR die Kirche sind, können auch WIR darüber entscheiden, wie wir unser Kirche-Sein gestalten möchten.

Eine Aufgabe für einen Menschen

Wenn eine Aufgabe unbesetzt ist, gehen wir meistens so vor: Wir suchen einen Menschen, der diese Aufgabe übernehmen kann. Das klappt nur so mittelgut. Denn dabei müssen viele Menschen erst überredet werden. Die Menschen passen sich oft der Aufgabe an. So ist es kein Wunder, dass die Aufgabe selbst sich als zusätzliche Arbeit anfühlt. Andersherum können Aufgaben beleben und beflügeln: Lasst uns nach Aufgaben für Menschen suchen, nicht nach Menschen für Aufgaben. Jedes Gemeindeglied kann sich fragen, was es für ihn oder sie persönlich bedeutet, Kirche zu sein: Was kann ich gut? Was ist mir wichtig? Wie möchte ich Evangelium verkündigen? Wovon habe ich schon immer geträumt? Und: Wofür habe ich gerade Zeit und Kraft?

Leider stellt Wolfram Dawin vom Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW fest: „Die Erfahrungen und Kenntnisse, die Ehrenamtliche aus ihrem Beruf mitbringen, werden viel zu häufig übersehen oder finden keine Anerkennung.“ Gemeindeleiterinnen und Hauptamtliche tun gut daran, den Einzelnen bewusst wahrzunehmen und wertzuschätzen. Manche Aufgaben werden dann erst einmal unbesetzt bleiben. Dann stellt sich die Frage, ob die Aufgabe vielleicht gar nicht so wichtig ist, wie ursprünglich gedacht. Andere Gemeinschaftsformen werden neu entstehen, weil Gemeindeglieder den Raum bekommen, initiativ zu werden und Fähigkeiten aus ganz anderen Lebensbereichen auch in der Gemeinde einzusetzen.

Bei jedem Ehrenamt können wir uns also fragen: Braucht es das? Wollen wir das? Wenn diese Aufgabe für uns wichtig ist, wer führt sie gerne aus? Wenn der Pfarrer weggeht, bleiben Aufgaben liegen. Und das ist in Ordnung. Diejenigen, die da sind, sind die Kirche. Und diejenigen, die da sind, können ganz frei über die Ausgestaltung ihrer Gemeinschaft entscheiden. Nichts muss einfach so weitergehen, nur damit es weitergeht.

Kirche sein

Manchmal verhalten wir uns als Kirche wie eine Dienstleisterin: Wir sind institutionell organisiert und wir machen Angebote für Menschen. Wir laden zu Veranstaltungen ein, wir unterscheiden zwischen Mitarbeitenden und Teilnehmenden, wir bieten Programme an. Dass wir den Menschen dienen, gehört zu unserem kirchlichen Selbstverständnis mit dazu und das ist gut so. Doch die Grundlage fürs Dienen ist wichtig: „Ich denke, dass wir als Kirche nicht irgendein Anbieter von sozialen und kulturellen Dienstleistungen sind, sondern dass diese bei uns immer mit dem Evangelium verknüpft sein sollten: Was Ehrenamtliche leisten, sollte ein Verweis auf das Evangelium sein“, sagt Michael Herbst dazu. Als Kirche sind wir die Gemeinschaft der Heiligen, derjenigen, die zu Jesus gehören, der Leib Christi.

Nach Paulus entsteht Kirche durch die Verbundenheit mit Christus. Der Zugang dazu ist die Taufe und das Abendmahl drückt immer wieder neu aus, dass wir in dieser Gemeinschaft bleiben. Wir Glaubenden werden in diesen Leib Christi eingefügt. Er entsteht nicht erst, wenn sich einzelne Menschen treffen. Christus ist schon da. Der Leib Christi ist schon da. Jesus Christus selbst ermöglicht das Dasein der Kirche. Nicht unsere Strukturen, nicht die Hauptamtlichen.

In der Confessio Augustana und in der Barmer Erklärung wird das bekräftigt: Die Kirche ist dann Leib Christi, wenn das Evangelium in Wort und Sakrament (Taufe und Abendmahl) verkündigt wird. Mehr braucht es nicht. Wir brauchen kein Kirchengebäude, kein Gemeindehaus, keinen Pfarrer. Wir brauchen keine Kinderkirche, keine Gottesdienste anlässlich von Eheschließungen, keinen Seniorenkreis, kein Gebetsfrühstück. All das sind sinnvolle Dinge – sie ordnen unser Gemeindeleben oder sind ein Ausdruck der kirchlichen Gemeinschaft. Aber sie sind nicht Kern der Kirche.

Weniger Strukturen

Wir dürfen unterscheiden zwischen der Kirche als Institution und der unsichtbaren Kirche als geistliche Größe. Es ist die Kirche von Jesus Christus. Die Strukturen, Bürokratien und Hierarchien haben wir Menschen unserer Gemeinschaft gegeben, um uns zu ordnen. Doch in diesen Ämtern und Funktionen wirkt letztendlich Gott selbst. Der Heilige Geist ist sozusagen das kritische Prinzip, das die Amtswirklichkeit begrenzt und – wenn es sein muss – außer Kraft setzt.

Die Strukturen sind mit der Kirche gewachsen. Es ist logisch: Je mehr Menschen zu einer Gemeinschaft dazugehören, umso mehr braucht es Regeln und Ordnungen. Dann genügt ein Wohnhaus nicht mehr als Treffpunkt und die Ausübung der Dienste kann so unübersichtlich werden, dass es sehr klug ist, hauptberuflich jemanden für den Dienst in der Kirche anzustellen. Doch wenn wir der Tatsache ins Auge sehen, dass unsere Gemeinschaft nicht größer, sondern kleiner wird, müssen wir die Strukturen wieder zurückschrauben.

Das bedeutet, den kleinen Gemeinschaften mehr Selbstständigkeit zu geben und die bisher große Institution Kirche kleiner werden zu lassen. Anstatt Einzelgemeinden zu Region-Gemeinden zusammenzufassen, sollte die einzelne Gemeinschaft befähigt werden, auch ohne Hauptamtlichen eine eigenständige Gemeinde sein zu können.

Die Ordination

Dabei wird immer wieder angemerkt, dass für die Auslegung der biblischen Texte und die Verwaltung der Sakramente ein theologisches Studium notwendig sei, damit dies „ordnungsgemäß und rein“ geschehen kann (vgl. Confessio Augustana, Artikel 7). Doch wieso ist ausgerechnet ein universitäres Theologie-Studium der Maßstab dieser Ordnungsgemäßheit? Die Regelungen in den einzelnen Landeskirchen sind unterschiedlich, inwiefern auch zum Beispiel Gemeindepädagoginnen und Prädikanten ordiniert werden können oder ob sie nur (eine Zeit lang) „beauftragt“ sind. Hier zeigt sich eine gewisse Geringschätzung der entsprechenden (durchaus theologischen!) Ausbildung, die wiederum den Menschen im Pfarramt einen priesterähnlichen Status gibt.

„Immer weniger Menschen wollen kirchlich ‚versorgt‘ werden, sie wollen nicht nur mitgestalten oder mitmachen, sie wollen gestalten und machen. Deshalb werden sich die Rollen und die Aufgaben der Hauptamtlichen gravierend verändern (müssen)“, schreibt Diakon Ralph Fischer. Es braucht keine Pfarrer, die die Gemeinden „versorgen“ mit ihrem Predigtdienst und der Sakramentsverwaltung. Es braucht gut ausgebildete Hauptamtliche, die Ehrenamtliche befähigen, Kirche auch allein zu gestalten. Wer so angeleitet und begleitet wird, kann auch ordiniert, also mit dem Verkündigungsdienst beauftragt werden.

Wie kommen wir dahin?

„Die Ehrenamtlichen kommen in der strategischen Planung immer noch zu kurz. Ich bin der Meinung, dass wir in unserem Veränderungsprozess die Ehrenamtlichen noch mehr einbeziehen müssen. Wo werden sie mit hineingenommen? Natürlich geht es nicht darum, ihnen noch mehr Arbeit aufzubürden, sondern vor allem um die Perspektive. Bitte lassen Sie uns die Ehrenamtlichen viel mehr in den Blick nehmen!“, meint Prisca Steeb auf der Synode der Württembergischen Landeskirche. Ja, wir brauchen als Ehrenamtliche, als Ortsgemeinden das Zugeständnis, vollständig Kirche zu sein – auch ohne Pfarrer. Wir brauchen mehr Begleitung und Förderung von Ehrenamtlichen, die die Menschen und ihre Potenziale sehen – nicht nur die Aufgaben.

Dabei ist klar: Funktionierende Gemeinden nur mit Ehrenamtlichen werden wir nicht von heute auf morgen haben. Doch wir müssen und werden uns verändern. Diese Veränderung geschieht nicht nur durch Strukturreformen „von oben“, sie muss auch „unten“ in den Ortsgemeinden beginnen. Bei jedem Einzelnen: Bei der Pfarrerin und beim Diakon genauso wie bei der ehrenamtlichen Jugendleiterin und dem Kirchvorsteher. Denn wir alle sind die Kirche.

 

Dieser Artikel erschien in 3E. Jetzt kostenlos testen: www.magazin3e.net

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

Advents- und Weihnachts-Ideen, um Ihren Mitmenschen eine Freude zu machen.

  1. Stellen Sie einen Teller mit selbstgebackenen Plätzchen in den Flur Ihres Mehrfamilienhauses oder vor die Tür Ihrer Nachbarn.
  2. Besuchen Sie Flüchtlinge, die an Ihrem Wohnort untergebracht sind, und bieten Sie ihnen Ihre Hilfe an.
  3. Helfen Sie dem alten Nachbarn oder der alleinerziehenden Mutter nebenan beim Schneeschippen.
  4. Basteln Sie für jeden Ihrer Freunde einen persönlichen Adventskalender. Beim einen enthält der vielleicht Fußball-Anekdoten, bei der anderen Rezepte, beim Dritten Süßigkeiten.
  5. Helfen Sie der alten Nachbarin von gegenüber beim Dekorieren, zum Beispiel beim Aufhängen der Lichterketten.
  6. Schenken Sie der Postbotin, den Männern von der Müllabfuhr, der Zeitungs-Austrägerin etwas Süßes als Dankeschön für ihren Einsatz. Das motiviert sie fürs nächste Jahr.
  7. An der Kasse kramt jemand hinter Ihnen in seinem Kleingeld, um einen Schokoriegel zu bezahlen? Übernehmen Sie seine Rechnung.
  8. Bieten Sie Ihren Nachbarn an, beim nächsten Mal für sie mit einzukaufen.
  9. Setzen Sie einen großen Topf Punsch auf und laden Sie alle dazu ein, die Sie beim Einkaufen der Zutaten treffen.
  10. Besuchen Sie alte Menschen im Altenheim und lesen Sie ihnen eine weihnachtliche Geschichte vor – oder bringen Sie kleine Geschenke mit.
  11. Passen Sie einen Abend lang auf die kleinen Kinder Ihrer Nachbarn auf. Die Eltern können dann ungestört ihre Weihnachtseinkäufe machen oder einfach in Ruhe über den Weihnachtsmarkt schlendern.
  12. Bringen Sie einem Obdachlosen ein heißes alkoholfreies Getränk.
  13. Geben Sie den Nachbarskindern kostenlos Nachhilfe.
  14. Spielen Sie den Nikolaus/Weihnachtsmann bei der Bescherung im Kindergarten.
  15. Helfen Sie Ihren Bekannten im Haushalt oder bei kleinen Reparaturen.
  16. Bieten Sie bei Bus- oder Bahnfahrt Rentnern einen Platz an.
  17. Laden Sie Ihren Partner zum Essen ein.
  18. Werfen Sie ermutigende Postkarten oder kleine Schokoladentafeln in die Briefkästen Ihrer Nachbarn.

Dieser Tipps erschienen in der Zeitschrift lebenslust. Jetzt kostenlos testen: www.bundes-verlag.net/lebenslust

Olé du fröhliche

In immer mehr Fußballstadien treffen sich Menschen zum Vor-Weihnachtssingen

Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten. Das Weihnachtssingen auch. Und die Stadien in Deutschland werden immer voller. In der Adventszeit in ein Fußballstadion zu pilgern – um dort mit Tausenden anderen Weihnachtslieder zu singen – ist ein Trend, der Jahr für Jahr wächst.

In Aachen auf dem „Tivoli“ – für Nicht-Fußballer: das ist kein Vergnügungspark sondern so heißt das Stadion – wird es traditionell am 4. Advent weihnachtlich-stimmungsvoll; sofern der 4. Advent nicht (wie in diesem Jahr) mit Heiligabend zusammenfällt. Anno 2017 wird also am 17. Dezember gesungen. Um 19 Uhr läuten die Glocken des Aachener Doms ganz offiziell das Singen ein. Mit einem kleinen Schönheitsfehler: „Die Domklänge kommen vom Band“, verrät Siegmar Müller, Gründer und bis heute einer der Organisatoren des Aachener Weihnachtssingens.

Der Pastor im Ruhestand hatte von dem Weihnachtssingen in Berlin gehört und dachte sich: „Das könnten wir in Aachen doch auch probieren!“ Er sucht sich Mitstreiter in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), der Stadt Aachen, der Interessengemeinschaft der Aachener Fangruppen und dem Kongresszentrum „Eurogress“ (dem Stadion-Vermieter) – und 2013 findet mit 1.500 Mitsängern das erste Weihnachtssingen auf dem Aachener Tivoli statt. Zum „kleinen Jubiläum“, dem 5. Weihnachtssingen in diesem Jahr, werden wie schon 2016 wieder mehr als 21.000 Besucher erwartet.

Fußball-Clubs organisieren für ihre Fans Weihnachtssingen in den Stadien – oder sie sind selbst Gäste. Oder ein freier Organisator lädt ein. Die Modelle sind unterschiedlich. Der Hauptstadt-Club Union Berlin veranstaltet seit 2003 das Event, ist damit das Urgestein der modernen Gesangsbewegung – und mehrere Vereine der Republik zogen nach. Vor zwei Jahren (2015) waren es vier Traditionsvereine, die neben den Berlinern ein Vor-Weihnachtssingen arrangierten: Beim TSV 1860 München im Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße (dort erlebte das Adventssingen seine dritte Auflage). Im – damals noch so genannten – „Rudolf-Harbig-Stadion“ von Dynamo Dresden (wo der Massen-Gesang von dem 128-köpfigen Kreuzchor begleitet wurde). Außerdem im Westen im „Wohnzimmer“ von Alemannia Aachen (ebenfalls zum 3. Mal), und im Rheinenergie-Stadion des 1. FC Köln (wo es klassisch kölsch hieß: „Loss mer Weihnachtsleeder singe“).

In München und Dresden war nach 2015 Schluss mit dem öffentlich-volkstümlichen Singen im Advent. Immerhin tritt in diesem Jahr (am 22. Dezember 2017) der Dresdner Kreuzchor im „DDV Stadion“ auf, allerdings ohne Mitsänger und zu entsprechenden Konzertpreisen. An die Stelle der bayerischen und sächsischen Metropole treten – seit 2016 – die Sängertreffen in Gelsenkirchen auf Schalke und in der MDCC-Arena des 1. FC Magdeburg.

Weihnachtslieder, Fangesänge

Was bringt die Menschen zum Singen ins Stadion? „Gemeinsame Anknüpfungspunkte“ gibt es „in der Musik und im Gesang“, glaubt Siegmar Müller: „In der Kirche wird gesungen – und auf dem Fußballplatz, mit Inbrunst und Begeisterung.“ Beim Weihnachtssingen wird das verbunden: christliche Weihnachtslieder, volkstümliche Weihnachtslieder und Fangesänge – „das bringt Fußball und Kirche zusammen“. Auch Nicht-Alemannia-Fans singen dann die Vereinshymne. „Es packt einen mitzusingen“, findet Müller. In den vergangenen Jahren hat der Trommler von Alemannia den Song begleitet.

Das Weihnachtssingen entfaltet einen Charakter „fast wie ein Gottesdienst“ (Müller). Und ein katholischer Besucher erklärte zuletzt: „Das war meine eigentliche Weihnachtsmesse.“

Bevor es richtig losgeht, stimmen die Chöre die Gäste mit einem einstündigen Vorprogramm ein, dann folgen die 90 Minuten Hauptprogramm. Alle Texte werden in einem Liederbuch ausgeteilt, die Texte auch auf die Leinwände projiziert. Weihnachtslieder – darunter Klassiker wie „Stille Nacht“, „O du fröhliche“, „Vom Himmel hoch“, „White Christmas“ oder „Feliz Navidad“ stehen im Vordergrund. Instrumentalchöre begleiten die Lieder; (Gospel-)Chöre animieren die Leute zum Mitsingen. 2016 hat ein 9-jähriges afrikanisches Mädchen die 1. Strophe von „Stille Nacht“ allein gesungen. 2017 ist erstmals auch ein Kinderchor dabei.

Die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel wird vorgelesen. Sie sorgt ebenso für Andacht und Stille im Stadionrund wie das Gebet, das sich anschließt. Obendrein ist das Aachener Weihnachtssingen ein wichtiges Stadtereignis: Der Oberbürgermeister begrüßt jedes Jahr die Gäste. Robert Moonen, der offizielle Stadionsprecher, moderiert das Programm. Und der Sänger Jupp Ebert, ein „Öcher Original“ (Müller), stimmt traditionell die Alemannia-Gesänge an.

Mit zunehmender Größe steigen Professionalisierung und Kosten. Der Etat liegt inzwischen bei rund 100.000 € (vor allem für Sicherheit und Technik), der zu gleichen Teilen geschultert wird von Spendern, Sponsoren und einer kleinen Reservierungsgebühr der Besucher (ab 5 Euro). „Bei 20.000 Menschen können wir die Besucherströme in die Stadionblöcke und auf die Tribünen nur lenken über die Ausgabe von Tickets“, erklärt Müller.

Gänsehautmomente

Philipp Scheufler (24) studiert Fahrzeug- und Antriebstechnik an der FH Aachen. Dreimal war er schon beim Weihnachtssingen; das erste Mal auf Einladung eines Freunds: „Der meinte, es wäre megacool, das müsste man unbedingt erlebt haben! Und ich dachte: Da gehe ich mal mit.“

Mit zigtausend anderen Menschen auf den Rängen zu singen, ist „etwas komplett anderes“ als zu Weihnachten in der Kirche. Scheufler hat zwischendurch „aufgehört mitzusingen, um einfach nur zu hören“. Das war „teilweise atemberaubend.“

Und jedes Mal gibt es ganz sicher einen „Gänsehautmoment“: Am Eingang werden Kerzen verteilt, jeder Besucher bekommt eine. Das Stadionlicht wird heruntergedimmt und auf allen Rängen leuchten allein die Kerzen. „Dieser Moment hat sich bei mir festgesetzt“, gesteht Scheufler, „es ist tatsächlich eine coole Atmosphäre.“ Und das Weihnachtssingen nicht nur für ihn „jedes Mal wieder ein Erlebnis; auf jeden Fall eine Sache, die sich lohnt“. Für ihn persönlich bedeutet es noch mehr: Hier wird, eine Woche vor dem Fest, „die Weihnachtszeit eingeläutet“.

 

Von Berlin bis Köln: Weihnachtssingen 2017

Berlin: Das älteste und größte Treffen dieser Art. Hier fing alles an, an der Alten Försterei in Berlin. Im Jahr 2003 trafen sich 89 Verrückte „halblegal“ mit Glühwein und Gebäck auf Höhe der Mittellinie im Stadion An der Alten Försterei zum Weihnachtsliedersingen. Von Jahr zu Jahr wuchs die Schar der Sänger. Weihnachten 2010 erfüllten schon die Stimmen von über 10.000 Menschen das „eiserne“ Wohnzimmer.

Der Fanclub Alt-Unioner organisiert das inzwischen traditionelle Weihnachtssingen. 2017 werden über 28.000 Menschen erwartet: Das Weihnachtssingen ist zu einem generations- und vereinsübergreifenden Ereignis geworden. Pfarrer Müller trägt die Weihnachtsgeschichte vor, der Chor des Emmy-Noether-Gymnasiums gibt Tonart und Takt vor und eine kleine Bläsergruppe sorgt für festlich-fröhliche Klänge. Liederbuch und Kerze gibt es gratis – eine kleine Spende für die Nachwuchsarbeit des Vereins ist immer willkommen (23.12.2017, 19 Uhr, Einlass 17 Uhr).

Köln: Die Karnevalsmitsinginitiative „Loss mer singe“ hat einen Ableger in der Weihnachtszeit: Am 23. Dezember klingen bei „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ im Rheinenergie-Stadion Adventslieder aus Tausenden von Kehlen (23.12.2017, 19 Uhr; Tickets ab 5 Euro).

Weihnachtssingen auf Schalke: Wo sonst die Fußballprofis der Königsblauen spielen, stehen einen Tag vor Weihnachten wieder bekannte Musiker und Chöre zum Weihnachtssingen auf der Bühne. PUR-Frontsänger Hartmut Engler lässt es sich nicht nehmen, beim 2. Weihnachtssingen auf Schalke gemeinsam mit den Besuchern Weihnachtslieder zu singen (23.12.2017, 19 Uhr, Tickets 14 Euro).

Magdeburg: Das 2. Weihnachtssingen findet dieses Jahr am Tag vor Heiligabend statt. Die Tore werden um 16 Uhr geöffnet, es gibt ein kleines Vorprogramm auf den Vorplatz, mit kleiner Bühne und Weihnachtsmarkt. Aufgrund des Erfolgs beim Start im Vorjahr (7.000 Besucher) rechnen die Veranstalter in diesem Jahr mit 10.000 bis 15.000 Besuchern in die MDCC-Arena. Trotz steigender Besucherzahlen und Kosten für Bühne, Technik, Sicherheitskonzept und eine erhöhte Zahl an Liederheften und Kerzen bleibt der Eintritt zum Weihnachtssingen kostenlos (23.12.2017, 18 Uhr).

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift lebenslust. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslust-magazin.net

Mit Gott auf der Rennstrecke

von Rüdiger Jope

Was kommt dabei heraus, wenn ein visionäres Team 100 Jahre Motorsport, ein abgehalftertes Hotel, Flüchtlinge und ehemalige Straffällige zusammenbringt? Eine Kirchengemeinde!

Wolkenloser Himmel. Langgezogene Kurven. Schattenspendende Bäume. Verkleidete Leitplanken. Dröhnend zieht eine Maschine an meiner heruntergelassenen Seitenscheibe vorbei. Sie signalisiert meiner Nase und meinen Ohren: Du bist auf der richtigen Spur Richtung Glemseck. Bis in die 60er-Jahre hinein trugen auf der legendären Solitude-Rennstrecke in der Nähe von Stuttgart zwei- und vierrädrige Legenden des Motorsports ihre PS-starken Fights um Lorbeerkränze und glänzende Pokale aus. Vor dem Hotel Glemseck parke ich. Auf mich wartet Tobias Merckle, der Gründer, Taktgeber und Vorstand von „Seehaus e.V.“. Mit leuchtenden Augen führt er mich durch die in die Jahre gekommenen Räume, die eine vergilbte, rauchgeschwängerte, aber reiche Motorsportvergangenheit atmen. „Eigentlich träumte ich schon 13 Jahre davon, hier an diesem Ort Motorradfahrer, Oldtimerfahrer und Motorsportbegeisterte in ihrem Umfeld mit dem Glauben in Berührung zu bringen“, so der Visionär.

Traditionen pflegen, Neues entwickeln

Als er sich Anfang 2016 auf die Suche nach weiteren Räumen für den „Jugendstrafvollzug in freien Formen“ macht, wird ihm dieses abgelebte Kleinod angeboten. Merckle ist in seinem Element: „Als ich dann in diesen Räumen stand, wusste ich: Mitarbeiterwohnungen sind hier fehl am Platz. Die über 100 Jahre alte Geschichte gehört unter neuen Vorzeichen fortgeschrieben.“ Auf einem Laptop bekomme ich die Zukunft präsentiert: Ein hippes Motorsporthotel. Detailverliebte Innenausstattung mit Fotos, Originalfahrzeugen und Oldtimern. Zudem sollen im Glemseck Flüchtlinge in der Gastronomie ausgebildet werden, um ihnen so einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Motorsportbegeisterung mit Mehrwert zum Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Helfen und Glauben.

Gerade Letzteres ist Merckles Leidenschaft. Ehemaligen Straffälligen eine Gemeinde als Zuhause anzubieten. Alle wohlgemeinten Versuche scheiterten. Die meisten Jugendlichen fanden nach der Zeit im Seehaus keine Beheimatung in einer normalen Gemeinde. „Die Lebenswelten, die Erfahrung, die Gesprächsthemen, die Interessen sind einfach ganz andere“, bilanziert der Gründer etwas ernüchtert. Doch Merckle hat das Unternehmer-Gen. Wo ein Problem ist, sucht er nach einer Lösung. Mit einer kleinen Gruppe von Mitstreitern setzt er sich mit Verantwortungsträgern aus der evangelischen Landeskirche Württemberg zusammen. Sie fragen: „Könnte Glemseck nicht eine ‚personale Gemeinde‘ werden für ein Milieu, welches die klassische Kirchengemeinde nicht erreicht?“ Sie kann. Seit Anfang Mai 2016 ist die „Gemeinde am Glemseck“ Teil der Gesamtkirchengemeinde Leonberg und der evangelischen Landeskirche Württemberg.

Beziehung statt Programm

Glemseck will dort mit dem Glauben hin, wo die Leute sind. Die Motorradfahrer und Motorsportbegeisterten sind da ein zusätzliches Pfund. Merckle gibt eine Begebenheit aus einem Motorradgottesdienst zum Besten. Auf dem WC ist die Pfarrerin dabei, sich ihren Talar überzustreifen. Nebendran schlüpfte eine Motorradfahrerin in ein Hasenkostüm. Der Pastorin rutschte ein schmunzelndes „sieht aber komisch aus“ raus. Ihr Gegenüber konterte lachend: „Ebenso!“

Knapp achtzig „komische“ Leute treffen sich inzwischen in dieser ökumenischen Mitmachgemeinde. Sie wird zum Zuhause für Suchende, Zweifler, Interessierte, Neugierige und Flüchtende. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Thema Gemeinschaft. Lebensberichtsabende und gemeinsames Essen sind ein zentrales Element. „Menschen kommen vor allem wegen der Beziehungen, die Gottesdienste nehmen sie so mit“, ergänzt Merckle. Auf dem Rückweg zum Auto bückt sich der Visionär nach dem achtlos weggeworfenen Müll. Ich erlebe: Hier ist sich einer nicht zu schade, kleine und große Müllberge des Lebens beiseite zu räumen, damit Menschen sich mit Gott auf die Rennstrecke ihres Lebens begeben.

Dieser Artikel erschien im Magazin 3E. Jetzt kostenlos testen: www.magazin3e.net

Daniel Kallauch

Interview: Bettina Wendland

Kinder stark machen

Über ein Vierteljahrhundert steht Daniel Kallauch schon auf der Bühne. Und macht dabei nicht nur eine professionelle Show für Kinder und Eltern, sondern vermittelt auch wichtige Werte.

Du bist seit über 25 Jahren Kindermusiker. Macht es dir immer noch Spaß?

Ja, es macht mir richtig Spaß. Vor einigen Jahren dachte ich, mit Mitte 50 mache ich mehr für Erwachsene. Aber dann hatte ich so etwas wie ein Gotteserlebnis, wo ich auf einmal wusste: „Du bist und bleibst bei den Kindern.“ Das war befreiend für mich.

Wie bist du denn überhaupt zur Kindermusik gekommen?

Seit ich 16 bin, bin ich mit Musik unterwegs – zuerst mit einem Freund, dann mit Anke, meiner Frau. Bei meiner ersten Arbeitsstelle als Vikar bin ich im Kinderbereich gelandet. Der Diakon brauchte für einen Einschulungsgottesdienst ein Lied zur Speisung der 5.000. Da ich kein passendes Lied kannte, habe ich eins geschrieben: „4999 und 1“. Danach entstand ein Kinderlied nach dem anderen und die kamen viel besser an als die Lieder, die ich vorher gemacht hatte.

Ist der Willibald auch schon 26 Jahre dabei?

Ja. Vom ersten Kinderkonzert im Januar 1991 bis heute. Der Spaßvogel sah zwar noch etwas anders aus, hatte aber immer seinen Charakter, der sich im Lauf der Jahre weiterentwickelte. So wie bei mir!

Wie hast du das Bauchreden gelernt?

Bei einen Wochenend-Kurs. Mit dem Bauchreden ist es wie mit dem Klavierspielen. Man braucht eine halbe Stunde, um zu wissen, wo welcher Ton ist. Aber es dauert zehn Jahre, bis es klingt.

Du hast in den letzten  Jahren viele Kinder erlebt. Würdest du sagen, dass die Kinder sich verändert haben?

Ja, die Aufnahmefähigkeit hat nachgelassen. Aber auch die Eltern haben sich verändert. Viele sind nicht mehr so konzentriert dabei. Bei fast jedem Auftritt gibt es eine Mutter, die mit ihrem Kind auf dem Schoß ihr Smartphone bearbeitet. Für die Veranstalter ist es auch nicht leichter geworden. Früher war eine Familienshow oft zwei Wochen vorher ausverkauft. Heute bezahlen die Leute lieber den teureren Tagespreis, um spontan entscheiden zu können, ob sie hingehen.

Hast du dein Showprogramm an diese Veränderungen angepasst?

Eigentlich nicht. Häufig bekomme ich die Rückmeldung von Eltern, sie hätten noch nie erlebt, dass ihr Kind 80 bis 90 Minuten so konzentriert bei einer Sache dabei war. Mal hören sie zu, dann kommt Willibald wieder, kurz darauf heißt es aufstehen zum Mitmachen … Wir wechseln ständig die Impulse, alles mit Regisseur und viel Erfahrung geplant.

Auf deiner neuen CD „Ganz schön stark“ geht es darum, Kinder stark zu machen. Was sind denn die größten Herausforderungen für sie?

In unserer Gesellschaft müssen alle richtig viel Leistung bringen, auch die Kinder schon. Unser Schulsystem ist darauf aufgebaut. Das ist zunehmend eine große Herausforderung für Kinder und Familien. Kreativität zum Beispiel ist kaum gefragt. Ich hoffe, dass ich Kindern, die sensibler und kreativer sind, Mut mache, stark zu sein und zu sich zu stehen.

Wie können Eltern das fördern?

Eltern müssen sich nicht dem Diktat der Schule und der Gesellschaft unterwerfen. Sie sollten den Mut haben, ihren eigenen Weg mit ihren Kindern zu gehen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu entfalten. Eltern dürfen mutig als Vorbilder vorangehen und dem Nachwuchs zeigen, dass nicht immer alles glatt läuft. Sie sollten bereit sein, ihre Kinder mehr in ihr Leben mit hineinzunehmen und ihnen zeigen, wie jemand mit Schwierigkeiten umgeht, der Gott vertraut.

Dieses Interview erschien in der Zeitschrift Family. Jetzt kostenlos testen: www.family.de

Judy Bailey

Interview: Jörg Podworny

„Wir sind eine Welt“

Die Sängerin Judy Bailey über Songs zwischen Reggae und Disco und die vereinende Kraft der Musik.

Judy, du bist schon von deiner Lebensgeschichte her – auf Barbados aufgewachsen, jetzt in Deutschland – eine Weltmusikerin und Weltbürgerin, die in vielen Teilen der Welt unterwegs ist. Welche Rolle spielt das für deine Art, Musik zu machen?

Es hat auf jeden Fall etwas miteinander zu tun. Ich bin auf Barbados aufgewachsen – das ist sowieso viel Reggae, Rhythmus, Calypso, afrikanische Einflüsse … Aber auch da hatte ich schon viele Poplieder in meinem Kopf. Und das ist weiter gegangen, seit ich mit Musik um die Welt reise: Was ich erlebe, das taucht auch in meiner Musik auf. Was mir gefällt, das fließt mit ein, auch unbewusst. Und wenn Leute fragen: „Wie nennst du deine Musik?“, dann ist das wirklich schwer zu beantworten. Weil es ist so gemischt: Reggae, Rock, Soul, Balladen, auch ein Disco-Song ist auf meinem neuen Album. Es ist schwer für mich, zu sagen: Das ist jetzt meine Musik. Es ist alles meine Musik irgendwie.

„Judy-Music“ sozusagen.

Ja, wirklich (lacht). Und Menschen aus buchstäblich aller Welt singen mit mir gemeinsam.

Neue Lieder haben oft zu tun mit Erinnerungen und Begegnungen. Gibt es im Rückblick auf die vergangenen Monate besonders bewegende Geschichten?

Oh, da gibt es einige! Ich habe eine ruhige Ballade getextet: „Let love have the last word“. Die habe ich geschrieben, als mein Schwiegervater gestorben ist. Das war keine einfache Geschichte. Vieles war nicht gelöst. Es gab noch viele Fragen, es war eine Herausforderung für die ganze Familie. Und das Lied soll ausdrücken: Obwohl man nicht alles versteht, soll die Liebe das letzte Wort haben – ohne dass es naiv oder simpel ist. Egal, was deine Gefühle sagen: Lass Liebe das letzte Wort haben! Auch wenn es schwer ist – lass nicht deine Wut oder deine Gefühle gewinnen! Das hat natürlich viel mit Vergebung zu tun.

Und eine zweite Geschichte: Als bei uns im Dorf viele Flüchtlinge ankamen, sind nach einiger Zeit ganz viele Leute zusammengekommen und wir haben ein Begegnungsfest gefeiert. Daraus ist das Lied „Home“ entstanden: ein Lied über Zuhause, besonders für die Flüchtlinge in meinem Dorf. Es begleitet uns irgendwie jeden Tag.

Gleichzeitig lag mein Bruder in diesen Tagen auf dem Sterbebett. Er hatte nicht das beste Verhältnis zu meinen Eltern, aber jetzt war er wieder zu Hause. Und als er gestorben ist, war das auch wie nach Hause gehen, zu Gott.

Zwei sehr eindrückliche Geschichten. Nun hat das Album den Titel One – und es trägt diesen Titel nicht einfach so …  

Ja. Ganz allgemein heißt „One“: Egal, wer du bist, wo du herkommst, wie du aussiehst und nach welcher Religion du lebst – wir sind eins! Durch die Adern jedes Menschen fließt Blut, jeder atmet, kennt Enttäuschungen, hat Freude: Wir teilen so viel gemeinsam. Als Christ heißt „One“ für mich: Wir sind eins, egal welcher Glaubensrichtung wir angehören, wenn wir den grundsätzlichen Kern des Glaubens haben. Und zusammen: Wir sind eine Kirche, haben einen Glauben, eine Hoffnung. Wir sind eine Welt.

Was ist dein Wunsch, wenn Menschen sich begegnen, wenn sie deine Musik hören oder auch gemeinsam singen?

Ich wünsche mir, dass meine Musik Leute zusammenbringt, dass wir zusammen tanzen und singen und sehen, dass wir eins sind. Und wenn wir von unserem Glauben singen, dann kann man den nicht sehen, nicht mit Händen greifen. Aber ich hoffe, dass Menschen es spüren und dass der Glaube anziehend ist für Menschen. Dazu möchte ich ermutigen mit meiner Musik.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift lebenslust. Jetzt kostenlos testen: www.lebenslust-magazin.net